Skript IPR 1 - Script Internationales Privatrecht mit Aufgaben PDF

Title Skript IPR 1 - Script Internationales Privatrecht mit Aufgaben
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Course Grundkurs Europarecht und Internationales
Institution Universität Passau
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Script Internationales Privatrecht mit Aufgaben...


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Internationales Privatrecht Wintersemester 2018/19

Prof. Dr. Dennis Solomon, LL.M. (Berkeley)

Internationales Privatrecht “The realm of the conflict of laws is a dismal swamp, filled with quaking quagmires, and inhabited by learned but eccentric professors who theorize about mysterious matters in a strange and incomprehensible jargon. The ordinary court, or lawyer, is quite lost when engulfed and entangled in it.” William Prosser, Interstate Publication, 51 Mich. L. Rev. 959, 971 (1953)

§ 1 Einführung und Grundlagen A.

Einführung Art. 3 I 1 a.F., Art. 3 n.F. (a.E.) EGBGB: „Internationales Privatrecht“ als Gesamtheit der Regeln, die bestimmen, welchen Staates Privatrecht auf einen Sachverhalt mit Auslandsbeziehung anzuwenden ist. Beispielsfall 1: OLG Bamberg (12.05.2016, 2 UF 58/16), FamRZ 2016, 1270 m.Anm. Mankowski = StAZ 2016, 270 m.Anm. Coester 257 Sachverhalt und Texte zum syrischen Recht siehe separate Datei. Entscheidung des OLG Bamberg wurde in der Öffentlichkeit viel diskutiert und auch heftig kritisiert. Fall ist sowohl in verfahrensrechtlicher Hinsicht als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht recht komplex. Die öffentliche Diskussion führte zu einer (zweifelhaften) Reform durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 22.7.2017 (dazu noch unten). Zentraler Streitpunkt ist die Gültigkeit der Eheschließung im Hinblick darauf, dass F im Zeitpunkt der Eheschließung lediglich 14 Jahre alt war (M war 21 Jahre alt). zunächst aber Einordung: Probleme des Internationalen Privatrechts (mithin der Bestimmung des in der Sache anwendbaren Rechts) stellen sich hier in zweierlei Hinsicht: 1.

Vormundschaftsrecht: Der Streit ergab sich im Hinblick auf die Ausübung des Sorgerechts über die minderjährige F; konkret: wer entscheidet über Aufenthalt und Umgang der F? → schon insofern stellt sich ein kollisionsrechtliches Problem: nach welchem Recht richtet sich das Sorgerecht über die minderjährige F? im deutschen Recht: Art. 21 EGBGB: anwendbar ist das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der F = (nunmehr) deutsches Recht aber: wird verdrängt durch das Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) vom 19.10.1996 [Jayme/Hausmann Nr. 53] (zum Vorrang des KSÜ vgl. Art. 3 Nr. 2 EGBGB; dazu noch allgemein unten D II) → danach Zuständigkeit der deutschen Behörden gem. Art. 5 KSÜ (gewöhnlicher Aufenthalt) und Anwendung deutschen Rechts gemäß Art. 15 I KSÜ (bzw. Art. 16 I KSÜ) → auf Grundlage deutschen Rechts wurde denn auch gerichtlich das Stadjugendamt zum Vormund bestimmt Inhalt des deutschen Vormundschaftsrechts: § 1800 BGB: Umfang des Personensorgerechts richtet sich nach §§ 1631-1633 → und hier (nach bisherigem deutschem Recht) vor allem interessant: § 1633 a.F. BGB: „DiePersonensorge für einen Minderjährigen, der verheiratet ist oder war, beschränkt sich auf die Vertretung in den persönlichen Angelegenheiten“1

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Anm.: § 1633 BGB wurde im Zuge des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen aufgehoben; dementsprechend bezieht sich die Verweisung in § 1800 BGB nunmehr nur noch auf §§ 1631-1632 BGB. 1

Internationales Privatrecht Wintersemester 2018/19

Prof. Dr. Dennis Solomon, LL.M. (Berkeley)

 wenn F aus unserer Sicht wirksam verheiratet ist, dann darf sie eigenständig über ihren Umfang bestimmen  die angeordneten Beschränkungen ihres Umgangs mit M wären gegenstandslos damit hier zentrale Frage: 2.

