Fall 5 Stereoanlage -Lösung PDF

Title Fall 5 Stereoanlage -Lösung
Course Verwaltungsrecht II mit integrierter Abschlussklausur zur Fortgeschrittenenübung
Institution Universität Regensburg
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Sommersemester...


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FAKULTÄT RECHTSWISSENSCHAFT

Lehrstuhl für Öffentliches Recht insbesondere Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht Verwaltungsrecht II SS 2015

Prof. Dr. Gerrit Manssen

Lösungshinweise Übungsfall „Stereoanlage“ Es handelt sich nicht um eine Musterlösung, sondern um Hinweise zu den wesentlichen Problemen. Die Hinweise beachten daher nicht den Gutachtenstil, der in einer Klausur einzuhalten ist Ausgangsfall Erfolgsaussichten einer Klage des A A. Sachurteilsvoraussetzungen I.

Verwaltungsrechtsweg Bereits die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist problematisch. Zwar liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit (entscheidende Normen aus dem PAG sind öffentlich-rechtliche Vorschriften) nicht verfassungsrechtlicher Art vor. Jedoch steht die abdrängende Sonderzuweisung des § 40 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 VwGO im Raum. Demnach ist für vermögensrechtliche Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung der ordentliche Rechtsweg gegeben. Mit der Sicherstellung und Inbesitznahme 1 einer Sache durch die Polizei entsteht gem. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 PAG ein Verwahrungsverhältnis. -

Nach einer Auffassung fällt auch der Anspruch auf Herausgabe der polizeilich sichergestellten Sache unter den Begriff der „vermögensrechtlichen

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Vgl. Schmidbauer, in: ders./Steiner, PAG, 3. Aufl. 2011, Art. 26 Rn. 2: „Dazu nimmt der Polizeibeamte die Sache an sich und bringt sie auf die Dienststelle.“

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Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung“, so dass der Anspruch vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen ist.2 -

Nach einer anderen Auffassung steht der Anspruch aus dem Verwahrungsverhältnis in Konkurrenz zum allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch, für den wiederum der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Folglich soll der Kläger zwischen den Rechtswegen wählen können.3

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Außerdem wird – ohne nähere Begründung – vertreten, dass der Herausgabeanspruch bei polizeilicher Verwahrung unabhängig vom Verwahrungsverhältnis bestehe und somit kein Anspruch aus Verwahrung i. S. d. § 40 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 VwGO sei.4

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Unabhängig von der Verortung des Herausgabeanspruchs erfasst jedoch die abdrängende Sonderzuweisung des § 40 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 VwGO nach überzeugender Auffassung Herausgabeansprüche überhaupt nicht. Diese sind nicht „vermögensrechtlich“. Der Begriff ist im Kontext der anderen Varianten des § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO eng zu verstehen und erfasst nur Ansprüche auf Zahlung eines Geldbetrages. Denn auch die Ansprüche aus Aufopferung (Var. 1) und Schadensersatz (Var. 3) betreffen Ersatzleistungen. Für eine weite Auslegung des Begriffs „vermögensrechtlich“ gibt es keinen Grund, da eine Zuständigkeitskonzentration bei den Zivilgerichten ohnehin nicht zu erreichen ist. Grund für die Abdrängung von Streitigkeiten aus Verwahrung ist die Konkurrenz mit Amtshaftungsansprüchen, für die der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist. Auf „Primärebene“, wenn es also um die Herausgabe selbst geht, besteht diese Konkurrenzverhältnis nicht. Außerdem lässt sich nur so ein „gespaltener Rechtsweg“ (Verwahrung – Folgenbeseitigung) vermeiden.5

Nach überzeugender Ansicht ist die abdrängende Sonderzuweisung des § 40 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 VwGO daher nicht gegeben und der Verwaltungsrechtsweg bleibt eröffnet.

