Schulpädagogik: Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen PDF

Title Schulpädagogik: Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen
Author Laura Scheungrab
Course Einführung in die Schulpädagogik
Institution Universität Passau
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Schulpädagogik: Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen...


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Karl-Heinz Arnold und Olga Graumann Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen Eine Grundidee der modernen Schule besteht darin, den Unterricht an Kinder bzw. Jugendliche mit gleichen Lernvoraussetzungen zu richten. Als leicht handhabbares Kriterium der Gleichheit wird seit jeher das Lebensalter genutzt. Dafür gibt es gute Gründe: (1) die Entwicklungspsychologie belegt, dass sich Kinder in ähnlicher Weise entwickeln und dass deutliche Altersunterschiede bestehen; (2) die Erziehungswissenschaft und die Sozialisationstheorie sehen in der sozialen Gruppe der Gleichaltrigen (Peers) eine zentrale Umgebungsbedingung, um soziale Kompetenz zu erwerben und kooperatives Verhalten zu entwickeln. Die Altersklasse als Gruppe gleich entwickelter Kinder ist jedoch eine kontrafaktische Unterstellung, d.h. eine mit der Tatsache beträchtlicher Kompetenzunterschiede konfrontierte Idee der grundlegenden Gleichheit, des sich Angleichens und des Zusammengehörigkeitsgefühls im gemeinsamen Lernen. Je nach Einzugsbereich der Schule haben die Schüler einer Schulklasse hinreichend ähnliche oder aber recht unterschiedliche Lernvoraussetzungen (z.B. Fähigkeit in der Unterrichtssprache). In fast allen Schulen gibt es Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die dauerhaft die Gleichheit im Lernen mit ihren Alterskameraden nicht erreichen werden. Und es gibt einige wenige Kinder, deren kognitive Fähigkeiten besonders günstig sind und die Schülern aus höheren Klassenstufen – in diesem Merkmal – weitaus ähnlicher sind als ihren Alterskameraden. Gemeinsamer Unterricht in heterogenen Klassen, d.h. für Schüler mit erwartungskonformen und für Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen, nutzt die Möglichkeiten der Differenzierung und der Förderung, die wiederum an eine hinreichende pädagogische Diagnostik gebunden sind und die zugleich mit den Gefahren einer diagnostischen Etikettierung umgehen müssen. In der angloamerikanischen Fachliteratur wird eine bemerkenswerte Bezeichnung für jene Gruppen von Schülern verwendet, die in der Planung und Durchführung von Unterricht und in der gesamten Konzeption von Schule mehr Berücksichtigung finden sollten als dies für ihre altersähnlichen Klassenkamera-

