Verbindungen und Grenzen: Der Netzwerkbegriff in der Systemtheorie PDF

Title Verbindungen und Grenzen: Der Netzwerkbegriff in der Systemtheorie
Author Jan Fuhse
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in: Johannes Weyer (Hg.): Soziale Netzwerke; Konzepte und Methoden der sozialwissen- schaftlichen Netzwerkforschung; 2. Auflage, München: Oldenbourg 2011. Verbindungen und Grenzen Der Netzwerkbegriff in der Systemtheorie Jan A. Fuhse 1 Einleitung1 Das Netzwerkkonzept hat in der Systemtheorie einen s...


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Verbindungen und Grenzen: Der Netzwerkbegriff in der Systemtheorie Jan Fuhse

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in: Johannes Weyer (Hg.): Soziale Netzwerke; Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung; 2. Auflage, München: Oldenbourg 2011.

Verbindungen und Grenzen Der Netzwerkbegriff in der Systemtheorie Jan A. Fuhse

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Einleitung1

Das Netzwerkkonzept hat in der Systemtheorie einen schweren Stand. Schließlich formulierte Niklas Luhmann selbstbewusst den Anspruch, dass die soziale Welt aus Systemen bestehe und deswegen mit Hilfe der Systemtheorie beschrieben werden könne (1984: 9f.). Wenn die soziale Welt aus Systemen besteht, stellt sich die Frage, wo Netzwerke zu verorten sind: Zwischen, innerhalb oder unterhalb von Systemen oder zwischen den verschiedenen Systemebenen? Luhmann hat den Netzwerkbegriff selbst nur gelegentlich benutzt. An ihn anschließende Autoren wie Gunther Teubner, Veronika Tacke, Stephan Fuchs, Dirk Baecker und Boris Holzer haben hingegen verschiedene Vorschläge vorgelegt, wie der Netzwerkbegriff in der Systemtheorie zu platzieren wäre. Dabei bleibt das Verhältnis von Systemen und Netzwerken aber oft unklar und umstritten. Denn die Systemtheorie, die von sozialen Systemen als geschlossenen Einheiten ausgeht, tut sich schwer damit, Netzwerke als interrelationale und prinzipiell unabgegrenzte soziale Strukturen zu akzeptieren und diese in ihre Begriffsarchitektur einzuordnen. „Während Systeme sich durch eine eigene Operationsweise von einer Umwelt abgrenzen, zeichnen sich Netzwerke gerade durch Unabgeschlossenheit aus.“ (Holzer 2006: 97; Herv. im Orig.)

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Ich danke Sascha Dickel, Boris Holzer, Athanasios Karafillidis, Lena May und Johannes Weyer für hilfreiche Anregungen und Kritik.

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Dabei ergeben sich aus diesem Spannungsverhältnis auch einige Vorteile für eine Verknüpfung der beiden Theorietraditionen:

• Erstens ermöglicht eine derartige Verknüpfung die Einordnung von Netzwerken in eine komplexe systematische Beschreibung der Gesamtgesellschaft. Dies erfordert jedoch insbesondere eine Klärung des Verhältnisses von Netzwerken einerseits und Funktionssystemen und Organisationen andererseits. • Zweitens könnte man Netzwerke als emergente Strukturen modellieren, die sich auf Basis von Kommunikationsprozessen (wie Luhmann sie konzipiert hat) herausbilden.

