Allgemeine Psychopathologie PDF

Title Allgemeine Psychopathologie
Course Psychiatrie
Institution Otto-Friedrich Universität Bamberg
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Allgemeine Psychopathologie 1. Grundlagen Begriffsklärung Psychopathologie Psychopathologie = Pathopsychologie Die Psychopathologie beschäftigt sich mit der Beschreibung, Auflistung und Zuordnung krankhaft veränderter psychischer Funktionen und Eigenschaften. Sie beruht auf der Beobachtung, Beschreibung und Strukturierung geistiger und seelischer Abnormitäten beim Menschen, erschlossen aus sprachlicher Mitteilung, Verhaltensbeobachtung und Psychometrie. Die Begriffe Psychopathologie und Pathopsychologie werden meist synonym verwendet. Psychometrie = 1. Zeitmessung psychischer Vorgänge. 2. Methode der experimentellen Psychologie zur möglichst objektiven Erfassung von psychischen Funktionen und Persönlichkeitsmerkmalen mit Hilfe von Tests (Peters, 2000a). Psychologie Von der Psychopathologie bzw. Pathopsychologie abzugrenzen sind folgende Begriffe: Psychiatrie Psychologie:

Aufgabe der Psychologie ist es allgemein, menschliches Denken, Fühlen und Handeln zu beschreiben, zu erklären, vorherzusagen und ggf. zu verändern.

Psychiatrie:

Die Psychiatrie ist ein Fachgebiet der Medizin. Sie ist die Wissenschaft von der Erkennung und Behandlung des krankhaft veränderten oder abnormen Seelenlebens.

Symptome Psychopathologische Symptome stellen als diagnostische Bausteine die kleinsten phänomenologisch zu unterscheidenden und operationalisierbaren Störungseinheiten dar, die sprachlich gekennzeichnet werden können. Ein Symptom signalisiert eine gestörte oder veränderte Elementarfunktion oder Eigenschaft, wobei objektive Symptome (von außen beobachtbare oder psychometrisch erfassbare) und subjektive Symptome (vom Betroffenen selbst beschriebene) unterschieden werden. Symptome für sich genommen sind unspezifisch, d.h. dass gleiche oder ähnliche Symptome bei unterschiedlichen psychischen Störungen auftreten können. Psychopathologische Symptome ≠ Psychische Störung Wichtig zu beachten ist: Symptome sind für sich genommen nicht unbedingt als Zeichen einer psychischen Störung anzusehen! Primärsymptome, Randsymptome Es können klinisch-psychopathologisch primäre Symptome (bzw. obligatorische, Leitsymptome) und Randsymptome (bzw. akzessorische, fakultative Symptome) unterschieden werden. Schon früh teilten z.B. E. Bleuler (1857 - 1939) und K. Schneider (1887 - 1967) die Symptome der Schizophrenie ein, wie in folgenden Tabellen dargestellt ist. Symptome nach E. Bleuler (1857 - 1939) Primärsymptome

Sekundärsymptome

Assoziationsstörungen Benommenheitszustände Zittern Vegetative Störungen

Denkzerfahrenheit Affektstörungen Gedächtnis- und Orientierungsstörungen Automatismen Wahnideen Autismus Negativismus

(Payk, 2007)

Symptome nach K. Schneider (1887 - 1967) Symptome ersten Ranges

Symptome zweiten Ranges

Dialogische Stimmen Kommentierende Stimmen Gedankenlautwerden

Sonstige akustische Halluzinationen Optische, olfaktorische, gustatorische Halluzinationen

Leibliche Beeinflussungserlebnisse

Koenästhesien im engeren Sinne

Gedankeneingebung Gedankenentzug Gedankenausbreitung Willensbeeinflussung

-

Wahnwahrnehmung

Wahneinfall

(Arolt, Reimer & Dilling, 2007)

Syndrome Syndrome Treten Symptome regelhaft oder gar gesetzmäßig miteinander im Verbund auf und weist das gemeinsame Auftreten auf einen inneren Zusammenhang hin, spricht man von Syndromen. Es gibt z.B. Angst-, Zwangs- und Wahnsyndrome oder Symptomkombinationen bezogen auf Qualitäten des Bewusstseins (z.B. delirantes Syndrom, dementielles Syndrom (oder auf affektive Störungen (depressives Syndrom). Diese Symptomkomplexe besitzen eine erheblich höhere diagnostische Valenz als Einzelsymptome. Symptomverbindungen, die besonders charakteristisch und prägnant für ein bestimmtes Krankheitsbild sind, nennt man Leitsymptome. (Siehe Kapitel Diagnosen → Syndrome)

