Bruno Latour “Facing Gaia“6 PDF

Title Bruno Latour “Facing Gaia“6
Course Kulturtheorie und Kulturanalyse
Institution Leuphana Universität Lüneburg
Pages 3
File Size 61.9 KB
File Type PDF
Total Downloads 15
Total Views 133

Summary

Bruno Latour “Facing Gaia“6...


Description

Der 1947 geborene französische Soziologe und Anthropologe Bruno Latour steht laut einer Harvard Publikation 2016 an zehnter Stelle der meist zitierten Autoren für Journal Literatur (Harvard University 2016). Er diente in den siebziger Jahren dem französischen Militär an der Elfenbeinküste und erwarb später den Doktorgrad in Philosophie. Latour ist für seine Studien am Schnittpunkt der Wissenschaft und Technologie mit der Gesellschaft bekannt, auch für seine umstrittene Haltung zu wissenschaftlichen Fakten, die er als künstlich hergestellt ansieht. Im Jahr 2013 erhielt Latour den Holberg International Memorial Prize, der für besondere Verdienste in den Sozialwissenschaften, Recht und Theologie verliehen wird. (Tesch 2013) Der zu lesende Auszug ist die siebte Lektion des Schriftstückes Facing Gaia, in dem Latour zur Anerkennung des New Climatic Regimes aufruft. Facing Gaia ist laut Latour die Einsicht, dass das alte Konzept einer Zukunft nicht funktioniert, und eine neue Idee herbeigeführt werden muss, um eine Zukunft der Menschen und unseres Planeten zu sichern (vgl. Latour: S.245) Das sogenannte New Climatic Regime sei ein Begriff, der die aktuelle Situation zusammenfasst: Gaia, die Erde, die Peripherie der Erdoberfläche, auf der wir uns bewegen, ist als Akteur aufgetaucht und reagiert auf das menschliche Handeln (vgl. S.3 und Faculty of Arts, Aarhus Universitet 2016). Es gäbe keine naturgegebene universelle Norm mehr, die die zwischenmenschlichen und politischen Konflikte löse, und unter dem neuen Regime würde jede Meinungsverschiedenheit diskutiert, womit wir uns bereits im Zustand eines Krieges befänden (vgl. S.237). Das Old Climatic Regime wurde demnach abgelöst, weil der Moment der Realisierung eintrat, in dem klar wurde, dass die wissenschaftlichen Fakten die Staaten nicht zum Handeln bewegen können (vgl. S.226). Um auf die durch das Auftauchen von Gaia und des New Climate Regime entstandenen geopolitischen Fragen einzugehen, wendet sich Latour dem des im NS-Regime engagierten Staats- und Völkerrechtlers Carl Schmitt zu (vgl. S.232). Ein Hauptthema der Lektion scheint die Diskussion um eine politische Ökologie zu sein. Die sogenannte Natur steht laut Latour als übergeordneter neutraler Akteur zur Beilegung jeder Diskussion bereit und hinterlässt damit die Politik als obsolet (vgl. S.225). Diese Annahme erkläre die Trägheit der Diskussion um die Ökologie, da stets auf eine naturgegebene Norm und Beurteilung gehofft würde (vgl. S.226). Diese aus der Natur entwickelte Übereinstimmung würde die Menschen Bürger einer großen politischen Einheit werden lassen. (vgl. S.226) Da nun aber die Natur als übergeordnete Instanz weggefallen sei, würden wahre Feindseligkeiten zwischen menschlichen Kollektiven möglich (vgl. 238). Dies sei so, da wissenschaftliche Fakten konstruiert seien und es somit keine einzige Wahrheit gäbe (vgl. Tesch 2013) und als Resultat alles Verhandlungssache ist. Latour betont später im Text, dass das Entstehen einer politische Ökologie wichtig für eine Zukunft der Erde sei und die Akzeptanz erfordere, dass es eine Teilung der menschlichen Spezies gäbe (vgl. S.247). Schließlich erfordere das Erscheinen der Gaia und des New Climatic Regime eine neue diplomatische Beziehungskonstellation zwischen einzelnen Kollektiven, in die die menschliche Spezies aufgeteilt sei (vgl. S.241). Dies scheint auch bereits der Fall zu sein: „Gaia (…) can be defined as the multiplication of the sites in which radically foreign

