Polizeirecht PDF

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A. Einführung I. Der Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts II. Historische Entwicklung III. Polizeibegriffe IV. Gefahrenabwehr und Grundgesetz V. Organisation der Polizei und Verteilung der Zuständigkeiten VI. Aufgaben der Polizei I. Der Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts Polizei- und Ordnungsrecht = Öffentlich-rechtliche Vorschriften, die sich mit der Abwehr von Gefahren befassen Allgemeines Polizeirecht SPolG

Sonderpolizeirecht z. B. gefahrenabwehrende Normen der LBO

II. Historische Entwicklung „Polizei“: ursprünglich aus dem 15.–17. Jahrhundert: griech. politeia, d. h. gesamte „gute Polizey“ Staatsverwaltung = Gute Ordnung des Gemeinwesens

§ 10 II 17 PreußALR (1794): „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahren zu treffen, ist das Amt der Polizei.“

Nationalsozialismus

Kreuzberg-Urteil des PreußOVG v. 14.6.1882 (abgedr. in DVBl. 1985, 216 ff.) = Beschränkung der Polizei auf die Gefahrenabwehr

Absolutismus: Zeit des absoluten Fürstenstaats („Polizeistaat“), Polizei obliegt die Wahrung und Förderung der allgemeinen Wohlfahrt Art. 9 Nr. 2 WRV (1919) verleiht dem Reich die Gesetzgebungskompetenz über Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, die aber kaum genutzt wird. Landesrechtliche Polizeigesetze, z. B. Preuß. Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 mit Generalklausel in § 14 PVG zur Gefahrenabwehr

nach dem 2. Weltkrieg: - Polizeirecht ist Ländersache Teilweise Entpolizeilichung, d. h. Trennung der allgemeinen Sicherheitsbehörden von der „blauen“ Polizei → Jeweils eigenes Gesetz für - Polizei • „an Schreibtisch“ • „blaue“ Polizei

III. Polizeibegriffe Institutionell: entscheidend ist, dass die handelnde Behörde der Organisation der Polizei zuzuordnen ist § 1 I SPolG: Polizei = Polizeiverwaltungsbehörde und Vollzugspolizei Formell: alle Tätigkeiten, die von der Polizei im institutionellen Sinn wahrgenommen werden; s. § 85 I SPolG: Gefahrenabwehr, Verkehrsüberwachung, Erforschung von Straftaten und OWis Materiell: immer, wenn eine Behörde Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrnimmt. Zuordnung erfolgt über den Inhalt der Tätigkeit 1

Polizeibehörden Polizeiverwaltungsbehörden §§ 75 ff. SPolG Allgemeine Polizeiverwaltungsbehörden • Landespolizeibehörden • Kreispolizeibehörden • Ortspolizeibehörden = gem. § 76 III SPolG der Bürgermeister

Vollzugspolizei „uniformierte Polizei“ §§ 82 ff. SPolG

Sonderpolizeibehörden = Polizeivollzugsbeh. und • § 75 III SPolG Einrichtungen der Vollzugspolizei § 82 SPolG

Zuständigkeit • Sachlich § 80 SPolG • Örtlich § 81 SPolG

Zuständigkeit • Sachlich § 85 SPolG • Örtlich § 86 SPolG

In welcher Eigenschaft wird der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde bei der Gefahrenabwehr tätig ? h.M.: Organleihe = handelt als untere Landesbehörde ◦ Materialien ◦ Erklärung Aufsicht, § 77 SPolG a.A.: gemeindliche Auftragsangelegenheit ◦ Umkehrschluss zu § 76 II Nr. 1 SPolG Zuständigkeit der Polizeiverwaltungsbehörden a) Sachliche, § 80 SPolG • § 80 I SPolG: Generalzuständigkeit für Gefahrenabwehr, soweit nichts anderes bestimmt ist. § 13 SpolG: (1) Die Vollzugspolizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn … Beispiel für anderweitige Bestimmung: • § 80 II SPolG: Regelzuständigkeit der Ortspolizeibehörde = Bürgermeister, § 76 III SPolG • § 80 III SPolG: Sondersituation „Gefahr im Verzug“ b) Örtliche, § 81 SPolG = grds. diejenige Behörde, in deren Bezirk die Aufgabe wahrzunehmen ist Sonderfall: unaufschiebbare Maßnahmen Vollzugspolizei Gem. § 82 II SPolG werden die Aufgabenverteilung und Gliederung der Polizeivollzugsbehörden und der Einrichtungen der Vollzugspolizei durch das Innenministerium geregelt. Zuständigkeit der Vollzugspolizei a) sachliche: § 85 SPolG b) örtliche: § 86 SPolG