Diagnose Diagnose Der Schritt vom einzelnen zu einem Komplex von Symptomen bedeutet gleichzeitig die Konzipierung einer Struktur, d.h. anstatt einer bloßen, deskriptiven Aneinanderreihung wird eine Verknüpfung und Hierarchisierung einzelner Krankheitszeichen vorgenommen. Durch die syndromale Betrachtungsweise wird auch der Vergleich untereinander vereinfacht und der Zugang zur Diagnosestellung wird eröffnet. In den Klassifizierungssystemen der herkömmlichen klinischen Psychiatrie wurden nosologische Gruppierungen unter ätiopathogenetischen Gesichtspunkten zusammengenommen, d.h. Symptome wurden auf Basis ihrer vermuteten Ursachen und Entwicklungsverläufe Gruppen zugeteilt. Heutige, operationalisierte Diagnoseschemata (ICD-10 und DSM-IV, siehe Kapitel Diagnosen → Einleitung) orientieren sich an der Beschreibung von Symptomen und Symptomkomplexen. Über die Ursache wird (mit Ausnahme bei der Posttraumatischen Belastungsstörung) keine Aussage gemacht. Folgende Abbildung gibt einen Überblick über die Schritte der Diagnostik:

Geschichtlicher Abriss Dieser Abschnitt ist Bonuswissen. Frühe Hochkulturen Schon die frühen Hochkulturen beschäftigten sich mit Psychohygiene, wie sich aus Hieroglyphen und Keilschriften entziffern lässt. Ebenso finden sich Anweisungen zu diesem Thema in altchinesischen und altindischen Spruchsammlungen. Beschreibungen von Melancholie, Geistesschwäche und Erregtheit finden sich in ägyptischen Papyri aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. Antike In der griechischen und römischen Antike beschäftigten sich die Philosophieschulen mit der Beschaffenheit der Seele, während in den medizinischen Ausbildungsstätten ihre krankhaften Veränderungen betrachtet wurden. Die Frage, wie die Entitäten "Geist" und "Körper" miteinander verknüpft sind und aufeinander einwirken ("Leib-Seele-Problem") war schon zu dieser Zeit von großer Bedeutung und wurde z.B. von Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) und später von Thomas von Aquin (1206 - 1280) diskutiert. Mittelalter und Beginn der Neuzeit Während des Mittelalters und dem Beginn der Neuzeit wurden psychisch Kranke und Abnorme als von Dämonen besessen gesehen, ungewöhnliches Benehmen wurde als Werk des Teufels verstanden. Unter Folter kamen absurde Geständnisse zustande und viele Menschen starben auf Scheiterhaufen. Albertus Magnus (1206 - 1280), Duns Scotus (1268 - 1308) und Nicolaus Cusanus (1401 - 1464) ist es zu verdanken, dass die aristotelischen Betrachtungen zur Willens- und Bewusstseinspsychologie auch während dieser düsteren Zeit nicht in Vergessenheit gerieten. Aufklärung Naturphilosophische und empirisch-psychologische Erkenntnisse lösten mit Beginn der Aufklärung die religiösspekulativen Konzepte psychischer Krankheiten ab. Beruhend auf genauen klinisch-psychopathologischen Beobachtungen wurde z.B. vom Arzt F. Plater (1536 - 1614) eine differenzierte Systematik der Geistesstörungen aufgestellt, in der präzise Zwangs- und Wahnsymptome, Hypochondrie, Melancholie und Symptome des Delirs der Trunksucht, der Eifersucht und der Verblödung beschrieben wurden. (Für Zwang, Hypochondrie siehe: Befunde → Befürchtungen und Zwänge → Symptome Für Wahn siehe: Befunde → Wahn Für Delir siehe: Befunde → Psychiatrische Notfälle → Delir)

