Title | Klausur-Polizeirecht |
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Course | Öffentliches Recht |
Institution | Universität zu Köln |
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POR/Eingriff/Gefahr ...
Prof. Dr. Christoph Gusy
Polizei- und Ordnungsrecht Übungsfall 2
R, der stets über die Einsatzorte mobiler Radarkontrollen in der Stadt M (NRW) gut informiert ist, postiert sich mehrmals in der Woche ca. 100 Meter vor diesen Einsatzorten mit einem Schild, das die Aufschrift trägt: „Vorsicht! Radar!“ Autofahrer reduzieren in der Regel ihr Tempo und fahren mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit an der mobilen Radarkontrolle vorbei. Zwei Polizeibeamte weisen R an, ab sofort weitere Warnhinweise vor den Verkehrsüberwachungspunkten zu unterlassen
und
sich
zukünftig
nicht
mehr
im
Bereich
Radarkontrollen aufzuhalten.
Handelt die Polizei rechtmäßig?
Straßenverkehrsrechtliche Vorschriften sind nicht zu prüfen
von
Lösungsskizze:
A. Unterlassungsanweisung Die Anweisung, weitere Warnhinweise zukünftig zu unterlassen, ist rechtmäßig, wenn sie von einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist und wenn von dieser in ordnungsgemäßer Weise Gebrauch gemacht worden ist.
I. Ermächtigungsgrundlage Mangels spezialgesetzlicher Ermächtigung kommt die polizeiliche Generalklausel (§ 8 Abs. 1 NRWPolG) in Betracht.
II. Formelle Rechtmäßigkeit 1. Zuständigkeit Die Polizei ist zuständig nach §§ 1 Abs. 1 S. 1, S. 3 NRWPolG; 7 Abs. 1, 10 S. 2 NRWPOG. 2. Verfahren Handelnde Stelle ist hier die Polizei, die durch Verwaltungsakt tätig wird, so dass nach § 28 Abs. 1 NRWVwVfG eine Anhörung erfolgen muss. Unter Anwesenden ist davon auszugehen, dass der Betroffene die Möglichkeit zur Stellungnahme hatte, so dass die Verfügung formell rechtmäßig ergangen ist. 3. Ergebnis Die Aufforderung ist formell rechtmäßig.
III. Materielle Rechtmäßigkeit 1. Tatbestandliche Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 NRWPolG a) Schutzgut der öffentlichen Sicherheit
Es müsste ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit betroffen sein. Öffentliche Sicherheit ist die Summe aller Rechtsgüter, die durch Normen des öffentlichen Rechts geschützt sind. Sie umfasst die objektive Rechtsordnung, Individualrechtsgüter sowie die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Durch das Hochhalten des Schildes verstößt R nicht gegen Rechtsnormen, so dass ein Rechtsgut der objektiven Rechtsordnung nicht berührt ist. Vollbremsungen, die zu 1
Gefährdungen von Leib oder Leben anderer Verkehrsteilnehmer führen könnten, provoziert R durch das Hochhalten des Schildes nach dem Sachverhalt nicht. Bestand und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen unterfallen der öffentlichen Sicherheit,
soweit
sie
durch
Rechtsnormen
geschützt
sind.
Hier
könnte
die
Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen zur Durchführung von verdeckten Verkehrskontrollen betroffen sein, da das hoch gehaltene Schild den Erfolg der Verkehrskontrolle verhindern könnte, indem Autofahrer vor der Kontrolle gewarnt werden. Gegen eine Beeinträchtigung könnte sprechen, dass R dazu beiträgt, Rechtsverstöße zu vermeiden. Er könnte die Funktionsfähigkeit fördern anstatt sie zu gefährden. Radarfallen haben jedoch u.a. die Funktion, Kraftfahrer von Übertretungen der Straßenverkehrsordnung nachhaltig
abzuschrecken.
