Rechtsphilosophie Grundlagenschein PDF

Title Rechtsphilosophie Grundlagenschein
Author Robin von Paleske
Course Rechtsphilosophie
Institution Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Pages 29
File Size 222.1 KB
File Type PDF
Total Downloads 94
Total Views 138

Summary

Download Rechtsphilosophie Grundlagenschein PDF


Description

Begriff und Geltung des Rechts - Robert Alexy Positivismus • Positivistische Trennungsthese • Recht enthält keine moralischen Elemente • Keine notwendige Verbindung zwischen Recht und Moral • Jeder beliebige Inhalt kann Recht sein (Kelsen) • Bsp.: Nazizeit; Konzentrationslager etc. waren unmoralisch, aber damals rechtens • Angelsächsische Diskussion • Inklusiver Positivismus • Moral als Geltungskriterium möglich, aber nicht zwingend • Exklusiver Positivismus • Wenn man Normen der Moral für die Identifikation geltenden Rechts verwendet (inkorporiert), verlieren sie ihren Moralcharakter. • Recht geht allein aus sozialen Quellen hervor. (Joseph Raz, „sources thesis“) • Kriterien von Recht nach dem Positivismus • Autoritative Gesetztheit und/oder • soziale Wirksamkeit • Primär wirksamkeitsorientierte Rechtsbegriffe (Beobachterperspektive!) • Äußerer Aspekt • Regelmäßigkeit der Befolgung einer Norm und/oder Sanktionierung ihrer Nichtbefolgung, beobachtbare Aspekte • Holmes: Gesetz als bloße Vorhersagung dessen, was die Gerichte tun werden • Weber: Recht als Zwang, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen oder entsprechend zu ahnden • Geiger: Recht wird von besonderen Organisationen gehandhabt und bildet auf Basis eines Sanktionsapparates die soziale Lebensordnung eines Großintegrats (Staats) • Innerer Aspekt • Motivation der Normbefolgung/-anwendung, psychische Aspekte • Bierling: Recht ist alles, was im Zusammenleben als Regel wechselseitig anerkannt wird. • Luhman: Recht als Struktur einer Gesellschaft, die auf generalisierten gegenseitigen Verhaltenserwartungen der Individuen basiert.

1

• Primär setzungsorientierte Rechtsbegriffe (Teilnehmerperspektive!) • Wie werden Normen in dem dafür vorgesehenen Verfahren von den zuständigen Organen gesetzt? • Austin • Jede Norm ist ein Befehl - aber nicht jeder Befehl ist Recht, sondern nur der eines politischen Souveräns, dem gewohnheitsmäßig gehorcht wird (Wirksamkeitsaspekt). • Ein Befehl im Rechtssinne unterscheidet sich von jedem anderen Wunsch im Hinblick auf die Macht und die Aufgabe der befehlenden Partei darin, dass eine Missachtung des Wunsches mit Strafe bedroht ist. • Kelsen • Recht als normative Zwangsordnung, notwendige Voraussetzung hierfür: • Grundnorm. (Die gesetzte Verfassung ist zu befolgen.) Hart • • Recht besteht aus primären und sekundären Normen • Verleihung von Pflichten • Verleihung von Ermächtigungen • rule of recognition: wie Kelsens Grundnorm, jedoch soziales Faktum • Hoerster • stufenförmig strukturierte verbindliche Normenordnung • physischer Zwang • Durchsetzung gegenüber anderen Normenordnungen

Nichtpositivismus • Nichtpositivistische Verbindungsthese • Recht hat moralische Elemente einzuschließen. • Notwendige Verbindung von Recht und Moral • Nicht jeder beliebige Inhalt kann Recht sein. • Kriterien von Recht nach dem Nichtpositivismus • Autoritative Gesetztheit und/oder • soziale Wirksamkeit • und moralische Richtigkeit/Gerechtigkeit • schwache Verbindungsthese • Nur eine qualifizierte Ungerechtigkeit führt zum Verlust der Geltung. • Unerträglichkeitsformel (Teil der Radbruchschen Formel): „Extremes Unrecht ist kein Recht.“ • starke Verbindungsthese • Jede kleinste Ungerechtigkeit führt zum Verlust der Geltung. • Probleme mit Rechtssicherheit • Zuschreibung den Nichtpositivisten durch Positivisten zur pauschalen Entkräftung ihrer Position