Waren M und F wirksam miteinander verheiratet?  zu klären: nach welchem Recht richtet sich die Gültigkeit der Eheschließung zwischen M und F? → insofern kommen hier letztlich nur zwei Rechtsordnungen in Betracht: entweder deutsches oder syrisches Recht Deutsches Recht: F war mit 14 Jahren noch nicht ehemündig gem. § 1301 I, II a.F. BGB; Folge: Aufhebbarkeit der Ehe gem. § 1314 I BGB Syrisches Recht: F grds. gem. Art. 16 PStG noch nicht ehefähig, da noch nicht 17 Jahre alt; aber Feststellung der Geschlechtsreife; dann Eheschließung für Mädchen gem. Art. 18 I PStG schon am 13 Jahren möglich; hier also aus syrischer Sicht gültige Eheschließung.

Problem des IPR nach dem Gesagten: Welches Recht ist auf die materielle Gültigkeit der Eheschließung anwendbar? Zur Verdeutlichung der Fragestellung im Allgemeinen: Überblick über mögliche materielle Wirksamkeitsanforderungen an die Eheschließung: • hier relevant: Ehemündigkeit (bei uns: § 1303 BGB mit Folge: § 1314 BGB) → beachte allerdings: nicht nur islamische Rechte lassen Ehen Minderjähriger, u.U. auch über das bei uns bislang zulässige, Ausmaß zu (z.B. Recht von New Hampshire, New York) • Ehehindernis der Verwandtschaft → war durchaus auch im Fall relevant, da es um Cousin und Cousine ging; dies war allerdings sowohl nach syrischem wie auch nach deutschem Recht (§ 1307 BGB) zulässig; insofern in diesem Fall kein Problem aber beachte: deutsches Recht in dieser Hinsicht eher großzügig, da in der Seitenlinie lediglich Ehe zwischen Geschwistern ausgeschlossen ist; andere Rechtsordnungen schließen z.B. auch Eheschließung im Verhältnis Onkel–Nichte, Tante–Neffe oder auch darüber hinaus aus (z.B. New Hampshire, Türkei) • Wartezeit nach Eheschließung → ebenfalls verbreitet; bei uns früher in § 8 EheG enthalten; war praktisch bedeutungslos und wurde bei uns 1998 aufgehoben (nach wie vor z.B. im türkischen Recht) Vor diesem Hintergrund Grundsatzfrage: Muss sich der deutsche Rechtsanwender (insb. Richter, Standesbeamter) überhaupt um solche abweichenden ausländischen Regeln kümmern? Kann er sich nicht auf den Standpunkt stellen, dass zumindest für ihn die sachliche beste Ordnung diejenige ist, die das deutsche Recht für die betreffende Frage gefunden hat? → daraus würde allerdings folgen, dass jedes Gericht generell sein eigenes Recht anwenden würde; Ergebnis wäre jedoch Chaos: Franzosen, die in Frankreich leben und dort die Ehe schließen, würden Gefahr laufen, bei Umzug nach Deutschland bei einem Rechtsstreit vor deutschen Gerichten hinsichtlich der Gültigkeit ihrer Ehe nach deutschem Recht beurteilt zu werden; dann könnten, je nach Beurteilung in den beiden Staaten, z.B. Unterhaltsansprüche allein wegen des Umzugs gänzlich entfallen oder neu entstehen; unvertretbares Ergebnis → Wechsel von einem Land in das andere wäre mit unerträglichen rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Damit jedenfalls unangemessen, generell immer nur das eigene Recht anzuwenden. → damit Frage: mögliche Anknüpfungspunkte für das anwendbare Recht und grundsätzliche rechtspolitische Erwägungen im Allgemeinen:

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• Staatsangehörigkeit der Verlobten • Wohnsitz/gewöhnlicher Aufenthalt der Verlobten mögliche Begründung: Rücksichtnahme auf die Interessen der Verlobten → Parteiinteresse; Anwendung einer den Verlobten „vertrauten“ Rechtsordnung; engste Verbundenheit der Verlobten mit diesem Staat in persönlichen Angelegenheiten → etwas konkreter: mit welchem Staat wollen wir im Ergebnis eher inhaltliche Übereinstimmung herstellen, was die Gültigkeit der Eheschließung anbelangt? Heimatstaat oder Recht des tatsächlichen Lebensmittelpunktes? → läuft im Beispielsfall auf dasselbe hinaus (jeweils Syrien), ist aber ohne Weiteres auch anders vorstellbar: z.B.: Italiener, die in Frankreich leben, heiraten dort und ziehen dann nach Deutschland → was ist wichtiger: Übereinstimmung in der Beurteilung der Ehegültigkeit mit Frankreich oder Italien? oder Variante mit Beziehung zu Deutschland: Italiener, die in Deutschland leben und hier heiraten – Deutsche, die in Italien leben und dort heiraten hier allgemein aufgeworfen: Problem der Grundsatzentscheidung zwischen „Staats angehörigkeits-“ und „Wohnsitzprinzip“ zur Bestimmung des sogenannten „Personalstatuts“ (= Statut, das auf die persönlichen, insb. familienrechtlichen, Verhältnisse einer Person anwendbar ist) → zweifelhaft, wonach die persönliche Verbundenheit bestimmt wird: Staatsangehörigkeit (Verbundenheit mit Vorstellungen des Herkunftslandes); Wohnsitz (Integration am gegenwärtigen tatsächlichen Lebensmittelpunkt) • weitere Möglichkeit im Allgemeinen: Ort der Eheschließung → läuft hier wiederum auf Syrien hinaus, kann aber wiederum anders sein (Beispiel: Deutsche, Italiener, etc., die in Deutschland leben, gehen die Ehe in Frankreich ein) → Problem: dann freie Bestimmbarkeit des anwendbaren Rechts durch die Eheleute, indem sie den Ort der Eheschließung aussuchen  widerspricht dem Interesse der Staaten, die zwingende Ehevoraussetzungen aufstellen; diese zwingenden Anforderungen könnten problemlos durch die Verlobten unterlaufen werden  generelle Anknüpfung an den Ort der Eheschließung für die materielle Gültigkeit der Eheschließung eher zweifelhaft (aber durchaus in manchen Staaten für maßgeblich erachtet!) Was ist nun die Lösung im deutschen IPR? → Art. 13 I EGBGB  entscheidend ist die Staatsangehörigkeit → deutsches IPR bestimmt Personalstatut traditionell nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip  hier anwendbar: syrisches Recht [Hinweis: vorbehaltlich einer Rück- oder Weiterverweisung durch syrisches IPR; vgl. Art. 4 I EGBGB und näher unten § 3; soll hier nicht weiter verfolgt werden; syrisches IPR würde aber unsere Verweisung ohnehin annehmen] andererseits aber zumindest in diesem konkreten Fall zu beachten: letztlich unerheblich, worauf wir kollisionsrechtlich abstellen, da alle Anknüpfungsmomente zum syrischen Recht führen: Eheschließung in Syrien zwischen syrischen Staatsangehörigen, die in Syrien leben  diese Ehe unterliegt zwangsläufig syrischem Recht! dies auch richtig: kaum vertretbar, eine solche Eheschließung nicht zunächst nach syrischem Recht zu beurteilen, da bei Eheschließung keinerlei Beziehungen zu einem anderen Staat bestanden