VI. Aufgaben der Polizei § 1 II SPolG: Gefahrenabwehr Achtung: Weist nur allgemein Aufgaben zu = ist keine Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe. § 1 III SPolG: Subsidiarität polizeilichen Handelns zum Schutz privater Rechte 2

Polizeiliches Handeln Präventiv • • •

Zur Gefahrenabwehr SPolG Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 40 I VwGO

Repressiv • • •

Verfolgung begangener Straftaten StPO Ordentlicher Rechtsweg, § 23 I 1 EGGVG, § 98 II 1 StPO

Doppelfunktion = sowohl als auch Nach ü. M. Schwerpunkt des Handelns BGH, Urt. v. 26.04.2017 – 2 StR 247/16 zu den sog. doppelfunktionalen Maßnahmen: • Wie die Rechtmäßigkeit einer „echten“ doppelfunktionalen Maßnahme der Polizei zu beurteilen ist und welche Konsequenzen sich daraus für das Strafverfahren ergeben, ist umstritten. • Eine Ansicht in der Literatur: Rückgriff auf Normen des Gefahrenabwehrrechts ist immer dann ausgeschlossen, wenn gegen den Betroffenen der Maßnahme gleichzeitig ein Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Der absolute Vorrang strafprozessualer Vorschriften sei unabdingbar, weil ansonsten eine Umgehung der teilweise strengeren Voraussetzungen der Strafprozessordnung bzw. ein Kontrollverlust der Justiz drohe. • Nach der sog. Schwerpunkttheorie, die für die Prüfung der Rechtswegzuständigkeit zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und ordentlicher Gerichtsbarkeit entwickelt wurde, ist dagegen für die Beantwortung der Frage, ob eine Maßnahme an Ermächtigungsgrundlagen aus dem Gefahrenabwehrrecht oder aus der Strafprozessordnung zu messen ist, entscheidend, wo der Schwerpunkt des polizeilichen Eingreifens liegt. • Nach anderer Ansicht endet mit der Annahme eines konkreten Anfangsverdachts einer Straftat nicht die Möglichkeit der Polizei, auch nach Gefahrenabwehrrecht vorzugehen. Vielmehr könnten nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Strafverfolgung und Gefahrenabwehr parallel betrieben werden. Beide Aufgabenbereiche stünden gleichberechtigt nebeneinander. • Eine echte doppelfunktionale Maßnahme sei schon dann rechtmäßig, wenn sie zur Verfolgung nur eines der beiden Zwecke rechtmäßig ist. Teilweise wird der Polizei ein Wahlrecht eingeräumt, ob sie auf strafprozessualer oder polizeirechtlicher Grundlage tätig wird. In Situationen, in denen sich die Notwendigkeit ergebe, sowohl zum Zweck der Gefahrenabwehr als auch zum Zweck der Strafverfolgung tätig zu werden, wie z.B. typischerweise bei Entführung, Geiselnahme oder Terrorlagen, habe die Polizei im Einzelfall zu entscheiden, welcher Staatsaufgabe der Vorrang einzuräumen sei. Im Zweifelsfall gelte vorrangig Gefahrenabwehrrecht. Dies bringe den verfassungsrechtlichen Grundsatz zur Geltung, dass im Zweifel die Abwehr drohender Gefahren wichtiger sei als die Verfolgung schon begangener Straftaten. • Nach Ansicht des Senats besteht weder ein allgemeiner Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt ein solcher des Gefahrenabwehrrechts gegenüber der Strafprozessordnung. Auch bei Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Straftat im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO ist ein Rückgriff auf präventiv-polizeiliche Ermächtigungsgrundlagen rechtlich möglich. Insbesondere bei sogenannten Gemengelagen, in denen die Polizei sowohl repressiv als auch präventiv agieren kann und will, bleiben strafprozessuale und gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen grundsätzlich nebeneinander anwendbar.

