14-06-26 Bildungsgerechtigkeit PDF

Title 14-06-26 Bildungsgerechtigkeit
Author Jonas Findeis
Course Vorlesung Schulpädagogik 2
Institution Otto-Friedrich Universität Bamberg
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Sommersemester...


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Bildungsgerechtigkeit PISA 2012: Chancengerechtigkeit und Schülerleistungen „In Deutschland erklärt sich die Varianz der Schülerleistungen in Mathematik zu 17% aus Unterschieden im sozioökonomischen Hintergrund der Schülerinnen und Schüler (gegenüber 15% im OECD-Durchschnitt). Ein sozioökonomisch bessergestellter Schüler erzielt in Deutschland in Mathematik durchschnittlich 43 Punkte mehr als ein sozioökonomisch weniger begünstigter Schüler. Im OECD-Durchschnitt beträgt die entsprechende Leistungsdifferenz 39 Punkte, was einem Vorsprung von einem Schuljahr entspricht.“

Bildungsgerechtigkeit als Chancengleichheit Was sind „Chancen“?  Mit der Allokationsfunktion hat Schule einen großen Einfluss auf den späteren sozialen Status der Schülerinnen und Schüler  Selektion & Auslese (Folge von Abschlüssen), wer viel leistet wird belohnt  Gefordert wird, dass alle Schülerinnen und Schüler gleiche Chancen auf hohe Statuspositionen haben.  aber schwierig, wenn jeder unterschiedliche Voraussetzungen hat, bei uns sagt man aber nur, dass jeder die gleichen Chancen haben sollte  „Währung“ von Chancen: Noten, Abschlüsse, Zertifikate  Unterscheidung (Giesinger 2007, S.366) o Chance als generelle Möglichkeit  was reintheoretisch möglich wäre 

o Chance als Wahrscheinlichkeit  realistisch sehen, was man erreichen kann Chancengleichheit als gleiche Wahrscheinlichkeit auf das Erreichen guter Noten und damit guter Statuspositionen.

Probleme mit dem Konstrukt ‚Chancengleichheit‘ 1. Chancengleichheit kann nicht erreicht werden, weil unmöglich alle Einflussfaktoren kontrolliert werden können (Singer 1984)  z.B. könnte man Unterricht exakt gleich gestalten, aber dann Voraussetzungen anders 2. Um Chancengleichheit zu erreichen, müssten die Chancen der Begünstigten beschnitten werden (Hayek 1991, Abschnitt V) 3. Die Angleichung der (individuellen) Chancen führt lediglich zu einer Umverteilung der (individuellen) Chancen, aber nicht zur Vermehrung der (Gesamt-)Chancen (Heid 1988)  es kann nicht jeder das Gleiche erreichen, wenn den einen etwas ermöglicht werden auf Kosten anderer (nicht jeder kann Chef sein usw.)  „Stiegen alle auf, so wäre das – schon rein logisch – überhaupt kein Aufstieg“ (Heid 1988, S. 6)  Subjektive Komponenten einer Chance können gesteigert werden, objektive Komponenten einer Chance können nicht gesteigert werden  Das sozialstrukturelle Problem wird in ein individuelles Problem umgewandelt.

‚Begabung‘ als Kriterium der Bildungsgerechtigkeit Aktionsrat Bildung: ‚Kognitive Fähigkeit‘ als Kriterium der Bildungsgerechtigkeit „Wenn alle Menschen mit ausreichenden kognitiven Ausgangsvoraussetzungen an den Maßnahmen höherer Bildung beteiligt würden, könnte man weder von einer Ungerechtigkeit gegenüber einzelnen Gruppen noch von einer ausgebliebenen Nutzung von Bildungsreserven sprechen. Die Selektion findet aber nicht über Leistungsfähigkeit statt. Die Bildungsbeteiligung im oberen Segment ist abhängig von anderen als nur kognitiven Ausgangsvoraussetzungen. Als besondere Risiken für die Nichtbeteiligung an höheren Bildungsmaßnahmen und -abschlüssen müssen die Zugehörigkeit zu einer bildungsfernen Schicht und/oder ein Migrationshintergrund gelten. Disparitäten der Bildungsbeteiligung sind es, die eine Bildungsgerechtigkeit in Frage stellen. Diese Disparitäten der Bildungsbeteiligung entstehen, wenn ungleiche Beteiligungs- und Erfolgschancen so genannten askriptiven Merkmalen wie dem Geschlecht, der Muttersprache, der ethnischen, kulturellen und sozialen Herkunft oder der Religion folgen. “ (Aktionsrat Bildung 2007, S. 12f.)

Kritik: Ist es ‚gerecht‘, wenn Individuen nach ihren kognitiven Fähigkeiten sortiert werden?  „Wir können diese ‚Hierarchie der Intelligenz‘ und ähnliche fantastische Systeme ablehnen, wenn uns klar ist, dass der Anspruch auf Gleichheit nicht auf Intelligenz, moralischer Persönlichkeit, Rationalität oder ähnlichen Tatsachen beruht. Es gibt keinen logisch zwingenden Grund für die Annahme, dass ein Unterschied in den Fähigkeiten zweier Menschen einen Unterschied in dem Maß der Beachtung rechtfertigt, die wir ihren Interessen schenken.“ (Singer 1984, S. 32)  „Ein leidenschaftlicher Wissensdrang oder eine ungewöhnliche Verbindung von Interessen kann wichtiger sein als erkennbare Gaben oder feststellbare Fähigkeiten; und eine Grundlage von allgemeinem Wissen und Interessen oder eine durch die Familie geschaffene Hochschätzung des Wissens tragen oft mehr zur Leistung bei als die natürliche Begabung.“ (Hayek 1991, S.472)