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Gallwas, in: ders./Wolff, Bayerisches Polizeirecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 719. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 40 Rn 64 dort in Fn. 345 m. w. N. 4 Schmidbauer, in: ders./Steiner, PAG, 3. Aufl. 2011, Art. 28 Rn. 10. 5 Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 40 Rn. 538 m. w. N. auch zur a. A., die wohl überwiegt.

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Hinweis: Dieser „Streit“ wird im Rahmen der Sicherstellung als solcher nicht geführt. Vielmehr stehen die Literaturauffassungen nebeneinander, ohne aufeinander einzugehen. Völlig unvertretbar ist die Behauptung von Honnacker/Beinhofer, PAG, 19. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 4, der Herausgabeanspruch gehöre vor die Verwaltungsgerichte, da das Verwahrungsverhältnis öffentlichrechtlich sei. – Jedes Verwahrungsverhältnis i. S. d. § 40 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 VwGO ist öffentlich-rechtlich; anderenfalls bedürfte es keiner abdrängenden Sonderzuweisung. Die Examensrelevanz des Problems sollte nicht überschätzt werden. In der 8. Klausur aus der ZJS 2005/I, abgedruckt in BayVBl. 2010, 93/123, wird auf § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO überhaupt nicht eingegangen (vgl. BayVBl. 2010, 123 (127)).6 Nicht eingegangen werden darf auf das Problem, wenn es dem Kläger überhaupt nicht um Herausgabe geht. Das kann der Fall sein, wenn die Sache bereits herausgegeben wurde und der Kläger nun Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sicherstellung begehrt;7 § 40 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 VwGO greift dann schon dem Wortlaut nach nicht. Klagen wegen Beschädigung der verwahren Sache gehören wiederum als Geltendmachung „vermögensrechtlicher Ansprüche aus Verwahrung“ vor die Zivilgerichte; in diesem Fall erfüllt die abdrängende Zuweisung auch ihren Zweck, konkurrierende Amtshaftungs- und Verwahrungsansprüche demselben Rechtsweg zu unterstellen.

II.

Zulässigkeit 1. Statthafte Klageart Das klägerische Begehren (§ 88 VwGO) geht auf Herausgabe der Stereoanlage. Es kommt daher eine allgemeine Leistungsklage auf Herausgabe der Anlage in Betracht, da es sich bei der Herausgabe um einen Realakt handelt.8

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Ohne Hinweis auf das Problem auch Weber/Köppert, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 2010, Rn. 179. So z. B. ZJS 2002/II/10, BayVBl. 2007, 123. 8 Dafür offenbar Honnacker/Beinhofer, PAG, 19. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 4. 7

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Jedoch ist zu beachten, dass die Sicherstellungsanordnung – ein Verwaltungsakt i. S. v. Art. 35 S. 1 BayVwVfG – das Verwahrungsverhältnis begründet hat. Sie hat sich auch nicht durch Inbesitznahme der Anlage erledigt, da sie gleichsam das Verwahrungsverhältnis aufrecht erhält. Zur Beseitigung dieses „Rechtsgrunds für das Behaltendürfen“9 ist die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO statthaft.10 Die Herausgabe kann mit einem Antrag nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO verfolgt werden.11 Hinweis: Die Einordnung des § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist umstritten. Manche sehen darin einen unselbständigen Annexantrag, die h. M. einen privilegierten Fall der objektiven Klagehäufung. Dieser Streit ist unerheblich, da nach beiden Auffassungen nur die Statthaftigkeit des Antrags, nicht aber etwaige weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen (vor allem nicht die Klagebefugnis!) geprüft werden müssen.12 2. Klagebefugnis Als Adressat der belastenden Sicherstellungsanordnung ist A jedenfalls in Art. 2 Abs. 1 GG betroffen und daher klagebefugt. 3. Vorverfahren (entfällt gem. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Art. 15 Abs. 2 AGVwGO) 4. Frist (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO; beachte § 58 Abs. 2 VwGO) 5. Form (§§ 81 f. VwGO) 6. Beteiligte a) Kläger (§§ 63 Nr. 1 VwGO , 61 Nr. 1 Alt. 1, 62 Abs. 1 Nr. 1)