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356 | Karl-Heinz Arnold und Olga Graumann den zumeist der Fall sein kann: „Exceptional Learners“ (Slavin, 1997). Dieser Begriff birgt einige Probleme, denn warum sollen jene Schüler als „Ausnahmen“ von der „Regel“ der Gleichheit aller Gleichaltrigen, die ohnehin eine Fiktion ist, bezeichnet und so etikettiert werden? Gleichwohl ermöglicht dieser Begriff, dem wir die deutschsprachige Bezeichnung „Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen“ zuordnen möchten, eine wichtige diagnostische und hoffentlich auch pädagogische Einsicht, die aus schulpädagogischer Sicht mit dem Lernen in heterogenen Gruppen (Graumann, 2002) korrespondiert. „Besonderheit in den Lernvoraussetzungen“ soll anzeigen, dass grundsätzlich alle Schüler über diese Lernvoraussetzungen verfügen und zwischen den Schülern „nur“ graduelle Unterschiede bestehen. Deshalb sind z.B. Schüler mit Lernbehinderung(en) ebenso wie hochbegabte Schüler „Exceptional Learners“. Auf der Merkmalsskala „kognitive Grundfähigkeit“ liegen diese beiden Gruppen im untersten bzw. im obersten Bereich. Grundvoraussetzung jeder inneren wie äußeren Differenzierung ist das Erkennen von differenzierungsrelevanten Merkmalsausprägungen. Damit wird hervorgehoben, dass wissenschaftlich qualifiziertes Unterrichten über alltagsbezogene Unterscheidungen von und über berufspraktische Meinungsbildung über Schüler hinausgehen muss. Gelegentlich hört man in Lehrerzimmern Redeäußerungen wie diese: „Ein typischer Fall von Lernbehinderung, das habe ich gleich bemerkt, nur die Eltern sehen das anders ...“. Aus pädagogisch-diagnostischer Sicht liegt hier die gleiche stereotypisierende Meinungsbildung vor wie in folgendem Gespräch am familiären Esstisch: „Die Lehrerin hat etwas gegen unser Kind, das war mir gleich klar, bei ihr hat es keine Chance auf eine Versetzung ...“. Durch die Bezugnahme auf Lernvoraussetzungen werden graduelle Unterscheidungen vorgenommen und Klassifizierungen von Andersartigkeit vermieden. Gleichwohl gelangt eine solche merkmalsorientierte, dimensionale Diagnostik auch zur Beschreibung von „Gruppen von Schülern mit besonderen Lernvoraussetzungen“. Unterstellt wird, dass es erwartungskonforme und somit häufig anzutreffende und nur selten anzutreffende, d.h. besondere Lernvoraussetzungen gibt und somit eine Majoritätsgruppe und eine Minoritätsgruppe unterschieden werden können. Der Begriff „erwartungskonform“ soll eine empirische Norm anzeigen, so wie dies für viele Entwicklungsmerkmale (Körpergewicht, Sprachfähigkeit, kognitive Fähigkeit etc.) üblich ist. Der wertende Vergleich von Merkmalsausprägungen als normal vs. unnormal, rückständig vs. akzeleriert, auffällig vs. unauffällig, gut vs. schlecht etc. wird durch zusätzliche Entscheidungen vorgenommen, die wissenschaftlich zu begründen sind. Dies ist keineswegs leichthin möglich und beinhaltet oftmals mehr oder minder verdeckte gesellschaftliche und damit politische

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Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen Wertsetzungen. So werden z.B. seit zwanzig Jahren Kinder, die vor einem halben Jahrhundert als „Zappelphillipp“ eher beiläufig erwähnt wurden, mit der Diagnose „Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung“ belegt und als eine besondere Problemgruppe angesehen. Die pädagogische Diagnostik von Lernvoraussetzungen hat einen begrenzten Anspruch. Es sollen jene Merkmale erfasst werden, die von besonderer Bedeutung für das weitere Lernen sind, was als hohe prognostische Gültigkeit der Merkmale bezeichnet wird. Diese Merkmale sollen für möglichst alle Schüler einer Altersgruppe zutreffen und können somit als solche keine Individualität ausdrücken. Auch die möglichen Merkmalsausprägungen sind so gefasst, dass sie zur Unterscheidung von Gruppen von Schülern tauglich sind, d.h. es ist keineswegs ausgeschlossen, sondern gänzlich regelhaft, wenn es einige oder für Merkmale mit wenigen definierten Ausprägungen sogar viele Schüler mit gleicher Merkmalsausprägung gibt.

1 Diagnostische Erfassung von Schülermerkmalen als Entscheidungsproblem Von besonderem diagnostischen Interesse ist ein pädagogisch und auch didaktisch häufig genutzter Typ von Klassifikation – und zwar die Entscheidung darüber, ob ein bestimmtes Zielverhalten schon beherrscht oder ein bestimmtes fachliches Lernziel schon erreicht ist – oder (noch) nicht erreicht ist. Hier handelt es sich um eine diagnostische Alternativentscheidung, die auf der Systemebene mit gleicher Struktur vollzogen wird, wenn es z. B. um „Versetzung vs. Nichtversetzung“ oder um „Sonderpädagogischer Förderbedarf liegt vor vs. liegt nicht vor“ geht. Feingradigere diagnostische Unterscheidungen können als gestufte Anwendung von Alternativentscheidungen verstanden werden. Selten wird in pädagogischen Feldern beachtet, dass alle diagnostischen Alternativentscheidungen grundsätzlich mit zwei Fehlertypen behaftet sind (s. Kleber, 1992, S. 55ff ). Da diagnostische Verfahren durch wissenschaftsgeleitetes Vorgehen nicht direkt beobachtbare Merkmal von Schülern erfassen sollen, können die Resultate der Diagnostik zutreffend (richtige diagnostische Entscheidung) oder unzutreffend sein (falsche diagnostische Entscheidung) – und zwar für zwei Konstellationen. Im ersten Fall (Fehler erster Art) kann die diagnostische Entscheidung fälschlicherweise das Vorhandensein „besonderer Lernvoraussetzungen“ behaupten, wohingegen tatsächlich keine besonderen Lernvoraussetzungen vorliegen. Im zweiten Fall (Fehler zweiter Art) kann die diagnostische Entscheidung fälschlicherweise behaupten, dass keine „besonderen Lernvoraussetzungen“ vorliegen, obwohl dies tatsächlich der Fall ist (s. Abb. 1).

