Asendorpf Bindung Erwachsen werden PDF

Title Asendorpf Bindung Erwachsen werden
Author Tesco 07
Course Erlebnispädagogik Modul 16
Institution Frankfurt University of Applied Sciences
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Description

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Bindung im Erwachsenenalter1 Jens B. Asendorpf

In Frey, D. & Bierhoff, H.-W. (in Druck), Soziale Motive und soziale Einstellungen (Enzyklopädie der Psychologie. Serie Sozialpsychologie, Band 2). Göttingen: Hogrefe.

Anschrift des Autors Prof. Dr. Jens B. Asendorpf Institut für Psychologie Humboldt-Universität zu Berlin Unter den Linden 6 10099 Berlin [email protected]

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Ich danke Rainer Banse, Franz J. Neyer und Felix D. Schönbrodt für hilfreiche Kommentare zu

einer früheren Fassung.

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1. Bindung, Bindungsqualität und Bindungsstil Unter den sozialen Beziehungen einer Person gibt es einige wenige enge, emotional bedeutsame Beziehungen, die sich hierdurch von anderen Beziehungen abheben (vgl. Asendorpf & Banse, 2000; Fletcher, Simpson, Campbell & Overall, 2013; Kelley et al., 1983, für eine Übersicht zu engen Beziehungen). Dazu gehören meist die Beziehungen zu den Eltern und Geschwistern, teilweise auch zu den Großeltern, später auch die Beziehungen zu besonders guten Freunden, zu Geliebten, zu (Ehe-)Partnern und zu eigenen Kindern.

Diese engen Beziehungen zeichnen sich durch ein gewisses Ausmaß an Bindung an die jeweilige Bezugsperson aus, die sich in einer bestimmten Bindungsqualität äußert. Bindung ist also zunächst einmal ein dyadisches Konstrukt; es beschreibt eine bestimmte Beziehungsqualität, nicht aber ein Persönlichkeitsmerkmal (zur Abgrenzung zwischen Beziehung und Persönlichkeit siehe Asendorpf & Banse, 2000). Bindung ist situationsbezogen definiert; sie bezieht sich auf das Vertrauen, dass die Bezugsperson in Gefahrsituationen Schutz bieten kann und wird, wofür oft die Metapher des "sicheren Hafens" genutzt wird. Von daher hat Bindung eine sehr große konzeptionelle Nähe zum Begriff der potenziellen Unterstützung in der Bewältigungsforschung (Sarason, Sarason & Pierce, 1990) und lässt sich auch empirisch von diesem Konzept kaum unterscheiden (Asendorpf & Wilpers, 2000). Wie alle Beziehungen ist auch Bindung durch ein kognitives Beziehungsschema gekennzeichnet (Baldwin, 1992), das im Falle von Bindungen auch als Bindungsrepräsentation, Bindungsmodell oder inneres Arbeitsmodell der Beziehung bezeichnet wird. Über den Kontext dyadischer interpersoneller Beziehungen hinaus wird manchmal auch Bindung an Gott (z.B. Granqvist, Miculincer, Gewirtz & Shaver, 2012), an Haustiere (z. B. McConnell, Brown, Shoda, Stayton & Martin, 2011) oder an Gruppen (vgl.

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Abschnitt 4.1) thematisiert.

Weit verbreitet ist allerdings auch die Sicht, dass Bindungsqualität ein Persönlichkeitsmerkmal sei, das ein Individuum und alle seine Beziehungen zu nahen Bezugspersonen kennzeichne, so dass von einem einheitlichen Bindungsstil des Individuums gesprochen werden könne. Der konzeptionelle Widerspruch zwischen Bindung als Beziehungsmerkmal und als Persönlichkeitsmerkmal lässt sich auflösen, indem von einem übergeordneten allgemeinen Bindungsstil mit untergeordneten beziehungsspezifischen Bindungsstilen ausgegangen wird (vgl. Abschnitt 3.1).

