Kurseinheit 03 Skript PDF

Title Kurseinheit 03 Skript
Course Einführung in Mensch-Computer-Interaktion
Institution FernUniversität in Hagen
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Summary

Einführung in Mensch-Computer-InteraktionProf. Dr. Gabriele PetersLehrgebiet Mensch-Computer-InteraktionFernUniversität in HagenWintersemester 2020/150Bildquelle(n): basierend auf einem Foto von Andreas Levers aka 96dpi (Flickr, CC)Wahrnehmung des Menschenam Beispiel des visuellenSystems Kurseinheit...


Description

Einführung in Mensch-Computer-Interaktion Prof. Dr. Gabriele Peters Lehrgebiet Mensch-Computer-Interaktion FernUniversität in Hagen

Wintersemester 2020/21

Einführung in Mensch-Computer-Interaktion Kurseinheit 3 Wahrnehmung des Menschen

Gabriele Peters

2020 FernUniversität in Hagen c Fakultät für Mathematik und Informatik

Alle Rechte vorbehalten

01697-03-WS20/21

Bildquelle(n):

basierend auf einem Foto von Andreas Levers aka 96dpi (Flickr, CC)

Kurseinheit 3 Wahrnehmung des Menschen am Beispiel des visuellen Systems Inhaltsübersicht 3.1

3.2

3.3

Wahrnehmungsprozess, Untersuchungsmethoden

153

3.1.1

Der Wahrnehmungsprozess . . . . . . . . . . . . . . 154

3.1.2

Drei wesentliche, untersuchte Beziehungen . . . . . . 156

Physiologische Grundlagen der Wahrnehmung . .

158

3.2.1

Das Neuron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

3.2.2

Das Aktionspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

3.2.3

Die Synapse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

3.2.4

Das Auge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Prinzipien neuronaler Informationsverarbeitung .

173

3.3.1

Prinzip Konvergenz

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

3.3.2

Prinzip Inhibition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

3.3.3

Prinzip Rezeptives Feld . . . . . . . . . . . . . . . . 182

3.3.4

Organisationsprinzipien neuronaler Verbünde . . . . 193

3.4

Selbsttestaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209

3.5

Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

151

152

KURSEINHEIT 3. WAHRNEHMUNG DES MENSCHEN

Lernziele: Diese Kurseinheit vermittelt Ihnen zunächst physiologische Grundlagen unserer Wahrnehmung wie etwa den Ablauf der Informationsübermittlung zwischen Nervenzellen. Im Hauptteil lernen Sie wichtige Prinzipien der Informationsverarbeitung in biologischen Systemen am Beispiel unseres visuellen Systems kennen, von denen gängige Methoden der Informatik inspiriert wurden. Sie erhalten dabei einen Überblick über den Informationstransfer von Lichtsignalen aus der Umwelt, die von der Netzhaut in zunehmend komplexeren Verarbeitungsschritten in unsere Großhirnrinde transferiert werden und dort in eine koherente Wahrnehmung von Objekten münden. Da jeweils Bezüge zu informatikrelevanten Themen gezogen werden, bildet diese Kurseinheit die Grundlage zum Verständnis der für die Gestaltung von Schnittstellen wichtigen Wahrnehmungsphänomene, die in der nächsten Kurseinheit vorgestellt werden.