Psychoanalyse Erste psychologisch-psychodynamische Betrachtungsansätze wurden von J.M. Charcot (1825 - 1893) und seinem Schüler P. Janet (1859 - 1947) vertreten. Letzterer widmete sich der Untersuchung von Hysterie, Psychasthenie, Angst und Ekstase. Ungefähr zeitgleich mit Janet entwickelte S. Freud (1856 - 1939) in Wien die Psychoanalyse. Die erste psychologische Klinik für Kinder und Jugendliche wurde 1896 von L. Witmer (1867 - 1956) in Pennsylvania eingerichtet. W. Griesinger (1817 - 1956), der an der Berliner Charité den Lehrstuhl für Psychiatrie innehatte, betonte den engen Zusammenhang zwischen Hirnkrankheiten und Geistesstörungen und schrieb 1845 das Lehrbuch "Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten". Fachzeitschriften erschienen in Frankreich (1843, Annales médicopsychologiques), den USA (1844, American Journal of Insanity) und England (1848, Journal of Psychological Medicine and Mental Pathology). 1912 brachte W. Specht in Deutschland die Zeitschrift für Pathopsychologie heraus. 19. Jahrhundert Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von der medizinisch-naturwissenschaftlichen bzw. "objektiven Psychopathologie". Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die anthropologische Perspektive vermehrt miteinbezogen, d.h. der Person und Personalität des Kranken wurde wieder Beachtung geschenkt. Der Ansatz der verstehenden Psychopathologie ist auf den Philosophen W. Dilthey (1833 - 1911) zurückzuführen, der dem analysierend-erklärenden Ansatz der Naturwissenschaften den verstehenden Ansatz der Geisteswissenschaften gegenüberstellte. K. Jaspers integrierte Ansätze von Philosophen, Psychologen und Psychiatern und gab 1913 das mittlerweile weltweit bekannte und vielfach aufgelegte Lehrbuch "Allgemeine Psychopathologie" heraus. Jaspers ist auch deshalb eine wichtige Persönlichkeit in der Geschichte der Psychopathologie, weil es ihm gelang, diesem Fachgebiet den Rang einer empirischmethodischen Wissenschaft zu verleihen mit klaren Definitionen und festen Begriffen, orientiert an der strengen Unterscheidung zwischen erklärendem und verstehenden Vorgehen. Klassifikationssysteme

K. Schneider (1887 - 1967) erarbeitete u.a. eine "klinische Psychopathologie", mit deren Hilfe beispielsweise "Symptome ersten Ranges" bei Schizophrenie eingestuft werden können. Diese diagnose- und praxisrelevanten Einteilungen wurden abgelöst von den gegenwärtig verwendeten, streng operationalierten Klassifikationssystemen ICD und DSM (siehe Kapitel Diagnosen → Einleitung). Salutogenese Nachdem bis zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich die pathologische Auffälligkeiten im Fokus der Aufmerksamkeit standen, wurden in den letzten Jahrzehnten weitere Faktoren wie die individuelle Befindlichkeit des Patienten, soziale Interaktionen und neue Erkenntnisse über neurophysiologische und neurochemische Korrelate psychischer Leistungen verstärkt berücksichtigt. Ein echter Kontrast zum traditionellen biomedizinischen Krankheitsmodell sind multidimensionale Ansätze, angelehnt am biopsychosozialen Gesundheitsmodell bzw. Salutogeneskonzept nach A. Antonovsky (1923 1994). (Payk, 2007)

Was ist eigentlich "normal" und "gesund"? Zwischen normal und abnorm gibt es keine scharfe Grenze, der Übergang ist fließend. Untersucher und Therapeuten haben daher die verantwortungsvolle Aufgabe, vorsichtig, sensibel und tolerant vorzugehen, wenn sie Bewertungen oder gar "Pathologisierungen" vornehmen. Zur Vorbereitung kann es hilfreich sein, über allgemeine und persönliche Normen und ihre Anwendung zu reflektieren. Auch eigene Reaktionen auf gefühlte Normüberschreitungen anderer können im Sinne von Selbsterfahrung interessante Aufschlüsse geben. In der nachfolgenden Tabelle ist dargestellt, welche gängigen Normen es gibt, woran sie sich orientieren und wer demnach "anomal" ist.

Norm

Basiert auf.

"Anomal" sind z.B.

Statistische

Gesetzmäßigkeiten der Merkmalsverteilung, z.B. Gleichverteilung, Normalverteilung

Dunkelhäutige Menschen in Mitteleuropa, überdurchschnittlich kreative oder intelligente Menschen

Soziale

Soziokulturelle Determinanten, Übereinkünften und Regeln, abhängig von Zeitgeist, Sitten und Gebräuchen

Schüler mit speziellem Förderbedarf, Falschparker, Arbeitslose, Homosexuelle

Funktionale Leistungsfähigkeiten, erwartete Regelmäßigkeiten im Hinblick auf Leistungen, Verrichtungen und Fähigkeiten

Ältere und körperlich kranke Menschen

Ideale

Maximalerwartungen, Zustand der Vollkommenheit

Personen mit Schnupfen oder einem gebrochenen Arm

Subjektive

Selbstbewertung einer Person, Vergleich mit bisherigem Lebensgefühl und gesundheitlicher Verfassung

