Book Review: Schmenk, Barbara (2008): Lernerautonomie, karriere und sloganisierung des autonomie-begriffs. Tübingen: Gunter Narr Verlag (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik) PDF

Title Book Review: Schmenk, Barbara (2008): Lernerautonomie, karriere und sloganisierung des autonomie-begriffs. Tübingen: Gunter Narr Verlag (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik)
Author Karin Zotzmann
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Schmenk, Barbara (2008), Lernerautonomie, Karriere und Sloganisierung des Autonomiebegriffs. Tübingen: Gunter Narr Verlag (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik). Ausgangspunkt der über 400seitigen Monographie von Barbara Schmenk zum Autonomiekonzept in der Fremdsprachenforschung ist die Tats...


Description

Schmenk, Barbara (2008), Lernerautonomie, Karriere Autonomiebegriffs. Tübingen: Gunter Narr Verlag Fremdsprachendidaktik).

und Sloganisierung (Giessener Beiträge

des zur

Ausgangspunkt der über 400seitigen Monographie von Barbara Schmenk zum Autonomiekonzept in der Fremdsprachenforschung ist die Tatsache, dass es heutzutage in diesem Bereich kaum eine Publikation gibt, die sich nicht in irgendeiner Weise auf den Autonomieansatz bezieht. Wie die Autorin überzeugend aufzeigt, dient das Konzept dabei häufig als Projektionsfläche für eine Vielzahl unterschiedlichster pädagogischer, methodischdidaktischer und politischer Ziele. Während Schmenk in ihrem Buch diese einzelnen Bedeutungen erfasst und ihrer diskursiven Vorgeschichte nachgeht, ist das eigentliche Ziel dieser Analyse jedoch nicht die Dekonstruktion bedeutungsentleerter, missbräuchlicher oder gar ideologischer Verwendungen. Die Autorin will Ordnung und Orientierung in die unklare und teils widersprüchliche Diskussion bringen, um mit der „Kraut- und Rübendidaktik“, die aus der Unschärfe folgt, aufzuräumen. Durch die konzeptuelle Klärung und die ideengeschichtliche Spurensuche versucht sie, die inhaltliche Diskussion auf eine solide Basis zu stellen und den wertvollen Beitrag, den ein durchdachtes und theoriebasiertes Autonomiekonzept für die Fremdsprachendidaktik leisten kann, herauszuarbeiten. Schmenk beginnt ihre kritische Bestandsaufnahme mit den verschiedenen Bedeutungen, mit denen der Begriff allein in der deutschen Nachkriegsgeschichte in der Pädagogik, der Fremdsprachenforschung und im allgemeinen Sprachgebrauch gefüllt wurde: Während im Kontext der politisierten End-sechziger und siebziger Jahre die Förderung allgemein sozialer Verantwortung, die Erziehung zur Mündigkeit und die Emanzipation von Heteronomie (Fremdherrschaft), d.h. fraglos hingenommenen Regeln und Ordnungen, im Vordergrund standen, verfolgten kritische pädagogische Ansätze der nächsten Jahre wenigstens noch die Überwindung der Trennung von Schule und Leben, die Integration der ganzen Person in den Lernprozess und die Ausbildung einer integrativen Moral. Erst im Kontext neoliberaler Bildungsdiskurse begannen technizistische Versionen die eigenständige Steuerung des (mentalen) Lernprozesses unter Zuhilfenahme von (teilweise kontextlosen) Lernstrategien in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Zur Kategorisierung der verschiedenen Ansätze entwickelt die Autorin ein Raster, das von einer politischen Dimension jeden Autonomiekonzepts aus- und damit über vorherige Einteilungen (siehe Benson 1997 und Oxford 2003) hinausgeht. Ihre Gliederung in situativtechnizistische, strategisch-technische, radikal-konstruktivistische, entwicklungspsychologische, pädagogisch-fächerübergreifende und handlungsorientierte Perspektiven erlaubt ihr, implizite und explizite Vorstellungen des Lern- und Lehrprozesses, der Natur einer (Fremd-)Sprache und der Idee des Subjekts ans Licht zu bringen und Widersprüche aufzudecken. So kann sie unter anderem zeigen, dass gerade die technisch orientierten Ansätze nicht nur mit allen möglichen didaktisch-methodischen Forderungen kompatibel und damit grundsätzlich richtungslos sind, sondern dass die Reduktion von Autonomie auf Lernen ohne Lehrer das Erlernen von Fremdsprachen „selbst nur recht leblos und sehr unzureichend“ (S. 86) erfasst. Hinsichtlich des Rückgriffs einiger Autonomievertreter auf den Radikalen Konstruktivismus stellt sie fest, dass Autonomie „nicht zugleich Lernende beschreiben und Ziel ihres Lernens sein“ (S. 97) kann. Ad absurdum führt sie den Versuch „Lehren“ allenfalls als Perturbation eines selbstreferentiellen Informationssystems zu definieren und daraus didaktisch relevante Empfehlungen entwickeln zu wollen. Schmenk folgert deshalb, dass man „nur unter Verzicht auf den

konstruktivistischen Autonomiebegriff“ „die Fremdsprachenunterricht begründen“ kann (S. 103).

