C665 - Alpmann Schmidt PDF

Title C665 - Alpmann Schmidt
Author Kaufmann Julia
Course Written Expression Advanced
Institution Universität des Saarlandes
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Alpmann Schmidt...


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Lösungsskizze

Berufsfreiheit, Meisterzwang für Handwerksbetriebe (Eintragungspflicht), „Altgesellen“-Regelung, Gefahrenabwehr und Schutz der Ausbildungsleistung, Rechtsschutz

C 665 30.04.2018

Aufgabe 1: A. Erlaubnisfreiheit nach Gewerbeordnung I. Grundsatz der Gewerbefreiheit nach § 1 Abs. 1 GewO II. Wortlaut des § 1 Abs. 1 GewO III. Gesetzeskonkurrenz B. Erlaubnispflicht nach Handwerksordnung I. Maler und Lackierer als zulassungspflichtiges Handwerk 1. Zulassungspflichtiges Handwerk, § 1 Abs. 1 S. 1 HandwO 2. Zulassungs- bzw. Eintragungspflicht nach § 1 Abs. 2 S. 1 HandwO a) Stehendes Gewerbe b) Handwerksmäßiger Betrieb c) Wesentliche Tätigkeit oder Minderhandwerk aa) Unwesentlich nach § 1 Abs. 2 S. 1 und 2 Nr. 1 HandwO bb) Unwesentlich nach § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 und 3 HandwO cc) Ausnahmsweise unwesentlich dd) Gesamtbetrachtung der Teiltätigkeiten d) Ausnahmen 3. Eintragung oder Ausübungsberechtigung a) Meisterzwang, § 7 Abs. 1 a HandwO b) Ausübungsberechtigung für „Altgesellen“ §§ 7 Abs. 7, 7 b Abs. 1 HandwO aa) Ausübungsberechtigung grds. möglich bb) Gesellenprüfung, mehrjährige Tätigkeit cc) In leitender Stellung 4. Ausübungsberechtigung nach § 7 a HandwO 5. Ausnahmebewilligung nach §§ 8, 9 HandwO II. Vereinbarkeit der Eintragungspflicht mit Art. 12 Abs. 1 GG 1. Schutzbereich Art. 12 Abs. 1 GG: einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit 2. Eingriff in den Schutzbereich 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung, Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG a) Formelle Verfassungsmäßigkeit b) Materielle Verfassungsmäßigkeit aa) Verhältnismäßigkeit nach „Drei-Stufen-Theorie“ (1) Anforderungen an Berufsausübungs- und Berufswahlregelungen (2) Einordnung der Eintragspflicht (a) Eintragungspflicht wirkt wie subjektive Berufswahlregelung (b) Rechtfertigung: Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter (aa) Leistungsfähigkeit des Handwerks, Sicherung des Nachwuchses (bb) Gefahrenabwehr (cc) Hohe Ausbildungsleistung im Maler- und Lackiererhandwerk bb) Verhältnismäßigkeit (1) Legitimes Ziel (2) Geeignetheit (3) Erforderlichkeit (4) Angemessenheit (a) Altgesellenregelung (b) Gesamtbetrachtung von Teiltätigkeiten III. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG 1. Ungleichbehandlung mit Reisegewerbe 2. Rechtfertigung 3. Inländerdiskriminierung/Bevorzugung EU-Ausländer IV. Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV)

Fortsetzung der Lösungsskizze C 665 Aufgabe 2: A. Hauptsacheverfahren, nicht Eilverfahren B. Verfassungsbeschwerde (–) Subsidiarität C. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz I. Verwaltungsrechtsweg 1. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit 2. Nichtverfassungsrechtlicher Art 3. Keine abdrängende Sonderzuweisung II. Statthafte Klageart 1. Keine Anfechtungs-, Verpflichtungs-, vorbeugende Unterlassungsklage 2. Allgemeine (negative) Feststellungsklage, § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO a) Rechtsverhältnis b) Subsidiarität, § 43 Abs. 2 VwGO III. Feststellungsinteresse IV. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog V. Richtiger Klagegegner 1. Handwerkskammer H 2. Landkreis L VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