2

Differenzierung • rechtsnaturbezogene Unterscheidung zwischen Positivismus und Naturrecht • Bei erheblicher moralischer Unrichtigkeit verliert das Recht seine Rechtsnatur (Kassation). • geltungsbezogene Unterscheidung zwischen Positivismus und Naturrecht • Bei erheblicher moralischer Unrichtigkeit verliert das Recht seine Geltung. • Kreation • positives Recht enthält bereits bestimmte Minimalgehälter von Moral • etwa Transformation extrem dringend gebotener Leistungsrechte in das positive Recht

Praktische Bedeutung • BVerfG • 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz • „Ein Jude verliert die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat.“ • 1968: Entscheidung über die Staatsangehörigkeit eines zur Nazizeit anusgewanderten Juden. • Der Jude soll nie ausgebürgert gewesen sein. • Die 11. Verordnung ist extrem ungerecht und deshalb nicht anwendbar, da der Richter laut Art. 20 Abs. 3 an „Gesetz und Recht“ gebunden ist. • Wertungsfreier Gesetzespositivismus in der juristischen Wissenschaft und Praxis seit längerem überwunden • Nazizeit hat gelehrt, daß auch der Gesetzgeber Unrecht setzen kann • Bundesverfassungsgericht hat Möglichkeit bejaht, nationalsozialistischen ‚Rechts‘-Vorschriften die Geltung als Recht abzuerkennen, weil sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde. • BGH • DDR-Mauerschützen (verhandelt 1992) • Die Handlung des Soldaten war bereits zur Tatzeit als extremes Unrecht zu erkennen und der Richter durfte den Rechtfertigungsgrund nicht anwenden. • Schuss auf Flüchtende eigentlich durch positiven Rechtfertigungsgrund (§ 27 Abs. 2 des Grenzgesetzes) legitimiert, dieser hat sich aber ausnahmsweise allgemeinen Rechtsprinzipien und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterzuordnen. • Ausnahmetatbestand: grober Verstoß gegen Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit • Maßstab: allen Völkern gemeinsame, auf Wert und Würde des Menschen bezogene Rechtsüberzeugungen • äußere Grenze 3

• Juristische Interpretation • Art. 20 Abs. 3: Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. • Gesetz und Recht decken sich grundsätzlich, aber nicht immer. • kein enger Gesetzespositivismus

Argumentation • Analytische Argumente • Aus einer wahren Prämisse wird eine Konklusion gezogen, die aus der Prämisse logisch hervorgeht und folglich auch wahr ist. • Bsp.: (Prämisse) Martin ist Junggeselle. (Konklusion) Martin ist unverheiratet. • Normative Argumente • Basierend auf einem gesellschaftlich anerkannten Denkmuster (Norm) wird eine These aufgestellt. • Basierend auf einer Norm, die besagt, dass ein gewisses Ziel erreicht werden soll (Rechtssicherheit, Probleme gesetzlichen Unrechts lösen), lässt sich die These ableiten, dass das Recht dafür bestimmte Inhalte aufweisen muss, woraus sich eine Argumentation für eine gewisse Definition des Rechts ergibt. • Empirische Argumente • Aus gewissen naturgesetzlichen Gegebenheiten/Beobachtungen folgen Notwendigkeiten hinsichtlich der begrifflichen Definition von Recht. • Ein Rechtssystem, das Grundrechte nicht schützt, hat (erfahrungsgemäß) keine Aussicht auf Bestand. Daraus folgt, dass ein Rechtssystem einen gewissen moralischen Minimalgehalt haben muss, nämlich den Schutz von Grundrechten. Einbettung in ein analytisches Argument: Rechtssysteme müssen dauerhafte • Geltung aufweisen können. Also sind nur Systeme mit dauerhafter Geltung auch Rechtssysteme. (Herstellung von Prämissen durch empirisches Vorgehen, aus denen dann eine Konklusion (Definition für den Rechtsbegriff) geschlossen werden kann. • Einbettung in ein normatives Argument: Basierend auf einer Norm, die besagt, dass ein gewisses Ziel erreicht werden soll, lässt sich die empirische These ableiten, dass das Recht dafür bestimmte Inhalte aufweisen muss, woraus sich eine empirische Argumentation für eine gewisse Definition des Rechts ergibt.