entities practice mutual “existential negotiation.”“ (S.238) Um jedoch in eine neue Phase des wahren Friedens eintreten zu können, müssten wir uns eingestehen, dass wir durch eine Phase des Krieges gingen, die die Diplomatie erfordere (vgl. 238). Um einen solchen Krieg auszuführen, braucht es den Konflikt und somit reißt Latour das Thema Feindbild an, das sich durch die siebte Lektion zieht. Von der eingangs getroffenen Aussage, dass es schwierig sei, einen echten Feind zu haben, gelangt Latour zu dem Schluss, dass es in politischen Fragen nur zwei Möglichkeiten gäbe: Entweder sei man politisch, indem man einen Feind identifizieren kann, oder gebe sich der globalen Einheitlichkeit hin und damit die Politik auf (vgl.240). Die globale Einheitlichkeit, die Globalisierung scheint Latour die Wurzel der ökologischen Krise zu sein (vgl. S.223 und S. 233). Dieser Logik nach sei also eine Aufteilung in (lokale) Kollektive nötig, die verschiedene politische Positionen beziehen und durch eine Art Krieg neue diplomatische Lösungen entwickeln. Der politische Feind nach Latour ist hier der Andere, der Fremde, grundlegend so verschieden, sodass Konflikte tatsächlich überhaupt möglich seien (vgl. S.236). Da es also keinen souveränen Vermittler wie die Natur gäbe, der durch allgemeine Normen ein eindeutiges Urteil zulässt, würde eine Grenze erreicht, die Konflikte mit einem politischen Feind, die hier von Latour genannten Ausländer möglich machen würden (vgl. S.236). Es lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass Latour aufgrund der aktuell existierenden ökologischen Krise einen Grund zum Handeln sieht. Die Globalisierung, das Zeitalter der Anthropozäne, zeigt die Übermacht der Ökonomie (vgl. S.226), die wiederum das Erwachen der Gaia etwa in Form des Klimawandels zeigt. Im Sinne der Geopolitik nach Ratzel ist dies eine Erweiterung des Begriffs, indem die Wechselwirkung zwischen Volk und Boden beide Elemente dauerhaft verändert. So ist beispielsweise „the good old Earth“ eine Neubelegung des feudalen Bodens zu etwas emanzipiertem (vgl. S.243f.) Latour spricht in einem Vortrag 2016 an der Aarhus Universität darüber, dass die Globalisierung gescheitert sei, da der Globus zu groß sei, und zu viele verschiedene Menschen darauf leben würden, um die Gesamtheit als eine Masse zu bedienen (Faculty of Arts, Aarhus Universitet 2016). Folgt man Ratzels Sicht auf den Staat als Organismus, so könnte an dieser Stelle der Schluss gezogen werden, dass sich die aktuellen Staaten oder Kollektive in einer Transitphase befinden: Wie Kjéllen anführt, können Staaten andere in sich aufnehmen. Durch die Globalisierung stellt sich nun die Frage, ob es überhaupt noch einzelne Staaten gibt, oder die Vereinheitlichung einen umfassenden Zusammenschluss herbeiführt, der laut Latour wiederum eine Orientierungslosigkeit hervorgerufen hat (vgl ebd.). Und diese Orientierungslosigkeit würde eine Rückbesinnung auf den eigenen Heimatboden, die eigene Lokalität auslösen (vgl. ebd.). In besagtem Vortrag spricht Latour also über die Erneuerung des Konzeptes der lokalen Gebundenheit und Schutz der Werte (ebd: 38:34-40:00min). Wie oben genannt, wird der Boden mit einer neuen Bedeutung aufgeladen, sodass eine Bewegung zum Lokalen hin keine Gegenbewegung zur Globalisierung darstellt, sondern eine Entwicklung in eine neue Richtung darstellt (vgl. ebd.). Latours Ausführung in Facing Gaia gipfelt in der Erwähnung von Blut und Boden, einer nationalsozialistischen Ideologie, die bäuerliche Lebensformen im Gegensatz zur Urbanität befürwortet. Somit macht sich der Autor die Geopolitik der Nationalsozialisten für eine politische Rechtfertigung zu Nutze: Die Befürwortung der

Abgrenzung von Teilgemeinschaften und ihrer Werte auf einem eigenen Grund und Boden von dem ihnen Fremden. Die illustrative Sprache der Schriften und der charismatische Charakter seiner Vorträge machen Latour damit zu einer gefährlichen Figur in der aktuellen Entwicklung verschiedener Länder zum Nationalismus. Latour legitimiert mit scheinbar wissenschaftlichem Hintergrund politische Einstellungen, die über seine unkonkreten Aussagen hinaus menschlich nicht vertretbar sind....


Similar Free PDFs