• Drittens ließe sich mit Hilfe des Netzwerkbegriffs eine Anbindung der Systemtheorie an die empirische Forschung herstellen. Denn die ‚Empiriefähigkeit’ der Systemtheorie ist bis heute ein Problem. Im Folgenden sollen verschiedene Möglichkeiten einer Verbindung von Netzwerkbegriff und Luhmannscher Systemtheorie ausgelotet werden, die auch die Grenzen derartiger Ansätze aufzeigen. Zunächst werden verschiedene Versuche der systemtheoretischen Konzeption von Netzwerken vorgestellt, und zwar – neben Luhmanns eigenen Ausführungen – die Arbeiten von Gunther Teubner, Eckard Kämper und Johannes F.K. Schmidt, Michael Bommes und Veronika Tacke, Stephan Fuchs, Dirk Baecker sowie von Boris Holzer und mir (Abschnitt 2). Anschließend werden einige Aspekte einer Verknüpfung von Netzwerk- und Systemtheorie genauer beleuchtet: Die Rollen von Kommunikation und von Sinn in Netzwerken, die Konstruktion von Identitäten, die Emergenz sozialer Gebilde in Netzwerken, sowie das Verhältnis von Netzwerken und funktionaler Differenzierung (Abschnitt 3). Ein kurzes Resümee schließt den Beitrag ab (Abschnitt 4).

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Systemtheoretische Versionen des Netzwerkbegriffs

Wie lassen sich Netzwerke in der Systemtheorie verorten? In den 1970er Jahren hat Luhmann (1975) eine Dreiertypologie sozialer Systeme aufgestellt:

• Interaktionssysteme bestehen aus einmaligen Begegnungen in Gesprächen – seien es nun Interaktionen an der Kasse im Supermarkt, Meetings in Konzernen oder auch die zwanglose Konversation auf Partys oder in Kneipen.

• Organisationen wie z.B. Unternehmen beruhen auf formaler Mitgliedschaft und der klaren Zuordnung von Kompetenzen.

• Die Gesellschaft schließlich umfasst alle Kommunikation und kennt also keine personellen und im Zeitalter der Globalisierung auch keine territorialen Grenzen. Auf dieser dritten Ebene von Sozialsystemen sind Funktionssysteme wie Wirtschaft, Recht und Wissenschaft angesiedelt, die für Luhmann die prägenden Phänomene der modernen Gesellschaft sind – sie bestimmen die Dynamik der Gesellschaft insgesamt (1997: 743ff.).

Netzwerke lassen sich prinzipiell auf verschiedenen Ebenen finden:

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• Persönliche Netzwerke von Freunden und Kollegen werden vor allem in der Interaktion geformt. Diese können natürlich auch in Organisationen auftauchen.