4

Zentrale Begriffe • Autoritative Gesetztheit • Normen oder Normensysteme sind autoritativ gesetzt, wenn sie von einem dafür zuständigen Organ in der dafür vorgesehenen Weise gesetzt worden ist und nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. • Soziale Wirksamkeit • Normen oder Normensysteme ist sozial wirksam, wenn sie entweder befolgt oder ihre Nichtbefolgung sanktioniert wird. Inhaltliche Richtigkeit • • Normen oder Normensysteme sind inhaltlich richtig, wenn sie moralisch gerechtfertigt und begründbar sind (objektiv, als soziales Faktum).

Der begriffliche Rahmen • Geltungsfreie und nicht geltungsfreie Rechtsbegriffe • Nicht geltungsfreier Rechtsbegriff • Begriff der Geltung wird eingeschlossen („ein nicht mehr geltendes Recht […] ist nicht Recht […]“) • Geltungsfreier Rechtsbegriff • Begriff der Geltung wird nicht eingeschlossen (X ist eine Rechtsnorm, aber gilt nicht) • Rechtssysteme als Systeme von Normen und als Systeme von Prozeduren • Normerzeugungssysteme • System der Normsetzung, -begründung, -interpretation, -anwendung und -durchsetzung • Normensysteme • System von Ergebnissen der Normerzeugungsprozeduren • Beobachter- und Teilnehmerperspektive • Beobachterperspektive • Wie wird in einem tatsächlichen Rechtssystem entschieden? • Teilnehmerperspektive • Wie ist in einem Rechtssystem richtig zu entscheiden? (Richterperspektive) • Klassifizierende und qualifizierende Zusammenhänge • Klassifizierender Zusammenhang • Moralisch fehlerhafte Rechtssysteme/Normen sind keine Rechtssysteme/ Normen. • Qualifizierender Zusammenhang • Moralisch fehlerhafte Rechtssysteme/Normen sind rechtlich fehlerhafte Rechtssysteme/Normen • aber kein Verlust von Rechtscharakter oder Rechtsgeltung. • Analytische, normative und empirische Zusammenhänge (s.o.) => 32 Kombinationen, 64 Thesen (rein rechnerisch, davon viele sinnlos) 5