Klausuren für das 1. Examen C 665 Lösung Malern ohne Meisterbrief 30.04.2018 Dr. Martin Stuttmann Schwerpunkte: Grundrechte, Verwaltungsprozessrecht Gewerbefreiheit; Berufsfreiheit; Gleichbehandlung; Meisterzwang für Handwerksbetriebe; „Altgesellen“-Regelung; Minderhandwerk; wesentliche Tätigkeiten für ein Handwerk; Reisegewerbe; Niederlassungsfreiheit Verfassungsbeschwerde; allgemeine Feststellungsklage; richtiger Klagegegner im Handwerksrecht Art. 3, 12, 93 GG §§ 1, 55 GewO §§ 1, 7, 7 b, 9 HandwO Art. 49 AEUV § 43 VwGO Vorüberlegungen, nicht Teil der Lösung: 1. Aufgabenstellung: Schon beim ersten Blick auf den Falltext stellen Sie fest:  

für öffentlich-rechtliche Verhältnisse fällt der Sachverhalt relativ kurz aus, es sind zwei Aufgaben aus Anwaltsperspektive gestellt, eine materiell-rechtliche und eine prozessuale Aufgabe.

Die Klausur entstammt aus Examensperspektive einem Randgebiet des öffentlichen Rechts, dem Gewerberecht, und dort dem Handwerksrecht. Hieraus dürfen Sie schließen, dass die nötigen Argumente im Aufgabentext zu finden sind, denn Einzelheitenwissen zum Handwerksrecht darf nach den JuristenausbildungsG nicht vorausgesetzt werden. Freilich müssen Sie damit rechnen, dass die Argumente zu Prüfungszwecken verfremdet oder in einen anderen Zusammenhang gestellt sind. Sie bemerken zudem, dass Sie einen typischen Erstexamenssachverhalt vor sich haben, der den Tatsachen- und Rechtsvortrag, der in der Realität eine dicke Akte füllen würde, auf einer Seite verdichtet. Es kommt also praktisch auf jedes Wort an. 2. Lösungsmethode: Auf rechtlichem Neuland besteht Ihre Aufgabe typischerweise darin zu zeigen, dass Sie unter ein unbekanntes Gesetz subsumieren können. Egal was Sie in der Universität über das Verbot des Abschreibens von Gesetzestexten gehört haben: Bei einem Ihnen und wahrscheinlich auch dem Korrektor weniger geläufigen Gesetz wie der HandwO ist es in der Regel angezeigt, die zu prüfende Norm einleitend zu paraphrasieren. Das ist gängige Praxis der Obergerichte und des BVerwG.1 Die Paraphrase ist in solchen Fallgestaltungen zweifach vorteilhaft: Der Leser weiß, worüber Sie reden und Sie haben keine Probleme, in die Prüfung einzusteigen. Außerdem vergessen Sie kein Tatbestandsmerkmal. Gutachten Aufgabe 1 A. Gewerbeordnung I. In Betracht kommt, dass die von M geplante Tätigkeit nach § 1 Abs. 1 GewO erlaubt ist. Danach ist der Betrieb eines Gewerbes jedermann gestattet, soweit nicht durch „dieses Ge-

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Beispielhaft BVerwGE 149, 265 Rn. 19.

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setz“ Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind (Grundsatz der „Gewerbefreiheit“).2

Die historischen Kenntnisse benötigen Sie natürlich nicht. Sie sind rechtlich auch unnötig.

Sie können auch unmittelbar in die HandwO einsteigen und dort das Verhältnis zur GewO kurz darstellen.