2. Meilensteine der Bindungsforschung In diesem Abschnitt wird eine Übersicht über die historische Entwicklung zentraler Konzepte und Methoden der Bindungsforschung gegeben. Da die Forschung zu Bindung im Erwachsenenalter auf der vorangehenden Forschung zu Bindung im frühen Kindesalter aufbaut, wird zunächst diese kurz skizziert.

2.1 Frühkindliche Bindung In Sigmund Freuds Theorie der Charakterentwicklung spielten die Beziehungen zu den Eltern eine zentrale Rolle, weil Mutter und Vater Objekte der realen und vor allem der phantasierten Triebbefriedigung seien oder die eigene Triebbefriedigung verhinderten. Später rückten Psychoanalytiker immer mehr von Sigmund Freuds psychosexuellem Triebmodell der Charakterentwicklung ab und stellten zunehmend die Internalisierung von Objektbeziehungen in den Mittelpunkt. Die Objekte sind dabei zentrale Bezugspersonen wie Mutter, Partner, aber auch

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der Analytiker in der Therapie. Sandler und Rosenblatt (1962) formulierten das Konzept der repräsentationalen Welten, wonach sich aufgrund der Erfahrungen in frühen Objektbeziehungen mentale Repräsentationen des Selbst, anderer Personen und der Beziehungen zu ihnen herausbilden. Diese mentalen Repräsentationen wirkten sich auf die Gestaltung der späteren engen Beziehungen aus. Bowlby (1969) griff dieses Konzept auf und verknüpfte es mit evolutionsbiologischen und systemtheoretischen Konzepten. Nach Bowlby (1969) gibt es ein evolutionär tief verankertes Bindungssystem, das bei Gefahr die Nähe zwischen dem Kind und der primären Bezugsperson gewährleiste (primär sowohl im Sinne der ersten als auch der wichtigsten Beziehung; meist die Mutter). Die Erfahrungen in solchen Situationen prägten beim Kind ein inneres Arbeitsmodell von Beziehungen nicht nur zur primären Bezugsperson sondern ganz allgemein (Bowlby, 1973).

Normalerweise werde die Beziehung als sicherheitsspendend erlebt; so komme es zum Arbeitsmodell einer sicheren Bindung, das spätere Erwartungen an andere enge Beziehungen und dadurch auch diese Beziehungen selbst präge. Bei Störungen der Beziehung zur primären Bezugsperson oder bei Fehlen einer solchen Beziehung (z. B. bei manchen Heimkindern) komme es zu einem Arbeitsmodell einer unsicheren Bindung, das sich störend auf spätere Beziehungen auswirke.

Ainsworth, Blehar, Waters und Wall (1978) erweiterten Bowlbys klinisch orientierten Ansatz auf normale interindividuelle Unterschiede in der Bindung von Kindern im Alter von 12‒18 Monaten an ihre Eltern. In dieser Altersgruppe lässt sich Bindungsverhalten besonders gut beobachten, weil Kinder in diesem Alter Laufen lernen und dies die Gefahr mit sich bringt, dass

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sich das Kind zu weit von der Bezugsperson entfernt und so deren Schutz verliert. Ein gut funktionierendes Bindungssystem sichert dagegen eine hinreichende Nähe zur Bezugsperson und ist deshalb entsprechend adaptiv; auch ist seine Wirkung auf das Verhalten gut beobachtbar, weil das kindliche Verhalten noch nicht so stark wie später durch soziale Normen überformt ist (z. B. keine Angst zu zeigen, Nähebedürfnisse nicht direkt auszuleben).

