Grundp. hist. Geschlechterforschung_Skript PDF

Title Grundp. hist. Geschlechterforschung_Skript
Course Grundprobleme der Geschlechterforschung
Institution Universität Graz
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Grundprobleme der historischen Geschlechterforschung WS 20/21

1. Geschlecht/Gender als analytische Kategorie Definition: Gender ist weder als feste Kategorie noch als beliebige Variable zu definieren. Stattdessen soll es als grundlegende Analysekategorie definiert werden, mit derer Hilfe man die Opposition von Männern und Frauen dekonstruiert werden, gleichzeitig aber die weiterbestehenden Oppositionen in ihren sozialen/kulturellen/politischen Realitäten (Mechanismus der Hierarchisierung) ernst genommen werden können.1 Das Geschlecht kann als Repräsentation von kulturellen Regelsystemen der Geschichte und Gegenwart angenommen werden und ist daher nicht “natürlich” sondern kulturell. Es bestehen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, welche wiederum an Zeit und Kultur gebunden sind.

Erkenntnisgegenstand der Geschlechterstudien: Der Fokus liegt hier auf der kulturellen Organisation von sozialen Beziehungen und der kulturellen Bedeutung der Geschlechterdifferenz. Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle das Geschlecht spielt und inwiefern die Konstruktion, Herstellung und Interpretation von Geschlechteridentitäten durch Gesellschaft entsteht. Die Identitäten spiegeln sich vorallem in den soziallen Praktiken des Alltags wieder. Außerdem werden die Strategien des Umgangs analyisert und gedeutet (Wie gehen die Menschen damit um?). Seit 1980er Jahren entstehen Institute, Studiengänge, Professuren der Geschlechtergeschichte.Ihr Anspruch liegt in der Umschreibung der Geschichte unter geschlechtergeschichtlichen Kontext und der Kritik und Reformulierung geschichtswissenschaftlicher Theorien und Methoden.

Wissenschaftsverständnis Die Geschlechterstudien verstehen sich als Inter-2 bzw. Transdisziplinären3 Wissenschaft, sowie als auch als Inter- bzw. Transnationale4 Wissenschaft. Der räumliche Fokus liegt im globalen Kontext auf Europa. Die feministische Wissenschaftskritik kritisiert diverse Punkte: ● Kritik an der vergeschlechtlichten Wissensproduktion ● Kritik an dem Objektivitätsparadigma der Wissenschaft

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Renate Hof, Die Entwicklung der Gender Studies (1995), S. 21 Theorien und Methoden anderer Disziplinen werden in die historische Geschlechterforschung integriert, zB. Sprachphilosophie, Marxismus, Ethnomethodologie, Soziologie, Psychoanalyse, Geschichte, Sozialgeschichte, Kulturtheorien, etc. 3 Die eigene Disziplin wird hinter sich gelassen. (Abwendung der bislang führenden Methoden der Geschichtswissenschaften) 4 Rezeption US-Debatten

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Evelyne Ulbing ([email protected])

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Frauen sollen in der Wissenschaft nicht mehr als Objekt betrachtet werden, sondern als Subjekt. Kritik am Androzentrismus5 vieler wissenschaftlicher Paradigmen Situiertes Wissen und Standortgebundenheit Wissenschaft als sozialer Prozess Das entstehen von Wissen ist ein sozialer Prozess und Akteur*innen sind niemals neutral. Situiertes Wissen (Situated Knowledge) ist lokal begrenzt und kann daher niemals für alle Menschen sprechen. Wissensproduktion spiegelt Ungleichheiten wieder

Die Selbstreflektion, also das Überprüfen der eigenen Ausgangspunkte, macht die Geschlechterforschung dynamisch. Komplexe gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeiten erfordern komplexe Theorien. Theoriebildung soll also kein Selbstzweck sein, denn die Theoriedebatten sind erforderlich, um die komplexen gesellschaftlichen und kulturellen Wirklichkeiten abbilden zu können. Durch Kritik und Weiterentwicklung theoretischer Positionen können Theorien umstritten sein und Umbrüche erkannt werden.

2. Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte – queer studies Her-Story als Gegensatz zu His-Story (History) Anfang der 1970er Jahre kam es zu Unterdrückungsmechanismen und Befreiungspotenzialen. Es kam zu ersten Forschungen in Bezug auf weibliche Erfahrung und frauenspezifische Bereiche (Orte, Räume). Hierzu zählten: Reproduktion, Familie, Mutterschaft, Frauenarbeit, Frauenbewegungen. Es bestand ein Erkenntnisinteresse am Sichtbarmachen von Unterdrückung und als Folge davon auch um das Befreien von Frauen als unterdrückte Gruppe. In den 1980er und 1990er Jahren gab es eine Verschiebung der Kritik. Diese richtete sich nun gegen die Ausblendung des Staates, Militär, Öffentlichkeit, Politik und Männergeschichte bzw. “männliche” Bereiche. In diesem Zeitraum kam es zu einer grundlegenden Neuorientierung und entstand die Geschlechtergeschichte.

Historische Geschlechterforschung (Geschlechtergeschichte) Die historische Geschlechterforschung ist weit offener und weitreichender und untersucht Geschlechterbeziehungen in historischen Gesellschaften, die geschlechtsbezogenen Herrschaftsverhältnisse und Hierarchien zu allen Zeiten und

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männl. Objekte stehen unreflektiert im Zentrum, Männliches wird zur Norm gemacht Evelyne Ulbing ([email protected])

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Räumen. Unterdrückung war zwar weiterhin ein wichtiger Punkt, wurde aber weiter gegriffen, zB. auf das Thema gendering6 . Es gab eine Annäherungen an Queer Theory7 , Diversity Studies8 und Theories of Intersection9 .

Von der Frauen- zu der Geschlechtergeschichte 2.1 Frauen und Geschichtswissenschaft Es gibt keine geradlinige Verbindung, die festhält, inwiefern Frauen Teil der Geschichtswissenschaften waren. In mittelalterlichen Annalen, Kloster-Chroniken und historischen Kompendien gab es eine selbstverständliche Präsenz von Frauen. Erst mit der Professionalisierung der Geschichtswissenschaften im 18. Jahrhundert kam es hier zu einem Bruch und Frauen rutschen aus der Forschung hinaus. Dies ergab sich einerseits aus dem tiefgreifenden Wandel der Aufklärung auf erkenntnistheoretischer, politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene, andererseits auch aus der geschlechtsspezifischen Formulierung des Vernunftbegriffes. Weiters wurde vieles biologisch definiert, und war damit nicht veränderbar, und Geschlechterunterschiede wurden als Wesenseigenschaften aufgefasst. Geschichtswissenschaften am Beginn der Modernen Die Geschichtsforschung schloss Frauen als Akteurinnen der Geschichte weitgehend aus. Frauen wurden von vielen Historikern als “natürlich” definiert und damit als nicht geschichtswürdig erachtet. Die Professionalisierung beginnt von Beginn an “gegendert”. Die Disziplin ist keinesweg neutral, anders als sie von sich selbst behauptet. Die Geschichtsforschung verfestigte bestehende Geschlechterordnungen und schuf neue Geschlechterordnungen. Es gab geschichtsschreibende Akteurinnen diese finden sich allerdings nicht in einer professionalisierten Geschichtsschreibung, sondern finden sich in informellen Bereichen. Dies waren zum Großteil “Amateurinnen”. Änderung brachte erst die Zulassung von Frauen zum Studium, mit der Bildungsrevolution um 1900. Es etablierten sich in den USA sogenannte Frauen Universitäten, in Zürich, London und Berlin gab es Universitäten die Frauen aufnahmen, allerdings gab es hier kein separates Frauenstudium. Dadurch wurde die Frau als Forschungsgegenstand “wiederentdeckt”, die Arbeit war schon früh interdisziplinär. Frühe Pionierinnen: Eileen Power, Margarethe Freudenthal, Käthe Schirmacher, Lucie Varga10.

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Wie kommen Zuweisungen zu Weiblichkeit/Männlichkeit zustande, wozu dienen sie. Queer Theory: Frage nach Sexualität in historischer, kultureller Beziehung, eindeutige Geschlechteridentitäten werden in Frage gestellt 8 Diversity Studies: gender nicht nur eine Bedeutung, auch race-class gender,… 9 Theories of Intersection: nicht immer Geschlecht die wichtigste Rolle, keine fixen Kategorien, welche Mechanismen/sozialen Kategorien spielen überhaupt eine Rolle? z.B.: Religion, Nationalität, „Rasse“,

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Wurden erst im Zuge der 2. Frauenbewegung um 1960 wiederentdeckt Evelyne Ulbing ([email protected])