II. Da die GewO keine Beschränkungen für Maler- und Lackiererarbeiten vorsieht (siehe nur §§ 30–34 f, 55 GewO), wäre die Tätigkeit nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 GewO gewerberechtlich gestattet. Dessen enge sprachliche Fassung, dass die Beschränkungen „durch dieses Gesetz“ vorgeschrieben sein müssen, führt jedoch in die Irre. Sie beruht auf der lange zurückreichenden Geschichte des Gesetzes (erster Erlass: 1869). Damals meinte der Gesetzgeber, das gesamte Gewerberecht (erstmals) in einem einzigen Gesetz regeln zu können.3 Der Wortlaut ist teleologisch zu reduzieren. III. Unabhängig von dem auslegungsbedürftigen Wortlaut gelten auch im Gewerberecht i.w.S. die allgemeinen Regeln der Gesetzeskonkurrenz. Nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ verdrängt das später erlassene ranggleiche Gesetz früher erlassene Gesetze. Deswegen können später erlassene Bundesgesetze, zu denen auch § 1 HandwO zählt (die HandwO ist trotz ihrer Bezeichnung keine RechtsVO, sondern ein formelles Gesetz), § 1 Abs. 1 GewO vorgehen. Die speziellere HandwO verdrängt außerdem die allgemeinere GewO („lex specialis derogat legi generali“).4 Handwerksbetriebe stellen nämlich lediglich einen Unterfall der Gewerbebetriebe dar. Ob M seine geplante Tätigkeit zulassungsfrei aufnehmen kann, richtet sich folglich nach der HandwO und nicht nach der GewO. Ergebnis: Auf § 1 Abs. 1 GewO kann M die geplante Tätigkeit nicht stützen. B. Handwerksordnung I. M darf seine geplante selbstständige Tätigkeit nicht aufnehmen, wenn es sich dabei um ein zulassungspflichtiges Handwerk nach § 1 Abs. 1 HandwO handelt. Dann ist grds. die Eintragung in die Handwerksrolle (§§ 6, 7 HandwO), die Erteilung einer Ausübungsberechtigung (§§ 7 a, 7 b HandwO) oder einer Ausnahme (§§ 8, 9 HandwO) erforderlich. 1. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 HandwO ist der selbstständige Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe grds. nur den in die Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen und Personengesellschaften gestattet. Nach § 1 Abs. 2 HandwO i.V.m. Anlage A Nr. 10 zur HandwO5 ist das Handwerk des Malers und Lackierers zulassungspflichtig. M ist aber nicht als Maler oder Lackierer in die Handwerksrolle eingetragen. Die Eintragungspflicht entfiele nur, wenn M durch die Spezialisierung auf wenige Tätigkeiten nicht den Beruf eines Malers und Lackierers i.S.d. Handwerksrechts ausübt, sondern einen wesensmäßig anderen Beruf. Das ist nach den sachverständig gestützten Feststellungen des L bei der von M geplanten Betätigung aber nicht der Fall, weil dessen geplante Tätigkeiten berufsbildprägend für das Maler- und Lackiererhandwerk sind. 2. Die grundsätzlich für das (gesamte) Maler- und Lackiererhandwerk bestehende Zulassungs- bzw. Eintragungspflicht gilt nur nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 S. 1 HandwO. Danach ist ein Gewerbebetrieb zulassungspflichtig, der handwerksmäßig betrieben wird und ein Gewerbe vollständig umfasst, das in Anlage A zur HandwO aufgeführt ist, oder wenn Tätigkeiten ausgeübt werden, die für dieses Gewerbe wesentlich sind.

Die Definition von „Gewerbe“ einschließlich der Untermerkmale müssen Sie zum Examen auswendig wissen.

a) Bei der geplanten Tätigkeit des M müsste es sich um ein Gewerbe handeln. Ein Gewerbe ist jede nicht sozial unwertige, auf Gewinnerzielung gerichtete, dauerhaft ausgeübte, selbstständige Tätigkeit, die nicht Urproduktion, freier Beruf oder Verwaltung eigenen Vermögens

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BVerwG SächsVBl. 2017, 322 Rn. 24; Knauff DÖV 2017, 969. Eisenmenger in: Landmann/Rohmer, GewO, 76. EL August 2017, § 1 Rn. 55 ff.; Guckelberger Jura 2007, 598, 599. BeckOK GewO/Pielow, 40. Ed. Dezember 2017), § 1 Rn. 140; Ennuschat in: Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, 8. Aufl. 2011, § 1 Rn. 87 f. Sartorius I Nr. 815.