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Weber/Köppert, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 2010, Rn. 179; dieser aus dem Bereicherungsrecht stammende Begriff illustriert die Funktion der Sicherstellungsanordnung. 10 Ebenso ZJS 2005/I/8, BayVBl. 2010, 123 (127). 11 Vgl. Kopp/Schenke, § 113 Rn. 80 ff.; ZJS 2005/I/8, BayVBl. 2010, 123 (127); Weber/Köppert, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 2010, Rn. 179. 12 Pragmatisch und m. N. zu beiden Auffassungen Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 2012, Rn. 1227.

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b) Beklagter (§§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, Art. 1 Abs. 2 POG13, §§ 63 Nr. 2, 61 Nr. 1 Alt. 2, 62 Abs. 3 VwGO, Art. 16 AGVwGO, § 3 Abs. 2 Satz 6 LABV) III.

Gerichtszuständigkeit (gegeben; §§ 45, 52 Nr. 3 VwGO, Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 AGVwGO)14

B. Begründetheit I.

Anfechtungsantrag Der Anfechtungsantrag ist gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO begründet, soweit die Sicherstellung rechtswidrig ist und den A in seinen Rechten verletzt. 1. Rechtmäßigkeit der Sicherstellung a) Ursprüngliche Rechtmäßigkeit (1) Rechtsgrundlage Rechtsgrundlage für die Sicherstellung ist Art. 25 PAG. (2) Formelle Rechtmäßigkeit (a) POM Schneizlbauer stellte die Sache sicher, um einen Verstoß gegen das Bayerische Feiertagsgesetz zu unterbinden, und handelte somit zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Art. 2 Abs. 1 PAG. Hinweis: Teilweise wird bereits bei Art. 2 Abs. 1 PAG die Gefahr „durchgeprüft“. Das führt allerdings zu einer weitgehenden Verlagerung der materiellen Probleme in die Zuständigkeit; die Prüfung wird „kopflastig“. Schon aus prüfungsästhetischen Gründen bietet sich daher an, auf den Zweck des polizeilichen Tätigwerdens abzustellen.15 Am Sonntag ist eine Gefahrenabwehr durch andere Behörden, insb. die Gemeinde als Sicherheitsbehörde (Art. 6 LStVG),

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§ 78 Abs. 1 VwGO kann auch als „Passivlegitimation“ zu Beginn der Begründetheit geprüft werden. Wegen § 83 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 GVG keine Zulässigkeitsvoraussetzung. 15 Ähnlich Heckmann, in: Becker/Heckmann/Kempen/Manssen, Öffentliches Recht in Bayern, 5. Aufl. 2011, S. 271; dort auch zum antiquierten sog. „bayerischen Aufbau“. 14

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mangels vorgehaltenen Personals nicht möglich, so dass auch Art. 3 PAG gewahrt wird. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus Art. 3 Abs. 1 POG. (b) POM Schneizlbauer hat A gem. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört. Dass keine Bescheinigung nach Art. 26