Deshalb war es Ainsworth et al. (1978) möglich, ein Beobachtungsparadigma für Bindungsverhalten im Labor zu entwickeln (der Fremde-Situation-Test). Das Kind wird mit der primären Bezugsperson (meist die Mutter) in eine Sequenz von Situationen gebracht, wobei die diagnostisch entscheidende Situation die Wiedervereinigung zwischen Kind und Bezugsperson nach einer kurzen Trennung ist, die durch fehlende Verabschiedung durch die Mutter, Anwesenheit einer Fremden und kurzes Alleinsein in einem unvertrauten Raum verschärft wird. Sicher gebundene Kinder (Bindungsstil vom Typ B) freuen sich, wenn die Mutter wiederkommt und gehen dann schnell wieder zum Spiel über. Unsicher gebundene Kinder dagegen ignorieren die Mutter oder vermeiden aktiv jede Kommunikation mit ihr (vermeidend gebundene, Typ A) oder klammern sich ängstlich an sie und haben Schwierigkeiten zum Spiel zurückzukehren (ängstlich-ambivalent gebundene, Typ C).

Diese standardisierte Beobachtungssituation für das Alter von 12 - 18 Monaten erwies sich als valide zur Vorhersage diverser sozialer Kompetenzen und Beziehungsqualitäten (nicht nur zu den Eltern) im späteren Kindesalter bis hin zum Jugendalter und führte deshalb zu einem bis heute andauernden Boom der Bindungsforschung in der Entwicklungspsychologie.

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2.2 Bindung im Erwachsenenalter Objektbeziehungstheoretiker und Bindungstheoretiker wie Bowlby und Ainsworth teilten die Annahme, dass die Qualität der Beziehung zur primären frühen Bezugsperson als inneres Arbeitsmodell von Beziehungen verinnerlicht werde, bis ins Erwachsenenalter hinein erhalten bleibe, Erwartungen an alle künftigen engen Beziehungen präge und so zu einer Stabilität des Bindungsstils führe. Insbesondere sollten sich deshalb die vier Bindungsstile im frühen Kindesalter auch noch im Erwachsenenalter (in altersadäquater Form) beobachten lassen. Die Forschung hierzu begann Mitte der 1980er Jahre, wobei sich zwei unterschiedliche Forschungstraditionen herausbildeten (vgl. Abbildung 1). - Abb. 1 -

2.2.1 Das Adult Attachment Interview. Main, Kaplan und Cassidy (1985) entwickelten ein Interviewverfahren zur Erfassung von Bindungsrepräsentationen im Erwachsenenalter, das Adult Attachment Interview (AAI; vgl. Hesse, 1999; deutsche Version von Gloger-Tippelt & Hofmann, 1997). Im Kern besteht das ein- bis zweistündige Interview darin, dass die Befragten ihre Beziehung zu Mutter und Vater in der Kindheit durch 5 Adjektive frei beschreiben und diese Charakterisierung dann anhand von Erinnerungen an konkrete Erlebnisse belegen sollen. Die Auswertung des Interviews, die einschließlich der Erstellung einer schriftlichen Fassung mindestens 8 Stunden dauert, beruht auf psychoanalytisch inspirierten Annahmen über Abwehrmechanismen bei den Befragten, wonach das im Interview Berichtete nicht unbedingt eine valide Beschreibung von Bindungserfahrungen ist, sondern durch diverse Abwehrmechanismen verzerrt sein kann, insbesondere Verdrängung negativer Erlebnisse. Die berichteten Kindheitserfahrungen werden deshalb auf Idealisierung, Widersprüche in der

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Erzählung und mangelhafte Konkretisierung geprüft. Befragte, die offen und frei über detaillierte Erinnerungen an widersprüchliche und unangenehme Gefühle gegenüber den Eltern berichten, werden als sicher klassifiziert, während Befragte, die ihre Beziehung zu den Eltern als durchweg positiv schildern, ohne dies durch konkrete Erlebnisse belegen zu können, als unsicher klassifiziert werden. Drei Typen von Bindungsrepräsentationen (autonom-sicher, unsicherdistanziert, unsicher-verwickelt) entsprechen den Ainsworth-Typen B, A, C (vgl. Tabelle 1). - Tab. 1 -

