Lueck, H. E., Der Hawthorne-Effekt PDF

Title Lueck, H. E., Der Hawthorne-Effekt
Course Soziologische Theorie
Institution Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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GD (2009) 40:102–114 DOI 10.1007/s11612-009-0055-1 A L L G E ME I N E R TE I L

Der Hawthorne-Effekt – ein Effekt für viele Gelegenheiten? Helmut E. Lück

Zusammenfassung: Es wird gezeigt, dass der Begriff Hawthorne-Effekt (Hawthorne effect), erst lange Zeit nach den Untersuchungen in den Hawthorne-Werken entstand und gegenwärtig zunehmende Verbreitung in den Sozialwissenschaften und vielen weiteren Disziplinen erfährt. Der Begriff wird in verschiedenen, zum Teil abwegigen Bedeutungen verwendet. Dies wirft die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Begriffs auf. Zudem wird die Frage gestellt, wie es zur Verbreitung der ungenauen Darstellungen einzelner Feldexperimente der Hawthorne-Untersuchungen als „akademische Folklore“ in der Lehre und zur Verbreitung derartiger unscharfer Begriffe in Psychologie und Sozialwissenschaften kommt. Schlüsselwörter: Hawthorne-Studien · Hawthorne-Effekt · Forschungsmethoden · Management · Leistung

The Hawthorne effect – an effect for many occasions? Abstract: It is shown that the concept of ‚Hawthorne effect‘ was created many years after the Hawthorne studies in Western Electric Company. Presently, the ‚Hawthorne effect‘ concept is increasingly used in social sciences and many other sciences. The concept is however used in different and occasionally digressive meanings. The question arises whether such a concept is useful at all. In addition, it is discussed why the rather imprecise reports of single Hawthorne field experiments have been spread as academic folklore, and why rather undefined concepts like the ‚Hawthorne effect‘ are used so widely in psychology and social sciences. Keywords: Hawthorne studies · Hawthorne effect · Research methods · Management · Performance

© VS-Verlag 2009 Prof. Dr. H. E. Lück ( Institut für Psychologie, FernUniversität Postfach 940, 58084 Hagen, Deutschland E-Mail: [email protected]

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Eine bei Lehrenden wie Studierenden gleichermaßen beliebte Passage eines Seminars zur Sozial- und Organisationspsychologie hört sich etwa so an: Um festzustellen, welchen Einfluss die Beleuchtung auf die Arbeitsleistung hat, führte man vor langer Zeit in den USA ein Experiment mit Arbeiterinnen in einem Versuchsraum eines Unternehmens durch und variierte die Helligkeit der Beleuchtung. Wurde der Arbeitsplatz heller beleuchtet, stieg die Leistung. Dann senkte man die Beleuchtungsstärke und stellte überrascht fest, dass die Leistung weiter stieg. Und dies sogar, als die Beleuchtung nur noch so hell war wie Mondlicht. Kommt Ihnen diese Passage bekannt vor? Die Geschichte vom Experiment im Bank Wiring Observation Room gehört offenbar seit vielen Jahren zur üblichen Lehre in der Psychologie, der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaften. Die Geschichte hat ihre Meriten, denn sie ist geeignet, um auf die Bedeutung der sozialen Anerkennung bei der Arbeit, auf informelle Beziehungen der Beschäftigten, auf die Gruppendynamik, auf den Beginn der Human Relations und zugleich forschungsmethodisch auf die Grenzen des Experiments aufmerksam zu machen. Die Geschichte findet sich so oder ähnlich in vielen Lehrbüchern der Sozial- oder Organisationspsychologie (s. u.). In der Besprechung der unerwarteten Ergebnisse des Experiments und im Rahmen der Grenzen des Experiments fällt dann häufig der Begriff

Nur: An der Geschichte ist vieles, sehr vieles, unzutreffend, und sie ist nicht geeignet, derartig weitreichende Interpretationen abzugeben. Vieles spricht dafür, dass die erzählte Geschichte weniger zum gesicherten Wissen, sondern eher zu den wissenschaftlichen Anekdoten zählt. Es lohnt sich daher, die Hintergründe zu betrachten und dazu die Frage zu stellen, warum eine Geschichte wie diese zur „akademischen Folklore“ gehört und sich so lange gehalten hat. Gehalten hat sie sich, denn von nachlassender Popularität der Hawthorne-Studien kann man nicht sprechen. Gibt man die Begriffe „Hawthorne studies“ oder „Hawthorne effect“ in Google ein, erhält man jeweils ca. 245.000 Verweise, darunter selbst eine Blues-CD mit dem Titel „Hawthorne Effect“. Für den deutschen Ausdruck „Hawthorne Effekt“ gibt es sogar 292.000 Verweise – darunter natürlich auch Doubletten und nicht zum Thema Passendes.