Patienten mit Anorexie, die über dem von ihnen angestrebten Körpergewicht liegen

(Bastine, 1990; Payk, 2007) Normen sind in vielerlei Hinsicht notwendig und sinnvoll. Sie dienen der Schaffung und Aufrechterhaltung von Sozialstrukturen, sie sind zum Überleben der Mitglieder der Gesellschaft und der Art selbst nötig. Das eigene Verhalten ist im sozialen Kontext eingebettet, wird verstanden und akzeptiert. Normen ersparen also, immer wieder neu Anpassungsleistungen zu erbringen. Jedoch kann ein individualistisch orientierter Mensch eine Einengung oder Fremdbestimmung seines Verhaltens erfahren und persönlich gestaltete und ungewöhnliche Lebensweisen können unterdrückt und abgewiesen werden. Psychische Gesundheit

Durch den Vergleich mit einer einzelnen Norm ist es selbstverständlich nicht möglich, der Komplexität des menschlichen Lebens und Handelns gerecht zu werden. Die Berücksichtigung des subjektiven Wohlbefindens und der objektivierbaren Leistungsfähigkeit als modifizierte funktionale Norm kommt der Auffassung von "psychisch gesund" wohl am Nächsten. Man könnte auch sagen: Psychische Gesundheit entspricht den individuellen Fähigkeiten, sich realistisch den Anforderungen des Lebens stellen ohne erschöpfend beansprucht werden und ihnen innerhalb der zugehörigen Gesellschaft mit Selbstachtung und Durchhaltevermögen bei persönlicher Zufriedenheit nachkommen zu können. Dies bedeutet für jedes Individuum einen anderen Einsatz eigener Anstrengungen, da individuell unterschiedliche Interessen und Strebungen vorhanden sind und was für eine Person befriedigend ist, kann für eine andere überfordernd sein. (Payk, 2007; Scharfetter, 1991)

Hinweise zum Patientenkontakt Gesprächsführung Exploration Die Exploration in all ihren Varianten ist die Standardmethode zur Ermittlung des psychischen Befundes, ihr Medium ist die Sprache. Durch sie soll ein Bild über Befinden und Erleben des Patienten vermittelt werden. Notwendige Voraussetzungen hierfür sind auf Seiten des zu Untersuchenden ein gewisses Maß an Introspektion und Mitteilungsfähigkeit, auf Seiten des Untersuchers Aufnahmebereitschaft, Einfühlungsvermögen und sprachliche Klarheit. Erstgespräch Dem Erstgespräch kommt in Psychiatrie und Psychotherapie eine besondere Bedeutung zu. Neben der biographischen Anamnese und dem Eingehen auf aktuelle Konflikte steht vor allem der Aufbau einer stabilen und tragfähigen Beziehung im Vordergrund. Eine sachliche und vertrauensbildende Untersuchungsatmosphäre ist hierbei wesentlich. Das Erstgespräch sollte in ruhiger Umgebung und ohne Zeitdruck stattfinden. Der Untersucher sollte aktiv zuhören, Blickkontakt suchen, die Balance zwischen Distanz und Engagement halten, Taktgefühl, Offenheit, Konzentration und Geduld haben. Sind Patienten verschlossen oder mutistisch, sollten sie nicht hartnäckig bedrängt oder durch suggestive Formulierungshilfen beeinflusst werden. Wenn der Patient nicht spricht, sich sperrt oder nicht beim Thema bleibt, muss sich der Untersucher auf die Beschreibung des aktuellen Zustandsbildes beschränken und die Fremdanamnese erheben. Im ersten Teil des Erstgespräches lässt der Untersucher den Patienten über aktuelle Beschwerden berichten und überlässt dem Patienten die Wahl des Themas. Seine Rolle ist zu Beginn daher eher passiv. Im zweiten Teil strukturiert der Untersucher das Gespräch, indem er gezielt nach- und psychopathologische Symptome erfragt. Gegen Ende bekommt der Patient die Gelegenheit, Fragen zu stellen und Fehlendes zu ergänzen. Verbunden mit bestimmten Krankheitsbildern (z.B. Depression) muss der Untersucher schon sehr früh gezielt explorieren, weil der Patient sich nicht spontan äußert oder nach kurzer Zeit verstummt. (Lieb & Brunnhuber, 2009; Payk, 2007)

Schweigepflicht Der Patient muss sich sicher sein können, dass die Pflicht des Untersuchers zur Verschwiegenheit nach §203, StGB strikt eingehalten wird (Ausnahmen sind z.B. geplante Straftaten und andere schwerwiegende Gründe). Quelle: bundesrecht.juris.de/stgb/__203.html Für Ärzte gilt außerdem das Berufsrecht (siehe www.bundesaerztekammer.de), in dem in § 9 die Schweigepflicht geregelt ist. Gerade in der Psychiatrie und Psychotherapie ist die Einhaltung der Schweigepflicht besonders wichtig, weil psychische Symptome in der Bevölkerung noch immer stigmatisiert werden und mit Schamgefühlen verbunden sind. Folgende Aspekte sind zu beachten: 