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ist.6 Die von M geplante Tätigkeit erfüllt diese Voraussetzungen. Das Gewerbe ist auch stehend7 i.S.d. § 1 Abs. 1 HandwO, weil M es von einer Niederlassung in S aus betreiben will. b) M müsste seine Tätigkeit weiterhin handwerksmäßig betreiben. Die Handwerksmäßigkeit dient der Abgrenzung zur industriellen Fertigung. Sie richtet sich nach der Verkehrsanschauung. Entscheidend sind vor allem der persönliche Einsatz des Inhabers und die Art der Herstellung.8 Da M als Ein-Mann-Betrieb anstreichen, tapezieren und lackieren will, spricht nichts für eine arbeitsteilige, industrielle Fertigung. M will handwerksmäßig arbeiten. c) Die von M beabsichtigten Tätigkeiten umfassen nur einen Ausschnitt aus dem Berufsbild des Maler- und Lackiererhandwerks. Eine Eintragungspflicht wegen vollständiger Ausübung des Handwerks scheidet also aus. Sein Betrieb ist gleichwohl eintragungspflichtig, wenn diese Tätigkeiten für das Gewerbe wesentlich sind (§ 1 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 HandwO).9 Die Wesentlichkeit ist ein qualitatives Kriterium, da nur auf die Art der Tätigkeit abgestellt wird.10 Unwesentlich sind nach § 1 Abs. 2 S. 2 HandwO insbesondere solche Tätigkeiten, die in einem Zeitraum von bis zu drei Monaten erlernt werden können oder die für das Gesamtbild des Handwerks nebensächlich sind (sog. Minderhandwerk).11 aa) Die geplanten Betätigungen des M sind keine unwesentlichen Tätigkeiten i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 und 2 Nr. 1 HandwO. Nach den sachverständigen Feststellungen des L können sie nicht in maximal drei Monaten erlernt werden. Es ist überdies nicht ersichtlich, dass M sich auf einfache Tätigkeiten beschränken möchte, für deren einwandfreie Ausführung keine qualifizierten handwerklichen Kenntnisse und Fertigkeiten nötig sind.12 Vielmehr möchte M das, was er tut, „vollständig und perfekt“ ausführen.

Geben Sachverständige Auskünfte oder erteilen Gerichte Rechtshinweise, sind diese in Klausuren immer a) richtig und b) bedeutsam für die (vom Aufgabensteller vorgesehene) Lösung.

bb) Die Tätigkeiten sind auch nicht nach § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 und 3 HandwO unwesentlich, weil sie nach den sachverständig gestützten Feststellungen des L für das Maler- und Lackiererhandwerk nicht nebensächlich, sondern (berufsbild-)prägend sind (Nr. 2). Sie erfordern die Fertigkeiten und Kenntnisse, auf die die Ausbildung in diesem Handwerk hauptsächlich ausgerichtet ist.13 Sie entstammen auch keinem zulassungsfreien Handwerk (Nr. 3). cc) Die in § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1–3 HandwO enthaltenen Regelbeispiele („insbesondere“) legen zwar nicht abschließend fest, unter welchen Voraussetzungen eine Tätigkeit für ein Handwerk als unwesentlich anzusehen ist.14 Aber es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die von M geplanten Tätigkeiten außerhalb der Regelbeispiele ausnahmsweise als nicht wesentlich für das Maler- und Lackiererhandwerk einzustufen wären. dd) Schließlich könnte jede der von M ins Auge gefassten Tätigkeiten isoliert zu betrachten sein. Jede für sich genommen könnte nach den vorgenannten Kriterien unwesentlich sein. Fehle für jede Teiltätigkeit die Eintragungspflicht, könnte sie auch insgesamt fehlen. § 1 Abs. 2 S. 3 HandwO gibt jedoch eine Gesamtbetrachtung vor, wenn – wie von M beabsichtigt – mehrere Tätigkeiten ausgeübt werden sollen, die in den Bereich eines zulassungspflichtigen Handwerks fallen. Diese Vorschrift soll verhindern, dass das Eintragungserfordernis und damit der grds. fortbestehende Meisterzwang umgangen oder ausgehölt werden.15 Sie soll helfen, den eingetragenen (Meister-)Betrieben ein wirtschaftlich erfolgreiches Agieren am Markt zu ermöglichen. Denn wie sich aus den statistischen Erhebungen der H ableiten lässt, können nur wirtschaftlich gesunde Betriebe ihren Ausbildungsaufgaben nachkommen. 6 7 8