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Neubeginn der Frauengeschichte – 1960er Jahre Der Neubeginn war stark verknüpft mit einer politischen Programmatik (der Frage nach historischen Ungleichheitsverhältnissen und der Forderung nach Gleichbehandlung). Die wissenschaftliche Behandlung dieses Themas war eine Folge des politischen Anspruchs. Diese Ansätze waren bereits verbunden mit einer Kritik an den allgemeinen Geschichtstheorien und deren Methodik, die eine sehr eingeschränkte Sicht auf die Geschichtsforschung darstellen, da sie hauptsächlich männlich dominierte Bereiche in den Blick nahmen. Es kam zur Forderung nach Institutionalisierung der Frauengeschichte, diese war im angloamerikanischen Bereich erfolgreicher, als im deutschsprachigen - hier kam es zu einer Zeitverzögerung und auch Differenzen bei der Institutionalisierung. Rebekka Habermas hat ausgehend von dieser Auseinandersetzung versucht drei Phasen zu definieren. Lt. Habermas kann man ab den 1960ern drei Phasen der inhaltlichen Entwicklung feststellen11: 1. Phase: Historische Frauenforschung (Becoming visible)

In dieser ersten Phase ist die Frauengeschichte sehr stark verwoben mit Identitätspolitik. Im ersten Punkt geht es um das Sichtbarmachen der Frau. Es geht um den Kampf um politische Gleichheit, um thematisierung von Macht und Ohnmacht in Gegenwart und Geschichte. Es geht um das Aufzeigen von Ungleichheit und Unterdrückungsmechanismen. Es war zu thematisieren, dass die Geschichtswissenschaften meist nur eine Hälfte der Menschheit als geschichtswürdig betrachtet hat und die Lebenswelten von Frauen vernachlässigt hat. Es ging also darum Frauen und ihren Beitrag zur Geschichte sichtbar zu machen.12 Oft wurden Frauen pauschalisiernd als Opfer patriachaler Geschichte und Politik angesehen (überzeitliches Patriarchat).13 Diese Theorien wurden teilweise als Viktimisierungstheoren beschrieben. Räumlich entwickelte sich die Frauengeschichte in den USA, Großbritannien, Deutschland, Italien und Frankreich. Die Themen die hier untersucht wurden waren religiöse Frauen, Hexen und Hebammen, weibliches Handwerk, Frauenleben im Bürgertum, Frauenbewegung, Arbeiterinnen, Frauen im Nationalsozialismus etc. Aus heutiger Perspektive ist es lohnend den Fokus auf Frauen zu rücken. Einen wichtigen Grundstein für die moderne Erforschung der Frau legte Simone de Beauvoir mit ihrem zweibändigen Werk Le Deuxième Sexe (1949) [Das andere Geschlecht, 1951]. Das Werk war in seiner Fragestellung radikal und seiner Zeit weit voraus. Es ist einer der Schlüsseltexte für die zweite 11

Kritik: Abfolge ist keinesfalls linear erfolgt. Es gab und gibt eine große Heterogenität. Stufenmodelle wie das von Habermas befördern die Idee, dass es diese homogene Abfolge einzelner theoretischer Konzepte gegeben hat. 12 Contribution History 13 Viktimisierung Evelyne Ulbing ([email protected])

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Frauenbewegung sowie die neueren feministischen Theorien. Viele einflussreiche Feministinnen griffen in den 1970ern auf Beauvoirs Buch. In ihrem Buch behandelt sie weibliche Lebenswelten und weibliche Sichtweisen, die in vielen Bereichen der Gesellschaft stillschweigen übergangen worden waren, als Themen politischer und wissenschaftlicher Debatten. Daher wurde es auch in nicht wissenschaftlichen Bereichen breit diskutiert. Sie vertritt die These das die Unterdrückung von Frauen gesellschaftlich bedingt ist. Die Position der Frau ist keine natürliche bzw. keine biologische Kategorie. Das Frausein ist eine soziale Eigenschaft, die ihnen zugeschrieben wird. Frauen seien von Männern, welche als Subjekte der Geschichte und Kultur galten, zum anderen Geschlecht gemacht worden. Dadurch werden Frauen immer in Abhängigkeit von Männern definiert. Beauvoir legte mit ihrem Buch eine sehr komplexe Analyse zur Lage von Frauen vor und diskutierte Fakten wie auch Mythen zum Geschlechterverhältnis. Sie verweist auch auf die weibliche Sozialisation und ist in diesem Punkt ihrer Zeit weit voraus: sie unterscheidet konsequent zwischen Geschlecht als biologisches Phänomen und Geschlecht als soziales Phänomen. Sie verwendet das Geschlecht als soziales Analyseinstrument in ihrer Betrachtung der historischen Unterdrückung von Frauen an. “Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Kein biologisches, psychisches, wirtschaftliches Schicksal bestimmt die Gestalt, die das weibliche Menschenwesen im Schoß der Gesellschaft annimmt. Die Gesamtheit der Zivilisation gestaltet dieses Zwischenprodukt zwischen dem Mann und dem Kastraten, das man als Weib bezeichnet. Nur die Vermittlung eines Anderen 14 vermag das Individuum als ein Anderes hinzustellen.“