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Begründung der Entscheidung im Einzelnen: ▪ Das Gesetz kennt keinen Vorrang strafprozessualer Vorschriften gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht. ▪ Gefahrenabwehr ist eine zentrale staatliche Aufgabe, die gegenüber der Strafverfolgung eigenständige Bedeutung hat und nicht hinter ihr zurücktritt. Vielmehr stehen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als staatliche Aufgaben mit unterschiedlicher Zielrichtung gleichberechtigt nebeneinander. ▪ Eine starre Verweisung auf die Strafprozessordnung würde es den Gefahrenabwehrbehörden unmöglich machen, adäquat und flexibel auf neue, häufig nicht vorhersehbare Gefahrenlagen zu reagieren. Die Grenzen zwischen präventivem Handeln und repressivem Vorgehen können fließend sein und sich je nach Sachlage kurzfristig und kaum vorhersehbar verändern. ▪ Schließlich lässt sich auch dem Legalitätsprinzip kein generelles Über- oder Unterordnungsverhältnis von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr entnehmen. ▪ Solange der repressive Zugriff zeitlich nur hinausgeschoben und nicht ganz oder teilweise unterlassen wird, ist Raum für kriminalstrategisches Vorgehen.

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B. Die polizeilichen Schutzgüter Polizeiliche Schutzgüter Öffentliche Sicherheit

Öffentliche Ordnung

• Unversehrtheit der geschriebenen Rechtsordnung • Individuelle Rechtsgüter und Rechte des Einzelnen • Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates

• Ungeschriebene Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, die nach herrschender und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarender Anschauung unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes Zusammenleben sind.

I. Öffentliche Sicherheit BVerwG NJW 2012, 2676 ff.: Das inhaltlich auf § 14 PreußPVG zurückgehende polizeiliche Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst neben (1.) der Unverletzlichkeit der Normen der Rechtsordnung (2.) die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen sowie (3.) den Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen, d. h. es werden sowohl Individual- wie auch Gemeinschaftsrechtsgüter geschützt. VG SL, Urt. v. 8.11.2017 – 6K 926/16: Zum Zeitpunkt der Abschleppmaßnahme bestand eine gegenwärtige Gefahr für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 8 I SPolG. Die öffentliche Sicherheit umfasst unter anderem den Schutz der gesamten geschriebenen Rechtsordnung. Hierzu gehört auch die Regelung des § 42 IV StVO, Zeichen 314 i.V.m. dem Zusatzzeichen 104-10. Ein objektiver Verstoß gegen diese Vorschriften lag unstreitig vor, nachdem der Kläger nicht zu dem zum Parken auf einem Behindertenparkplatz berechtigten Personenkreis gehört. Für ein polizeiliches Eingreifen au der Grundlage von § 8 I SPolG reicht es, wenn objektiv ein Gefahrentatbestand gegeben ist. Ob dieser schuldhaft herbeigeführt wurde oder nicht, ist im Bereich des Gefahrenabwehrrechts rechtlich ohne jede Bedeutung. Individualrechtsgüter P.: Selbstgefährdung z.B. Risikosportarten, jemand will sich selbst töten II. Öffentliche Ordnung = Ungeschriebene Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, die nach herrschender und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarender Anschauung unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes Zusammenleben sind. P.: Bestimmtheit 5

C. Gefahr und Störung Gefahr als Voraussetzung polizeilichen Handelns: = wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Beeintrachtigung eines polizeilichen Schutzgutes fuhren wird. → Gefahrenprognose • = hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts • Merke: Je-desto-Formel • kein kontrollfester Prognose- oder Beurteilungsspielraum der Polizei BVerfG NVwZ 2015, 1593, 1597: Die prognostischen Elemente des Gefahrbegriffs geben insoweit für eine andere Sichtweise nichts her. Sie sind nichts weiter als Elemente der Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen und rechtfertigen – wie auch in anderen der Gefahrenabwehr dienenden Befugnisnormen – nicht schon von sich aus eine Kontrollbeschränkung der Gerichte. → Belästigungen liegen unterhalb der Gefahrenschwelle → von Störung spricht man, wenn sich die Gefahr verwirklicht hat, und in ihrer Wirkung noch andauert