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BVerwG NJW 2013, 2214 Rn. 12; BVerwGE 78, 6, 8; Kluckert JuS 2017, 610, 613. Zum stehenden Gewerbe vgl. näher S. 9. Grundlegend: BVerfGE 13, 97 und BVerwG GewArch, 1973, 157; OVG NRW, Urt. v. 20.11.2017 – 4 A 1113/13, Rn. 38; Günther GewArch 2012, 16. Eingehend: Leisner GewArch 2015, 294. BVerwGE 140, 276: Auf Zeitanteile (quantitatives Element) kommt es nicht an; Detterbeck, HwO (2016), § 1 Rn. 38; Leisner GewArch 2015, 294, 297 f. BVerwGE 140, 276; Thiel in: Honig/Knörr/Thiel, HwO, 5. Aufl. 2017, § 1 Rn. 57; Schmitz GewArch 2012, 39. BVerwGE 140, 276. BVerwGE 149, 265 Rn. 21 ff.; zur Einordnung von Teiltätigkeiten Thiel in: Honig/Knörr/Thiel, HwO, § 1 Rn. 62. Thiel in: Honig/Knörr/Thiel, HwO, § 1 Rn. 55. OVG RP GewArch 2013, 126; VG München, Urt. v. 25.04. 2017 – M 16 K 15.5455.

In dem hier verlangten umfassenden Gutachten müssen Sie eine solche zergliedernde Prüfungsmethode anwenden.

Es genügt, wenn Sie den Gedanken der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit überhaupt irgendwo in der Klausur sinnvoll angebracht haben. Die unterschiedliche Bedeutung von „wesentlich“ innerhalb derselben Norm zu erkennen, kann von Ihnen nicht verlangt werden.

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Wegen dieser besonderen Zweckrichtung ist der Begriff „wesentlich“ in Satz 3 anders auszulegen als in Satz 1 von § 1 Abs. 2 HandwO. Wesentlich i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 3 HandwO sind also Gesamtheiten solcher Tätigkeiten, die einen erheblichen Teil der Tätigkeiten abdecken, auf denen die erfolgreiche Teilnahme eintragungspflichtiger Handwerksbetriebe am Marktgeschehen typischerweise beruht. Wird das berücksichtigt, enthält der Wesentlichkeitsbegriff in § 1 Abs. 2 S. 2 HandwO keinen Widerspruch dergestalt, dass unwesentliche Tätigkeiten durch Kumulation wesentlich werden können.16 Auf die Tätigkeiten, auf die M sich „spezialisieren“ will, entfallen rund 70 Prozent der Einnahmen von durchschnittlichen Maler- und Lackiererbetrieben. Deswegen sind diese Tätigkeiten bei der nach § 1 Abs. 2 S. 3 HandwO gebotenen Gesamtbetrachtung wesentlich, und zwar wirtschaftlich wesentlich, für dieses ausbildungsrelevante Handwerk. Im Ergebnis stellen die Tätigkeiten, die M ausführen möchte, nach jeder Betrachtungsweise wesentliche Tätigkeiten des Maler- und Lackiererhandwerks dar.17 d) Ausnahmen nach § 3 HandwO kommen nicht in Betracht, da M die Tätigkeiten nicht als bloßen Hilfs- oder unerheblichen Nebenbetrieb ausüben will. Die Tätigkeiten unterliegen mithin nach der HandwO der Eintragungspflicht. 3. Fraglich ist, ob M erreichen kann, dass er mit seiner geplanten Tätigkeit in die Handwerksrolle eingetragen wird oder diese Tätigkeit zumindest ausüben darf. a) Nach der Grundregel des § 7 Abs. 1 a HandwO wird in die Handwerksrolle eingetragen, wer in dem von ihm zu betreibenden oder in einem mit diesem verwandten zulassungspflichtigen Handwerk die Meisterprüfung bestanden hat. M hat die Meisterprüfung jedoch nicht bestanden. Falls Sie diesen Aspekt übersehen haben: Fragen Sie sich, wozu die im Verhältnis breite Darlegung der Gesellentätigkeit im Sachverhalt dienen soll, wenn dieser so knapp abgefasst ist wie hier?