zwei gute Gründe

Gebrauchstauglichkeit

Verarbeitungsprinzipien

Wie wir in der letzten Kurseinheit 2 gesehen haben, kann man bei der Betrachtung und Entwicklung interaktiver Systeme grundsätzlich zwei Richtungen des Informationstransfers unterscheiden. Zum einen den Transfer vom Computer zum Menschen, zum anderen den Transfer vom Menschen zum Computer. Aus diesem Grunde gibt es mindestens zwei gute Gründe, sich im Rahmen eines Einführungskurses in Mensch-Computer-Interaktion mit psychologischen und physiologischen Grundlagen der Wahrnehmung des Menschen zu beschäftigen. Der erste besteht darin, diese Grundlagen zu vermitteln, um ein tiefergehendes Verständnis für die Vorgänge zu erlangen, die im Menschen stattfinden, wenn Information aus der Umwelt im Allgemeinen (und von einem Computersystem im Besonderen) an den Menschen übertragen wird. Mit dem Informationstransfer vom Computer zum Menschen befasst sich z.B. das Teilgebiet der Schnittstellengestaltung, auf das wir in Kurseinheit 4 näher eingehen werden. In diesem Zusammenhang ist es natürlich wichtig, Kenntnisse von wahrnehmungspsychologischen Phänomenen zu erwerben, die im Sinne einer optimalen Gebrauchstauglichkeit für die Gestaltung von Schnittstellen relevant sein können. Einige dieser Phänomene werden in der nächsten Kurseinheit 4 vorgestellt. Für ein tiefergehendes Verständnis dieser Phänomene werden in dieser Kurseinheit die Grundlagen gelegt. Während die nächste Kurseinheit sich unter anderem also eher mit Wahrnehmungseffekten und -phänomenen mit direkterem Bezug zur Gebrauchstauglichkeit von Computersystemen beschäftigt, werden in dieser Kurseinheit (hauptsächlich in den Abschnitten 3.1 und 3.2) die Grundlagen für deren Verständnis gelegt. Aber auch für die andere Richtung des Informationstransfers, nämlich vom Menschen - und allgemeiner von der Umwelt - zum Computer, sind Kenntnisse von Prinzipien unserer Wahrnehmung von Bedeutung. Man erwartet von Computersystemen nämlich eine möglichst „intelligente“ Reaktionsweise auf

3.1. WAHRNEHMUNGSPROZESS, UNTERSUCHUNGSMETHODEN 153

Anforderungen von außen sowie eine aktive Wahrnehmung ihrer Umwelt, beispielsweise in Form einer bildbasierten, autonomen Erkennung ihrer Umwelt. Häufig werden dann in der Informatik algorithmische Lösungen von den Prinzipien menschlicher Informationsverarbeitung inspiriert. Die wichtigsten dieser Verarbeitungsprinzipien werden in Abschnitt 3.3 vorgestellt. Teilgebiete, die sich Kenntnisse unseres Wahrnehmungsapparates zunutze machen, sind etwa die künstliche Intelligenz, insbesondere im Bereich der künstlichen neuronalen Netze, aber auch die Bildverarbeitung und das Computersehen. Diese Kurseinheit erfüllt somit zwei Funktionen. Zum einen ist sie im Rahmen eines Einführungskurses in das Themengebiet der Mensch-ComputerInteraktion von direkter Relevanz im Zusammenhang mit der gebrauchstauglichen Gestaltung von Schnittstellen. Zum anderen hat sie vorbereitenden Charakter für weiterführende Kurse zur Entwicklung Interaktiver Systeme, da sie allgemeine Prinzipien der Informationsverarbeitung vorstellt, die in vielen dort zum Einsatz kommenden Methoden der Informatik Verwendung finden. Über die gesamte Kurseinheit hinweg sind Punkte, die für Fragestellungen der Informatik relevant sind - sei es im Hinblick auf Gebrauchstauglichkeit, sei es im Hinblick auf allgemeine Verarbeitungsprinzipien - mit einem Ausrufungszeichen am Rand gekennzeichnet. Die Darstellungen der Abschnitte 3.1 und 3.2 (mit Ausnahme von Unterabschnitt 3.2.4) beziehen sich noch nicht unbedingt auf eine bestimmte Sinnesmodalität. Da es sich beim Sehsinn aber um die wohl besterforschte Modalität handelt, werden die Prinzipien neuronaler Informationsverarbeitung am Beispiel des visuellen Systems vorgestellt. Viele der Darstellungen in dieser Kurseinheit orientieren sich an dem Lehrbuch „Wahrnehmungspsychologie - Der Grundkurs“ von E. Bruce Goldstein in der deutschen Übersetzung [Gol08], dem auch viele der Abbildungen entstammen. Da die Sachverhalte in dieser Kurseinheit nur unvollständig und stark vereinfacht wiedergegeben werden können, ist es empfehlenswert, dieses Lehrbuch hinzuzuziehen, wenn Sie bei weitergehendem Interesse Themen vertiefen möchten, die hier nur angerissen werden können.