Gefahrenvarianten konkrete Gefahr

Gefahr für bestimmte Rechtsgüter

dringende Gefahr

gegenwärtige Gefahr

erhebliche Gefahr

abstrakte Gefahr

Anscheinsgefahr

Putativgefahr

Gefahrenverdacht

Gefahrenvarianten Regelmasig knupfen die polizeilichen Befugnisnormen an eine konkrete Gefahr an, s. § 8 I 1 SPolG. Siehe auch § 27 Abs. 3 S. 1 SPolG = Einsatz der Bodycam zum Schutz von Polizeivollzugsbeamten und von Dritten zur Abwehr einer „konkreten Gefahr“ Gefahrenvarianten konkrete Gefahr BVerwG, NJW 2012, 2676 ff.: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn ein bestimmter einzelner Sachverhalt, d. h. eine konkrete Sachlage oder ein konkretes Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung führen würde. Der Schadenseintritt braucht nicht mit Gewissheit zu erwarten sein. Andererseits ist die bloßeMöglichkeit des Schadenseintritts nicht ausreichend. Der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist dabei abhängig vom Rang des Rechtsguts, in das eingegriffen werden soll. BVerfG, NJW 2016, 1781, 1785: Der traditionelle polizeirechtliche Begriff der "konkreten Gefahr" setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung eines polizeilichen Schutzguts führt. 6

Gefahrenvarianten Gefahr für bestimmte Rechtsgüter Gefahrenvarianten Dringende Gefahr BVerfG, NJW2016, 1781, 1785: Der Begriff der dringenden Gefahr nimmt nicht nur im Sinne des qualifizierten Rechtsgüterschutzes auf das Ausmaß, sondern auch auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadens Bezug. Gefahrenvarianten Gegenwärtige Gefahr (s. § 21 Nr. 1 SpolG) Gegenwärtig ist eine Gefahr, wenn der Eintritt des schädigenden Ereignisses entweder bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Siehe auch BVerfG, Urt. v. 24.7.2018 – 2 BvR 309/14, Rn. 109 – juris: Gegenwärtig ist eine Gefahr, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses entweder bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzendenWahrscheinlichkeit bevorsteht. Gefahrenvarianten erhebliche Gefahr (s. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SpolG) BVerfG, Urt. v. 24.7.2018 – 2 BvR 309/14, Rn. 109 – juris: Der Zusatz erheblich setzt nach dem Wortsinn zudem eine qualitativ gesteigerte Gefahr und verlangt ein besonderes Gewicht der drohenden Schädigung, sei es durch eine Gefährdung besonders gewichtiger Rechtsgüter, einen besonders großen Umfang oder eine besondere Intensität des drohenden Schadens (vgl. LTDruck 15/5521, S. 65.) Eine erhebliche Gefahr ist gegeben, wenn sie sich insbes. auf Leib, Leben oder Freiheit einer Person, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes bezieht. Gefahrenvarianten Fur den Erlass einer Polizeiverordnung genugt nach § 59 I SPolG das Vorliegen einer abstrakten Gefahr = vom Einzelfall losgelost. VGH Mannheim, Urt. v. 26.7.2012 – 1 S 2603/11: Eine abstrakte Gefahr liegt nur vor, wenn der Eintritt eines konkreten Schadens regelmäßig und typisch zu erwarten ist = eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und die Polizeibehörden daher Anlass haben, den Schadenseintritt durch den Einsatz abstrakt-genereller Regelungen zu verhindern.

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Gefahrenvarianten abstrakte Gefahr § 59a SPolG = Ermachtigung zur „Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren“ Zur abstrakten Gefahr: BVerwG, Beschl. v. 2.8.2013 – 6 BN 1/13: Nach der BVerfG-Rspr. ist es Sache des Normgebers, im Hinblick auf den jeweiligen Lebensbereich darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau und auf welche Weise Situationen entgegengewirkt werden soll, die nach seiner Einschätzung zu Schäden führen können. Mit der hierauf gestützten Verordnung hat der Normgeber auf einen bloßen Gefahrenverdacht oder ein Besorgnispotenzial reagiert. Ein solcher Gefahrenverdacht oder ein solches Besorgnispotenzial liegt vor, wenn der Normgeber mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zur Prognose einer Gefahr nicht imstande ist, aber gleichwohl ein Bedürfnis besteht, die verbleibenden Risiken zu mindern oder aus Gründen der Vorsorge zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter, wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Gefahrenvarianten reale Gefahr • ex ante: Annahme Gefahr • ex post: tatsachl. Gefahr → Gefahr (+) Gefahrenvarianten Anscheinsgefahr ex ante: aus Sicht sorgfaltiger Beamter: Gefahr (+) ex post: Gefahr (-) = im Entscheidungszeitpunkt bestehen objektive Anhaltspunkte fur Gefahr; nachträglich zeigt sich, dass eine Gefahr in Wirklichkeit nicht vorliegt ist Gefahr i.S.d. SPolG, z.B. bei Attrappe Gefahrenvarianten Putativgefahr • ex ante: aus Sicht sorgfaltiger Beamter: Gefahr (-) • ex post: Gefahr (-) = irrtumliche Annahme einer Gefahr, die einem besonnenen Polizisten nicht unterlaufen ware = keine Gefahr i.S.d. SpolG BayVGH, Urt. v. 8.7.2016, Az.: 4 B 15.1285: Anders verhält es sich bei der Schein- bzw. Putativgefahr, bei der zwar der entscheidende Beamte den Schadenseintritt subjektiv für wahrscheinlich hält, diese Annahme aber nicht auf hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten beruht. Gefahrenvarianten Gefahrenverdacht = wenn sich die Polizei aufgrund von Erkenntnislücken unsicher ist, ob eine Gefahr vorliegt → str., ob hier eine Gefahr angenommen werden kann → aus Gründen der Verhältnismäßigkeit i.d.R. Nur Gefahrerforschungsmaßnahmen 8