Geschwindigkeitsmessungen
Nicht sind
nicht
angekündigte, nur
dazu
verdeckt
bestimmt,
die
durchgeführte Einhaltung
der
Verkehrsvorschriften während der Dauer der Messungen auf der Überwachungsstrecke sicherzustellen; sie sollen vielmehr der Feststellung und künftigen Abschreckung derjenigen Kraftfahrer dienen, die Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht hinreichend beachten, wenn sie sich unkontrolliert glauben, und auf diese Weise über den örtlichen und zeitlichen Bereich der Kontrolle hinauswirken; insbesondere durch Bußgelder tritt eine Abschreckung ein. Die jederzeitige
Möglichkeit
von
verdeckten
Geschwindigkeitskontrollen
und
etwaigen
Sanktionen soll Kraftfahrer anhalten, sich nicht nur an ihnen bekannten Kontrollpunkten, sondern überall und jederzeit an die vorgeschriebenen Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten. Diese Wirkung verdeckter Geschwindigkeitsmessungen wird beeinträchtigt, wenn auf sie hingewiesen und vor ihnen gewarnt wird.1 Insoweit gefährdet R durch das Hochhalten des Schildes die öffentliche Sicherheit. b) Konkrete Gefahr
Die Funktionsfähigkeit des Staates müsste konkret gefährdet sein. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein geschütztes Rechtsgut schädigen wird. Durch das Hochhalten des Schildes wird direkt auf die verdeckte Verkehrsüberwachung eingewirkt. Die Warnung vor ihr veranlasst Autofahrer, ihr Tempo zu reduzieren, so dass die Verkehrsüberwachung in ihrem Erfolg beeinträchtigt ist. Daher liegt ein Schaden bereits vor, die Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Staates ist somit auch konkret.
1
OVG Münster, NJW 1997, 1596. 2
c) Ergebnis
Es liegen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 NRWPolG vor. 2. Sonstige Voraussetzungen R ist als Verhaltensstörer (§ 4 Abs. 1 NRWPolG) polizeipflichtig. Die Polizei hat ihre Maßnahmen
gemäß
§3
NRWPolG
nach
pflichtgemäßem
Ermessen
getroffen.
Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Zudem hat die Polizei auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 2 NRWPolG) beachtet.
IV. Ergebnis Die Unterlassungsanweisung war rechtmäßig.
B. Unterlassungsverfügung Die Anweisung, sich zukünftig nicht mehr im Bereich von Radarkontrollen aufzuhalten, ist rechtmäßig, wenn die Aufforderung von einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist und wenn von dieser in formell und materiell ordnungsgemäßer Weise Gebrauch gemacht worden ist.
I. Ermächtigungsgrundlage: Platzverweis Als Ermächtigungsgrundlage kommt § 34 S. 1 NRWPolG in Frage. 1. Formelle Rechtmäßigkeit Die Polizei ist nach §§ 1 Abs. 1 S. 1; 1 Abs. 1 S. 3 NRWPolG, §§ 7 Abs. 1; 10 S. 2 NRWPOG zuständig, hat eine Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 NRWVwVfG durchgeführt und durfte den Platzverweis formfrei erlassen (§§ 37 Abs. 2 S. 1; 39 NRWVwVfG). Daher war der Platzverweis formell rechtmäßig. 2. Materielle Rechtmäßigkeit Voraussetzung für einen Platzverweis nach § 34 S. 1 NRWPolG ist, dass die Maßnahme zur Abwehr einer Gefahr ergriffen wird. Die Behinderung polizeilicher Amtshandlungen kann jedoch nur darunter zählen, soweit die konkrete Behinderung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit begründet. Wie bereits oben ausgeführt, liegt eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor. Rechtsfolge des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 NRWPolG ist, dass die Polizei einen Platzverweis erteilen kann. Ein Platzverweis ist eine Aufforderung, vorübergehend einen Ort zu verlassen oder nicht zu betreten. Er muss das ge- oder 3
verbotene Verhalten genau bezeichnen, hinreichend bestimmt sein. Der Bürger muss ihm Gegenstand und Umfang seiner Pflichten entnehmen können. Der Hinweis, sich zukünftig nicht mehr im Bereich von Verkehrskontrollen aufzuhalten, entspricht nicht diesen Anforderungen, da der Ort, an dem R sich nicht mehr aufhalten darf, nicht bestimmbar ist. Vielmehr werden Radarkontrollen an unterschiedlichsten Punkten eingesetzt, die nicht vorhersehbar sind. Zudem ist die Anweisung nicht vorübergehend, sondern zeitlich unbefristet. Der Platzverweis ist nicht hinreichend bestimmt und zeitlich unbefristet, genügt also nicht den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit und ist daher materiell rechtswidrig.
II. Ermächtigungsgrundlage: Generalklausel Als weitere Ermächtigungsgrundlage könnte § 8 NRWPolG in Frage kommen. Die fehlende Bestimmtheit der Maßnahme (s.o.) schließt jedoch auch die Rechtmäßigkeit im Rahmen des § 8 NRWPolG aus.
III. Ergebnis Der Platzverweis war nicht rechtmäßig.
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