• Organisationen können aber auch selbst zu Knotenpunkten in Netzwerken werden – Organisationen können sich zu Verbänden zusammenschließen oder ZuliefererNetzwerke in einzelnen Branchen bilden. Nicht zuletzt sind Organisationen über Beteiligungen miteinander verknüpft, mit denen etwa eine Bank über die Strategien von Unternehmen mitbestimmen kann. • Auf der Ebene von Gesellschaft und Funktionssystemen schließlich finden wir die Netzwerke in der internationalen Politik oder auch Netzwerke zwischen Disziplinen in der Wissenschaft. Offensichtlich lassen sich Netzwerke auf unterschiedlichen Ebenen der systemtheoretischen Architektur verorten. Dies verweist bereits auf die Schwierigkeiten der Systemtheorie mit dem Phänomen ‚Netzwerke’. Sie kommen in der Typologie von Luhmann nicht vor – und scheinen doch überall aufzutauchen. Der Startpunkt der Systemtheorie ist der Begriff des sozialen Systems, der grundlegend anders als der Netzwerkbegriff gebaut ist. Ein soziales System ist nach Luhmann eine operativ geschlossene, sich selbst dynamisch reproduzierende soziale Einheit (1984: 35ff.). Deren Logik ist im selbstreferenziellen Anschluss von Kommunikation an Kommunikation begründet. Ein Gespräch, eine Organisation oder auch ein Funktionssystem schafft sich auf diese Weise von Operation zu Operation immer wieder aufs Neue selbst – dies ist mit dem Begriff der Autopoiesis gemeint. Dahinter steht die Vorstellung, dass soziale Prozesse durch eine Selbstläufigkeit und Eigengesetzlichkeit bestimmt sind – und nicht durch die Vorstellungen und Handlungen von Einzelpersonen. Soziale Systeme sind autonome Einheiten, die ihrer eigenen Logik folgen und insbesondere selbstreferenziell geschlossen sind, weil sie immer nur an eigenen Operationen ansetzen können. Ein Gespräch entwickelt auf diese Weise seine eigenen Themen und Aufmerksamkeitspunkte, ein Unternehmen konditioniert mit formalen Regeln die Beteiligung seiner Mitarbeiter, und die Wirtschaft läuft nach der Logik von Zahlungen und Kapitalakkumulation, auch wenn einzelne Manager oder Börsenmakler gerade krank oder im Urlaub sind. Interaktionen, Organisationen und Funktionssysteme sichern sich geradezu gegen die Individualität und Eigensinnigkeit der an ihnen beteiligten Personen ab. Soziale Netzwerke sind von ihrer Grundstruktur her anders gebaut als Systeme: Sie sind vernetzt statt geschlossen, bauen auf Verbindungen statt auf Grenzen auf. Und sie setzen an den Personen oder Akteuren als Knotenpunkten an, die in sozialen Systemen eine untergeordnete Rolle spielen. Zudem ist der Netzwerkbegriff – anders als die Konzepte der Systemtheorie – auf die empirische Forschung ausgerichtet. So lassen sich mit den Methoden der Netzwerkforschung an den oben genannten Orten soziale Netzwerke ausmachen: zwischen Personen, innerhalb und zwischen Organisationen und in Funktionssystemen. Sind aber diese Netzwerke möglicherweise nur analytische Konstrukte, die man zwar erheben kann, die jedoch keine theoretische Erklärungskraft für soziale Phänomene besitzen? Möglicherweise verstecken sich hinter den Netzwerkdaten und -grafiken nur die Auswirkun-

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gen systemischer Prozesse und Strukturen, die ja der Systemtheorie zufolge der Motor des Sozialen sind. Eine Reihe von Anhängern der Luhmannschen Systemtheorie vertritt eher diese Position, andere sehen Netzwerke als eigendynamische Strukturen in der modernen Gesellschaft – die teilweise selbst als Systeme beschrieben werden. Die Verortung des Netzwerkbegriffs in der Systemtheorie fällt also schwer. Zu sehr befinden sich Netzwerke auf allen und zwischen den Systemebenen, zu sehr widerspricht der Netzwerkbegriff einer Theoriearchitektur, die auf überpersönlichen Systemen aufbaut und Grenzen statt Verbindungen als ihren Ausgangspunkt nimmt. Allerdings betont der Netzwerkbegriff auch die Eingebundenheit von Akteuren in zwischenmenschliche Strukturen und entspricht damit einer wichtigen Grundprämisse der Systemtheorie: Das Soziale lässt sich nicht auf Akteure und ihr Handeln reduzieren, sondern findet zwischen ihnen statt. Die folgenden Abschnitte sollen zeigen, dass der Netzwerkbegriff – trotz etlicher Versuche, ihn in die Systemtheorie einzuführen, immer noch keinen systematischen Stellenwert in der Systemtheorie gefunden hat.