3.1

Wahrnehmungsprozess und Untersuchungsmethoden Lernziele: In diesem Abschnitt erhalten Sie einen einführenden Überblick über die einzelnen Stufen eines Wahrnehmungsprozesses, beginnend bei den Stimuli in unserer Umwelt über erste, interne Verarbeitungsprozesse bis hin zu höheren, kognitiven Leistungen unseres Wahrnehmungsapparates. Das Zusammenspiel der einzelnen Verarbeitungsprozesse wird skizziert. Außerdem erfahren Sie, wie typische Experimente gestaltet sind, mit denen die Zusammenhänge zwischen diesen einzelnen Prozessen erforscht werden.

154

KURSEINHEIT 3. WAHRNEHMUNG DES MENSCHEN

Wahrnehmung ist ein komplexer Prozess, der aus mehreren Stufen besteht. Viele dieser Stufen laufen unbewusst ab. Die wesentlichen Vorgänge des Wahrnehmungsprozesses sind in Abbildung 3.1 dargestellt und werden in Abschnitt 3.1.1 näher erläutert. In Abbildung 3.1 sind darüber hinaus drei wesentliche Beziehungen zwischen einzelnen Stufen des Wahrnehmungsprozesses dargestellt, deren Verständnis sich die Wahrnehmungsforschung vornehmlich widmet. Die Erforschung dieser Beziehungen erfordert verschiedene Untersuchungsmethoden. Diese Thematik wird in Abschnitt 3.1.2 detaillierter ausgeführt.

Abbildung 3.1: Schematische Darstellung des Wahrnehmungsprozesses. Mit blauer Farbe ist die Verarbeitung von Stimuli aus der Umwelt gekennzeichnet, türkis bezeichnet interne Verarbeitungsprozesse, und orangefarben sind höhere kognitive Leistungen und Reaktionen gekennzeichnet. Die Beziehungen A, B, und C kennzeichnen wichtige Zusammenhänge zwischen Einzelprozessen, die von der Wahrnehmungsforschung untersucht werden. Dies sind die Zusammenhänge zwischen (A) einem präsentierten Stimulus und der dadurch ausgelösten, empfundenen Wahrnehmung, (B) einem präsentierten Stimulus und den dadurch ausgelösten, neuronalen Abläufen und (C) neuronalen Prozessen und der dadurch ausgelösten, empfundenen Wahrnehmung. (Bild: [Gol08])

3.1.1 verfügbarer Stimulus

Der Wahrnehmungsprozess

Wir wollen unsere Beschreibung des Wahrnehmungsprozesses bei den verfügbaren Stimuli beginnen. Wenn Sie sich beispielsweise vorstellen, an einem Schreibtisch zu sitzen, der mit diversen Gegenständen wie etwa einem Notebook, einigen Papieren, Schreibutensilien, einer Kaffeetasse und dergleichen belegt ist, so sind all diese Gegenstände verfügbare Stimuli, die Sie potenziell wahrnehmen

