Wir feiern 500 jähriges Jubiläum des venezianischen Ghettos PDF

Title Wir feiern 500 jähriges Jubiläum des venezianischen Ghettos
Author Saskia Mewes
Course Basismodul Staat und Gesellschaft in der Moderne Lehramt
Institution Universität Potsdam
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Summary

Ein eigener Zeitungsartikel zum 500-jährigen Jubiläum des venezianischen Ghettos....


Description

Wir feiern 500 jähriges Jubiläum des venezianischen Ghettos Wussten Sie, dass das erste Ghetto Europas in Venedig entstanden ist? In diesem Jahr feiern wir das 500 jährige Bestehen des jüdischen Ghettos in Venedig. Ausgerechnet die schon im Mittelalter weltoffene und tolerante Stadt verbirgt eine unglaubliche Entstehungsgeschichte als eines der ersten Ghettos in Europa für Juden. Im Jahre 1516 entsteht in dieser Stadt ein Ghetto für Juden, deren Weg dahin bis in das 14. Jahrhundert zurück reicht. Die Frage, die sich zu allererst stellt ist, welche Voraussetzung erfüllte Venedig für eine jüdische Ansiedlung. Warum gerade Venedig? Venedig zeichnete sich wohl erstmal in erster Linie mit der Nichtexistenz

von

staatlichen

Ritualmordbeschuldigung

von

Repressionen Trient

im

Jahre

und

Pogromen

1475

ordnete

aus. der

Nach Senat

der sogar

Schutzmaßnahmen für Juden an. Vorkommende Judenfeindlichkeit, wie zum Beispiel 1480 als drei Juden verbrannt wurden, zeigte sich eher selten und wenn ausschließlich bei dem Adel und in der Regierung. Ein bisheriges konfliktfreies Zusammenleben zwischen Juden und Christen war durch die Integrationsfähigkeit der Juden und durch die Offenheit der Venezianer stabilisiert worden. Der Senat von Venedig erkannte früh die wirtschaftliche Bedeutung der Juden. Dennoch wurden diese gesetzlichen Bestimmungen unterworfen, die ihre sozialen und wirtschaftlichen Tätigkeiten regelten. Bis zum 14. Jahrhundert können wir dennoch keine dauerhafte Ansiedlung von Juden feststellen. Der Senat versuchte dies zu unterbinden, um eigene Handelsinteressen zu wahren. Bis in das 14. Jahrhundert hinein bestand ein striktes Einreiseverbot für Juden. Nur die jüdischen Händler bildeten die Ausnahme. Aber mit den Kriegen, die Venedig führte, erlitt die Staatskasse ein Tief. Eine vom Senat entworfene Niederlassungserlaubnis für Juden aus Mestre entstand. Durch die Ansiedlung der jüdischen Geldleiher ergab sich die Möglichkeit zur Erhebung von zusätzlichen Steuerforderungen, die so die Staatskasse wieder aufbessern sollten. Im Jahre 1382 erhielten Juden das Niederlassungsrecht. Mit diesem Recht verband sich eine große Bedeutung für die eingewanderten Juden. Erstmals erhielten sie eine offizielle Erlaubnis zum Niederlass, der verbunden war mit dem Schutz der venezianischen Obrigkeit. 1388 hatte sich die finanzielle Lage gebessert und es entstand die Überlegung den Juden einen eigenes Wohnviertel zugeben. Dies käme fast einem Privileg zur dauerhaften Niederlassung gleich. Zudem kam in der venezianischen Bevölkerung der Wunsch auf, die jüdische von der christlichen Bevölkerung zu trennen. 1385 wurde die Niederlassungserlaubnis vertraglich