Bevor ein Gespräch mit Angehörigen geführt wird, sollte das Einverständnis des Patienten eingeholt werden. Dies gilt besonders dann, wenn vom Patienten gewonnene Kenntnisse über ihn selbst den Angehörigen mitgeteilt werden, nicht jedoch, wenn Informationen über den Patienten einholt werden. (Siehe Kapitel Grundlagen → Vom Symptom zur Diagnose → Anamnese → Familienanamnese, Fremdanamnese) Wird gegen einen Patienten in einem Gerichts- oder Ermittlungsverfahren ermittelt, haben u.a. Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte ein Zeugnisverweigerungsrecht über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Psychologen oder Ärzte anvertraut wurde. Wenn der Patient den behandelnden Psychologen oder Arzt von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden hat, darf und muss dieser aussagen (bundesrecht.juris.de/stpo/__53.html). Medizinische Informationen dürfen nur dann an andere Ärzte weitergegeben werden, wenn eine Schweigepflichtsentbindung durch den Patienten vorliegt. Arztbriefe werden also an niedergelassene Ärzte nur

verschickt, wenn der Patient die Klinik schriftlich von der Schweigepflicht entbunden hat (siehe Kapitel Grundlagen → Vom Symptom zur Diagnose → Dokumentation). Ein Beispielformular für eine Schweigepflichtsentbindung finden Sie hier:

Beurteilungsfehler Die größte Fehlerquelle für unzureichende oder gar fehlerhafte Befunde sowie deren Bewertung sind fachliches Unwissen und mangelnde berufliche Erfahrung. Besonders, wenn infolge kritikloser Selbstüberschätzung nicht ausreichend über die eigene (fachliche) Kompetenz reflektiert wird, sind Fehler sehr wahrscheinlich. Zu vermeiden sind unhöflich-salopper Umgang mit dem Patienten, eine uneinfühlsame Gesprächsführung oder eine moralisierende Vorwurfshaltung, da sich Patienten nicht verstanden, beschämt oder verletzt fühlen und Dinge verschweigen bzw. Mitteilungen variieren. Der Untersucher sollte also seinen Umgang mit dem Patienten selbstkritisch und sorgfältig reflektieren. Außerdem ist es wichtig, im Kontakt mit Patienten mit eigenen Bedürfnissen und Befindlichkeiten im Auge zu behalten. Da der Untersucher als diagnostizierende Person und auch als "diagnostisches Instrument" tätig wird, ist seine Reflexion in Bezug auf eigene Objektivität, Unvoreingenommenheit und emotionale Kompetenz unerlässlich. Projektion Der diagnostische Prozess kann durch Projektion bzw. Gegenübertragung beeinflusst werden. Unter Projektion wird in der Psychoanalyse das unbewusste Verlegen von eigenen Wünschen, Vorstellungen, Gefühlen in die Außenwelt verstanden. Eine andere Person oder ein Gegenstand bekommen Eigenschaften verliehen, welche der Betreffende an sich selbst verkennt. In entsprechenden Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass zu Depressivität neigende Therapeuten eher die Diagnose einer Depression stellen oder persönliche konflikthafte Lebenssituationen, in denen sie sich gerade selbst befinden, auch ihren Patienten zuschreiben. Zu den häufigsten Fehlerquellen jeder Beurteilung zählt also der Schluss von sich auf andere. Gegenübertragung

Gegenübertragung ist ein Begriff aus der Psychoanalyse und meint den Einfluss unbewusster Konflikte und Bedürfnisse des Analytikers auf die Analyse. Positive Gegenübertragung ist Teil der analytischen Therapie, der Analytiker muss seine objektive Position jedoch immer wieder einnehmen. Negative Übertragung (Aggressivität oder Hassgefühle) können den Therapieerfolg verhindern. Systematische Beurteilungsfehler Fehlbeurteilungen können einerseits passagere Ursachen haben, d.h. aufgrund von Schwankungen der Aufmerksamkeit und des Konzentrationsvermögens, infolge von Ermüdung, Abgelenktheit oder emotionalem Stress entstehen. Außerdem gibt es auch systematische Beobachtungsfehler, die auf überindividuellen psychologischen Gesetzmäßigkeiten bezüglich der menschlichen Wahrnehmung und des Kommunikationsverhalten...


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