Bildungsgerechtigkeit als Garantie eines Bildungsminimums Johannes Giesinger: „Schwellenkonzeption“ von Bildungsgerechtigkeit (Giesinger 2007)  „Das Bildungssystem soll jedes Kind zu einem guten Leben in der Gesellschaft befähigen, und das heißt zu autonomer Lebensgestaltung unter Teilnahme am sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Leben der Gesellschaft.“ (Giesinger 2007, S.377)  Das bedeutet: o „Alle sollen die vorgegebene Schwelle [des Bildungsminimums] überschreiten. Ungleichheiten o o

oberhalb der Schwelle gelten nicht als moralisch anstößig“ Natürliche und soziale Benachteiligungen werden gleich behandelt. Für die schulisch Benachteiligten müssen besondere Ressourcen bereitgestellt werden.

Bildungsminimum (Tenorth 2009, S.163) „Pragmatisch und empirisch […] nenne ich Bildungsgerechtigkeit das Ziel der Befähigung aller Lernenden zur selbstständigen Teilhabe an der gesellschaftlichen und kulturellen, politischen und ökonomischen Praxis auf einem Niveau oberhalb von Bildungsarmut, d.h. auf dem Niveau, das ich mit dem ‚Bildungsminimum‘ bezeichnen möchte.“ (Tenorth 2009, S.162)  Lesen-, Schreiben- und Sprechen-Können  Mathematische Fähigkeiten und Fertigkeiten  Konzeptuelles Verständnis der belebten und unbelebten Natur  Fähigkeit zur systematischen Beobachtung und der experimentellen Manipulation  Erziehung des Körpers (Sinne, Geschicklichkeit, Sensibilität, Ausdrucksfähigkeit)  Zivilisierter Umgang miteinander  Lernmethoden, Arbeitstechnik, Arbeitsorganisation Einflussfaktoren auf den Ausgleich von Benachteiligungen (Gosepath 2004, S.405-425) Gesellschaftliche Institutionen gleichen objektive Benachteiligungen bei der Realisierung eines autonomen, gelingenden Lebens aus, wenn das Individuum für die Benachteiligungen nicht selbst verantwortlich ist und sich nicht selbst daraus befreien kann.  Wovon ist die Hilfe anderer abhängig:  Zentrales Ziel: Autonomes, gelingendes Leben  Objektivität der Benachteiligung  Verantwortlichkeit des Individuums  selber schuld für manche Dinge, man bekommt nur Hilfe, wenn man nicht selbst schuld ist  Ressourcen des Individuums  erst eigene Ressourcen aufbrauchen bevor man Anspruch auf Hilfe haben kann (z.B. bekommt man kein Bafög / Hartz IV, wenn man genug Geld hat)  Gesellschaftliche Institutionen  Wie weit geht die Angleichung?  Notlagen zwar ausgleichen, aber nicht alles ausgleichen (nicht möglich, nicht mit denen vorhandenen Mitteln (v.a. finanziell)

Bildungsstandards als Mindeststandards? Deutsche Bildungsstandards sind Regelstandards: „Die Kultusministerkonferenz hat sich damit für ein pragmatisches Vorgehen entschieden, weil notwendige Mindeststandards erst nach einem längeren Prozess der Erfahrung im Umgang mit Bildungsstandards formuliert werden können.“ (KMK 2005)

‚Bildung‘ als Kriterium der Bildungsgerechtigkeit Krassimir Stojanov: ‚Bildung‘ als zentrale Kategorie der Bildungsgerechtigkeit (Stojanov 2011)  Im Gegensatz zu Gerechtigkeitstheorien kann eine Theorie der Bildungsgerechtigkeit die Autonomie der Individuen nicht voraussetzen, sondern muss sie entwickeln.  Bildungsgerechtigkeit muss also daran ansetzen, unmündige Heranwachsende dazu zu befähigen, ihre Lebensziele zu finden und ihre Ressourcen für deren Verwirklichung einsetzen zu können.  Hinsichtlich der Bildungsprozesse bezieht sich Stojanov auf Humboldt: Bildung Wechselwirkung zwischen „Ich“ und „Welt“ in dem Sinne, dass sich das Ich so viel Welt wie möglich aneignet.  Anerkennung (Empathie, Respekt, soziale Wertschätzung) ist notwendig für die Ermöglichung von Bildungsprozessen.  Bildungsgerechtigkeit ist also keine Frage der Verteilung von Gütern, Chancen oder Noten, sondern eine Frage der Qualität der Sozialbeziehungen. Krassimir Stojanov: Darf und soll die Schule selektieren? (Stojanov 2011)  Aufgabe der Schule ist ‚Bildung‘  Überforderung der Schule durch Selektion  Zentrales Element zur Erreichung von ‚Bildung‘ sind positive Sozialbeziehungen (  man tritt nicht in einen Wettbewerb, sondern versucht mit anderen Menschen zusammen etwas zu entdecken, und eine sinnvolle Aufgabe / Interesse finden & dieses zu entfalten). Diese werden durch Noten und Selektion belastet.  Kritik an Notengebung & Selektion  Gerade jüngere Schülerinnen und Schüler können für ihre Leistungen nicht verantwortlich gemacht werden, da sie noch nicht autonom sind.  Fazit: Eine ‚bildungsgerechte‘ Schule darf nicht selektieren.  Individuelle Förderung anstelle von Selektion...


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