Skript KI-II 07-08 Auflage 2 PDF

Title Skript KI-II 07-08 Auflage 2
Author Litt Tanz
Course Stahlbau Grundlagen
Institution Universität Kassel
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Summary

Konstruktiver Ingenieurbau TU-Berlin...


Description

Konstruktiver Ingenieurbau II

Vorlesungsskript Konstruktiver Ingenieurbau II

2. Auflage Juli 2008 Technische Universität Berlin Fachgebiet Massivbau Sekretariat TIB 1 - B 2 Gustav-Meyer-Allee 25 13355 Berlin Prof. Dr. sc. techn. Mike Schlaich Dipl.-Ing. Achim Bleicher Tel +49 (0)30 314-721 30 Fax +49 (0)30 314-721 32 [email protected] www.massivbau.tu-berlin.de

Vorwort Die Vorlesung Konstruktiver Ingenieurbau II und das vorliegende Manuskript dienen der Vertiefung und Erweiterung der in Konstruktiver Ingenieurbau I vermittelten Grundlagen der Bemessung. Während in KI I vor allem stabförmige Bauteile behandelt werden, wird nun auf Flächentragwerke wie Scheiben und Platten eingegangen. Im ersten Kapitel wird allerdings zuerst das Prinzip der Vorspannung und des Spannbetons erläutert, um zu manifestieren, dass es sich hier um ein zentrales und kein Randthema handelt. Den Abschluss bildet das Kapitel Stützen. Dieses Manuskript ist „betonlastig“. Stahlbetondecken sind im Hochbau so verbreitet, dass ihnen durchaus ein eigenes Kapitel gewidmet sein soll. Gleichzeitig wird betont, dass viele der hier vorgestellten Konzepte sehr wohl werkstoffübergreifend verstanden werden können. So lässt sich die im Rahmen der Scheibenbemessung vorgestellte und ganz wichtige Methode des Bemessens mit Stabwerkmodellen auf Diskontinuitätsbereiche von Bauteilen aus beliebigen Werkstoffen übertragen. Es soll dankend erwähnt werden, dass in das vorliegende Dokument teilweise Vorlesungsunterlagen der Technischen Universität Stuttgart, Prof. Schäfer (Vorspannung und Stabwerkmodelle) und der TU Berlin, Prof. Specht (Platten und Stützen) eingeflossen sind. Im Übrigen sind die beiden hier erwähnten Manuskripte im Zusammenhang mit den entsprechenden Manuskripten des Fachgebietes Entwerfen und Konstruieren – Stahlbau zu studieren.

Mike Schlaich, Berlin, Juli 2007

TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS 8

VORSPANNUNG

1

8.1

Einführung

1

8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3

Prinzip der Vorspannung Technische Anwendungsformen der Vorspannung Spannobjekt und Spannmedium Offene und geschlossene Spannsysteme

1 3 7 8

8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.3.6

Spannbeton – Arten der Vorspannung Einführung Eigenschaften von Spannbetontragwerken Werkstoffe Vorspannung mit sofortigem Verbund Vorspannung mit nachträglichem Verbund Vorspannung ohne Verbund, externe Vorspannung

9 9 9 10 12 13 18

8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3

Schnittkraftermittlung und Spanngliedführung Schnittgrößen aus Umlenkkraft-Methode Schnittgrößen aus Parabelgleichung Spanngliedführung

23 23 25 28

8.5 8.5.1 8.5.2 8.5.3

Spannkraftverluste Mittelwert der Vorspannkraft Verluste infolge Kriechen, Schwinden und Relaxation Verluste infolge Reibung und Verankerungsschlupf

29 30 31 34

8.6 8.6.1 8.6.2 8.6.3

Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (Vorspannung als Einwirkung) Begrenzung der Rissbreiten und Nachweis der Dekompression Begrenzung der Spannungen Verformungen von Spannbetontragwerken

36 38 40 44

8.7 8.7.1 8.7.2 8.7.3

Grenzzustand der Tragfähigkeit (Vorspannung als Widerstand) Nachweise für Biegung Nachweise für Querkraft Nachweis gegen Ermüdung

45 46 49 50

8.8 8.8.1 8.8.2

Technologie, Konstruktive Durchbildung Nachweis des Verbundes zwischen Spannglied und Beton Verankerungen und Kopplungen