b) M könnte möglicherweise nach §§ 7 Abs. 7, 7 b Abs. 1 HandwO, der sog. „Altgesellenregelung“, eine Ausübungsberechtigung für die von ihm geplante Tätigkeit erhalten. aa) Grds. können für das Maler- und Lackiererhandwerk Ausübungsberechtigungen erteilt werden, weil dieses Handwerk unter Nr. 10 der Anlage A zur Handwerksordnung aufgeführt ist und nicht unter den in § 7 b Abs. 1 HandwO genannten Nr. 12 bzw. 33–37. Nur für die zuletzt genannten Handwerke dürfen keine Ausübungsberechtigungen erteilt werden. bb) M hat die nach § 7 b Abs. 1 Nr. 1 HandwO erforderliche Gesellenprüfung im Jahr 2004 in dem zu betreibenden Maler- und Lackiererhandwerk abgelegt sowie gemäß Nr. 2 von 2004– 2014 (mehr als) sechs Jahre in dem Handwerksberuf gearbeitet.

Es kommt nur darauf an, dass Sie das Problem (einigermaßen) erkannt und (halbwegs) vertretbar argumentiert haben.

cc) Fraglich ist jedoch, ob M davon auch vier Jahre „in leitender Stellung“ tätig gewesen ist, wie Nr. 2 außerdem voraussetzt. Nach der Legaldefinition des § 7 b Abs. 1 Nr. 2 S. 2 HandwO ist eine leitende Stellung dann anzunehmen, wenn dem Gesellen eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnisse in einem Betrieb oder in einem wesentlichen Betriebsteil übertragen worden sind. Eine leitende Stellung nimmt nur ein, wer im Vergleich zum durchschnittlichen Gesellen in einer qualifizierten Form tätig geworden ist. Diese Qualifikation muss sich aus eigener Weisungsfreiheit, eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis für bestimmte Arbeitsbereiche oder aus Weisungsbefugnissen gegenüber anderen Mitarbeitern des Betriebs ergeben und sich dadurch insgesamt von der üblichen Tätigkeit eines Gesellen abheben.18 Da M in dem Betrieb „unauffällig mitgelaufen“ ist, kommt allenfalls in Betracht, die von ihm durchgeführte Anleitung und Beaufsichtigung der Lehrlinge als leitende Tätigkeit aufzufassen. Allerdings verleiht die Vermittlung von Fachkenntnissen an Lehrlinge sowie deren Beaufsichtigung dem Gesellen noch keine verantwortliche Stellung i.S.d. § 7 b Abs. 1 Nr. 2 HandwO. Die Betreuung einzelner Lehrlinge und die Weitergabe von Fachkenntnissen sind nur ein Teilaspekt jeglicher Gesellentätigkeit. Diese Stellung hätte M’s Tätigkeit nur dann in 16 17 18

OVG RP GewArch 2013, 126; VG München, Urt. v. 25.04. 2017 – M 16 K 15.5455; Leisner GewArch 2015, 294, 297 f. So im Ergebnis auch BVerwG BVerwGE 149, 265 Rn. 21 ff. SächsOVG, Beschl. v. 08.12.2015 – 3 A 366/15.

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besonderer Weise qualifiziert, wenn M eine im Vergleich zu den übrigen Gesellen besondere Verantwortung für die Lehrlingsausbildung übernommen hätte.19 Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass M’s Tätigkeits- und Verantwortungsbereich hierüber hinausging. M fehlte während seiner Angestelltenzeit die leitende Stellung. Er kann daher keine Ausübungsberechtigung als „Altgeselle“ ohne Meisterbrief nach § 7 b Abs. 1 HandwO erhalten. 4. Gleiches gilt für eine evtl. Ausübungsberechtigung nach § 7 a HandwO, weil M kein anderes handwerksrechtlich zulassungspflichtiges Gewerbe betreibt. 5. Zugunsten des M liegen keine Umstände vor, die die Erteilung einer Ausnahmebewilligung i.S.d. § 7 Abs. 3 HandwO nach § 8 oder § 9 HandwO als naheliegend erscheinen lassen würden, die zu einer Eintragung in die Handwerksrolle führen könnte. II. Die einfachgesetzlich vorgegebene Eintragungspflicht besteht jedoch nur, wenn die sie begründenden gesetzlichen Vorschriften mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Fraglich ist, ob die Eintragungspflicht nach der HandwO verfassungsgemä...


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