Emile Durkheim - Soziale Differenzierung durch Arbeitsteilung PDF

Title Emile Durkheim - Soziale Differenzierung durch Arbeitsteilung
Author Rebecca Sievers
Course Theorien der Soziologie
Institution Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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Summary

Emile Durkheim, 7. Sitzung der VL "Theorien der Soziologie", SoSe 2018, CAU Kiel ...


Description

Emile Durkheim

7. Sitzung

07.06.2018

Soziale Differenzierung durch Arbeitsteilung – Durkheim Rückblick zur sechsten Sitzung Prüfungsrelevant! Skizzieren Sie die Struktur einer Gesellschaftsformation nach Marx am Beispiel der kapitalistischen Gesellschaft.

*Gesellschaftsformation = höchste Ebene, auf die man sich als Soziologe begeben kann; höchste Ordnung ideeller Überbau ist die Reflektion des Klassengegensatzes, „Die herrschenden Ideen sind die Ideen der Herrschenden.“ Welche Weisen des Wirtschaftens entsprechen den folgenden drei Formen des Austausches? a) W – W b) W – G – W c) G – W – G Unterschiedliche Formen des Austausches, die für die verschiedenen Entwicklungsstufen der Ökonomie stehen: a) W – W: einfacher Austausch von Ware gegen Ware  direkter gebrauchswertorientierter Warenaustausch unter gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Produktion für den unmittelbaren Eigenbedarf im Vordergrund steht b) W – G – W: Vermittlung des Warenaustauschs durch Geld, das den Tauschwert in selbstständiger Gestalt verkörpert und deren Austausch erleichtert  Entspricht einer Wirtschaftsweise mit bereits entwickelter Arbeitsteilung, bei der

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07.06.2018

schon für den Markttausch produziert wird, dabei aber die ökonomische Orientierung an der Bedarfsdeckung (im Sinne der Abdeckung des standesspezifischen Lebensbedarfs) dominiert. c) G – W – G: Gewinnorientierter Austausch  Im gewinnorientierten Tausch geht es weder um das direkte Eintauschen gewünschter Gebrauchswerte (W – W), noch um die Erzielung von Preisen, die es anschließend erlauben, die für den eigenen (ständisch-traditional definierten) Lebensbedarf erforderlichen Waren zu erwerben (W – G – W), sondern um die Erwirtschaftung maximalen Profits (ausgedrückt als Differenz zwischen investierter Geldsumme G und beim Verkauf erlöster Geldsumme G‘). Wodurch entsteht nach Marx des sogenannte „Mehrwert“? Problem: Woher stammt der Gewinn? Marx’ Antwort: Diese Differenz ergibt sich aus dem Tauschwert der Ware Arbeitskraft und dem Tauschwert, der durch den Gebrauch dieser Ware erzeugt wird. Möglich wird der so erzeugte Mehrwert durch den besonderen Charakter der Ware Arbeitskraft: Sie kann mehr (Tausch-)Wert schaffen, als sie selbst besitzt. Worin besteht die Paradoxie der kapitalistischen Produktionsweise nach Marx? Nach Marx ist der moderne Kapitalismus durch eine spezifische Krisendynamik gekennzeichnet, die zu einer offenkundigen Paradoxie führt. Die Paradoxie besteht darin, dass der ökonomische Konkurrenzkampf zur permanenten Revolutionierung der Produktionstechniken führt und damit zur Produktion von gesellschaftlichen Reichtum, der sich aber in den Händen einer immer kleineren Gruppe von Privateigentümern konzentriert und so zu verschärftem Massenelend führt. Die wachsende Befreiung von den Beschränkungen der Gesellschaft durch natürliche Gegebenheiten führt zur Unterwerfung aller sozialen Beziehungen unter die naturgesetzlich anmutenden Zwänge der gesellschaftlichen Logik kapitalistischer Verwertung. Anmerkung: Kapitalistische Krisendynamik nach Marx: - Überproduktionskrisen (durch Produktivitätssteigerung im allgemeinen Konkurrenzkampf zwischen den Kapitalisten) - fehlende Kaufkraft der Proletarier  absolute Verelendung der Arbeiter (durch Vermehrung der „industriellen Reservearmee“)  Elimination der schwächeren Unternehmen innerhalb der Kapitalistenklasse + immer stärkere Konzentration des Kapitals in immer weniger Händen Wie sind in der Marx’schen Theorie die Konzepte a) der sozialen Differenzierung und b) der sozialen Integration besetzt? Die Ausdifferenzierung der kapitalistischen Ökonomie führt zu ihrer Verselbstständigung und zur Unterwerfung aller anderen sozialen Sphären unter die Logik des ökonomischen Verwertungsprozesses. Das Problem der gesellschaftlichen Integration erscheint unter den Bedingungen des gesellschaftlichen Klassengegensatzes nicht dauerhaft lösbar. Es kann nur durch „Ideologien“ latent gehalten werden.