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Tatsächliche Faktenlage

Diagnose

Diagnose „Merkmal vorhanden“

Diagnose „Merkmal nicht vorhanden“

Merkmal vorhanden

Merkmal nicht vorhanden

(A) richtig positive Entscheidung

(B) falsch positive Entscheidung (Fehler 1. Art)

(C) falsch negative Entscheidung (Fehler 2. Art)

(D) Diagnose „Merkmal nicht vorhanden“

Abb. 1: Diagnostische Entscheidungsfehler

Das besondere und nicht selten übersehene Problem besteht darin, dass die beiden Arten von Entscheidungsfehlern nicht gleichzeitig reduziert werden können, sondern dass die dem Verfahren zugrunde liegende teststatistische Logik eine inverse Koppelung der Entscheidungsfehler bedingt. Je mehr das Prinzip der individuellen Gerechtigkeit beachtet wird und das Vermeiden von individuellen Nachteilen höchste Priorität erhält, desto weniger Entscheidungsfehler der zweiten Art dürfen auftreten. Dies bedeutet, dass möglichst wenigen Schülern durch eine pädagogische Diagnose fälschlicherweise abgesprochen werden soll, dass sie die geforderten Lernziele erreicht haben. Zugleich führt die Minimierung dieser „falsch negativen Entscheidungen“ zu einem erheblichen Anwachsen der „falsch positiven Entscheidungen“. Es werden durch das diagnostische Vorgehen mehr Schüler als „Zielerreicher“ eingeschätzt, als dies faktisch der Fall ist. Für schulformspezifische Übergangsentscheidungen lässt sich dieses unvermeidbare Entscheidungsdilemma wie folgt beschreiben. Wenn Grundschulgutachten diagnostisch so angelegt werden, dass fast alle geeigneten Schüler auch für das Gymnasium empfohlen werden, dann wird dies als individuelle Sicherung von Chancengleichheit verstanden. Hier handelt es sich um die Maximierung von diagnostischer Sensitivität, d.h. die falsch-negativen Entscheidungen (Fehler zweiter Art) werden minimiert. Eine notwendige Folge ist, dass relativ häufig Schüler ohne hinreichende Lernvoraussetzungen für das Gymnasium empfohlen werden, womit dieser Schülergruppe einerseits nochmals eine besondere Chance einge-

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Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen räumt wird, andererseits jedoch die Häufigkeit des Schulversagens im Gymnasium vergrößert wird. Hier handelt es sich um die Folge des Anwachsens von Fehlentscheidungen erster Art: die diagnostische Spezifität sinkt bei Anwachsen der diagnostischen Sensitivität. Über die Gewichtung der beiden Entscheidungsfehler muss in einem übergreifenden pädagogischen und nicht selten auch bildungspolitischen Kontext entschieden werden. Aus diagnostischer Sicht könnte allenfalls die formale Strategie vorgeschlagen werden, beide Entscheidungsfehler gleich groß zu setzen und damit die Vor- und Nachteile gleichmäßig zu verteilen (s. Klauer, 1990).