Rechtfertigen lässt sich der Einsatz dieses extrem aufwendigen Verfahrens vor allem durch die gute Vorhersage des im Fremde-Situation-Test beobachteten Bindungsstils des Kindes durch die AAI-Klassifikation seiner Mutter bzw. seines Vaters. Selbst dann, wenn das AAI vor der Geburt eines Kindes erhoben wurde, so dass sein Ergebnis nicht durch den Bindungsstil dieses Kindes beeinflusst werden konnte, sagt es diesen Bindungsstil gut vorher. van IJzendoorn (1995) fand in einer Metaanalyse derartiger Studien eine Übereinstimmung von 69% zwischen der ABCKlassifikation von Ainsworth et al. und der Klassifikation distanziert-sicher-verwickelt ihrer Eltern nach dem AAI. Wurde der AAI nach der Geburt durchgeführt, war die Übereinstimmung praktisch identisch (70%). Das AAI-Ergebnis wird also nicht durch die Erfahrungen mit dem eigenen Kind verändert. Bei Betrachtung nur der Unterscheidung sicher-unsicher betrug die Übereinstimmung 75%, was einer Korrelation von .47 entspricht.

Worauf beruht dieser überraschend starke Zusammenhang? Zwar ergab die Metaanalyse von van IJzendoorn (1995) einen Zusammenhang von .34 zwischen der AAI-Diagnose sicher/unsicher und der beobachteten Einfühlsamkeit, aber die Einfühlsamkeit korrelierte in einer weiteren

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Metaaanalyse nur zu .24 mit der Bindungssicherheit des Kindes (De Wolff & van IJzendoorn, 1997), so dass der Zusammenhang zwischen AAI und kindlicher Bindungssicherheit durch die Einfühlsamkeit alleine nicht ausreichend erklärt werden konnte (unvollständige Mediation). van IJzendoorn (1995) sprach deshalb von einer Transmissionslücke zwischen elterlichem Bindungsmodell und kindlicher Bindungsqualität.

Familiäre Merkmale, die Vater und Mutter teilen, z. B. soziale Schicht, kommen zur Erklärung nicht in Betracht, weil die AAI-Klassifikation nur wenig konsistent zwischen Vater und Mutter ist (van IJzendoorn, 1995). Es scheint weitere Persönlichkeitseigenschaften der Eltern zu geben, die durch das AAI erfasst werden und von ihrer Einfühlsamkeit unabhängig sind, wohl aber die Art der Bindung ihres Kindes an sie beeinflussen. Genetische Merkmale, die von den Eltern und ihren Kindern geteilt werden, kommen hierfür kaum in Betracht, weil Dozier, Stovall, Albus und Bates (2001) in einer Studie von Adoptivfamilien fanden, dass das elterliche Bindungsmodell und die Bindungsqualität ihrer (genetisch nichtverwandten) Adoptivkinder ähnlich eng zusammenhingen wie in Studien von Eltern genetisch verwandter Kinder, und Zwillingsstudien nur wenig Hinweise auf einen genetischen Einfluss auf die Bindungssicherheit erbrachten (Bokhorst, Bakermans-Kranenburg, Fearon, van IJzendoorn, Fonagy & Schuengel, 2003).

Auch wenn die Transmissionslücke noch nicht geschlossen werden konnte, sprechen diese Ergebnisse für eine hohe Validität des Ansatzes von Main und Mitarbeitern zur Erfassung von Bindungsrepräsentationen im Erwachsenenalter. Hierzu hat sicherlich beigetragen, dass Main et al. (1985) das AAI für Eltern von Kindern entwickelten, deren Bindungsstil den Autoren bereits bekannt war und sie deshalb Konsistenzen zwischen Interview und kindlichem Bindungsstil zur

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Optimierung des Interviewverfahrens nutzen konnten. Die von ihnen berichtete Übereinstimmung zwischen elterlichem und kindlichem Bindungsstil war deshalb deutlich überhöht, verzerrte aber die Metaanalyse von van IJzendoorn (1995) nur minimal.