Die Beobachterperspektive • „ausländischer Journalist, der über die Rechtslage im Ausland berichtet“ • kann nur Positivist sein, da er automatisch zum Teilnehmer wird, wenn er nach der Richtigkeit der Entscheidungen fragt • Die Radbruchsche Formel vermag aus der Beobachterperspektive nicht zu überzeugen. • Für einen Beobachter schließt der Rechtsbegriff nicht notwendig moralische Elemente mit ein, denn für ihn ist Recht das, was die Gerichte und Behörden tun, wenn sie sich auf den Wortlaut von ordnungsgemäßen Normen stützen. • Der Satz „A ist nach dem deutschen Recht nicht ausgebürgert, obwohl alle deutschen Gerichte und Behörden A als ausgebürgert behandeln und sich dabei auf den Wortlaut einer Norm stützen, die nach den Geltungskriterien des in Deutschland wirksamen Rechtssystems ordnungsgemäß gesetzt ist“, enthält für den Beobachter einen Widerspruch. • Rechtssysteme • formelle moralische Anforderungen • Fuller: internal morality of law • Rechtsstaatlichkeit, Allgemeinheit des Gesetzes, Publizität, Rückwirkungsverbot • materielle moralische Anforderungen • Höffe: Prinzip kollektiver Sicherheit, Forderung des Verbots von Mord und Totschlag sinnlose Ordnung • • Eine Gruppe von Individuen wird so beherrscht, dass nicht erkennbar und möglich ist, dass die Herrschaft einen bestimmten Zweck verfolgt. • Die Beherrschten haben keine Rechte. Gewaltausübung innerhalb der Herrschergruppe ist erlaubt. • aus begrifflichen Gründen kein Rechtssystem • prädatorische Ordnung • Die Herrschergruppe entwickelt sich zu einer organisierten Bande mit Gewaltverbot und Befehlshierarchie innerhalb der Bande. Der Zweck der Ausbeutung der beherrschten Gruppe wird klar. • • In der Gesamtbetrachtung liegt kein Rechtssystem vor, da die Räuberbanden für sich bereits kleine (Rechts-)ordnungen, Reiche bilden. • Herrscherordnung • Es wird weiterhin ungerecht ausgebeutet. • Es wird aber nach einem höheren Zweck gesucht (etwa Wohl des Volkes), um der Herrschaftspraxis dadurch einen legitimen Eindruck zu verleihen. Ausbeutungen bedürfen fortan eines bestimmten Prozederes und der öffentlichen Rechtfertigung durch die vermeintliche Volkswohllegitimation. • Es ist nicht mehr ausgeschlossen, dieses System als Rechtssystem zu bezeichnen, da es Anspruch auf Richtigkeit erhebt und dies, nach Alexy, ein notwendiges Element des Rechtsbegriffs ist.

6

Die Teilnehmerperspektive Der Teilnehmer nimmt in einem Rechtssystem an einer Argumentation darüber teil, was geboten, verboten und erlaubt ist und zu was es ermächtigt. Er setzt sich mit der Frage auseinander, wie ein Richter zu entscheiden hätte. • Das Richtigkeitsargument • Rechtsnormen und Rechtssysteme erheben einen Anspruch auf Richtigkeit. • Folgende Sätze enthalten demnach einen perfomativen Widerspruch (Äußerung über sich selbst widerspricht dem eigenen Zustand): • X ist eine souveräne, föderale und ungerechte Republik. • Der Angeklagte wird, was eine falsche Interpretation des geltenden Rechts ist, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Man kann dem Richtigkeitsargument zustimmen und dennoch auf der • Trennungsthese beharren. • Der Anspruch auf Richtigkeit begründet nur einen qualifizierenden, nicht aber einen klassifizierenden Zusammenhang. (=> Unrechtsargument) • Der Anspruch auf Richtigkeit ist nur ein Anspruch auf rechtliche Richtigkeit, jedoch nicht auf moralische Richtigkeit. (=> Prinzipienargument) • Das Unrechtsargument (auf klassifizierenden Zusammenhang bezogene Verbindungsthese) • Das Unrechtsargument bezogen auf Einzelnormen • Das Sprachargument • Positivist: Der Nichtpositivist verliert die Möglichkeit, gesetzliches Unrecht auf allgemein verständliche Weise zu kennzeichnen. • Nichtpositivist: Der Begriff „Recht“ kann nicht dahingehend sprachlich festgesetzt werden (nämlich auf den positiven Rechtsbegriff), dass eine Unvereinbarkeit des persönlichen Werturteils über die Norm nicht mehr ausgedrückt werden kann. • Problem: Der Begriff „Recht“ ist nicht eindeutig. Es wird um eine sprachliche Festsetzung (Definition) gestritten. • Das Klarheitsargument • Positivist: Zwecks Vermeidung von beim nichtpositivistischen Rechtsbegriff bestehenden Unklarheiten des Rechtsbegriffs sollte gesagt werden: „Die Norm N ist trotz ihrer extremen Ungerechtigkeit Recht, aber sie sollte aus moralischen Gründen nicht befolgt werden.“ Wenn eine Norm moralisch unrichtig ist, ist das als ethisches Problem zu sehen und nicht als rechtliches. • Nichtpositivist: Der Begriff des Rechts ist komplex, nicht unklar. Eine unmoralische Norm ist auch ein rechtliches Problem, nicht nur ein ethisches, und dementsprechend rechtlich zu behandeln. Dagegen ist nicht mit dem bloßen Argument von begrifflicher Klarheit zu argumentieren, sondern allenfalls mit normativen Argumenten. • Es stellt sich die Frage nach der Konsequenz der extremen Ungerechtigkeit: keine rechtliche Pflicht zur Befolgung der Norm oder keine moralische Pflicht.