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durch die Condotta fixiert. Ein zehnjähriger Vertrag, der sich nur auf die Juden bezog. Der Senat jedoch befürchtete in den folgenden Jahren, dass sich die Juden auch in andere Wirtschaftsbereiche einmischen könnten. So entschied er die Condotta nach Ablauf der 10 Jahre nicht weiter zu verlängern. Doch in den 15 Jahren der offiziellen Ansiedlung hatten jüdische Geldleiher wichtige wirtschaftliche Kontakte geknüpft, hatten ihren festen Platz in der Gesellschaft eingenommen. Den Einfluss, den sie bis dahin schon auf den Handel gehabt hatten, war zu groß, um das sie noch entbehrlich für das Wohl des Staates wären. Mit dem 15. Jahrhundert kam eine inoffizielle Ansiedlung der Juden in Serenissma. Bankiers und Ärzte bildeten den Kern der Gemeinen. Unter ihnen Juden mit anderen Tätigkeiten. Es entstand eine Art „aristokratische Struktur“, die das gesamte Leben der Juden in Venedig prägen sollte. 1511 kam es zu einem Ausweisungserlaß aufgrund von Differenzen zwischen den beiden religiösen Bevölkerungsgruppen in Venedig. Doch der Senat nahm einige Zeit später Abstand davon und räumte den Juden noch dazu mehr Freiheiten ein, denn er realisierte, dass die Präsenz der jüdischen Geldleiher notwendig war. Die Errichtung eines Ghettos fand in einer Zeit statt, die geprägt war von politischen und wirtschaftlichen Krisen. Dennoch war seine Entstehung keineswegs eine Überraschung, sondern eine Fortführung der venezianischen Judenpolitik. Im Jahre 1515 waren die Juden relativ frei in ihrem Tun. Abgesehen von den bisherigen Verboten kamen noch Vorschriften hinzu, die teilweise auch zu ihrem Schutz vorgesehen waren. Eine Vorschrift besagte das Verbot an Ostern das Haus zu verlassen. Schon in der Vergangenheit kam es an diesem Tag zu Ausschreitungen gegenüber Juden. Gerade Christen zeigten ihre Abneigung gegen die Juden, indem sie ihnen Fehlverhalten vorwarfen und kritisierten, dass diese zerstreut in der Stadt lebten. Am 23. April 1515 schlug der Politiker Emo Zorzi dem Senat vor, die Juden auf die Giudecca, einer langgezogenen Inselgruppe im Süden Venedigs, zu verbannen. Damit wäre eine Lösung für das Problem zwischen Juden und Christen gefunden, ohne das die Stadt finanzielle Einbüße erleiden müsste. Doch der Vorschlag rief Empörung bei der jüdischen Gemeinschaft auf. Ein Argument ihrerseits war zum Beispiel, dass die auf der Inseln bereits lebenden Söldner eine Gefahr für sie darstellen könnten. Aber sie hatten einen Gegenvorschlag, in dem sie die Insel Murano akzeptieren würden. Doch hier lehnte der Senat ab, weil diese Insel den „Garten“ Venedigs darstellte. 1516 empfahl Zaccaria Dolfin, ein Mitglied des Senates, die Isolierung der Juden in das Ghetto Nuovo. Es herrschte der Glaube,

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dass sie Anwesenheit der Juden und ihr Glaube sich nachteilig auf die Stadt auswirke, die zu dieser Zeit Krieg führte. Dieser Vorschlag wurde vom Senat angenommen. Gründe dafür waren vor allem die zunehmende Judenfeindlichkeit. Das Ghetto Nuovo befand sich im Gebiet der ehemaligen Gießerei im „sestiere“ von Cannaregio. Und hier findet sich auch der Ursprung der Bezeichnung „Ghetto“. Die Bezeichnung geht auf das venezianische Wort Gießerei „gheto“ zurück. Am 29. März 1516 erging der Erlass zur Errichtung dieses Ghettos. Trotz großer Verlustängste ihrer Geschäfte, kamen die Juden ihrem Umzug nach. Am 1.April 1516 erging ein Einweisungserlaß vom Senat. In den nächsten Tagen wanderten 600 deutsche Juden in das Ghetto. Die äußere Gestaltung des Ghettos wurde schon 1516 festgelegt und beinhaltete die Errichtung einer Mauer, die keine Fenster zur Stadtseite haben durfte. Mit den Jahren wuchs die Bevölkerung in so einem Maße an, dass der Platz knapp wurde. Am 2. Juni 1541 wurde das Viertel durch das Ghetto Vecchio erweitert. Dort lebten levantinische und später auch ponentinische Juden. Levantinische Juden erhielten erst 1589 eine Niederlassungserlaubnis. Und obwohl beide Ghetti voneinander unabhängig waren, gab es in beiden Schulen, Krankenhäuser, Synagogen und Geschäfte. Eine dritte Erweiterung folgte im Jahr 1633 mit dem Ghetto Novissimo, dass vor allem von spanischen und portugiesischen Juden bewohnt wurde. Dennoch bewirkte die Aufteilung der drei Ghetti eine Aufsplitterung der Juden an Hand ihrer Herkunftsländer und Berufen. Die Ghetti waren geprägt von Autonomie, Selbstverwaltung und den verschiedensten Organisationen, die das soziale und religiöse Leben diktierten. Bruderschaften waren seit dem 13. Jahrhundert für ganz unterschiedliche Funktionen gegründet worden, wie zum Beispiel zur Krankenpflege oder die Einhaltung religiöser Vorschriften. Eine Beachtung der Gesetze wurde immer garantiert. Einfluss in ihre eigenen Vorschriften erhielten sie durch ihre Selbstverwaltung. Es gab eine kleine Ratsversammlung der „Va’ad Katan“, die geleitet wurde von fünf bis zehn Gemeinvorstehern. Sie vertraten die Gemeinde vor dem Senat. Die Juden sahen ihre Abgrenzung in das Ghetto keineswegs als Strafe. Für sie war diese Isolation eher wie ein Schutzraum, in dem sie ihn Ruhe ihre Bräuche und Sitten ausleben konnte. Juden hatten nur vereinzelt das Bürgerrecht verliehen bekommen. Dennoch standen sie unter dem Schutz der Republik und bekamen Handelsprivilegien. Die Regierung unterschied die Juden in vier Nationen. Die deutschen Ashkenaziti, die das Ghetto Nuovo bewohnten. Sie