Der Hawthorne-Effekt ist nicht – wie manchmal zu lesen ist – nach einem Wissenschaftler, sondern , den Der erste größere Bericht über diese Studie erschien vor immerhin 70 Jahren (Roethlisberger & Dickson, 1939). Dieses Jubiläum mag Anlass genug sein, einen Blick auf die Studien, die Rezeptionsgeschichte dieser Studien zu werfen, schließlich werden die Hawthorne-Studien als Beginn sowohl der Human Relations als auch der Industriesoziologie angesehen. Prüfstein soll für uns der Begriff des Hawthorne-Effekts sein, in dem die Befunde kondensiert erscheinen.

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Die Hawthorne-Studien Sogleich ist zu sagen, dass es sich um eine von einzelnen Untersuchungen mit verschiedensten Fragestellungen und Forschungsmethoden handelt, die von verschiedenen Forschern, teilweise zeitlich parallel, beginnend über mehr als ein Jahrzehnt durchgeführt wurden. Erst die schwere Wirtschaftskrise 1933 führte zum Ende der Studien. Als führender Kopf der Human Relations-Bewegung wird Elton Mayo (1880–1949) angesehen. Er war an der Planung, vor allem aber an der Darstellung einiger dieser Untersuchungen i. S. der Human Relations (s. u.) beteiligt. Da die Hawthorne-Studien zwar einerseits als , andererseits aber oft verkürzt dargestellt werden, sollen sie hier unter Bezug auf Walter-Busch (1989), Gillespie (1991) und einige weitere Veröffentlichungen knapp skizziert werden. Die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte in den USA zwar ein enormes Wachstum der Unternehmen und wachsende Bedeutung von Gewerkschaften mit sich, in vieler Hinsicht blieben jedoch soziale Merkmale, wie sie für kleinere Handwerksbetriebe üblich waren, erhalten. So war nicht nur in Er konnte Personen einstellen, entlassen, Löhne und Sozialleistungen festsetzen, Material einkaufen, lagern usw. Dies änderte sich erst bis Ende der Zwanzigerjahre durch Einrichtung von Spezialabteilungen, wie die Personalabteilung oder Abteilungen zur Qualitätskontrolle. Nach der Erfi ndung von Telefon und Grammophon gewann die Elektro- und insbesondere die Telefonindustrie in den USA schnell an wirtschaftlicher Bedeutung. 1927 beschäftigten die Hawthorne-Werke der Western Electric Company in Chicago 22.000 Mitarbeiter. Die Rationalisierungsmaßnahmen i. S. von Frederick Winslow Taylor (1856–1915) und anderen, die Herausbildung der erwähnten Spezialabteilungen und arbeitspolitische Maßnahmen hatten bereits ihre Wirkungen gezeigt. Das Unternehmen arbeitete nach diesen Reorganisationen (1908–1923) sehr erfolgreich. Die Arbeiterschaft bestand in dieser Zeit überwiegend aus Einwanderern in zweiter Generation

Und doch gab es Probleme, wie z. B. große Fluktuation, die in vielen US-Unternehmen bei über 300% lag (Gillespie, 1991, S. 17). Die Western Electric Company hatte die nachteiligen Wirkungen der erkannt und in den Zehner- und Zwanzigerjahren bereits eine Reihe von aufgebaut, die über tayloristische Prinzipien hinausgingen. Zu diesen Maßnahmen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker an das Unternehmen sollten, gehörten eine (ab 1906), ein System, nach dem Mitarbeiter verbilligt Unternehmensanteile erwerben konnten (ab 1915), Versorgung (ab 1908), wöchentliche Konzerte in der Mittagspause (ab 1909) und (ab 1921), Sportvereine, ein attraktiver Hawthorne Club sowie eine Turnhalle (1927) (Gillespie, 1991, S. 18 f.). Als die Unter anderem gab es eine zweimonatlich erscheinende Mitarbeiterzeitschrift. Hinzu kamen 1926 z. B. Vorgesetztenschulungen

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(Gillespie, 1991, S. 145). D