Emile Durkheim

7. Sitzung

07.06.2018

Soziale Differenzierung und Arbeitsteilung

Emile Durkheim (1858-1917) -

Mitgründer der Soziologie und der modernen Differenzierungstheorie

Durkheims zentrale Prämissen -

Differenzierung des Ganzen in verschiedene Teile macht bestimmte Integration der Teile erforderlich Teile integrieren sich nicht selbstständig, sondern müssen zusammengehalten werden Nur dann kann das Ganze als in sich differenzierendes Ganzes fortexistieren Sonst führt Differenzierung des Ganzen zum Zerfall in Einzelteile, die unabhängig voneinander existieren Gedanke aus der Biologie Gesellschaft als integrierten Organismus (hält sie davon ab, in einzelne Zeile zu zerfallen)

Differenzierung und Integration von Gesellschaften Arbeitsteilung  gesellschaftliche Differenzierung - Arbeitsteilung = Bsp. Adam Smith „Stecknadeln“ – Rationalisierung und erhöhte Effektivität und Produktivität - Durkheim: Übertragung der Arbeitsteilung auf die Ebene der Gesamtgesellschaft - Wenn immer mehr aufgeteilt wird, was hält die Gesellschaft dann noch zusammen? o z.B. Spontane Absprachen – relativ zeitaufwändig, muss immer wieder erfolgen o deswegen: Hierarchie – Aber was ist die Spitze der Gesellschaft?  Politik und Gesetze  Frage der Legitimität – nur, weil Politik integrieren soll, heißt das nicht, dass sie das auch hinbekommt; Bsp. Bürgerkriege – Politisches System hat dann keine Legitimität; Politisches System muss als legitimes Steuerungssystem anerkannt werden o Durkheims Antwort: Arbeitsteilung Soziale Solidarität

 

gesellschaftliche Differenzierung Integration

*Soziale Solidarität = gemeinsam geteilte Deutungen der Welt, gemeinsame Moral (gemeinsame Werte und Normen) Es gibt in der modernen Gesellschaft nicht die eine Spitze (ausgedrückt durch das politische System oder Religionen), sondern Werte und Normen halten die Gesellschaft zusammen und integrieren sie.

Methodologische Anmerkung -

Moral, Werte und Normen = funktionalistische Sicht  nicht wichtig, was für eine Moral, sondern: Moral ist gut, wenn sie die Gesellschaft zusammenhält (kann auch eine „unmoralische Moral“ sein) – hier: als Beitrag zur Lösung des Problems der gesellschaftlichen Integration

Emile Durkheim -

7. Sitzung

07.06.2018

Anlehnung an Biologie: Organ zur Erhaltung des Organismus – Durkheim: Moral („Solidarität“) zur Erhaltung der Gesellschaft

Marx: Wodurch entstehen Konflikte und wie lassen sie sich erklären? Soziale Ordnung – Welche Ideologie setzt sich durch? Durkheim: Wie kann eine arbeitsteilige Gesellschaft zusammengehalten werden? – Ideologie und gemeinsam geteilte Moral notwendig, um Gesellschaft zu integrieren und friedlich zu halten

Durkheims makrosoziologische Perspektive Integration hocharbeitsteiliger Gesellschaften durch „organische Solidarität“ Integration wenig arbeitsteiliger, segmentärer differenzierter Gesellschaften durch „mechanische Solidarität“  nicht jede Gesellschaft wird durch die gleiche Art von Moral integriert - Gesellschaften neigen zu einer Steigerung von Arbeitsteilung (Geschichte der Menschheit) - Die moderne Gesellschaft ist immer arbeitsteiliger  immer mehr durch organische Solidarität integriert -