7

• Das Effektivitätsargument • Positivist: • Ein nichtpositivistischer Rechtsbegriff vermag nichts gegen gesetzliches Unrecht zu bewirken. • Er erschwert eher die Bekämpfung durch die Gefahr der unkritischen (naiven) Legitimation. Nach Kelsen ist das Recht seinem Wesen nach moralisch. Nach der starken Verbindungsthese ist eine Norm nur dann legal, wenn sie moralisch ist. Wenn sie also legal ist, muss sie zwangsläufig moralisch sein. Eine Norm könnte also durch ihre bloße Legalität (fälschlicherweise, blind) als moralisch eingestuft werden. • Nichtpositivist: • Das Argument der unkritischen Legitimation des Positivisten greift nur bei der starken Verbindungsthese. Nach der schwachen Verbindungsthese können auch unmoralische Normen Recht sein, was eine kritische Haltung gegenüber dem Recht ermöglicht. Unkritische Legitimation oberhalb der Schwelle extremer Ungerechtigkeit ist kaum möglich oder wenigstens schwer, da diese Schwelle aus minimalen moralischen Anforderungen besteht, die durch rationale Begründung mit definiert werden. • Praxiseffekt • Eine Begriffsbildung kann in der Tat die Wirklichkeit nicht ändern. Allerdings kann bei nicht allzu großer Stärke eines etwa gerade aufkeimenden Unrechtsregimes dessen Akten mit einem in der Rechtspraxis verankerten Konsens, der sich auf moralische Minimalgehalte beruft, durch somit juristische Argumentation beigekommen werden. • Risikoeffekt • Wenn in einem Unrechtsregime bereits die überwiegende Akzeptanz eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs besteht, würde ein Teilnehmer bereits die Anwendung oder Befolgung einer Unrechtsnorm so gut es geht vermeiden, da er nach einem Zusammenbruch des Unrechtsregimes für sein Verhalten belangt werden könnte, wenn der Unrechtsnorm der Rechtscharakter abgesprochen wird. • Das Rechtssicherheitsargument • Positivist: Der nichtpositivistische Rechtsbegriff führt zu Rechtsunsicherheit, im schlimmsten Fall zur Anarchie. • Nichtpositivist: Extremes Unrecht ist sicher feststellbar. Je extremer die Ungerechtigkeit, desto sicherer ihre Erkenntnis. Gewisse Einbußen an Rechtssicherheit sind zugunsten der Gerechtigkeit hinzunehmen. • Das Relativismusargument • Positivist: Extremes Unrecht ist nicht objektiv definierbar, sondern ist stets völlig subjektiv und ein Gerechtigkeitsurteil nicht rational begründbar. • Nichtpositivist: Extremes Unrecht ist definier-, da rational begründbar. Zudem sind Menschenrechte weltweit in der supra-, inter- und nationalen Rechtspraxis Tradition und lassen auf einen bestehenden Menschenrechtskonsens schließen.

