Eine zionstheologische Fortschreibung in Psalm 46, 48 und 76. Intertextuelle Befunde und redaktionsgeschichtliche Auswertungen PDF

Title Eine zionstheologische Fortschreibung in Psalm 46, 48 und 76. Intertextuelle Befunde und redaktionsgeschichtliche Auswertungen
Author Martin Leuenberger
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in: A. Brodersen/F. Neumann/D. Willgren (Ed.), Intertextualität und Entstehung des Psalters (FAT 2/114), Tübingen 2020, 75–92 Eine zionstheologische Fortschreibung in Psalm 46, 48 und 76 Intertextuelle Befunde und redaktionsgeschichtliche Auswertungen Martin Leuenberger 1. Einleitung 1.1 Der Psalter...


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in: A. Brodersen/F. Neumann/D. Willgren (Ed.), Intertextualität und Entstehung des Psalters (FAT 2/114), Tübingen 2020, 75–92

Eine zionstheologische Fortschreibung in Psalm 46, 48 und 76 Intertextuelle Befunde und redaktionsgeschichtliche Auswertungen Martin Leuenberger

1. Einleitung 1.1 Der Psalter als Komposition eigener Art In den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten hat sich mit Recht die gegenwärtige Mehrheitsposition durchgesetzt,1 wonach das biblische Buch der Psalmen eine wohlgeordnete Gesamtkomposition – eben den (masoretischen) Psalter – bildet. Nur angemerkt sei an dieser Stelle, dass damit eine bestimmte literaturgeschichtliche Linie in den Vordergrund rückt; daneben sind aber bes. in Qumran (11QPsa u. a.) und namentlich, aber nicht nur im Blick auf den Abschluss auch in der Septuaginta und der Peschitta abweichende Psalterien erhalten, die qualitativ in ähnlicher Weise komponiert sind, aber abweichende – und entstehungsgeschichtlich vermutlich auch jüngere – Abfolgelogiken aufweisen. Gerade im Blick auf das Tagungsthema lohnte sich ein umfassenderer Vergleich des masoretischen Psalters mit diesen Psalterien.

Im Horizont der Hebräischen Bibel (HB) fällt auf, dass es sich beim Psalter in vielerlei Hinsicht um eine eigene Art von Komposition handelt, die sich etwa durch die (vielschichtigen) Schlagworte „Poetizität“, „Einzelpsalm und Psalmenabfolge“, „Pragmatik von Psalmen und Psalter“, „Traditionsliteratur“ andeuten lässt.2 So gibt es gegenwärtig – wenn auch innerhalb eines schmaleren Spektrums als noch vor einer Generation – berechtigterweise nach wie vor eine wichtige Forschungsdiskussion über das Verständnis des komplexen Gesamtbefundes des Psaltertextes: Inwieweit und auf welche Weise ist er als intendierte Komposition zu verstehen? Für jede textwissenschaftliche Zugangsweise, die ihre semiotischen und historischen Implikationen hermeneutisch reflektiert, stellt sich dabei unabwendbar die Frage nach der Entstehung des Psalters. Denn nur auf dieser Grundlage lässt sich überhaupt klären, inwiefern der Psalter sowohl für die Verfasser, produktiven Tradenten und Redaktoren als auch für die Adressaten, Rezipienten und Leser eine planvolle Komposi1 2

Jüngst nicht zuletzt durch die Arbeiten der Band-HerausgeberInnen (siehe unten Anm. 5). Siehe dazu die Lit. unten Anm. 5 sowie Leuenberger, Konzeptionen, 31–40.