2 Erkennen von Schülern mit besonderen Lernvoraussetzungen Optimale Förderung von Schülern mit besonderen Lernvoraussetzungen ist insbesondere von drei Bedingungen abhängig: von dem hinreichend sicheren Erkennen dieser Merkmale, von der professionellen Förderung (s. Kap. 3) und von einer vertretbaren Handhabung der unvermeidlichen diagnostischen Fehlentscheidungen. In diesem Kapitel werden Beschreibungen jener Gruppen von Schülern mit besonderen Lernvoraussetzungen gegeben, die in unserem Schulsystem besondere Beachtung finden. Da die zur Verfügung stehenden diagnostischen Strategien, zu denen auch Lehrerbeobachtungen und Einschätzskalen gehören, nicht selten von nur mäßiger Gültigkeit und Genauigkeit sind, können für unterrichtsnahe Verfahren oftmals weder die diagnostische Spezifität noch die Sensitivität verbessert werden. Um einen Ausweg aus der diagnostischen Überfrachtung der Schule (Nutzung von mehr und genauer messenden Verfahren) aufzuzeigen, werden auch die unterschiedlich akzeptablen Risiken von Fehlentscheidungen erörtert. Dies kann – wie im Falle der Abschaffung von sog. Schulreifetests – aus guten pädagogischen Gründen zu einem partiellen Verzicht auf schulisch diagnostische Entscheidungen führen: weniger Diagnostik bringt unter bestimmten Bedingungen ein Mehr an pädagogischer Qualität. So wird unter dem Stichwort „Integrierter Schulanfang“ (Richter, 1999) gefordert, tendenziell alle Schüler spätestens ab dem Schuleintrittsalter einzuschulen – in der Erwartung, dass Schulfähigkeit durch Beschulung entsteht und verbessert wird. Empirisch ist jedenfalls nachgewiesen, dass Sondergruppen für nicht-schulreife Kinder nur geringe Förderwirkungen haben (s. Faust-Siehl/Speck-Hamdan, 2001). Ob durch Einschulung aller Kinder jedoch eine bessere Förderwirkung erreicht wird, ist nicht nachgewiesen. Klar ist jedoch, dass der diagnostische Aufwand sehr beträchtlich sein müss-

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360 | Karl-Heinz Arnold und Olga Graumann te, um die falsch-negativen Entscheidungen (Diagnose „nicht schulfähig“ trotz vorhandener Schulfähigkeit) gering zu halten und dass Kinder wie auch deren Eltern durch das „Aussondern“ vor der Einschulung in ihrer Zuversicht beeinträchtigt werden. 2.1 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf In Deutschland besteht ein sehr differenziertes Sonderschulsystem. Alle Bundesländer haben sich 1994 darauf geeinigt, dass für Schüler nicht mehr Behinderungen diagnostiziert, sondern individueller sonderpädagogischer Förderbedarf gutachtlich festzustellen ist. Für neun sog. Förderschwerpunkte sind von der Kultusministerkonferenz Empfehlungen verabschiedet worden. Zu diesen Gruppen von Schülern mit besonderen Lernvoraussetzungen gehören u.a.: (a) Schüler mit Förderschwerpunkt Lernen (früher: Lernbehinderung), (b) Schüler mit Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung (früher: Entwicklungsstörung, Schwererziehbarkeit), (c) Schüler mit Förderschwerpunkt Sprache (früher: Sprachentwicklungsstörung). Zumindest für die beiden erstgenannten Gruppen gilt, dass ihre defizitären Lernvoraussetzungen keineswegs direkt beobachtbar sind. Vielmehr bedarf es mehrerer Diagnoseverfahren und spezifischer Beobachtungen, um eine hinreichende Befundbasis für ein sonderpädagogisches Gutachten zu erhalten, das eine Entscheidung sowohl über das Vorliegen und das Ausmaß von Förderbedarf als auch über den am wenigsten einschränkenden Förderort (integrative Förderung vs. Förderung in der Sonderschule) zu begründen hat. (1) Schüler mit Förderbedarf im Bereich Lernen Zur Diagnostik dieser besonderen Lernvoraussetzungen werden üblicherweise (a) Intelligenztestverfahren und (b) fachspezifische Schulleistungstests herangezogen sowie (c) Beobachtungen des Lern- und Leistungsverhaltens (Schröder, 2000). Für Schüler mit anderer Herkunftssprache sind stark sprachgebundene Testverfahren benachteiligend, weil damit ihre kognitive Leistungsfähigkeit massiv unterschätzt wird. Niedrige fachliche Lernstände müssen als generelles Merkmal vorliegen, d.h. nicht nur ungünstige Schulleistungen in einem oder wenigen Fächern. Bei generell schwachen Schulleistungen und durchschnittlicher oder höherer Intelligenz liegt ein Fall von „Underachievement“ vor und keine generelle Lernschwäche, so dass andere Bedingungsfaktoren (z.B. emotionale Beeinträchtigung) untersucht werden sollten. Die Gruppe der diagnostizierten Schüler mit Förderschwerpunkt Lernen beträgt ca. 2,5 Prozent einer Altersgruppe.