8

• Das Demokratieargument • Positivist: Der nichtpositivistische Rechtsbegriff eröffnet die Möglichkeit, dass sich Richter unter Berufung auf die Gerechtigkeit gegen Entscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers stellen. • Nichtpositivist: Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Bindung des Gesetzgebers an Verfassung und Grundrechte geht inhaltlich weit über das hinaus, was der nichtpositivistische Rechtsbegriff verlangt, nämlich bloß die Absprechung des Rechtscharakters bei extremer Ungerechtigkeit. • Das Unnötigkeitsargument • Positivist: Gesetzlichem Unrecht, etwa nach dem Zusammenbruch eines Unrechtsregimes, kann anders entgegengetreten werden als durch die Aberkennung der Rechtsqualität, etwa durch rückwirkende Gesetze oder Aufhebung. • Nichtpositivist: • Dies setzt aber ein diesbezügliches Handeln des Gesetzgebers voraus, wodurch eventuell die Gefahr eines Fortbestehens der Unrechtsakte in ihrer Rechtsqualität gegeben wäre. Beispielsweise könnte sich der Gesetzgeber erst durch einen bereits erteilten Urteilsspruch auf Basis des moralisch unrichtigen Gesetzes veranlasst sehen, dieses aufzuheben. Dies ist nicht mit den Grundrechten des Bürgers vereinbar, gegen den das Urteil gesprochen wurde. • Zudem ist die Verwendung rückwirkender Gesetze aufgrund des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ bei strafrechtlichen Fällen ausgeschlossen und es muss auf einen nichtpositivistischen Rechtsbegriff zurückgegeriffen werden. • Außerdem besteht weiterhin der Anspruch auf Richtigkeit. • Das Redlichkeitsargument • Positivist: Eine Umgehung des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ (Art. 102 Abs. 2 GG) durch die Verwendung eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs ist unredlich. • Nichtpositivist: • Es werden durch das Unrechtsargument nur ungerechte Normen zu Fall gebracht, aber keine neuen Normen begründet. • Wenn das extreme Unrecht derartiger Normen objektiv erkennbar war, waren diese Normen bereits zur Zeit der Tat kein Recht, das die Strafbarkeit ausschließen konnte (vgl. Mauerschützen). Es wird deshalb nicht rückwirkend die Rechtslage geändert, sondern nur festgestellt, was im Zeitpunkt der Tat die Rechtslage war. • Auch wenn extremes Unrecht zwar objektiv als solches erkennbar war, kann die Vorwerfbarkeit eines Normverstoßes für Personen, die ideologischer Indoktrination aufgewachsen sind, gemindert sein – dies ist dann aber eine Frage der strafrechtlichen Schuld, nicht der Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit. • Das Redlichkeitsargument bleibt dennoch das stärkste Argument gegen den Nichtpositivismus, da die vorgeworfene Umgehung des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ verfassungswidrig wäre.

9

• Das Unrechtsargument bezogen auf Rechtssysteme • Die Ausstrahlungsthese • Wenn es den grundlegenden Normen eines Rechtssystems am Rechtscharakter mangelt, zieht dies den Mangel aller systemtypischen (am Unrechtsgehalt des Gesamtsystems irgendwie teilhabenden) Normen im Rechtssystem nach sich, die jeweils nicht zwangsläufig extrem ungerecht sein müssen. • Es ist allerdings fragwürdig, wie man das Maß der Teilhabe bestimmen soll, die eine Einzelnorm am Gesamtsystem haben muss, damit ihr Rechtscharakter aufzuheben ist, oder ob diese Teilhabe überhaupt vorliegt. Ein Absprechen des Rechtscharakters unterhalb der Schwelle extremer Unsicherheit würde ein zu großes Maß an Rechtsunsicherheit mit sich bringen. Deswegen ist die Ausstrahlungsthese nicht überzeugend. • Die Zusammenbruchsthese • Nach der Zusammenbruchsthese bricht das gesam...


Similar Free PDFs