3.1. WAHRNEHMUNGSPROZESS, UNTERSUCHUNGSMETHODEN 155

können. (In diesem Beispiel handelt es sich zunächst nur um visuelle Stimuli, aber genauso treffen Stimuli aus der Umwelt natürlich auch andere Modalitäten unseres Wahrnehmungssystems wie etwa der Geruch des Kaffees oder die Musik aus dem Radio.) Wenn Sie nun etwa einen Stift auf Ihrem Schreibtisch betrachten, so wird dieser Stift zum beachteten Stimulus, der in den Fokus des Interesses rückt. Je nachdem, wohin Sie Ihre Aufmerksamkeit lenken, kann also ein anderer der verfügbaren Stimuli zum beachteten Stimulus werden. Das Abbild des Stiftes fällt nun auf die Retina Ihrer Augen, einer Zellschicht, mit der die Rückseiten Ihrer Augen ausgekleidet sind. Sie besteht aus lichtempfindlichen Rezeptoren und anderen Neuronen (siehe Abschnitt 3.2.4). Der Stimulus (d.h. der Stift) wird an diesem Punkt des Wahrnehmungsprozesses also in ein Abbild auf der Retina transformiert und trifft auf die Rezeptoren. An diesen Rezeptoren vollzieht sich nun der nächste Schritt des Wahrnehmungsprozesses: das Lichtmuster, das vom Stift auf der Retina erzeugt wird, wird in den Rezeptoren in ein physiologisches Signal umgewandelt, genauer in ein elektrisches Signal. Dieser Vorgang, also die Umwandlung eines äußeren Reizes in der Umwelt (hier: Lichtenergie) in ein physiologisches Signal (d.h. elektrische Energie) wird Transduktion genannt. Diese elektrischen Signale wiederum aktivieren im Zuge der neuronalen Verarbeitung andere Neurone, und zwar zunächst auf dem Weg vom Auge zum Gehirn, aber dann auch bei der weiteren Verarbeitung innerhalb des Gehirns. Diese Verarbeitung erzeugt dann die eigentliche Wahrnehmung. Wahrnehmung bezeichnet die bewusste, sensorische Erfahrung [Gol08]. Sie „sehen“ bewusst den Stift auf Ihrem Schreibtisch. Die beiden nächsten Schritte des Wahrnehmungsprozesses, der in Abbildung 3.1 dargestellt ist, nämlich Erkennen und Handlung, gehören genau genommen nicht mehr zum reinen Wahrnehmungsprozess, viel eher können sie als Ergebnisse der Wahrnehmung betrachtet werden.1 Laut [Gol08] ist Erkennen die Fähigkeit, ein Objekt in eine Kategorie einzuordnen. Beispielsweise erkennen Sie an der Form des Stiftes, dass es sich um den Bleistift, den Sie gerade suchen, und nicht um einen Kugelschreiber handelt. Erkennen stellt eine höhere kognitive Leistung dar als die reine Wahrnehmung der Einzelkomponenten eines Objektes. Handlung schließlich wird von vielen Forscherinnen und Forschern als das eigentliche Ziel der Wahrnehmung betrachtet. Hiermit sind motorische Aktivitäten wie das Greifen nach Objekten, das Bewegen des Kopfes oder der Augen in eine bestimmte Richtung oder das Bewegen des Körpers an einen andern Ort (Lokomotion) gemeint. Schließlich, so argumentieren sie, sei die Wahrnehmung im oben geschilderten Sinne nicht Selbstzweck sondern habe die Funktion, das Überleben durch zielgerichtete Bewegungen zu erleichtern, sei es durch das Fangen von Beute oder durch die Flucht vor Feinden [MG95]. Zusätzlich zu der Information, die aus der Umwelt über die Rezeptoren in unser Wahrnehmungssystem gelangt, nutzen wir für den Wahrnehmungsprozess 1

Wenn wir in den folgenden Abschnitten dieser Kurseinheit von Wahrnehmung sprechen, subsumieren wir unter diesem Begriff durchaus auch die Resultate „Erkennen“ und „Handlung“.