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tion darstellt. Das bedeutet umgekehrt, dass jedes Verständnis von Einzelpsalmen und Gesamtpsalter bestimmte Annahmen über die Textentstehung und -komposition voraussetzt, trifft oder impliziert. Es führt m. E. daher methodisch kein Weg an der Frage nach der Entstehung des Psalters vorbei, auch wenn die textgestützten Antworten oftmals allzu rasch an ihre Grenzen stoßen. 1.2 Intertextualität und Entstehung des Psalters Dem so knapp umrissenen Rahmen von Komposition und Genese des Psalters widmet sich dieser Band mit seinen beiden (elliptischen) Brennpunkten „Intertextualität“ und „Entstehung“ des Psalters. Beide Stichworte verweisen bekanntlich auf umfangreiche und komplexe Problembereiche, die hier nur schlagwortartig angedeutet seien. – Dies gilt namentlich für das Stichwort der Intertextualität, das auf umfassende Literatur- und Kulturtheorien verweist, welche intertextuelle Befunde interpretieren. Gegenüber diesen umfassenden Interpretationsmodellen, die vielfach auch fachspezifische und positionsbedingte Ausprägungen aufweisen, setzen meine Überlegungen im Horizont des hiesigen Bandes schlichter bei den als solchen unstrittig konstatierbaren Sachverhalten ein, die als inter- (oder auch intra-)textuelle Befunde bezeichnet werden können und die in ihrer Gesamtheit eben als Intertextualität von Texten/Textcorpora verstanden werden können. Ich setze also ganz basal beim Phänomen konkreter und – so ergänze ich im Sinne einer Präzisierung und zugleich einer Problemanzeige – verfasserintendierter3 Text-Text-Beziehungen an. Damit kommt Intertextualität im Anschluss an Gérard Genette als „die effektive Präsenz eines Textes in einem anderen Text“ in Form von Zitat, Plagiat oder Anspielung in den Blick.4 Diese Befunde werden erhoben und beschrieben, im Folgenden dann aber im Kontext dieses Bandes literar- und redaktionsgeschichtlich ausgewertet  – womit unter Berücksichtigung der eigentümlichen soziohistorischen Gegebenheiten der biblischen Literatur eine spezifische Auswertungs- und Interpretationsperspektive verfolgt wird, die sich in verschiedener Hinsicht von den genannten modernen literatur- und kulturwissenschaftlichen Intertextualitätstheorien unterscheidet und dazu differenziert ins Verhältnis gesetzt werden muss.

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So jetzt etwa für Ps 146–150 auch Brodersen, End, 22–27. Genette, Palimpseste, 10; dabei steht Intertextualität neben Para-, Hyper-, Meta- und Architextualität, welche Phänomene zusammengenommen als Transtextualität bezeichnet werden. Siehe als aktuelle Einführung Berndt/Tonger-Erk/Meixner (Hg.), Intertextualität. Im Blick auf die antike Traditionsliteratur, insb. in der HB, „verbindet sich damit häufig die Frage, welche Texte überhaupt als eine literarische Einheit gelesen werden wollen“, wie Blum, Pentateuch, 67, mit Recht unterstrichen und für den Penta-/Hexa-/Enneateuch ausgeführt hat. Mutatis mutandis stellen sich diese Probleme auch im poetischen Horizont der Psalmen, des Psalters und der Ketubim. 4

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– Denn der durch den vorliegenden Band vorgegebene zweite Hauptbegriff der Entstehung legt den Fokus dezidiert auf die literatur- und redaktionsgeschichtliche Genese von Einzelpsalm, Psalmengruppen und Gesamtpsalter. Materialiter sind auf diesem Feld in neuerer Zeit ja eine Fülle von Hypothesen entwickelt worden; sie zeigen grundsätzlich, dass die Fragestellung fruchtbar ist und ein Desiderat bearbeitet; sie machen aber zugleich auch klar, dass unsere Rekonstruktionsmöglichkeiten text- und quellenbedingt offenkundig begrenzt sind.5 In dem so skizzierten aktuellen Forschungskontext gewinnt das Thema dieses Bandes seinen unverwechselbaren Charme und seine weiterführenden Perspektiven m. E. gerade dadurch, dass Intertextualität und Entstehung des Psalters pointiert aufeinander bezogen werden, was sich durch einen Blick auf die einschlägige neuere Forschungsliteratur leicht substantiieren und flächendeckend illustrieren ließe. 1.3 Beobachtungen an Zionspsalmen als Testfall Im Folgenden wende ich mich dieser zentralen Fragestellung nach dem Verhältnis von Intertextualität und Entstehung des Psalters exemplarisch zu. Ich bearbeite sie anhand eines Beispiels aus den Zionspsalmen, das sich mir bei der Arbeit an diesen Texten erschlossen hat. Es basiert ganz wesentlich auf terminologischen bzw. thematischen Text-Text-Beziehungen (2.2.2) und wertet diese Befunde sodann redaktionsgeschichtlich aus (2.2.4–5). Dabei ist es mir im vorliegenden Rahmen darum zu tun, anhand dieses Beispiels die methodische Argumentation permanent transparent zu machen: Wie präsentieren sich die Befunde? Was sind – in unterschiedlichen Rahmenparadigmen – mögliche Auswertungen? Wo erfolgen die methodisch und inhaltlich entscheidenden Weichenstellungen und mit welchen Gründen? Schließlich: Welche redaktionsgeschichtlichen Folgerungen lassen sich so (mit welcher Wahrscheinlichkeit) entwickeln?