Innerhalb der Unterscheidung zwischen Differenzierung und Integration gilt - Soziale Differenzierung = unabhängige Variable - Soziale Integration = abhängige Variable  Fortschreitende soziale Differenzierung erklärt die Veränderung im Modus der sozialen Integration. Jeder Stand der Differenzierung verlangt nach einer anderen Art der Arbeitsteilung (z.B. mechanische Solidarität – wenig Arbeitsteilung; organische Solidarität – viel Arbeitsteilung)

Mechanische und organische Solidarität nach Durkheim Beispiel: Recht nach Durkheim (makrosoziologische Perspektive) Recht reproduziert und indiziert die jeweils grundlegende Form sozialer Solidarität  am Rechtssystem sieht man, um was für eine Art von Solidarität es geht Mechanische Solidarität - Wenig Arbeitsteilung = segmentäre Differenzierung (=Gesellschaft ist differenziert in einzelne Teile, die sich aber sehr ähnlich sind; Bsp. Jäger und Sammler) - mechanische Solidarität (gleichartiger Teile) erforderlich (damit niemand aus der Reihe tanzt, sondern in der Gesellschaft als „Zahnrad“ funktioniert) - extrem repressives Recht (religiös verankertes Strafrecht); extrem heftige Strafen (Bsp. Moses, 1. Testament „Einen ungehorsamen Jungen muss man steinigen.“) Organische Solidarität - arbeitsteilige-funktionale Differenzierung - organische Solidarität - ungleiche Teile sind gut miteinander integriert; jeder hat seine besondere Aufgabe, alle sind auf einander angewiesen (z.B. Chirurgin, Wissenschaftler, Richter, Polizist, Feuerwehrmann, …) - Moral der Kooperation (nicht der Gleichartigkeit)

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7. Sitzung

07.06.2018

Restitutives Recht (= wiederherstellendes Recht: ein Recht, das den Ursprung wiederherstellen soll; sichert, dass unterschiedliche Leitungen gut miteinander koppelbar sind, jeder erbringt seine Leistungen; wer einen Fehler begangen hat, soll es wieder gut machen)

Was bedeutet das für das Individuum? (mikrosoziologische Perspektive) Verhältnis von Individuum und Gesellschaft nach Durkheim - Segmentäre Differenzierung  mechanische Solidarität  annähernde Kongruenz zwischen Individual- und Kollektivbewusstsein heißt: „In wenig arbeitsteiligen Gesellschaften sind die Menschen gerne Zahlenräder in einer Maschinerie.“  Diese Gesellschaften fühlen sich sehr stark bedroht durch Individualität; sie fragen sich immer: Ist das das Beste für das Kollektiv? Kollektivistische Moral - Arbeitsfähig-funktionale Differenzierung  organische Solidarität  Ausdifferenzierung von Individualität („Kult des Individuums“) heißt: Jede Person soll eine andere Rolle ausfüllen und findet das gut. So ist Arbeitsteilung möglich.  schafft Wohlstand, Fortschritt; Freiheit des Individuums

Wie kommt es zur Arbeitsteilung? Durkheims Erklärung - Bevölkerungsumfang und -dichte steigen  verschärfte Konkurrenz an überlebensnotwenigen Ressourcen - Arbeitsteilung  Produktivitätssteigerung (denke an Adam Smith)  ermöglicht Koexistenz einer größeren Zahl an Individuen auf demselben Territorium Problem dieser Erklärung - Der umgekehrte Kausalzusammenhang ist auch plausibel; die Annahme, dass erst wachsende Arbeitsteilung zu einer signifikanten Erhöhung der Bevölkerungsdichte führt - Beide Varianten möglich, variiert regional - Wechselseitiger Steigerungszusammenhang Organische Solidarität – hoch arbeitsteilige Gesellschaften Arbeitsteilung ist gut! Aber wie ist soziale Ordnung in einer organischen Gesellschaft möglich?  Durkheim: geteilte Werte und Normen!