2.2.2 Selbstbeurteilter Bindungsstil. Meistens werden jedoch Bindungsstile im Erwachsenenalter in einer gänzlich anderen Forschungstradition untersucht, die von Hazan und Shaver (1987) begründet wurde und sich auf Selbstbeurteilungen des Bindungsstils verlässt. In einer ersten Studie forderten Hazan und Shaver (1987) Zeitungsleser auf, 95 Fragen zu ihrer wichtigsten Liebesbeziehung zu beantworten. Darunter befanden sich auch Kurzbeschreibungen einer sicheren, einer ängstlich-ambivalenten und einer vermeidenden Beziehung. Die Leser sollten ankreuzen, welcher der drei Bindungsstile sie hinsichtlich ihrer wichtigsten Liebesbeziehung am besten charakterisiert.

56% der Antwortenden beschrieben sich als sicher, 25% als vermeidend und 19% als ängstlichambivalent, was in etwa den Verteilungen der entsprechenden Stile im frühen Kindesalter und beim AAI in nichtklinischen Stichproben entspricht. Andere Beurteilungen der Beziehung bestätigten die Bedeutung dieser Klassifikation; so erhielten sichere Beziehungen höhere Urteile in "Vertrauen in den Partner", ängstlich-ambivalente höhere in "Eifersucht" und vermeidende höhere in "Furcht vor Nähe".

Bartholomew (1990) entwickelte diesen Ansatz weiter, indem sie den vermeidenden Stil in einen abweisenden ("dismissing") und einen ängstlichen ("fearful") Stil differenzierte und den ängstlich-ambivalenten Stil als besitzergreifend ("preoccupied") bezeichnete (vgl. Abb. 2a).

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Tatsächlich zeigt eine genauere Analyse des Konzepts des vermeidenden Bindungsstils von Hazan und Shaver (1987), dass es eine Mischung eines abweisenden und eines eher unsicherängstlichen Stils darstellt. Dabei verallgemeinerte Bartholomew gleichzeitig das Konzept des Bindungsstils in Partnerbeziehungen auf beliebige Beziehungen (vgl. Tabelle 2). - Abb. 2, Tab. 2 -

Bartholomew (1990) nahm an, dass die Differenzierung in einen abweisenden und einen ängstlichen Bindungsstil verschiedene Lösungen eines emotionalen Konfliktes mit zentralen Bezugspersonen (z. B. der Mutter) darstellt. Abweisendes oder distanziertes Verhalten der Bezugsperson führe zur Ausbildung eines negativen Fremdbildes. Beim ängstlichen Bindungstyp führe das ständig frustrierte Bedürfnis nach Nähe zu der Überzeugung, wenig liebenswert zu sein, und damit zu einem negativen Selbstbild. Der abweisende Bindungstyp sei dagegen durch eine Unterdrückung des Bedürfnisses nach Nähe gekennzeichnet, welche die Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes erlaube. Der besitzergreifende Bindungstyp sei bestrebt, ein negatives Selbstbild durch Gewinnung der Anerkennung anderer zu korrigieren, die in einem positiven Licht gesehen werden. Alle diese drei Bindungsstile charakterisierten eine unsichere Bindung, weil entweder Selbst- oder Fremdbild negativ seien. Der häufigste Fall, eine sichere Bindung, sei durch ein positives Selbst- und Fremdbild gekennzeichnet (vgl. Abb. 2a).

Dieses zweidimensionale Modell lässt sich jedoch nur dann empirisch stützen, wenn der Bindungsstil wie bei Bartholomew und Horowitz (1991) durch ein Interviewverfahren erfasst wird. Wird er durch direkte Selbstbeurteilung erhoben, bilden zwar sichere und ängstliche Bindung Gegensatzpole, nicht aber besitzergreifende und abweisende Bindung. Vielmehr sind

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diese beiden Stile unkorreliert und korrelieren mittelstark positiv mit ängstlicher Bindung (Asendorpf, Banse, Wilpers & Neyer, 1997; Doll, Mentz & Witte, 1995; vgl. Abbildung 2b). Die drei unsicheren Stile bilden also einen fächerartigen Gegenpol zu sicherer Bindung.