2. Jhwhs universal Frieden und Gerechtigkeit stiftendes Wirken in Psalm 46,9–12; 48,10–12; 76 – eine zionstheologische Fortschreibung im werdenden Psalter Wenden wir uns also der spezifischen Kerngruppe der zionstheologischen Psalmen 46, 48 und 76 zu, die man als eigentliche Zionshymnen bezeichnen kann.6 Wie zahlreiche Jerusalemer Psalmen oder etwa auch die Zionstexte in Jesaja beruhen sie auf 5 Vgl. dazu das Forschungsspektrum bei Zenger (Hg.), Composition, und jetzt Willgren, Formation, 11–20, mit seinen kompositionskritischen Anfragen; exemplarisch zeigt sich dies am Psalter-Ende einerseits bei Neumann, Hymnen, 5–7.429–432, und andererseits bei Brodersen, End, 2–11. Methodisch etwas anders gewendet fokussiert Bremer, Armen, auf armentheologisch ausgerichtete Redaktionsprozesse im Psalter. 6 Siehe für diese Umgrenzung bereits Steck, Friedensvorstellungen, 9 Anm. 5, und zur Definiti-

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dem zions- und tempeltheologischen Basisaxiom der Gegenwart des Königsgottes Jhwh in Zion; sie entfalten dabei namentlich die Grundüberzeugung, dass ZionJerusalem deswegen ein heilvoller Sonderstatus als Gottes Berg, Stadt und Tempel zukommt.7 Wiewohl die Akzente je unterschiedlich gesetzt werden, repräsentieren diese Zionspsalmen somit – während einer langen Zeitspanne der vor- und nachexilischen Zeit – eine genuin affirmative Zionstheologie, die sie von den kritischen Transformationen der unheilsprophetischen Zionstheologie scharf abhebt. 2.1 Die These Auch innerhalb dieser affirmativen Zionstheologie lassen sich nun verschiedene theologiegeschichtliche Entwicklungen feststellen; eine zentrale Rolle spielt dabei natürlich wie sonst die Verarbeitung der Exilserfahrung,8 die freilich in den hier interessierenden Psalmen 46, 48 und 76 bemerkenswerterweise keine grundlegenden Infragestellungen oder Transformationen ausgelöst hat. Dennoch treten auch hier, so meine These, theologiegeschichtliche Errungenschaften der späteren Perserzeit (vielleicht des 4. Jh.) hervor, und zwar im spezifischen Vorstellungs- und Aussagebündel, dass Jhwh in Gegenwart und Zukunft universal für Frieden und Gerechtigkeit sorgt. Ich möchte zeigen, dass es signifikante intertextuelle Befunde gibt, die sich redaktionsgeschichtlich am besten so auswerten lassen, dass hier eine zionstheologische Fortschreibung vorliegt, die die älteren Psalmen 48 und 46 in 48,10–12 und 46,9–12 entsprechend fortschreibt sowie den gleichläufigen Redaktionspsalm 76 in den Kontext der Asaphpsalmen einschreibt. 