50 55 55

9

STABWERKMODELLE

59

9.1

Einführung

59

9.2

Grundgedanke

59

9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.3.5 9.3.6 9.3.7

Modellfindung Einführung Vorbereitungen zur Modellierung Modellentwicklung mittels Lastpfadmethode Modellentwicklung mit Hilfe linear-elastischer Spannungsbilder Grundsätze zur Optimierung von Stabwerkmodellen Typische Modelle Schwierigkeiten beim Entwickeln von Stabwerkmodellen

61 61 61 62 64 66 70 80

I

TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II

Inhaltsverzeichnis

9.4

Berechnung der Stabkräfte

82

9.5 9.5.1 9.5.2 9.5.3 9.5.4 9.5.5

Bemessung der Stäbe und Knoten Bemessungsgrundlagen Bemessung der Zugstäbe Bemessung der Druckstäbe Bemessung der Knoten Zusammenfassende Regel für die Bemessung

83 83 84 84 87 98

9.6 9.6.1 9.6.2

Beispiele Querschnittssprung in einem Balken oder einer Platte Abgesetzte Auflager

98 98 101

9.7 9.7.1 9.7.2 9.7.3 9.7.4 9.7.5

Rahmen Einleitung Rahmeneck mit negativem (schließendem) Moment Rahmenecken mit positivem (öffnendem) Moment Rahmenecke eines Hohlkastenträgers Rahmenknoten

104 104 104 109 114 119

9.8 9.8.1 9.8.2 9.8.3

Konsolen Allgemeines Bemessung Hohe Konsole

122 122 125 130

9.9 9.9.1 9.9.2

Scheiben Einleitung von Seilkräften in den Brückenträger Wände und Wandscheiben

131 131 134

10

PLATTEN

141

10.1

Einführung

141

10.2

Tragverhalten

141

10.3

Schnittgrößenermittlung

153

10.4 10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4 10.4.5 10.4.6 10.4.7

Bemessung und Konstruktive Durchbildung Grundlagen Einachsig gespannte Platten Zweiachsig gespannte Platten Diskontinuierliche Linienlagerung Öffnungen in Platten Fertigplatten mit Ortbetonschicht Punktgestützte Platten

154 154 159 164 171 172 173 177

11

STAHLBETON-DRUCKGLIEDER

191

11.1

Einführung

191

11.2 11.2.1 11.2.2

Grundlagen Tragverhalten von Druckgliedern Knicklängen / Ersatzstablängen

191 191 195

11.3 11.3.1 11.3.2 11.3.3 11.3.4

Schnittgrößenermittlung nach Theorie II. Ordnung gemäß DIN 1045-1 Einteilung der Tragwerke und Bauteile Nachweisverfahren Imperfektionen Schnittgrößenermittlung mittels Modellstützenverfahren

199 199 201 202 203

II

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Inhaltsverzeichnis

11.4 11.4.1 11.4.2 11.4.3

Bemessung / Bemessungshilfsmittel Interaktionsdiagramme µ-Nomogramme e/h – Nomogramme

210 210 211 213

11.5 11.5.1 11.5.2

Konstruktive Durchbildung Konstruktionsregeln nach DIN 1045-1, 13.5 Schleuderbetonstützen

214 214 217

LITERATUR

219

III

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IV

Inhaltsverzeichnis

TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II

8

Vorspannung

8.1

Einführung

Kapitel 8

Unter Vorspannung versteht man das „künstliche Unter-Spannung-Setzen“ (Heinz Hossdorf, 2003) von Bauteilen oder Bauwerken, bevor sie den normalen Beanspruchungen aus Eigengewicht, Schnee, Wind,… ausgesetzt werden. Dadurch können sehr gezielt die inneren Beanspruchungen (Schnittgrößen bzw. Spannungen) und die Verformungen, auch zur optimalen Formgestaltung, im gewünschten Sinne beeinflusst werden. In der Fachliteratur findet man zur Definition der Vorspannung ganz unterschiedliche Darstellungen und Erklärungen: Alf Pfüger (1978) meinte zur Frage, ob die Vorspannung als Last oder als Zwang aufzufassen sei: „…ist nun ein Vorspannungszustand kein Eigenspannungszustand,…“ „Die künstlichen Vorspannungen kann man ebenfalls unter die Lastspannungen einordnen“ (Gotthard Franz, 1983) „Man nennt deshalb das Ergebnis des Vorspannens einen Eigenspannungszustand“ (Jörg Schlaich, 1990) „Vorspannung verursacht einen Eigenspannungszustand“ (Christian Menn, 1986) Das Prinzip der Vorspannung ist schon von alters her bekannt und wird auch im Stahlbau, Glasbau, Membranbau, Seilbau, Verbundbau,… häufig angewendet. Das Daubenfass, der Regenschirm, der Pneu im Fahrzeugreifen, fest angezogene Schrauben sind allgegenwärtige Beispiele dafür. Spricht man im Bauwesen von Vorspannung, wird dies unwillkürlich auf vorgespannten Beton projeziert. In den 50er Jahren beeinflusste der Spannbeton nach ausgereifter Technologie spektakulär die Konstruktionsweise von Brückenbauten. Aus dieser Sicht ist der Spannbeton ein Anwendungsbeispiel eines weit allgemeineren mechanischen Konzepts, das auf viele Bereiche der Konstruktionstechnik übertragen werden kann.