Integration und Konflikt -

Organische Solidarität = konsensuales Konzept (starke Kooperation/Angewiesenheit) Gegenseitig aufeinander angewiesen  Ordnung Müssen gut integriert und konfliktarm sein

Wie erklärt Durkheim offenkundige soziale Konflikte? - Pathologische Abweichungen (unnatürlich/nicht gut) a) Anomische Formen der Arbeitsteilung („Anomie“ = ohne Gesetz) (rasche Entwicklung  verzögerte Anpassung im Bereich der moralischen Integration  Anomie; Selbstmord (z.B. das Leben in der modernen Großstadt))

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07.06.2018

b) Erzwungene Arbeitsteilung (Ursache des „Klassenkampfes“; Menschen haben keine andere Wahl, weil sie z.B. das Geld brauchen) Probleme des Konzepts - Arbeitsteilung muss freiwillig sein, um integrierend zu wirken - Durkheim kann nicht erklären, wie die Umstellung auf vollständig freiwillige Arbeitsteilung möglich sein soll  würde bedeuten, dass soziale Ungleichheit und ungleiche Verteilung von Macht aufgehoben würden Das Konzept der „organischen Solidarität“ (der freiwilligen Integration von arbeitsteiligen Subeinheiten) ist ein utopisches Konzept, dass so in der modernen Gesellschaft noch nicht verwirklich werden konnte.

Fazit Mit der Thematisierung des Verhältnisses von gesellschaftlicher Differenzierung und Integration hat Durkheim eine wichtige Frage aufgeworfen, ohne jedoch eine zureichende Antwort darauf geben zu können. (*“Wie integriert man eigentlich ein arbeitsteiliges Ganzes?“) Das Konzept der „organischen Solidarität“ markiert das Problem der Integration unter Bedingungen hoher soz. Differenzierung. Es kann jedoch nicht erklären, wie das Integrationsproblem in modernen Gesellschaften gelöst werden kann. Hoch arbeitsteilige Gesellschaften - Bräuchten organische Solidarität - Müssten organische Solidarität haben - Sollten Arbeitsteilung nicht erzwingen, sondern auf eine freiwillige Basis stellen  Aber es wird nicht geklärt, wie das gelingen kann.

Die wirkungsgeschichtliche Bedeutung von Durkheim -

Wichtige Gedanken, die auch heute noch von Soziologen geteilt werden 1. Gesellschaften werden insbesondere durch eine gemeinsame Moral („Solidarität“) – gemeinsame Werte und Normen – integriert 2. Veränderungen auf der Ebene gesellschaftlicher Differenzierung gehen einher mit einem Wandel im Modus der Integration, der als Wandel von Werten und Normen rekonstruiert werden kann  je nach dem, wie eine Gesellschaft strukturiert ist, wird sie eine andere Form von Moral haben („Wir denken heute nicht „besser“ als die Menschen im Mittelalter, wir denken nur „anders“, wir sind durch organische Solidarität integriert.“)

Genereller Trend bei zunehmender Differenzierung Nach Parsons im Anschluss an Durkheim - Differenzierung von Werten und Normen (in modernen Gesellschaften) o Werte werden von konkreten Situationen gelöst und dadurch abstrakter gefasst

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7. Sitzung

07.06.2018

o Normen spezifizieren Werte von bestimmten Typen von Situationen (z.B. Rollenträgern  Wie funktioniert der Wert von Gleichheit vor dem Gesetz? Es gibt spezifische Rollenträger wie z.B. Richter) Werte können auch gegensätzliche Werte und Normen integrieren (z.B. gegensätzliche Werte und Normen für Strafverteidiger und Staatanwälte) Normen = Kontingent und wandelbar Werte können mit zunehmendem Grad der Abstraktion nicht mehr für die unmittelbare Regulierung des Verhaltens, sondern nur noch für die Legitimation spezifischer Verhaltensnormen eingesetzt werden  Es gibt nicht die ewige Moral  heute: Werte sehr abstrakt Fundamentalismus als Reaktion, die sich gegen den wachsenden Grad der Allgemeinheit von Werten und deren Entkoppelung von Normen sowie die damit verbundene Kontingentsetzung von Normen richtet („Back to the roots“)...


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