2.2 Die Argumentation Bei der Begründung dieser These muss ich mich im vorliegenden Rahmen auf die methodisch entscheidenden Schritte beschränken, dabei aber einige Vorannahmen machen, die gut etabliert, aber nicht allgemeiner Konsens sind. Ich schicke aber vorweg, dass sich der Fokus auf gerade diese intertextuellen Beobachtungen und redaktionsgeschichtlichen Auswertungen erst aufgrund von Einsichten umfangreicherer Vorarbeiten aufdrängt, diese dann aber umgekehrt weiter abzustützen vermag, sodass die resultierende Gesamthypothese eine sonst nicht erreichbare, erhöhte Plausibilität gewinnt. Diese Interdependenz stellt im Rahmen on der Zionshymnen anhand der wichtigsten konzeptionellen, motivischen und formal-strukturellen Gemeinsamkeiten (und Differenzen) knapp etwa Hossfeld/Zenger, Psalmen 51–100, 386–387. In einem zweiten Schritt lässt sich diese Kerngruppe um Ps 84, 87, 122 und (Teile des Königspsalms) 132 ergänzen und in einem dritten Schritt kommen dann die zahlreichen zionstheologischen Passagen bzw. Aussagen in weiteren Psalmen hinzu. Sowohl thematisch als auch kompositionell und redaktionsgeschichtlich präsentieren sich diese Übergänge fließend, sie können hier jedoch nicht genauer erörtert werden. 7 Siehe dazu demnächst Leuenberger, Zion, Kap. IV. 1 und I. 3.1 (Lit.). 8 Vgl. statt vieler van Oorschot, Korachpsalmen, 427 ff, und umfassend Körting, Zion (Lit.).

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exegetischer Modellbildung nichts Außergewöhnliches dar und ist m. E. auch methodisch gerechtfertigt; es gilt allerdings, diese wechselseitigen Verflechtungen unterschiedlicher Beobachtungen und (Vor-)Annahmen permanent transparent und damit immer auch problematisierbar zu halten. 2.2.1 Vorannahmen Im konkreten Fall haben meine Vorarbeiten9 folgende Einsichten erbracht, die als Vorannahmen für die folgenden Überlegungen fungieren: – Die beiden zionstheologischen Zwillingspsalmen 46 und 48, deren Datierung insb. aufgrund des Völkerkampfmotivs strittig ist, werden bei einem Bezug auf den Sanherib-Feldzug 701 am besten verständlich. Das Ereignis wird – mithilfe älterer zionstheologischer Vorstellungen und aus Sicht einer offiziell-staatlichen Trägerschaft des Jerusalemer Tempels  – so verarbeitet, dass im früheren 7. Jh. die charakteristische affirmative Zionstheologie der beiden Psalmen im Grundbestand resultiert. – Näherhin ist Ps 48 konzeptionell und literargeschichtlich vermutlich ein wenig älter als sein jüngerer Zwillingsbruder 46, der ihn rezipiert und punktuell weiterführt; dies kann hier aber auf sich beruhen. – Der Grundbestand von Ps 48 umfasst V. 2–9.13–15 und gliedert sich in drei Strophen, welche den Großkönig Jhwh in seiner Stadt Zion, die Abwehr des Völker„sturms“ sowie die Inspektion Zions behandeln. I. II. III. IV.