8.2

Prinzip der Vorspannung

Mit der Erzeugung eines Vorspannungs-Zustands (Eigenspannungszustand) wird das Tragwerk mit potentieller elasto-statischer Energie „aufgeladen“. Die hierzu notwendige Arbeit wird meistens durch spezielle mechanische Vorrichtungen erzeugt. Womit rechtfertigt sich nun dieser technische Aufwand, der unvermeidlich zu einer Zusatzbeanspruchung der Konstruktion führt, deren Widerstandskraft doch zum Tragen der erwartenden Belastungen zur Verfügung stehen soll? Die Anwendung der Vorspannung ist nur dann sinnvoll, wenn sie in der Konstruktion vorhandene, im ungespannten Zustand aber ungenutzte Tragreserven aktivieren kann. Diese kommen fast ausschließlich in Konstruktionselementen mit 1

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Bild 8-1

Kapitel 8

Asymmetrische Festigkeitscharakteristiken

unterschiedlichen Festigkeitseigenschaften vor. Die Festigkeitseigenschaften des Materials Beton sind bekannt: hohe Druckfestigkeit und äußerst geringe Zugfestigkeit - er reisst. Trotz der symmetrischen Materialfestigkeit eines Seils versagt es bei Druckbeanspruchung aufgrund seiner Schlankheit - es knickt. Ein nur durch Kontakt hergestellter Fugenstoß zwischen zwei Konstruktionselementen kann nur Druck und keinen Zug aufnehemen – er öffnet sich. Festigkeitsasymmetrien können demnach bei Materialien, geometrischen Formen oder Verbindungen auftreten. Meistens werden Festigkeitseigenschaften in Kraft/Verformungs2

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Kapitel 8

Diagrammen dargestellt. In Bild 8-1 sind Beispiele für die genannten Festigkeitsasymmetrien und möglicher Verschiebungen bzw. Beeinflussungen beschrieben. 8.2.1

Technische Anwendungsformen der Vorspannung

Die mangelhafte Zugfestigkeit des Betons (~ 10% der Druckfestigkeit) führte auf den Gedanken, in der Zugzone des Betontragwerks durch geeignetes "Vorspannen" einen "Vorrat" an Druckspannungen zu erzeugen. Diese müssen erst aufgezehrt werden, bevor aus der einwirkenden Belastung Zugspannungen im Beton entstehen. "Vorgespannter" Beton, eigentlich müsste es heißen: "vorgedrückter" Beton, bleibt 3

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Kapitel 8

deshalb bei einer Laststeigerung viel länger im ungerissenen Zustand I als "schlaff bewehrter" Beton. Dies wird später anhand der Modelle eines vorgespannten Zugstabes und eines vorgespannten Balkens ausführlicher behandelt. Der von den Materialeigenschaften ähnliche Werkstoff Glas erhält durch das Spannmedium Temperatur einen ähnlichen „Vorrat“ an Druckspannungen. Beim Vorspannungsprozess kühlen die Glasoberflächen schneller ab, als das Glasinnere. Die bereits erstarrten Oberflächen werden bei weiterer Abkühlung durch die thermische Kontraktion der Scheibenmittelzone unter Druckspannung gesetzt. Bei Biegebeanspruchung durch äußere Lasten wird diese Druckspannung erst abgebaut bevor das Glas auf Zug beansprucht wird (Bild 8-2).