Die Bedeutung der Forschung und weit reichender Patente für die Weiterentwicklung des Unternehmens war offensichtlich, schließlich waren Entdeckungen die Grundlagen des Unternehmens. Die im November 1924 begonnenen Beleuchtungsexperimente standen in größerem Kontext. Die Elektroindustrie hatte für bessere Beleuchtung von Arbeitsplätzen geworben, indem auf den hohen betriebswirtschaftlichen Nutzen guter Beleuchtung aufmerksam gemacht wurde. Die Versuchsreihen in den Hawthorne-Werken umfassten Kontrollgruppen, die gleichmäßig gute Beleuchtung erhielten, und eine Experimentalgruppe, deren Leistung in Abhängigkeit von der Beleuchtungsstärke untersucht wurde. Auch bei drastischer Absenkung der Helligkeit blieb die Produktionsleistung hoch (vgl. Abb. 1). Dieser Befund gilt allgemein als überraschend und wird in der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Literatur zum einen als Beweis dafür angesehen, dass es zwischen Beleuchtungsstärke und Leistung keine eindeutige Abhängigkeit wie etwa zwischen mechanisch-physikalischen Beziehungen gibt. D . So werden

Abb. 1: Leistungen pro Stunde, Dept. 6325 Receiver Coils, Illumination Study, 1926 Western Electric Company Hawthorne Studies Collection © Harvard Business School, Baker Library Historical Collection; all rights reserved. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung

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Natürlich waren diese Befunde für die Beleuchtungsindustrie wenig werbewirksam. Zu den bekanntesten Versuchsreihen der Hawthorne-Studien zählen die mehrjährigen Experimente im Relay Assembly Test Room. Das Unternehmen produzierte für Telefonvermittlungen jährlich mehrere Millionen Relais in vielen verschiedenen Typen. Diese Relais wurden aus Einzelteilen von Hand zusammengesetzt und kontrolliert. Fünf Arbeiter bzw. Arbeiterinnen saßen nebeneinander, eine sechste Kraft (layout operator) bestückte die fünf Arbeitsplätze. In einem Saal saßen mehrere hundert Personen in solchen Sechsergruppen zusammen. Für eine Versuchsserie wurden nun im April 1927 sechs Arbeiterinnen ausgewählt, die in einem Testraum einem Beobachter gegenüber saßen, der Leistungen erfasste und auf einem laufenden Papierstreifen Vorkommnisse, wie z. B. Unterhaltungen der Arbeiterinnen, registrierte (vgl. Abb. 2). Es gab Leistungssteigerungen, die z. T. mit dem Gruppenakkord erklärbar sind; es gab auch sinkende Fehlzeiten, Proteste der Arbeiterinnen gegen regelmäßige medizinische Untersuchungen, usw. Insgesamt waren die Befunde bei einer unglaublichen Datenflut über Wochen und Monate nicht eindeutig. Dies lag auch daran, dass die Daten konfundiert waren: Es gab z. B. den Austausch einzelner als ungeeignet erscheinender Versuchspersonen während der Versuchsreihen. Die besonders ausgesuchten beiden neuen Arbeiterinnen leisteten von Anfang an weit mehr als die aus dem Versuch herausgenommenen. Zur Interpretation der Daten wurden Forscher herangezogen, einer von ihnen war Elton Mayo.

Abb. 2: Relay Observation Test Room. Etwa 1930. Western Electric Company Hawthorne Studies Collection © Harvard Business School, Baker Library Historical Collection; all rights reserved. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung

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Elton Mayo Elton Mayo wurde 1880 in Adelaide, Australien, geboren, studierte in Australien und Großbritannien Medizin und wandte sich dann den Sozialwissenschaften und der Psychoanalyse zu. Er lehrte 12 Jahre lang in Queensland und publizierte u. a. im Bereich der Philosophie. Mayo emigrierte 1922 in die USA und wurde 1927 ohne Promotion Professor für Industrial Research an der Harvard Business School (zur Biographie s. Trahair, 1984; zum seinem Werk s. Cunningham & Wood, 2004). Mayo leitete von dort ab 1929 einen Teil der Hawthorne-Studien, war maßgeblich an der Ergebnisdarstellung in drei Monographien (Mayo, 1933) und über 30 Aufsätzen zu den Hawthorne-Untersuchungen beteiligt (Gillespie, 1991, S. 175). Er propagierte in den USA und Europa in Vorträgen die Human Relations. Mayo starb 1949 in England. Als Mayo gebeten wurde, die vorliegenden Daten zu interpretieren, schlug er vor, die Untersuchungen um physiologische Messungen zu erweitern. Diese erbrachten jedoch keine wichtigen neuen Erkenntnisse. Mayo blieb aber an weiteren Untersuchungen interessiert. Er wurde von der Unternehmensleitung anerkannt und erhielt über viele Jahre hinweg beträchtliche persönliche Zuwendungen aus der Rockefeller-Stiftung. Zusammen mit Fritz Jules Roethlisberger (1898–1974) von der Harvard-Universität und William John Dickson (geb. 1904), einem Manager der Western Electric Co. führte Mayo 1927–1932 weitere durch. Hatte es schon vor Mayos Zeit in den Hawthorne-Untersuchungen Mitarbeiterbefragungen gegeben, so dehnte Mayo diesen Bereich beträchtlich aus. Bei der Befragung von 20.000 Mitarbeitern nach deren Arbeitsmotivationen konnte Mayo seine klinisch-psycho.