Abs. 2 Satz 1

BayVwVfG ausgestellt wurde, berührt als bloße Ordnungsvorschrift die Rechtmäßigkeit der Sicherstellung nicht.16 (3) Materielle Rechtmäßigkeit (a) Gem. Art. 25 Nr. 1 PAG ist die Sicherstellung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr (für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung) zulässig. Das Abspielen von lauter Musik könnte die öffentliche Sicherheit schädigen, indem es die Rechtsordnung verletzt. In Betracht kommt ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 FTG. Das laute Abspielen von Musik in seiner Wohnung, nimmt A eine vermeidbare lärmerzeugende Handlung in der Nähe einer Kirche vor. Dies geschieht während der ortsüblichen Zeit des Hauptgottesdientes und stört die Ostermesse, da die Musik noch in der Kirche zu hören ist. A verstößt also gegen Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 FTG; eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt damit vor. Hinweis: Klausuren, in denen es um das Bayerische Feiertagsgesetz geht, lassen sich um verfassungsrechtliche Probleme anreichern. Der Betroffene wird dann vortragen, durch die Verbote des Gesetzes in seinen Grundrechten verletzt zu sein. Für die gesetzlichen Regelungen streiten – als in der Verhältnismäßigkeit zu prüfende Abwägungsgesichtspunkte – vor allem Art. 140 GG, Art. 139 WRV, Art. 147 BV. Eine – kurze – Problemerörterung ist auch ohne Hinweise im Sachverhalt unschädlich; es 16

Schmidbauer, in: ders./Steiner, PAG, 3. Aufl. 2011, Art. 26 Rn. 9.

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müsste dann die Verfassungsmäßigkeit des Art. 2 Abs. 2 FTG diskutiert werden. Da das schädigende Ereignis bereits begonnen hat, ist die Gefahr gegenwärtig.17 (b) Die Sicherstellung ist auch ermessensfehlerfrei ergangen, § 114 Satz 1 VwGO, Art. 5 PAG. Insbesondere wurde die Maßnahmen an den richtigen Adressaten – nämlich A als Handlungsstörer, Art. 7 PAG Abs. 1 – gerichtet. Auch wahrt die Anordnung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens, da sie nicht unverhältnismäßig ist, Art. 4 PAG. Dem A wurde nämlich Gelegenheit gegeben, durch Schließen des Fensters oder Senken der Lautstärke, die Sicherstellung zu vermeiden. Hinweis: Ermessen, Störerauswahl und Verhältnismäßigkeit können auch als eigenständige Punkte oder unter dem Sammelposten „Polizeiliche Handlungsgrundsätze“ geprüft werden. b) Aktuelle Rechtmäßigkeit Die Sicherstellung könnte aber rechtswidrig geworden sein. (1) Maßgeblicher Zeitpunkt Für die gerichtliche Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts ist nach h. M. grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich.18 Änderungen der Sach- und Rechtslage nach diesem Zeitpunkt sind grundsätzlich unbeachtlich. Bei Dauerverwaltungsakten wird in Ausnahme von dem Grundsatz aber auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt, wenn der Kläger die Aufhebung ex nunc begehrt.

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Schmidbauer, in: ders./Steiner, PAG, 3. Aufl. 2011, Art. 25 Rn. 10. Vgl. Decker, in: Posser/Wolff, Beck-OK VwGO, Rn. 22.

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Hinweis: Die Details zum Beurteilungszeitpunkt sind sehr umstritten.19 Anerkannt ist aber, dass bei der – klausurrelvanten – Konstellation des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung („Dauerverwaltungsakt“) auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. § 103 VwGO) abgestellt werden kann. Das BVerwG hat in einer aktuellen Entscheidung aber klargestellt, dass der Zeitraum letztlich vom Antrag des Klägers abhängt. Beantragt dieser eine Aufhebung ex nunc, kommt es nur auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an; für einen Aufhebungsantrag ex tunc bzw. ab einem gewissen Zeitpunkt in der Vergangenheit ist aber der jeweils vom Kläger gewählte Zeitpunkt maßgeblich.20 Die Sicherstellung ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da sie das Verwahrungsverhältnis über den gesamten Verwahrungszeitraum aufrecht erhält.21 Da A die Aufhebung ex nunc begehrt – allein das ist für sein primäre Ziel, die Herausgabe der Stereoanlage, sinnvoll – ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung für die Beurteilung von Rechtmäßigkeit und Rechtsverletzung maßgeblich. (2) Nachträgliche Unzuständigkeit Die Sicherstellung könnte rechtswidrig geworden sein, weil die polizeiliche Zuständigkeit erloschen ist. Gem. Art. 3 PAG ist die Polizei nur zuständig, soweit die Abwehr der Gefahr durch eine andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Sind am Wochenende und an Feiertagen die Sicherheitsbehörden i. S. d. Art. 6 LStVG aufgrund fehlender organisatorischer Voraussetzungen22 nicht in der Lage, die Gefahr abzuwehren, so gilt dies nicht an Werktagen, an denen etwa in der Gemeinde Personal verfügbar ist. Am Ostersonntag und -montag war daher eine Gefahrenabwehr durch die Sicherheitsbehörden nicht möglich. Jedoch hätte am 19