Bild 8-2

Vorgespanntes Glas

Seile können keine Lasten stützen, da sie schlaff nur eine sehr geringe Steifigkeit für Druckbelastung aufweisen. Zum Aufhängen einer Last sind sie jedoch besser geeignet. Ein hängendes Seil mit der Länge L unter einer Last P längt sich in Abhängigkeit seiner Dehnsteifigkeit (EA) um ∆L (Bild 8-3 I). Wird ein zusätztliches Seil zwischen der Last P und dem Boden verankert so fällt es aufgrund der sehr geringen Steifigkeit für Druckbelastung aus und wird schlaff (Bild 8-3 II). Werden jedoch beide Seile mit der Kraft V = P zwischen Boden und Decke vorgespannt, so teilt sich die Last P und wird zur Hälfte über das obere Seil auf Zug und zur anderen Hälfte über das untere Seil auf Druck abgetragen (Bild 8-3 III). Die Verformung ist demnach nur ∆L/2. Folglich stellt sich bei der doppelten Last (2 P) die Verformung ∆L ein und das untere Seil wird wieder schlaff. Dieser Zustand wird als Dekompression bezeichnet. Bei weiterer Laststeigerung (nach dem Knick in der LastVerformungskurve) verhält sich das obere Seil wie ein nicht vorgespanntes Seil und wird beim Erreichen der Streckgrenze unter der gleichen rechnerischen Bruchlast versagen. Es „erinnert“ sich aber daran, dass es vorgespannt war. Die Verformungsdifferenz zwischen vorgespanntem und nicht-vorgespanntem Seil kann deshalb als Gedächtnis G bezeichnet werden. Bei einer Fußgängerbrücke in Stuttgart (Bild 8-4) wurde zur Erhöhung der Steifigkeit das sehr abstrakte Prinzip aus Bild 8-3 angewendet. Die Seile dieser Seilbinderbrücke wurden dabei so vorgespannt, dass sie in keinem Lastfall schlaff werden.

4

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Bild 8-3

Prinzip der Vorspannung bei Seilen

Bild 8-4

Seilbinderbrücke am Kochenhof, Ing. Schlaich Bergermann und Partner, Arch. Luz und Partner

Kapitel 8

Analog zum vorgespannten Seil verhält sich auch ein zentrisch vorgespanntes Betonprisma (Bild 8-5). In Kapitel 8.3.5.1 wird das Last-Verformungsverhalten des vorgespannten Prismas detailliert erläutert. Durch das Vorspannen von Schrauben (GV und GVP-Schrauben) werden künstlich Klemmkräfte erzeugt, die eine Übertragung von Zugkräften in einem Trägerstoß ermöglichen, ohne dass die Fuge sich öffnet (Bild 8-6). Außerdem können so auch Schubkräfte mittels Reibung aus den Klemmkräften übertragen werden. Nietverbindungen (Bild 8-7) ermöglichen eine form- und kraftschlüssige Verbindung zweier Bauteile. Wird die Niet glühend eingebaut, so verkürzt sich diese durch Erkaltung und presst die Bauteile zusammen. Es entsteht eine vorgespannte Verbindung wie durch vorgespannte Schrauben, allerdings zerstörungsfrei nicht lösbar.

5

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Kapitel 8

Bild 8-5

Prinzip des Spannbetons

Bild 8-6

links: Kopfplattenstoß; rechts: Laschenstoß mittels vorgespannter Schrauben

Bild 8-7

Laschenstoß mittels Nietverbindung

Beim Preflexträger wird ein leicht gekrümmt hergestelltes Stahlprofil entgegen der Vorkrümmung elastisch verbogen, bevor der untere Flansch einbetoniert wird. Nach dem Erhärten des Betons und Wegnahme der Zwangskräfte federt der Träger wieder teilweise zurück, und es entstehen günstige Druckspannungen im anbetonierten Flansch (Bild 8-8). Dieser "vorgespannte Beton" erhält, wenn man vom Schwinden 6

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Kapitel 8

und Kriechen absieht, erst dann Zugspannungen, wenn der Verbundträger unter Lasten wieder so weit durchgebogen wird, wie beim Anbetonieren des Betonflansches. Er bleibt ungerissen und versteift somit sehr wirksam den schlanken Verbundträger.