Gefahrenvarianten Gefahrenverdacht VGH Mannheim VBlBW 2014, 56, 57: Von der Anscheinsgefahr zu unterscheiden ist der Gefahrenverdacht. Bei Letzterem hält die Polizei aufgrund objektiver Umstände das Vorhandensein der Gefahr zwar für möglich, nicht aber auch für sicher. Beim Gefahrenverdacht sind die Abwehrmaßnahmen vorrangig auf die Klärung der Gefahrensituation zu richten. In besonderen Fällen, insbesondere bei einer möglichen unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben, können die notwendigen Maßnahmen über die bloß vorläufige Klärung und Sicherung hinaus den Charakter endgültiger Gefahrenabwehr annehmen. Achtung: Der Gesetzgeber kann der Polizei durch eine entsprechende Ausgestaltung seiner Befugnisnorm ein Einschreiten im Vorfeld einer konkreten Gefahr erlauben. Problem: Vereinbarkeit mit der Verfassung Auf keinen Fall Grundrechtseingriffe ins Blaue hinein! Gefahrenvarianten Besondere Gefahr § 58a AufenthG [Abschiebungsanordnung] … In Bayern wurde im neuen PAG die drohende Gefahr eingeführt = wird dort in Art. 11 als ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen umschrieben, wonach in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind. Es bleibt abzuwarten, wie das BVerfG entscheidet, da nunmehr anderer Kontext der Befugnisnormen. Neben der Einführung der drohenden Gefahr wurden noch weitere Verschärfungen im bayerischen PAG, beispielsweise die Präventivhaft vorgenommen; auch in anderen Bundesländern wurden die PolG verschärft,wie z. B. Sachsen-Anhalt. D. Die polizeiliche Verantwortlichkeit

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E. Die polizeirechtlichen Eingriffsbefugnisse I.Unterscheidung der Befugnisnormen II.Generalklausel III.Standardbefugnisse I. Unterscheidung der Befugnisnormen Grundrechtsrelevante Polizeimaßnahme • bedürfen einer gesetzlichen Grundlage → Stichwort: Ermächtigungsgrundlage bzw. im Polizeirecht „Befugnisnorm“ • Zitiergebot des Art.19 I 2 GG • im Landesrecht wird in §7 SPolGdie Einschränkung von Grundrechten geregelt Bestimmung der Befugnisnorm: 1. Existiert eine Ermächtigungsnorm außerhalb des SPolG? 2. Standardbefugnisse der §§9 ff. SPolG 3. Generalklausel, §8 SPolG II. Die Generalklausel Prüfungsschema Generalklausel: I. Ermächtigungsgrundlage 1. kein abschließendes Spezialgesetz einschlägig 2. keine Standardbefugnis einschlägig P:Verfassungsmäßigkeit der Generalklausel ◦ Stichwort: Bestimmtheit ◦ Stichwort: Wesentlichkeitstheorie II. Formelle Rechtmäßigkeit 1. Zuständigkeit, §§75 ff. SPolG 2. Verfahren P: Anhörung 3. Form III. Materielle Rechtmäßigkeit 1. Konkrete Gefahr 2. Für öffentliche Sicherheit oder Ordnung 3. Ordnungsgemäßer Adressat, §§4 ff. SPolG 4. Fehlerfreie Ermessensausübung, s. „kann“ + §3 SPolG ◦ Hinsichtlich des Ob ◦ H...


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