Mayo bezeichnete sein Vorgehen als (clinical sociology), gekennzeichnet durch sorgfältige Beobachtung und Vertrautheit des Forschers mit den Phänomenen. Dieses Vorgehen ist später mit der Ethnomethodologie verglichen worden. Die Entwicklung einer eigenen sozialwissenschaftlichen Theorie ist Mayo nicht gelungen, war allerdings erklärtermaßen auch nicht sein Ziel.

. Gleichzeitig sollte die „Befragung“ eine wichtige Informationsquelle für die Unternehmensleitung sein. Zu den Mitarbeitern Mayos gehörte zeitweise Carl Rogers (1902–1987), der innerbetriebliche Beratungsmethoden entwickelte und erprobte (Bennis, 1959, S. 269). Wenig später entwickelte

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Rezeption und Kritik Mehrere Autoren haben betont, dass Mayos Konzept der Human Relations ungewöhnlich schnell aufgegriffen und akzeptiert wurde. Human Relations – das war die Gegenbewegung zum Scientific Management von Frederick Winslow Taylor. So waren die Hawthorne-Studien angelegt und so wurden die Human Relations etwa 1945–1955 in den USA und Großbritannien, sehr kurze Zeit später auch auf dem europäischen Kontinent, bekannt und populär. Als Elton Mayos frühes Buch (Mayo, 1933) im Jahr 1949 in deutscher Sprache erschien, berichtete Helmut Schlesky, dass nicht nur

Schelsky ist beeindruckt von den Befunden, warnt aber vor der schematischen „Übertragung dieser betriebssoziologischen Bewegung auf europäische, besonders deutsche Verhältnisse“ (1949, S. 96). Merkwürdig erscheinen heute seine Hinweise auf die „hohe soziale Isoliertheit des amerikanischen Arbeiters“ und auf „die Übersteigerung der einseitig technisch-arbeitsteilig gesehenen Rationalisierung der Produktion usw. in der amerikanischen Industrie“. Waren Taylorismus und Arbeitszeitstudien naturwissenschaftlich und logisch begründbar, kam durch Mayo eine völlig neue Betrachtungsweise in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, die man als Paradigmenwechsel bezeichnen kann. Diese Sichtweise bedeutete in gewisser Weise eine Abkehr von Vernunft und Rationalisierung: ; reason was never entirely discredeted, but it began to be recognized that other forces, some of them dark and mysterious had to be accounted for in exploring and influencing human behaviour (Anthony, 1977, S. 223). Mayos Arbeiten wurden nun aus verschiedenen Gründen kritisiert (Landsberger, 1958; Sykes, 1965; Rose, 1975). Eine kritische Übersicht über die einzelnen Phasen und Ergebnisse der Experimente gibt Carey (1967). Eine Reanalyse der Daten, mit dem Ergebnis, dass es keinen oder bestenfalls einen schwachen Hawthorne-Effekt gegeben habe, hat Jones (1992) vorgenommen.

. Dahrendorf diagnostizierte bei Mayo eine „ans Unglaubliche grenzende Naivität“ (1974, S. 265).