beachteter Stimulus

Stimulus an den Rezeptoren

Transduktion neuronale Verarbeitung Wahrnehmung

Erkennen

Handlung

156

Wissen

KURSEINHEIT 3. WAHRNEHMUNG DES MENSCHEN

aber auch Information, die wir selbst in den Prozess einbringen, also bereits vorhandenes Wissen. Dieses geht an verschiedenen Stellen in den Wahrnehmungsprozess ein. Da eine Handlung in der Regel bewirkt, dass neue Stimuli unserer Umwelt in den Fokus unserer Aufmerksamkeit rücken, endet die Darstellung des Wahrnehmungsprozesses in Abbildung 3.1 nicht mit dem Vorgang der Handlung, sondern beginnt an dieser Stelle mit neuen verfügbaren Stimuli von vorn. Allerdings sollte man sich den gesamten Prozess nicht in einer statischen Form ablaufend vorstellen. Vielmehr finden alle Prozesse mehr oder weniger verzahnt oder auch gleichzeitig statt. So werden etwa auch bereits während der neuronalen Verarbeitung neue Stimuli beachtet oder Handlungen ausgeführt etc.

3.1.2

Drei wesentliche, untersuchte Beziehungen

Ein Ziel der Wahrnehmungsforschung besteht darin, Beziehungen zwischen den soeben skizzierten Prozessen der Wahrnehmung möglichst im Detail aufzuklären. Dabei können verschiedene Methoden gewählt werden. Die Wahl der Methode hängt davon ab, welche Beziehung gerade untersucht werden soll. Im Vordergrund des Interesses stehen dabei die drei in Abbildung 3.1 durch A, B und C gekennzeichneten Beziehungen. Stimulus → Wahrnehmung

psychophysische Methode Stimulus → Physiologie

physiologische Methode Physiologie → Wahrnehmung kombinierte Methode

Möchte man untersuchen, welche Zusammenhänge zwischen einem präsentierten Stimulus und der dadurch ausgelösten, empfundenen Wahrnehmung bestehen (Beziehung A in Abbildung 3.1), so kann man beispielsweise einer Probandin zwei ähnliche Farbproben präsentieren und sie anschließend befragen, ob sie einen Unterschied wahrgenommen hat (s. Abbildung 3.2a). Das Gebiet, das eine Art von Messung vornimmt, bei der die Beziehung zwischen Stimulus und Wahrnehmung untersucht wird, wird mit dem Begriff Psychophysik bezeichnet. „Psycho“ steht dabei für die Wahrnehmung, „Physik“ für den Stimulus. Soll untersucht werden, welche Auswirkungen ein präsentierter Stimulus auf die inneren, neuronalen Prozesse hat (Beziehung B in Abbildung 3.1), so kann etwa die elektrische Aktivität im Kortex2 einer Katze gemessen werden, während diese einen optischen Stimulus betrachtet (s. Abbildung 3.2b). Da die neuronalen Abläufe einen physiologischen Vorgang darstellen, wird diese Art von Experiment als physiologische Untersuchung bezeichnet. Möchte man schließlich die Zusammenhänge zwischen neuronalen Prozessen und dadurch ausgelösten, empfundenen Wahrnehmungen erforschen (Beziehung C in Abbildung 3.1), so kann beispielsweise ein Proband berichten, welcher Reiz ihm präsentiert wird, während gleichzeitig seine Gehirnaktivität gemessen wird3 (s. Abbildung 3.2c). Dies entspricht dann einer kombinierten Methode mit psychophysischem und physiologischem Anteil. 2 Der Kortex (oder auch Großhirnrinde) ist die äußere Schicht des Großhirns, die wichtige, funktionelle Zentren wie etwa die primären, sensorischen und motorischen Areale enthält. Der Kortex windet sich in vielen Krümmungen und Faltungen nicht nur auf der von außen sichtbaren Oberfläche des Gehirns, sondern zieht sich zu einem Großteil auch auf die Innenseiten der beiden Großhirnhemisphären. 3 wie etwa mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie, abgekürzt fMRT oder fMRI (für engl. functional magnetic resonance imaging)