Sie wurde auch sehr kontrovers diskutiert. Das liegt daran, dass Beauvoir eine Differenzfeministische15 Haltung einnimmt. Ab den 70er Jahren entsteht ein Spannungsfeld zwischen solchen differenzfeministischen Ansätzen und Gleichheitsfeminismus16. Beide kämpfen gegen die Unterdrückung der Frau an, ihre Ideen wie sie diese Unterdrückung lösen wollen unterscheiden sie sich allerdings deutlich voneinander. Der Differenzfeminismus bildete sich in den 1970ern heraus und zielte stark ab “weibliche Identität”, “weibliche Subjektivität” bzw. “weibliche Erfahrung” zu identifizieren. Sie gehen davon aus, dass es keine “friedliche Koexistenz” von binären Oppositionen (wie zB. männlich und weiblich) möglich ist, sondern es dabei immer eine Hierarchie gibt, die sich heraus bildet. Ausgehend davon suchten Differenztheoretiker*innen Strategien zu entwickeln, um dieses Machtverhältnis Männlich-Weiblich in der Gesellschaft umzukehren. Es geht um die Entwicklung von Orten bzw. einer Sprache die die Artikulation des “Weiblichen” möglich machen soll, die eben nicht vom “Männlichen” abgeleitet 14

Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Rowohlt, Hamburg 1951, S. 265 15 Differenzfeminismus geht aus von grundsätzlicher Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern 16 Gleichheitsfeminismus geht aus von grundsätzlicher Gleichheit von Frauen und Männern Evelyne Ulbing ([email protected])

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wird. Viele Differenztheoretiker*innen beziehen sich auf die Psychoanalyse und verweisen darauf, dass die Unterschiede zwischen Frauen und Männern grundlegend sind und fordern davon ausgehend eine Aufwertung der weiblichen Sprache, Eigenschaften und des Körpers und damit um eine Umkehrung des Machtverhältnisses. Die Aktivist*innen der 2. Frauenbewegung forderten Projekte wie etwa die Herausbildung von exklusiven Frauenräumen, Frauenfesten und Frauenmussen sowie eigenen Buchläden und Selbsterfahrungsgruppen. Besonders weit vertreten war der Differenzfeminismus in Italien und Frankreich. Weitere Vertreter*innen des Differenzfeminismus sind Luce Irigaray (Spiegel des anderen Geschlechts [1974] und Das Geschlecht [1976]), Hélène Cixous (Weiblichkeit in der Schrift [1980]) und Nancy Chodorow (Das Erbe der Mütter - Psychoanalyse und die Soziologie der Geschlechter [1978]). Kritisch betrachtet wird der Differenzfeminismus gerade von jüngeren Generationen an Feminist*innen, da sich durch diesen wieder eine Zweigeschlechtlichkeit heraus bildet, der Bezug zur Heterosexualität/Heterogenität sehr stark ist und es auch eine “Rückkehr” zum Konservatismus mit sich bringt. Dies macht den Differenzfeminismus allerdings für konservative und rechte Denker*innen wiederum attraktiv, die zwar pro forma für Gleichberechtigung plädieren, Frauen allerdings ganz klare Rollen zuweisen (Muttersein, Fürsorgende). Bei Diskussionen zur unbezahlten Reproduktions- und Care-arbeit sind seine Ansätze nach wie vor einflussreich. Differenzfeminist*innen prangern bis heute eine fehlende Wertschätzung von Haus- und Fürsorgearbeit an. Diese Debatte wird auch als “ongoing debate” bezeichnet, da sie nach wie vor stark diskutiert wird. Aus einer gleichheitsfeministischen Perspektive sind die Ansätze der Differenztheorie wenig zielführend. Es wurde zwar anerkannt, dass in männlichzentrierten Perspektiven in den Bereichen Gesellschaft, Politik und Geschichte entlarvt und kritisiert worden sein. Aber solche Hinweise auf den Androzentrismus ändern allerdings nichts daran, dass Handlungsspielräume von Frauen nach wie vor eingeschränkt sind (bzw. historisch eingeschränkt waren) und auch nichts an den Definitionen wie Frauen und Mädchen zu sein hätten bzw. nicht zu sein hätten. Auch hegemoniale Geschlechterordnungen werden damit nicht angetastet. Aus einer geschlechterhistorischen Perspektive erweist sich vor allem eine Grundlegende Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen als kritisch, welche als psychologische Disposition aufgefasst werden und auf diese Weise ein überzeitliches Patriarchats postuliert. An diesen Vorstellungen wurde bereits früh Kritik geübt. Durch die Konzentration auf den Unterdrückungsaspekt in vielen frühen Frauenforschungs-Studien eine Vorstellung erzeugt wird, wonach Frauen in sozialen, kulturellen, historischen Prozessen nicht in der Lage gewesen sein eigene Ideen bzw. Handlungsfelder zu entwickeln. Dies führt zu einer überzeitlichen Viktimisierung. Kritiker*innen möchten Frauen hier nicht als passive Akteurinnen bzw. Opfer darstellen und ihnen durchaus Handlungsfähigkeit zu schreiben, da Frauen sonst als statische bzw. ahistorischen Wesen festgeschrieben werden. In diesem Kontext wird immer wieder auf die Studie von Edward P. Thompson verwiesen “The Making of the English Working Class” (1969). Er plädierte für einen Fokus auf die Evelyne Ulbing ([email protected])