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Damit bereits wichtige allgemeine Erkenntnis: Unangemessenheit einer generellen Anwendung des eigenen, am Gerichtsort geltenden materiellen Rechts (= „lex fori“) auf sämtliche Fälle mit Auslandsberührung → Notwendigkeit einer Entscheidung über das jeweils anwendbare Recht über die Regeln des IPR = Kollisionsrecht anders gewendet: aus der Existenz verschiedener Rechtsordnungen auf der Welt folgt notwendig die Existenz des Internationalen Privatrechts, das über die im Einzelfall anwendbare Rechtsordnung bestimmt. in unserem Fall also: materielle Gültigkeit der Eheschließung grundsätzlich jedenfalls nach ausländischem, hier: syrischem, Recht zu beurteilen → im Beispielsfall aber weiteres Problem: Inhalt des berufenen Rechts kann im Einzelfall aus unserer Sicht grob unangemessen sein konkret: aus unserer Sicht zu niedriges Eheschließungsalter; Mädchen können bereits mit Vollendung des 13. Lebensjahres die Ehe schließen; F war im hier zu beurteilenden Fall bei Eheschließung nur 14 Jahre alt; jetzt immer noch erst 15 → insofern Schutz durch den sog. ordre public, Art. 6 EGBGB → wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts: Ehemündigkeit setzt gewisses Mindestalter voraus; nach bisherigem deutschem Recht frühestens ab 16 (§ 1303 II a.F. BGB; nunmehr generell auf 18 Jahre abstellend § 1303 n.F. BGB); aber keine unmodifizierte Durchsetzung der deutschen Vorstellungen in allen Fällen, da sonst die grundsätzliche Entscheidung zugunsten der Anwendung ausländischen Rechts in Art. 13 I EGBGB wieder zu weitgehend zurückgenommen würde abgängig von Einzelfallbetrachtung; insb. wichtig, ob wie hier reiner Auslandsfall (dann zurückhaltendere Durchsetzung ausländischen Rechts) oder engere Inlandsbeziehung (etwa wenn F und M in Deutschland die Ehe schließen wollten: auch dann zwar gem. Art. 13 I EGBGB eigentlich syrisches Recht maßgeblich; der Standesbeamte würde aber zweifellos nicht bei einer 14-jährigen Verlobten die Ehe schließen) auch sonstige Umstände beachtlich: Vorliegen einer „Zwangsheirat“? (in casu keine Anzeichen; zweifelhaft aber, inwieweit bei einer 14-jährigen tatsächlich auf ihren Willen abgestellt werden kann); Dauer, in der die im Ausland geschlossene Ehe bereits gelebt worden ist (insb. bei inzwischen volljährigem Ehegatten auch aus unserer Sicht Bestätigung möglich; vgl. § 1315 I Nr. 2 BGB) nach alledem hier schwierige Entscheidung OLG Bamberg lehnt letztlich – nach sehr gründlicher Abwägung – einen Verstoß gegen den ordre public ab dabei letztlich eine recht spezielle Erwägung des OLG: selbst wenn F für nicht ehemündig gehalten würde, so wäre die Ehe – sowohl aus Sicht des deutschen wie aus Sicht des syrischen Rechts (vgl. oben) – allenfalls aufhebbar; auch eine lediglich aufhebbare Ehe führt allerdings zu den Rechtsfolgen des § 1633 BGB a.F.! [Anm.: dies entspricht zwar der ganz hM zum deutschen Recht, ist jedoch gerade in Fällen wie diesem nicht überzeugend: wenn die Aufhebbarkeit gerade auf der fehlenden Ehemündigkeit beruht (vgl. § 1314 I BGB), dann ist es schwerlich angezeigt, dass der minderjährige Ehegatte unter Verweis auf § 1633 BGB autonom entscheiden konnte, bei seinem Ehepartner, mit dem er gerade in fehlerhafter Ehe lebte, zu bleiben; Problem hat sich aber mit Aufhebung des § 1633 BGB erledigt.] → erhebliche Kritik in der Öffentlichkeit → Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen; bislang nicht entschieden unabhängig davon Gesetzesänderung durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017 (BGBl. 2017 I, 2429; vgl. separate Datei); in Kraft getreten am 22.7. 2017 [dazu näher: Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 ff.]