V. 2–4 V. 5–9 V. 10–12 V. 13–15

Der Großkönig Jhwh und sein Berg/seine Stadt Zion Zusammenrottung und Flucht der Könige Tempelzentrierte, heilvolle Wirkgrößen Gottes Inspektion Zions und Erzählen von unserem Gott

Diese nachgerade klassische Zionstheologie fügt sich historisch, religions- und theologiegeschichtlich sehr gut in die skizzierte (womöglich auch kultisch-liturgisch vollzogene) offizielle Jerusalemer Tempeltheologie des 7. Jh.10 Demgegenüber weist die jetzt dritte Strophe V. 10–12 markante Wandlungen auf, wenn hier die bis ans Ende der Welt ausgreifenden Wirkgrößen Gottes (Gnade, Name, Ruhm, Gerechtigkeit, Gerichtsvollzüge) im Zentrum stehen. Daher hat sich über die nachexilische Einschreibung von V. 10–12 in der neueren Forschung ein ziemlich solider Konsens etabliert. Er stützt sich neben den genannten, weltweit ausgreifenden Wirkgrößen (1) auf die Du-Anrede (2), die auf den Tempel zentrierte Perspektive (3) und den veränderten Sinn von „Zion“ und den „Töchtern Judas“ (4); all diese Züge unterscheiden sich vom älteren Grundbestand im Kontext deutlich. 9

Siehe dazu demnächst ausführlich Leuenberger, Zion (Lit.). Literargeschichtlich wird diese Verortung unter anderem dadurch gestützt, dass der exilische Klagevers Klgl 2,15 den Untergang der „Freude für die ganze Welt (‫ “)מׂשוׂש לכל־הארץ‬beklagt. Damit wird offensichtlich Ps 48,3 als etablierter Topos zitiert (‫ מׂשוׂש ]ל[כל־הארץ‬ist in der HB nur an diesen Stellen belegt), welcher Vers daher (deutlich) älter sein muss. 10

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– Analog präsentiert sich der Befund in Ps 46, dessen älterer Kern wahrscheinlich in V. 2–8, der jetzt ersten Strophe, vorliegt. Obwohl der Leitbegriff „Zion“ nominell fehlt, zeigt sich nahezu dieselbe Grundkonzeption wie in Ps 48, die bekräftigt, dass Gott sich in seiner Jhwh-Präsenz in der Gottesstadt als Zufluchtsort vor ChaosBedrohungen im Bereich der Natur und der Völker bewährt hat. I.

V. 2–8

II. V. 9–12

Jhwhs Präsenz im Tempel (V. 5–6): in Kosmos (V. 3–4) Zufluchtsort gegen Chaos und Völkerwelt (V. 7) Jhwh Zebaot mit uns/Gott Jakobs für uns (V. 12 = V. 8): Kriegsbeendigung (V. 9–10) weltweite Erkenntnis: Jhwh ist Gott (V. 11)

Abermals zeigt die zweite Strophe V. 9–12 eine deutliche Weiterentwicklung, die sie literargeschichtlich als Fortschreibung zu erkennen gibt: Gegenüber V. 2–8 spielt die Gottesstadt keine tragende Rolle mehr (1) und es gewährleistet auch nicht mehr Gottes dortige Gegenwart als solche den Schutz, sondern allererst dessen übermächtiges Wirken in Gestalt der Zerstörung von Kriegsgerät11 (2) – und zwar in der gesamten Völkerwelt (3). Damit verschiebt sich, freilich weniger auf der syntaktischen Ebene als der Sache nach, die Zeitperspektive zusehends in die Zukunft, die als weltweite Friedenszeit in den Blick kommt (4). – Ps 76 entfaltet im Vergleich zu Ps 46 und 48 eine eigentümliche Variante der Zionstheologie: Jhwh (V. 12, vgl. V. 2.1012), der Gott Israels und Judas, hat im Tempel auf dem Zion Wohnung genommen; von dort aus hat er in der gesamten Völkerwelt Kriege beendet und sein Gerichtsurteil zugunsten der „Elenden/Armen“ kundgetan, was weltweit Anerkennung finden muss und wird. I. II. III. IV.