Bild 8-8

Preflexträger: a) bis d) Herstellung e) Eingebauter Zustand als Doppelverbundträger

8.2.2

Spannobjekt und Spannmedium

Das Prinzip der Vorspannung kommt wie bereits beschrieben in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen zur Anwendung. Jedes Vorspannsystem erfordert zwei Komponenten: Spannobjekt und Spannmedium. Als Spannobjekt wird das durch Vorspannung beeinflusste Element der Konstruktion bezeichnet. Das Spannmedium stellt den Energiespeicher zur Erzeugung und Erhaltung der Spannkraft dar. Elastische Materialien (Stahldrähte) oder komprimierte Gase (Luft) induzieren von außen die Spannkraft. Bei sogenannter Eigenvorspannung übernimmt das Spannobjekt auch die Funktion des Spannmediums, vgl. vorgespanntes Glas sowie vorgespanntes Seil. Wird die Vorspannung durch ein Spannmedium erzeugt, so beteiligt sich dieses zwangsläufig auch an den Formänderungen, denen das Spannobjekt während seiner Nutzung unterworfen ist. Die Spannkraft variiert entsprechend. Um zur Nutzung des Bauteils eine ausreichende Vorspannung zu gewährleisten, sind als Spannmedien nur Materialien verwendbar, deren Formänderungen beim Spannen ein Vielfaches der beim Gebrauch des Spannobjektes auftretenden Verformungen betragen, vgl. auch Kapitel 8.3.3. 7

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8.2.3

Kapitel 8

Offene und geschlossene Spannsysteme

Die Kraft des Spannmediums bildet samt ihrer Reaktionen, völlig unabhängig von den äußeren Belastungen, denen die betreffende Konstruktion sonst noch ausgesetzt ist, für sich allein ein vollständiges Gleichgewichtssystem (vgl. auch Bild 8-11 ). Davon ist das für die Vorspannung verwertbare, unmittelbar auf die Spannobjekte einwirkende Kräftespiel ein vom Konstruktionstyp abhängiges Teilsystem. In geschlossenen Spannsystemen stützt sich die Spannkraft ausschließlich auf das Spannobjekt ab und bildet ein mobiles System (Fussball, vorgefertigtes Spannbetonelement, Speichenrad). Bei offenen Systemen wirkt die Spannkraft nicht nur auf das Spannobjekt, sondern auch auf die Umgebung (Bild 8-9), wodurch das System örtlich gebunden ist (abgespanntes Zeltdach, durch Stützensenkung eingeprägte Vorspannung, Bild 8-10).

Bild 8-9

Offenes und geschlossenes System

Bild 8-10

Vorspannung eines Trägers durch künstliche Stützensenkung

8

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8.3

Spannbeton – Arten der Vorspannung

8.3.1

Einführung

Kapitel 8

Das Prinzip der Vorspannung und deren Anwendungsgebiete sind wie beschrieben in vielen Bereichen der Konstruktionstechnik anzutreffen. In den weiteren Kapiteln wird dieses interessante Prinzip auf vorgespannten Beton bzw. Spannbeton beschränkt. Selbst dieses Gebiet ist so umfangreich, so dass auch hier nur Teilbereiche behandelt werden können. An dieser Stelle wird deshalb auf weiterführende Literatur im Anhang verwiesen. 8.3.2

Eigenschaften von Spannbetontragwerken

-

Durch Vorspannung bleibt das Tragwerk unter Gebrauchslasten länger im Zustand I. Die höhere Steifigkeit in diesem Zustand führt zu geringeren Verformungen.

-

Spannbeton erlaubt durch die Ausnützung hochfester Baustoffe (Stahl und Beton) größere Spannweiten und schlankere Tragwerke als Stahlbeton.

-

Die Vorspannung verbessert die Gebrauchstauglichkeit bzw. erhöht die Dauerhaftigkeit, indem Risse im Beton weitgehend verhindert oder mindestens die Rissbreiten zuverlässig auf ein unschädliches Maß begrenzt werden (Korrosionsschutz).

-

Spannbeton-Tragwerke haben eine hohe Ermüdungsfestigkeit, weil die Schwingbreiten der Stahlspannungen klein und damit unter der Ermüdungsgrenze liegen.

-

Frei gekrümmte oder gerade Betonstäbe mit einer Exzentrizität e aus Imperfektionen ( Bild 8-11, Bild 8-27) knicken durch zentrisch geführte Vorspannung alleine nicht aus. Die gleichmässig über den Stabquerschnitt verteilten Druckspannungen ändern wie die Zugkraft im Spannglied ihre Richtung in den Krümmung...


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