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kurzer Überblick über die Kernpunkte der Neuregelung: • Erhöhung des Ehemündigkeitsalters in § 1303 BGB; dabei Unterscheidung hinsichtlich der Rechtsfolgen: 16-17 Jahre: wie bislang Aufhebbarkeit gem. § 1314 I Nr. 1 BGB unter 16 Jahre: Nichtehe gem. § 1303 S. 2 BGB! → innerstaatlich eigentlich kaum praktische Bedeutung; allerdings Bedeutung zur „Aufrüstung“ der Anforderungen des deutschen Rechts im Hinblick auf den ordre public als Einwand gegenüber der Anwendung ausländischen Rechts, das von unseren Grundsätzen erheblich abweicht; Art. 6 EGBGB • Bestätigungsmöglichkeit mit Volljährigkeit gem. § 1315 I Nr. 1a BGB, aber nur bei Eheschließung ab 16 Jahren!  keine Bestätigungsmöglichkeit, wenn unter 16 Jahren geheiratet; rechtspolitisch zweifelhaft ferner Härtefallklausel in § 1315 I Nr. 1b BGB (Beispielsfälle nach der Gesetzesbegründung: schwere Krankheit, Suizidgefahr, Beschränkung der unionsrechtl. Freizügigkeit) • darüber hinaus auch Neuregelung im IPR: Einfügung von Art. 13 III EGBGB → erklärt die deutsche Regelung unmodifiziert auch auf sämtliche nach ausländischem Recht geschlossene Ehen für anwendbar → i.Ü. nicht nur gegenüber islamischem Recht! → etwa auch im Verhältnis zu sämtlichen europäischen Staaten, die (wie bislang Deutschland) eine Eheschließung mit 16 oder 17 Jahren ermöglichen! → all diese Regeln sind grundsätzlich aufhebbar, wobei nach neuem Recht (§ 1316 III 2 BGB) sogar von Amts wegen ein Aufhebungsverfahren eingeleitet werden muss (die Härtefallklausel steht nur dem Gericht zur Verfügung!) • versteckte Abschwächung in Art. 229 § 44: → zunächst reguläre Übergangsregelung in Abs. 1 → dann aber Abs. 4: führt zu einer Heilungsmöglichkeit, solange nicht vor der Erreichung der Volljährigkeit ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nimmt! → dann wiederum verpflichtende Einleitung eines Aufhebungsverfahrens! im Übrigen: Regelung könnte insb. vom volljährigen Ehepartner auch missbräuchlich eingesetzt werden, um Verpflichtungen aus der Ehe zu umgehen! vgl. ergänzend denGesetzesvorschlag von Bayern für ein „Gesetz zur Bekämpfung der Mehrehe“ vom Juni 2018, das eine entsprechende Regelung für Mehrehen nach islamischem Recht vorsieht (vgl. ergänzende Datei) → dazu kurioses Zitat aus der Begründung: „Darüber hinaus soll klargestellt werden, dass in Deutschland keine polygamen Ehen geschlossen werden können.“ Hinweise auf aktuelle IPR-Entwicklungen im Allgemeinen: conflictoflaws.net Beispielsfall 2: In Deutschland stirbt der hier lebende Österreicher Ö. Er hinterlässt Vermögen in Deutschland und Österreich. Ein Testament hat er nicht errichtet. Die Verwandten wollen wissen, wer Erbe wird und wie der Nachlass unter den Erben verteilt wird. bislang galt nach nationalem deutschem IPR: Art. 25 I EGBGB → österr. Recht (Staatsangehörigkeitsprinzip) nunmehr allerdings Anwendbarkeit der EuErbVO vom 4.7.2012 [Jayme/Hausmann Nr. 61] für Erbfälle ab 17.8.2015 (Art. 83 I EuErbVO) hiernach: Art. 21 I EuErbVO → berufen ist Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts  deutsches Recht! → insofern also grundlegende Änderung des internationalen Erbrechts für Deutschland! (Wechsel vom Staatsangehörigkeits- zum Aufenthaltsprinzip)

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B.