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Schüler mit besonderen Lernvoraussetzungen (a) Diagnostische Spezifität. Wenn keine integrierte Förderung, sondern der Wechsel in eine Sonderschule zur Entscheidung ansteht, erhält die diagnostische Spezifität gravierende Bedeutung. Die meisten Eltern wünschen, dass ihr Kind keinesfalls fälschlicherweise die Allgemeine Schule verlassen und in eine Sonderschule wechseln muss, und weisen damit der Minimierung des Entscheidungsfehlers erster Art höchste Priorität zu. Unter integrativer Förderung lassen sich falsch positive Entscheidungen weniger folgenreich korrigieren als nach einem bereits vollzogenen Wechsel in die Sonderschule: die betroffenen Schüler müssen nicht die Schule wechseln und hatten nicht den emotional belastenden Status des Sonderschülers zu ertragen. (b) Diagnostische Sensitivität. Die Risiken geringer diagnostischer Sensitivität sind keineswegs einfach zu bestimmen. Wenn Schüler mit besonderem Förderbedarf nicht als solche identifiziert werden, so bleibt diesen Schülern eine spezifische sonderpädagogische Förderung verwehrt. Dies kann eine gravierende Einschränkung darstellen. Schüler mit besonderem Förderbedarf im Bereich Lernen profitieren vom Besuch der Allgemeinen Schule auch dann in beträchtlichem Maße, wenn sie keine spezifische Förderung erhalten. Empirische Untersuchungen zeigen, dass diese Form der informellen „Integration“ durchaus konkurrieren kann mit den Förderwirkungen der Sonderschule für Lernbehinderte (Tent/Witt/Bürger/Zschoche-Lieberum, 1991). (2) Schüler mit Förderbedarf im Bereich emotionale und soziale Entwicklung Diagnostische Entscheidungsfehler bei diesem sonderpädagogischen Förderbedarf sind allein schon deshalb häufiger zu erwarten, weil die verfügbaren Diagnoseinstrumente weniger genau messen als dies z.B. für die allgemeine Lernfähigkeit (Intelligenz) der Fall ist. Zielbereich der Diagnostik sind insbesondere jene Verhaltensauffälligkeiten, die das Lernen in Schulklassen beeinträchtigen. Unter klinisch-psychologischem Gesichtspunkt kommen hier folgende Diagnosekategorien (ICD, s.u.) in Betracht: Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen sowie Störungen des Sozialverhaltens mit aggressivem Verhalten oder mit oppositionellem Trotzverhalten (Arnold, 2004). Zumeist werden mehr oder minder strukturierte Verhaltensbeobachtungen als Diagnoseinstrumente eingesetzt. Zur Verfügung stehen auch (teil)standardisierte Verhaltensbeurteilungsbögen für Lehrer, Eltern und zur Selbstbeurteilung der Schüler (z.B. CBCL, SDQ). Diagnostische Schlussfolgerungen in sonderpädagogischen Gutachten können auch an internationalen Klassifikationslisten (ICD, Bereich F) orientiert werden. Für die Förderung ist eine differenzierte, in hohem Maße individualisierende Verhaltensanalyse von großer Bedeutung. (a) Diagnostische Spezifität. Fälschlicherweise als verhaltensauffälliger Schüler diagnostiziert zu werden und in eine Sonderschule für Erziehungshilfe wechseln zu

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362 | Karl-Heinz Arnold und Olga Graumann müssen, stellt eine ebenso hochgradig belastende Konstellation dar wie dies für den Wechsel in die Sonderschule für Lernbehinderte beschrieben worden ist. Besondere Entscheidungsrisiken ergeben sich aus der Faktenlage, dass Verhaltensauffälligkeit auch eine kindliche Reaktionsform auf hochgradige emotionale Belastung in der familiären bzw. primären Lebenssituation sein kann (reaktive Verhaltensstörung) und mit Reduzierung dieser Belastung auch eine höhere soziale Anpassung in der Schule wiedererlangt werden kann. Beispiele für Problemlagen dieser Art sind disharmonische El...


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