Förderung

von

Autonomie

im

Der Ideengeschichte innerhalb der Nachkriegszeit folgt eine Diskussion der philosophischen Wurzeln des Autonomiekonzeptes in der europäischen Aufklärung, insbesondere bei Immanuel Kant (1724-1804) und Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), Eine solche selbstreflexive und kritische Untersuchung von Begriffen und Ideen ist besonders im interkulturellen Kontext des Fremdsprachenunterrichts von immanent unterrichtspraktischer Relevanz. Bildungspolitische und pädagogische Werte, die in jedem Autonomie-Konzept mittransportiert werden, müssen sowohl im In- als auch im Ausland hinterfragt und analysiert werden, um ihre Angemessenheit in dem jeweiligen institutionellen und national-staatlichen Kontext überprüfen und Handlungsspielräume ausloten zu können. Während die ersten drei Kapitel des Buches einen Überblick über und eine Diskussion des begriffsund ideengeschichtlichen Hintergrunds von Autonomie in der Fremdsprachenforschung und anderen verwandten Disziplinen bieten, konzentriert sich der zweite Teil des Buches – die Autorin nennt ihn eine „didaktische Baustelle“ - auf die Weiterentwicklung des Konzepts auf der Basis der gewonnenen Einsichten. Dabei diskutiert sie Autonomie im Zusammenhang mit drei weiteren Schlüsselthemen der Fremdsprachenforschung: der Entwicklung der kommunikativen, der medialen und der interkulturellen Kompetenz. Schmenk geht hier auf die Bildungsideale der kritischen Pädagogik und Theorie zurück, integriert aber gleichzeitig die foucaultsche Kritik an der Selbstbestimmtheit des autonomen Subjekts. Sie argumentiert, dass der Glaube an die Freiheit des Individuums bei gleichzeitigem Ausblenden gesellschaftlicher Beschränkungen und Machtverhältnisse gar als internalisierte Heteronomie verstanden und damit als ideologisches Selbstkonstrukt gedeutet werden kann. Gerade das Erlernen einer Fremdsprache ist, wie die Autorin überzeugend argumentiert, zuerst einmal alles andere als autonom, denn der/ die Lernende muss sich ja auf etwas Neues und Unbekanntes einlassen und damit ein Stück Kontrolle abgeben. Gleichzeitig erlaubt das Neue wiederum einen Blick auf das Gewohnte und ermöglicht so, den eigenen (durchaus hybriden und dynamischen) Standort und die eigene Standortgebundenheit kritisch zu reflektieren. Nach Schenk kann es also nicht darum gehen, Autonomie zu deklarieren, wo keine ist, sondern Heteronomie zu entdecken und ihren Einfluss gegebenenfalls zu modifizieren oder einzuschränken. Die Autorin definiert Autonomie deshalb nicht als erreichbares Ziel, sondern als „kritische Folie“, anhand derer man persönliche Handlungsräume und Kommunikationsverhalten im Kontext von Fremdbestimmungen sehen, beschreiben und bestimmen lernt und nähert sich mit dieser Definition der kulturwissenschaftlichen Perspektive von „dritten Orten“ (Kramsch 1999) in der interkulturellen Kommunikation.

Schmenks Abhandlung über den Autonomiebegriff leistet in hervorragender Weise die von ihr angestrebte konzeptuelle Klärung und Orientierung. Durch die Historisierung und Bedeutungsrekonstruktion zeigt die Autorin nicht nur, dass die heutige vorherrschende Auffassung von Autonomie als selbstgesteuertes Lernen eben nur einen Ansatz aus einer Reihe von möglichen darstellt. Ihr gelingt es vor allem überzeugend darzulegen, dass gerade dieses Verständnis deutlich hinter den Diskussionsstand der 70er und 80er Jahre zurückfällt und in seiner Anschlussfähigkeit an instrumentell ökonomische Diskurse der eigentlichen humanistischen Idee von Autonomie, Mündigkeit und Selbstbestimmung zuwiderläuft. Die Frage, die die Autorin zu großen Teilen unbeantwortet lässt ist, welche sozioökonomischen, historischen und politisch-gesellschaftlichen Bedingungen eigentlich dazu führten, dass das vormals politisch-emanzipatorische Verständnis von Autonomie zu einer

reduzierten, instrumentell-ökonomischen Variante umgeformt und trivialisiert werden konnte. Ihre ideengeschichtliche Aufarbeitung zeichnet sich dennoch durch eine äußerst kenntnisreiche und interdisziplinäre Verbindung von philosophischen, fremdsprachendidaktischen, pädagogischen, kulturtheoretischen und ideengeschichtlichen Perspektiven aus, die die Entwicklung des Autonomiekonzepts von verschiedenen Seiten beleuchtet. Der Autorin gelingt dabei nicht nur eine spannende diskursive Spurensuche, konzeptuelle Diskussion und überzeugende Kategorisierung und Diskussion von Ansätzen, sondern bei aller Komplexität immer auch Lesbarkeit. Die dabei in Abständen eingefügten „Übersetzungen“ der Theorie in ein umgangssprachliches Zwiegespräch zwischen einer „Optimisten-“ und einer „Pessimistenseele“ erscheinen deshalb als nicht unbedingt nötig. Letztendlich wird das Buch in erster Linie Lehrerfort- und Lehrerausbilder, insbesondere im akademischen Bereich, interessieren, denen die kritische Selbstreflexion als unabdingbar für die Vermittlung von Fremdsprachen im In- und Ausland erscheint.

Bibliographie Kramsch, Claire (1999): Thirdness: The Intercultural Stance. In: Vestergaard, T. (ed.): Language, Culture and Identity. Aalborg: Aalborg University Press. Zotzmann, Karin (1999): Die kognitionspsychologische Computer-Metapher und ihre Implikationen für das Konzept des Autonomen Lernens. Friedrich-Schiller-Universität Jena: Magisterarbeit....


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