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Grundprobleme der historischen Geschlechterforschung WS 20/21

Handlungsfähigkeit der historischen Akteur*innen. Er kritisierte die Ansätze der klassischen Struktur- und Sozialgeschichte, weil in diesen Akteur*innen immer wieder als passiv gezeigt wurden. Die Strukturen die Menschen Erfahren prägen diese auch immer in gewisserweise mit. Dadurch wurde die mögliche Handlungsfähigkeit der weiblichen Akteurinnen wieder in die Debatte gebracht. Erst wenn man die Alterität weiblicher historischer Erfahrung berücksichtigt, kann es gelingen weibliche Akteurinnen in der Geschichte wirklich sichtbar zu machen. Ebenfalls wirkmächtige Geschichtskonstrukte wie Natur/Kultur, Öffentlichkeit/Privat werden kritisiert, weil diese als “unveränderbar gelten”. Es ist nicht selbstverständlich, dass zwischen Öffentlichkeit und Privat unterschieden wird und auch nicht, dass Öffentlichkeit Männlich und Privat Weiblich ist, diese Einteilung wurde von Historiker*innen selbst geschaffen. Die vorausgesetzte Existenz von “seperate spheres”17 wurde ebenfalls kritisch hinterfragt. Ebenfalls das “Kollektivsubjekt” der Frau, also das sehen der historischen Frauen als homogene Einheit, stand in der Kritik. Ende der 70er/ Anfang 80er gab es einige Stimmen die festgehalten haben, dass die Situationen der Frauen sehr unterschiedlich sind. Dies wiederum die Weiterentwicklung der Frauengeschichte zur Geschlechtergeschichte bewirkt. 2. Phase: Geschlechtergeschichte

Verweis auf Simone de Beauvoir (in Bezug auf Unterscheidung von biologischem Geschlecht und sozialem Geschlecht). Die britische Soziologin Ann Oakley (Sex, Gender and Society [1972]) sprach sich ebenfalls für eine Unterscheidung zwischen biologischem und sozialen Geschlecht in der (historischen) Frauenforschung aus. Ihre Unterscheidung lag bei dem biologischen “Sex” und “Gender” als “Sache der Kultur”. Die amerikanische Anthropologin Gayle Rubin (The Traffic Women [1975]) sprach in ihren Forschungen vom “Sex-Gender-System”. Mit diesem Begriff versuchte sie zu erklären, wie geschlechtsspezifische Differenzierungen in Kultur und Gesellschaft zustande kommen. Gender sei - anders als biologische Aspekte - sozial konstruiert und nicht naturgegeben. Sex-gender-Systeme sind „[e] ine Reihe von Einrichtungen mit Hilfe derer eine Gesellschaft die biologische Sexualität in Produkte menschlicher Aktivitäten verwandelt und innerhalb derer diese verwandelten sexuellen Bedürfnisse befriedigt werden“.18 Auch die Historikerin Joan Kelly-Gadol griff diese Unters...


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