Empirisch spricht dies für eine primäre Dimension der Bindungssicherheit und eine sekundäre Dimension der Bindungsabhängigkeit (die gestrichelten Linien in Abb. 2a) , wobei Bindungsabhängigkeit lediglich im Bereich unsicherer Bindung zwischen abweisender und besitzergreifender Bindung differenziert, nicht aber unterschiedliche Bindungsstile im Bereich sicherer Bindung (Asendorpf & Banse, 2000). Diese hierarchische Sicht lässt sich nicht ausreichend durch ein zweifaktorielles lineares Modell beschreiben und deutet damit eine Grenze linearer Modelle zur Beschreibung von Bindungsstilen an.

Trotzdem hat sich in der bisherigen Forschung zu selbstberichteten Bindungsstilen ein zweidimensionales lineares Modell mit den Dimensionen Bindungsängstlichkeit und Bindungsvermeidung (attachment anxiety - attachment avoidance) durchgesetzt (vgl. Abb. 2a), operationalisiert durch die Experiences in Close Relationships Scale (ECR; Brennan, Clark & Shaver, 1998; deutsche Version von Neumann, Rohmann & Bierhoff, 2007) oder deren revidierte Form ECR-R (Fraley, Waller & Brennan, 2000; deutsche Version von Ehrenthal, Dinger, Lamla, Funken & Schauenburg, 2009). Diese auf faktorenanalytischen Untersuchungen großer Itempools beruhenden Skalen entsprechen ziemlich genau den Dimensionen negatives Selbstbild bzw. negatives Fremdbild im Modell von Bartholomew (1990) (vgl. Abb. 2a). Das Problem dieser Skalen ist jedoch, dass sie die primäre Dimension der Bindungssicherheit nicht direkt erfassen, sondern nur indirekt als Abwesenheit von Ängstlichkeit und Vermeidung (vgl. zu

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einer kritischen Diskussion Mikulincer & Shaver, 2007, S. 97-99). Zudem korrelieren die beiden Skalen in nichtstudentischen Stichproben deutlich negativ, so dass bei getrennten Analysen ihrer externen Validität ihre diskriminante Validität oft höher scheint als sie in Wirklichkeit ist.

2.3 Ein Modell der Bindungsaktivierung Die hier und auch von Mikulincer und Shaver (2007) präferierte hierarchische Sicht von Bindungssicherheit und Bindungsvermeidung bzw. Bindungsabhängigkeit ist gut vereinbar mit dem Modell der Bindungsaktivierung von Mikulincer und Shaver (2003) (vgl. Abbildung 3). - Abb. 3 -

Das Modell besteht aus drei Modulen. Das erste Modul überwacht das aktuelle Verhalten, z. B. Erkunden einer unbekannten Umgebung, indem ständig nach Hinweisreizen für drohende Gefahren gesucht wird. Werden solche entdeckt, wird das Bindungssystem aktiviert und die Suche nach einer sicherheitsspendenden Bezugsperson eingeleitet. Die Autoren nehmen an, dass im Erwachsenenalter reale Bezugspersonen auch durch innere Arbeitsmodelle solcher Bezugspersonen ersetzt werden können, deren Aktivierung ebenfalls Schutz und Sicherheit spenden kann. In diesem Fall werde die physische Nähe durch symbolische Nähe ersetzt, z. B. indem man an den Partner denkt.

Das zweite Modul in diesem Modell entscheidet, ob die aktuelle Situation sicher ist oder nicht, indem geprüft wird, ob eine reale oder symbolische Bezugsperson erreichbar und zugänglich ist, also (symbolisch oder real) aufmerksam und responsiv auf die eigenen Bedürfnisse eingeht. Wenn ja, werden sicherheitsbasierte Strategien eingeleitet, die vom Gefühl der Sicherheit

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begleitet sin...


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