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Der Vorwurf einer interessenbedingten Uminterpretation der Befunde lag nahe. Durch die von Mayo verfassten und gesteuerten Publikationen zieht sich als „Story“ die „Entdeckung“ der sozialen Bedingungen menschlicher Arbeitsleistung und die Aussage, dass die von ihm geleiteten Untersuchungen zu erheblichen Produktionssteigerungen geführt hätten. Beide Aussagen sind nur teilweise oder gar nicht zutreffend. Insbesondere nach einem kritischen, populärpsychologischen Aufsatz zur „HawthorneLegende“ (Rice, 1982), in dem auf fehlerhafte Rezeptionen der Studien in Lehrbüchern hingewiesen wurde, ließ sich eine auffällige Distanzierung von den Hawthorne-Studien erkennen. Die These, bei den Hawthorne-Untersuchungen handele es sich um eine „langsam sterbende Legende“ ist allerdings irreführend. Richtig ist eine komplexe Vielfalt an Befunden und Daten, die von T.N. Whitehead in zwei Bänden 1936 und 1938 präsentiert wurden. Diese Daten wurden wenig beachtet. Richtig ist auch, dass viele Autoren die Darstellungen von Roethlisberger und Dickson und später von Mayo ungeprüft übernommen haben, weil es an wissenschaftsgeschichtlichen und methodenkritischen Arbeiten fehlte. Und schließlich trifft auch zu, dass man Mayo bereitwillig abgenommen hat, die Hawthorne-Studien hätten den Beweis für die Notwendigkeit sozialer Wertschätzung im Interesse der Arbeitsleistung erbracht. Aus heutiger Sicht kann man sagen: Mit seiner Einschätzung der Sozialbeziehungen hatte er recht. Nicht recht hatte er vermutlich mit der Aussage, die von ihm mitverantworteten Studien in den Hawthorne-Werken hätten dies bewiesen. Also: Methode unangemessen, Befund aber grundsätzlich stimmend! Dieser eher ungewöhnliche Sachverhalt erleichterte bis heute das Missverständnis, in den Hawthorne-Studien sei (erstmals) die Bedeutung sozialer Faktoren für betriebliche Leistung erbracht worden. Und hier liegt wohl auch der Schlüssel zu der ungebrochenen Popularität der Beleuchtungsstudie: Die Geschichte stimmt zwar nicht, aber die (vermeintlichen) Schlussfolgerungen haben einen wahren Kern. Was Mayo einzigartig machte, war seine Fähigkeit, diese entstehenden sozialen Probleme zu erkennen und dafür attraktive Erklärungen und Lösungen populär zu machen (Huczynski, 1993, S. 130).

Hawthorne-Effekt Zum sozialwissenschaftlichen Grundwissen gehört heute der Begriff „Hawthorne-Effekt“. Dabei verweisen die meisten Autoren auf Management and the Worker (Roethlisbeger & Dickson, 1939). In diesem Buch sucht man den Begriff allerdings vergeblich. Andere verweisen bei Nennung des Begriffs auf Bücher von Elton Mayo. Aber auch dort kommt der Begriff nicht vor. Inzwischen wird als schrieb: From a methodological point of view, the most interesting finding was what we might call the ‚Hawthorne effect‘. (…) Careful studies of the wiring group showed marked

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. Thus it was the ‚artificial‘ social aspect of the experimental condition set up for measurement which produced the increase in group productivity (French, 1953, S. 101). Die Formulierung „might call“ lässt vermuten, dass der Begriff Hawthorne effect tatsächlich von French 1953, also 14 Jahre nach Erscheinen von Management and the Worker und lange nach Abschluss der Hawthorne-Studien, neu geprägt wurde. An dieser Stelle soll nicht interessieren, dass French noch irrigerweise von beträchtlichen Leistungssteigerungen ausging. Wichtig ist vielmehr, dass er Leistungssteigerungen dem „ Der Begriff, um den es hier geht, scheint sich erst allmählich durchgesetzt zu haben. Das Handbuch der Psychologie, Band 9: Betriebspsychologie (Mayer & Herwig, 1961) kennt den Begriff noch nicht und verweist nur eher am Rande auf die Hawthorne-Studien. Ähnlich verhält es sich mit Dorschs Geschichte der Angewandten Psychologie (1963). Neuere Lexika und Lehrbücher sowohl der Methodenlehre als auch der Organisationspsychologie nennen dagegen den Begriff häufig. Olson, Verley, Santos und Salas (2004) haben sich gefragt, was über die HawthorneStudien in Lehrbüchern der Organisationslehre und Organisationspsychologie zu finden ist und eine entsprechende Auswertung unternommen. Chiesa und Hobbs (2008) interessierten sich zusätzlich für die Verbreitung des Begriffs in Nachbargebieten und haben Hawthorne effect in über 200 englischsprachigen Büchern verschiedener Richtungen gesucht. Die Trefferquoten waren (2008, S. 68): Wörterbücher und Enzyklopädien der Psychologie: 47% Forschungsmethoden: 35% Berufs- und Organisationspsychologie/-soziologie: 29% Geschichte der Psychologie: 28% Einfü...


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