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Kollisionsrecht und Sachrecht grundsätzliche Unterscheidung zwischen: Sachnorm = die in der Sache anwendbare Rechtsnorm und Kollisionsnorm = die Norm die darüber entscheidet, welchen Staates Sachnorm anzuwenden ist Sachnorm

Sachnorm

Anknüpfungsmoment

Anknüpfungsmoment Kollisionsnorm

Zum Beispiel: deutsches Recht: §§ 1924 ff. BGB

österreichisches Recht: §§ 727 ff. ABGB

letzter gewöhnl. Aufenth. des Erblassers in Deutschland

letzter gewöhnl. Aufenth. des Erblassers in Österreich Art. 21 I EuErbVO

C.

Struktur einer Kollisionsnorm I.

Grundstruktur Rechtsfolge der Kollisionsnorm = Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung (oder auch einer bestimmten einzelnen Sachnorm) Zwei generell notwendige Tatbestandselemente (= Prüfungspunkte): 1.

Anknüpfungsgegenstand Welche Rechtsfragen sind von der Kollisionsnorm erfasst? Welche Sachnormen werden von der Kollisionsnorm berufen? → bestimmt durch Systembegriffe

2.

Anknüpfungsmoment = das für die Bestimmung des anwendbaren Rechts maßgebliche Kriterium

Beispiele: Art. 13 I EGBGB:

Anknüpfungsgegenstand = „Voraussetzungen der Eheschließung“ → im Hinblick auf Art. 11 und 13 IV: nur die materiellen Vorauss. Anknüpfungsmoment: Staatsangehörigkeit eines jeden Verlobten

Art. 21 f. EuErbVO: Anknüpfungsgegenstand = Rechtsnachfolge von Todes wegen Anknüpfungsmoment: bei Art. 21 I = gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers bei Art. 22 I = Rechtswahl [allerdings beschränkt auf das HeimatR des Erblassers; grds. unbeschränkte RWahlmöglichkeit im int. VertragsR gem. Art. 3 I Rom I] mögliche Probleme beim Anknüpfungsgegenstand, z.B. § 1371 I BGB (Erbstatut gem. EuErbVO oder Güterstatut gem. Art. 15 EGBGB bzw. EuGüVO?); sog. „Qualifikationsproblem“ [dazu § 5 der Vorlesung] 6

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Prof. Dr. Dennis Solomon, LL.M. (Berkeley)

mögliche Probleme beim Anknüpfungsmoment: Doppelstaater und Staatenlose bei Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 5 I und II EGBGB) [dazu § 10 der Vorlesung] Rechtsfolge ist dann die Anwendbarkeit der über das Anknüpfungsmoment bestimmten Rechtsordnung auf die zu untersuchende Rechtsfrage. Folgerungen für den Prüfungsaufbau bei einer IPR-Klausur: Zweistufige Fallprüfung im IPR: I.

Internationales Privatrecht (Bestimmung des anwendbaren Sachrechts) Prüfung einer Kollisionsnorm mit der Rechtsfolge: Anwendung eines bestimmten Sachrechts

II.

Prüfung der sachrechtlichen Rechtsfrage Prüfung der Sachnormen, die über die einschlägige Rechtsfrage entscheiden

Notwendigkeit, vor jeder Prüfung einer neuen Rechtsfrage zunächst das anwendbare Recht zu bestimmen („Tortenmodell“). Beispielsfall 3: Der Passauer P macht zusammen mit seiner Familie eine Fahrradtour in Frankreich. Aufgrund einer Unachtsamkeit fährt er dort den Hund der Französin F an und verletzt ihn so schwer, dass er eingeschläfert werden muss. F verlangt Schadensersatz einschließlich eines Schmerzensgeldes für den Verlust des geliebten Tieres. Anwendung des Art. 4 I Rom II im Beispielsfall: Staat, in dem der Schaden eintritt (= Erfolgsort) = Frankreich  Anwendung französischen Rechts: Schm...


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