Vgl. nur die Darstellung bei Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 113 Rn. 29 ff. BVerwG, Beschl. v. 5.1.2012, NVwZ 2012, 510 (511). 21 Koehl, BayVBl. 2008, 365; Weber/Köppert, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 2010, Rn. 179; VGH BW, Urt. v. 17.7.2000, 1 S 1862/99 – zit. nach juris. 22 Vgl. Honnacker/Beinhofer, PAG, 19. Aufl. 2009, Art. 3 Rn. 6. 20

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Dienstag die Behörde eine eigene Sicherstellungsanordnung gestützt auf Art. 7 Abs. 2 LStVG treffen können. Sie wäre also in der Lage gewesen, die (vermeintliche) Gefahr durch eigene Maßnahmen abzuwehren (Art. 7 Abs. 2 LStVG) oder die Polizei anzuweisen, die Sache weiter zu verwahren (Art. 9 Abs. 2 POG). Die Polizei wurde somit am Dienstag unzuständig, da der Gefahrenabwehr durch andere Behörden nichts im Wege stand. Somit wurde die Sicherstellungsanordnung formell rechtswidrig. Hinweis: Vgl. zu ebendiesem Problem ausführlich und mit guten Argumenten Koehl, BayVBl. 2008, 365 ff. Er weist zutreffend darauf hin, dass Art. 3 PAG weder in Rechtsprechung noch Literatur im Zusammenhang mit dem Rechtswidrigwerden der polizeilichen Sicherstellungsanordnung thematisiert wird. In der Tat scheint diese Annahme praxisfern; sie entspricht aber dem Wortlaut und Telos des Art. 3 PAG, der eine subsidiäre Zuständigkeit der Polizei bezweckt. (3) Wegfall der gegenwärtigen Gefahr Die Sicherstellung könnte überdies materiell rechtswidrig geworden sein, indem die gegenwärtige Gefahrensituation (Art. 25 Nr. 1 PAG) weggefallen ist. Eine Störung des Hauptgottesdients durch lautes Abspielen von Musik ist gem. Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 FTG nur an Sonn- und Feiertagen verboten. Spätestens am Dienstag konnte also die Verwendung der Stereoanlage nicht mehr zu einer Verletzung der Rechtsordnung führen. Zwar ist nicht auszuschließen, dass A auch künftig (etwa am nächsten Sonntag) die Stereoanlage verwendet, um rechtswidrige Handlungen vorzunehmen. Bei dieser Prognosebetrachtung handelt es sich aber nicht mehr um eine gegenwärtige Gefahr. Eine solche liegt nur vor, wenn der das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder sein Eintritt unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer

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an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht.23 Der einmalige Rechtsverstoß des A lässt den Schluss auf eine solche Wahrscheinlichkeit aber nicht zu. Vielmehr kann A das Gerät auch in rechtmäßiger Weise nutzen. Hinweis: Anders ist die Situation zu beurteilen, wenn der sichergestellte Gegenstand ausschließlich in rechtswidriger Weise verwendet werden kann. Eine ähnliche Argumentation – die aber auf den objektivierten Willen des Betroffenen abstellt – findet sich zum Radarwarngerät bei BayVGH, Beschl. v. 13.11.2007, BayVBl. 2008, 377 f. Die von Art. 25 Nr. 1 PAG vorausgesetzte gegenwärtige Gefahrensituation besteht damit im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr, so dass die Sicherstellung auch materiell rechtswidrig geworden ist. Allgemeiner Hinweis: Bei der Nichterfüllung bzw. dem Wegfall einer Tatbestandsvoraussetzung erübrigt sich ein Eingehen auf das Ermessen. Natürlich ist eine Maßnahme auch unverhältnismäßig, wenn die Gefahr nicht mehr besteht (ausdrücklich Art. 4 Abs. 3 PAG); jede Erörterung dazu wäre jedoch systematisch verfehlt, da eine Ermessensprüfung ohne Rechtsgrundlage keinen Sinn ergibt. Ausführungen sind allenfalls hilfsgutachtlich möglich. 2. Rechtsverletzung Die rechtswidrige Sicherstellung verletzt A in seinem Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 GG, Art. 103).24 3. Ergebnis Die Sicherstellung ist rechtswidrig und rechtsverletzend, der Anfechtungsantrag daher begründet.

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Schmidbauer, in: ders./Steiner, PAG, 3. Aufl. 2011, Art. 11 Rn. 47. Schmidbauer, in: ders./Steiner, PAG, 3. Aufl. 2011, Art. 25 Rn. 38.

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II.

Leistungsantrag Der Leistungsantrag ist begründet, wenn A einen Anspruch auf Herausgabe der Stereoanlage hat. 1. Anspruch aus Art. 28 Abs. 1 PAG Ein solcher ergibt sich aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 PAG, da die Voraussetzungen der Sicherstellung weggefallen sind. 2. Allgemeiner Folgenbeseitigungsanspruch Umstritten ist, ob der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch 25 neben Art. 28 Abs. 1 PAG anwendbar ist. Gegen Idealkonkurrenz spricht die – im Ergebnis – richterrechtliche Begründung26 des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs sowie die Spezialität27 des Art. 28 Abs. 1 PAG.28 Der Streit kann letztlich dahinstehen, da der Besitzentzug eine rechtswidrige Folge eines hoheitlichen Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht darstellt und die Herausgabe der Sache möglich und der Polizei zumutbar ist; die Voraussetzungen des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs wären also erfüllt. Hinweis: Bei idealkonkurrenter Anwendung des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs muss aber ggf. Art. 28 Abs. 3 Satz 3 PAG – das polizeiliche Zurückbehaltungsrecht – analog angewendet werden. Der anderenfalls drohende Leerlauf der Vorschrift, spricht aber schon gegen die Annahme von Idealkonkurrenz.

III.

Ergebnis: begründet

C. Ergebnis: Klage hat Erfolg.

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Vgl. zu diesem Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 2012, Rn. 1201 ff. Vgl. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 2012, Rn. 1204. 27 So zurecht Gallwass, in ders./Wolff, Bayerisches Polizeirecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 719. 28 Für Idealkonkurrenz Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 40 Rn 64 dort in Fn. 345 m. w. N. 26

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Abwandlung: A. Anfechtungsantrag I.

Rechtmäßigkeit der Sicherstellung 1. Rechtsgrundlage, s. o. 2. Formelle Rechtmäßigkeit a) Zuständigkeit, s. o. b) Verfahren Zu denken ist an eine Verletzung der Anhörungspflicht aus Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG; u. U. ist die Anhörung aber schon entbehrlich. Jedenfalls wäre ein Anhörungsfehler nach h.M. mit Klageerhebung gem. Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG geheilt. 3. Materielle Rechtmäßigkeit a) Tatbestand, s. o. b) Ermessen Die Sicherstellung könnte ermessensfehlerhaft i. S. d. § 114 Satz 1 VwGO sein. Das Gericht überprüft demnach den Verwaltungsakt auf Ermessensfehler, d. h. Er...


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