V. 2–4 V. 5–7 V. 8–10 V. 11–13

Gottes bekannte Präsenz in Zion und kriegsbeendende Taten dort Seine Übermacht hat Feinde und Kriegswagen gebändigt Gottes weltweites Gerichtsurteil zugunsten der Elenden Menschliche Anerkennung des Gerechtigkeit durchsetzenden Jhwh

So fügt sich Ps 76 ins Gesamtgefüge der affirmativen Zionstheologie ein, fokussiert aber auf die zionszentrierte Weltbefriedung durch den übermächtigen („furchteinflößenden“) und richtenden Gott Jhwh, der seine Taten „von seiner ‚Wohnstatt auf dem Zion‘ aus vollbringt“.13 Damit stellt er sicherlich den jüngsten Exponenten 11 Die Kriegsbeendigung durch Jhwhs Übermacht läuft implizit, der Sache nach aber eindeutig darauf hinaus, dass Jhwh sich als „universaler Friedensstifter“ erweist (so Janowski, Wohnung, 47). 12 Wenn Ps 76 tatsächlich von Haus aus ein Redaktionstext ist – sei es für den Asaphpsalter 73– 83 oder m. E. eher für den korachitisch eingeleiteten elohistischen Psalter 42–83 –, dann dürfte die theologische Programmatik, dass Jhwh der völker- und weltweit agierende Gott (‫ )אלהים‬ist, bereits ursprünglich sein. Entsprechend ist dann V. 2 (und V. 10) auch textkritisch nicht zu beanstanden (anders als beim „vorelohistischen“ Grundbestand in Ps 46 und 48). 13 So Lutz, Völker, 171.

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der drei zionstheologischen Kernpsalmen dar, was bereits Edzard Rohland zutreffend gesehen hat und bis heute weithin anerkannt ist.14 Literargeschichtlich gibt der Psalm, wenn man ihn in seinem kompositionsund redaktionsgeschichtlichen Kontext liest, weder Anlass zu tendenzkritischen Schichtungen in V. 2b.3b15 noch Grund zur Annahme einer armentheologischen Fortschreibung des vom Himmel ergehenden Gerichtsurteils in V. 9–10.16 Vielmehr stellt er wahrscheinlich einen in den Asaphkontext eingeschriebenen Redaktionspsalm dar, wie ich im Folgenden anhand intertextueller Befunde und redaktionsgeschichtlicher Auswertungen plausibilisieren möchte. 2.2.2 Kernbeobachtungen zu den intertextuellen Befunden Nach dieser letzten Vorbemerkung können nun ausführlicher die eigentlichen Kernbeobachtungen erörtert werden. Der Einsatz erfolgt mit Textdaten, die als solche weitestgehend unstrittig sind. Auch ihre Deutung als intertextuelle Befunde im weiteren Sinn dürfte  – trotz der oben in 1.2 angedeuteten Methoden- und Theoriedebatten im Hintergrund – exegetisch konsensfähig sein, auch wenn diese Befunde in der Forschung aufgrund anderweitiger Vorannahmen lange Zeit (zu) wenig Beachtung gefunden haben. So ist in der Mitte des 20. Jh. für den schon genannten Rohland innerhalb seines überlieferungs- und traditionsgeschichtlichen Zugangs völlig klar, dass bei Ps 46, 48 und 76 eine „literarische Abhängigkeit aber durch den jeweils eigenständigen Kontext ausgeschlossen“ ist.17 Demgegenüber lohnt sich m. E. im Rahmen neuerer kompositions- und redaktionsgeschichtlicher Modelle ein genauerer Vergleich der beiden ergänzten (Fortschreibungs-)Passagen 46,9–12 und 48,10–12 sowie des insgesamt jüngeren Ps 76. – Im Blick auf die Text-Text-Beziehungen mit am prägnantesten ist die Aussage, dass Jhwh Bogen(blitze) zerbricht (‫ )ׁשבר ]רׁשפי־[קׁשת‬in Ps 76,4 und 46,10:

14 Rohland, Erwählungstraditionen, 123, hält Ps 46 für den ältesten Text und datiert ihn „in verhältnismäßig frühe Zeit“ (a. a. O., 143), während Ps 76 „erst verhältnismäßig spät entstanden“ sei (ebd.). Für die neuere Forschung siehe statt vieler Jeremias, Königtum, 179 Anm. 51 (allerdings mit revisionsbedürftigen Datierungen), und insb. Hossfeld/Zeng...


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