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mussten aufgrund der Pest, die von 1348 bis 1350 in Deutschland wütete, fliehen, da ihnen die Schuld am Ausbruch gegeben wurde. Die Ashkenaziti bildeten die Mehrheit der Juden in den venezianischen Ghettos. Die italienischen Juden wurden mit den Deutschen zusammen gemischt und bildeten daher keine autonome Gruppe. Beide Gruppen waren denselben Rechten und Pflichten der Regierung unterworfen. Die levantinischen Juden erhielten die meisten Privilegien, da ihr Handelsgewerbe eine Notwendigkeit für Venedig darstellte. Die ponentnischen Juden waren gebildete und wohlhabende Kaufleute. Ihre Bedeutung stieg stetig, so dass ihnen die Regierung den Seehandel erlaubte. Die ponentinischen und levantinischen Juden kamen von der Iberischen Halbinsel und erhielten eine gemeine Condotta. Dies trennte sie strikt von den deutschen und italienischen Juden. Venedigs Grundsatz bildete immer die Bewahrung der Unabhängigkeit der Kirche. Deswegen kam es nur zu Zugeständnissen zwischen Papst und Venedig. Doch in den Jahren kam es zu Konflikten um die Inquisition. Nach Zugeständnissen erklärte der Senat Venedigs die Existenz eines kirchlichen Inquisitionsgerichts. Aber nur unter der Aufstellung der „Tre Savi all `Eresia“, die die Interessen Venedigs wahren sollte. Juden wurden nur gering verfolgt, es sei denn sie haben ihre Vorschriften missachtet. Weitaus zahlreicher waren die Anklagen gegen Christen, die im Ghetto aßen oder übernachtet hatten. Im Jahre 1553 rief der Papst zur Verbrennung des Talmuds auf. Venedig war die erste Stadt, die dieser Forderung nachkam. Der Senat ordnete eine Zäsur für jüdische Bücher an. Mit Beginn des 18.Jahrhunderts erreichte der Niedergang des venezianischen Handels auch die Ghetti. 1788 wurden die Juden mit den Christen im Handel gleichgestellt. Dies machte die zunehmend schlechter werdende Lage Venedigs deutlich. Die jüdischen Kaufleute dagegen bedankten sich in Form einer Sondersteuer an den Senat. Aber auch dieses Handelsprivileg hielt den Niedergang der jüdischen Gemeinden keineswegs auf. Nur ein Drittel der Juden lebte in guten wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Rest arbeitete in weniger rentablen Berufen. Der bisherige wirtschaftliche Erfolg ließ sich in ihrer Religion wieder erkennen. Die Tugenden des Fleißes und der Arbeitsamkeit und das Bewusstseins als auserwähltes Volk prägten ihre wirtschaftliche Tätigkeit. Mit der Eroberung Napoleons 1767 öffneten sich die Tore der Ghetti. Die diskriminierenden Gesetze und die Residenzpflicht wurden aufgehoben. Zwei Jahre später gehört Venedig zu Österreich, womit die Juden ihre neugewonnen Rechte wieder verloren. Eine Gleichstellung,

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wie die anderen Bewohner Venedigs erhielten die Juden erst 1848. Viele Quellen zur Analyse der wirtschaftlichen Lebensbedingungen verdanken Historiker dem venezianischen Archiv. Hier finden sich detaillierte Berichte zur wirtschaftlichen Situation der Juden. Ganz anders sieht es bei den Quellen zur Kultur und Literatur aus. Forschungen müssen hier auf Überlieferungen der Juden selbst zurückgreifen. Aber auch hier gibt es Schwierigkeiten, die zu beachten sind. Schriftlich fixierte Überlieferungen sind mit Vorsicht zu betrachten. Ihr Realitätsgehalt muss in Frage gestellt werden. Aufschlussreiche Berichte über die Juden geben Werke von Riccardo Calimani, einem jüdischen Schriftsteller und Vizepräsident der jüdischen Gemeinde von Venedig. Aber auch Cecil Roth, einem britischen Historiker, der die Encyclopaedia Judaica schrieb. Leider liegen nicht allzu viele Quellen über das Verhältnis der Juden zu der venezianischen Bevölkerung vor.

Literatur: Herzig, Arno: Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1997. Litt, Stephan: Geschichte der Juden Mitteleuropas 1500-1800, Darmstadt 2010 Steinbach, Marion: Juden in Venedig 1516 – 1767. Zwischen Isolation und Integration, Frankfurt am Main 1992.

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