3.1. WAHRNEHMUNGSPROZESS, UNTERSUCHUNGSMETHODEN 157

Abbildung 3.2: Typische Experimente, um drei wesentliche Beziehungen zwischen Wahrnehmungsprozessen zu untersuchen. (a) Untersuchte Beziehung zwischen Stimulus und Wahrnehmung. Die Probandin beurteilt zwei Stimuli ähnlicher Farbe. Dies ist ein typisches Experiment der Psychophysik. (b) Untersuchte Beziehung zwischen Stimulus und Physiologie. Die Aktivität eines Neurons im Kortex einer Katze wird in Reaktion auf einen präsentierten Stimulus gemessen. Dies ist ein typisches, physiologisches Experiment. (c) Untersuchte Beziehung zwischen Physiologie und Wahrnehmung. Ein Proband beschreibt seine Wahrnehmung während gleichzeitig die Gehirnaktivität mithilfe eines bildgebenden Verfahrens analysiert wird. Dies ist ein typisches, kombiniertes Experiment mit psychophysischem und physiologischem Anteil. (Bild: [Gol08])

158

KURSEINHEIT 3. WAHRNEHMUNG DES MENSCHEN

3.2

Physiologische Grundlagen der Wahrnehmung Lernziele: In diesem Abschnitt lernen Sie die wichtigsten Bestandteile einer Nervenzelle kennen. Sie erfahren, wie das elementare Ereignis für die Informationsübermittlung in Nervensystemen, das Aktionspotential, abläuft, und welche Eigenschaften es besitzt. Darüber hinaus werden elementare, physiologische Eigenschaften von Schnittstellen zwischen Nervenzellen (Synapsen) vorgestellt, sowie deren Rolle beim Lernen in biologischen Systemen skizziert. Dieser Abschnitt schließt mit Grundlegendem zum Aufbau unserer Augen und zum Farbempfinden ab.

3.2.1

Zellkörper

Das Neuron

Die elementare Einheit unseres Nervensystems ist die Nervenzelle, auch Neuron genannt. Allein das menschliche Gehirn besteht schätzungsweise aus etwa 160 Milliarden Neuronen [Gü09]. Die wichtigsten Hauptregionen eines Neurons sind in Abbildung 3.3 dargestellt und werden im Folgenden näher erläutert. Ein Neuron besteht im Wesentlichen aus den drei Hauptregionen Zellkörper (Soma), Dendriten und Axon. Darüber hinaus ist der Begriff der Synapse wichtig.4 Der Zellkörper enthält die lebenserhaltenden Mechanismen des Neurons, so z.B. auch den Zellkern und die genetische Information.

Dendriten

Die Dendriten sind Verzweigungen aus dem Zellkörper heraus, die Verbindungen zu anderen Neuronen herstellen, um von diesen Information in Form von elektrischen Signalen aufzunehmen. Einzelne Dendriten sind für das Neuron nicht überlebenswichtig; solange nicht zu viele von ihnen sterben, bleibt die Zelle am Leben.

Axon

Das Axon (Nervenfaser) ist die einzige Verzweigung eines Neurons, über die Information an andere Zellen abgegeben wird, ebenfalls in Form von elektrischen Signalen. Ist ein solcher Impuls erst einmal ausgelöst, so läuft er das gesamte Axon ohne Verluste entlang (siehe Abschnitt 3.2.2). Axone sind häufig nur einige Millimeter lang, können aber auch Längen von über einem Meter erreichen, so etwa vom Rückenmark bis in die Zehen.

Synapsen

Axone enden in mehreren Synapsen. Eine einzige Nervenzelle kann bis zu einer halben Million Synapsen mit anderen Nervenzellen bilden. Übliche Werte sind 10.000 bis 20.000 Synapsen pro Neuron. Synapsen sind keine Bestandteile eines Neurons im eigentlichen Sinne, vielmehr werden mit diesem Begriff die Kontaktstellen zwischen einer Nervenzelle und den „nachfolgenden“ Neuronen 4 Rezeptorzellen, wie die oben erwähnten, lichtempfindlichen Zellen in der Retina, stellen eine Spezialform von N...


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