2.1 Netzwerke als Formen der Inklusion (Luhmann) Bereits Luhmann verwendet den Netzwerkbegriff an einigen Stellen, zunächst in der grundlegenden Konzeption des Autopoiesis-Begriffs, in den 1990er Jahren dann auch für Phänomene wie die Mafia oder Organisationsnetzwerke. Autopoiesis, so definiert Luhmann in Anlehnung an Humberto Maturana, steht dafür, „dass ein System seine eigenen Operationen nur durch das Netzwerk der eigenen Operationen erzeugen kann. Und das Netzwerk der eigenen Operationen ist wiederum erzeugt durch diese Operationen.“ (Luhmann 2002: 109) Die rekursiven Verbindungen der Elemente in einem System werden dabei gesichert durch dessen sinnhafte Abgeschlossenheit. Luhmann thematisiert die Differenz zwischen den Elementen und deren Relationen im Netzwerk von da an nicht mehr. Stattdessen konzentriert er sich auf die Differenz von System und Umwelt und konzipiert von diesem Startpunkt aus seine Theorie (vgl. Kämper/Schmidt 2000: 218). Das ‚Netzwerk’ steht zwar am Anfang der Theoriearchitektur, scheint aber in den späteren Ausführungen dieser Theorie obsolet geworden. Von nun an regiert Geschlossenheit der Systeme, nicht Interrelationalität der Elemente. Der Netzwerkbegriff taucht bei Luhmann erst in den 1990er Jahren wieder auf, jedoch in anderen Kontexten, die nur wenig Anschluss an die Grundbegriffe der Theorie haben.2 So formuliert Luhmann mit Blick auf die Favelas in Brasilien und auf die mafiosen Strukturen in Süditalien, dass die Gesellschaft gewissermaßen unterhalb der Funktionssysteme durch eine Differenzierung in einen Inklusions- und einen Exklusionsbereich geprägt sei. Diese Grenze zwischen Inklusion und Exklusion wird Luhmann zufolge durch netzwerkartige Strukturen von wechselseitigen Gunsterweisen konstituiert (1995: 250ff., 1995a: 22ff.). Wer in solche Netzwerke eingebunden sei, könne auch in den Funktionssystemen auf Inklusion 2

Siehe als Überblick über die beiden Netzwerkbegriffe bei Luhmann auch Bommes/Tacke 2007.

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rechnen. Die Exklusion aus den Funktionssystemen wäre dagegen eine Folge fehlender Kontakte in derartige Netzwerke. Die Netzwerke entstehen Luhmann zufolge aus der „Gewohnheit, in Netzwerken der Hilfe, der Förderung und der erwartbaren Dankbarkeit zu denken“ (1995a: 22). Netzwerke wären damit sehr ‚reale’ soziale Strukturen, wobei das ‚Denken’ in solchen Strukturen sie erst konstituierte. Inklusion/Exklusion wäre demnach hier die primäre Ordnungsform – eine ‚Supercodierung’, die sich in Phänomenen wie etwa der Korruption über die funktionale Differenzierungslogik legt. Es kommt nun nicht mehr auf die Systemmedien Macht oder Geld an, sondern darauf, ob man Teil des Netzwerks (Inklusion) oder ausgeschlossen (Exklusion) ist (Luhmann 1995a: 24f.). In diesem Sinne ist Exklusion das Herausfallen aus solchen Netzwerken, mit dem der Zugang zu Kommunikationschancen verlorengeht: „Die basale Ressource des Netzwerks scheint zu sein, daß man jemanden kennt, der jemanden kennt; und daß das Bitten um Gefälligkeiten derart verbreitet ist, daß man, wenn man überhaupt die Möglichkeit hat zu helfen, es nicht ablehnen kann, ohne binnen kurzem aus dem Netz der wechselseitigen Dienste ausgeschlosen zu werden. Das Netz [...] erzeugt seinen eigenen Exklusionsmechanismus, der bewirken kann, daß man zur Unperson wird, die niemand kennt und die eben deshalb trotz aller formalen Berechtigungen auch keinen Zugang zu den Funktionssystemen findet.“ (Luhmann 1995: 251f.) Luhmann beschreibt hier den vollkommenen Ausschluss aus Netzwerken der Gunsterweise als Exklusion. Die Unterscheidung zwischen Inklusion und Exklusion trennt ein Netzwerk in der Sozialdimension von seiner Umwelt, genauso wie eine Organisation mithilfe von Arbeitsverträgen seine Mitglieder von den Nicht-Mitgliedern trennt. Da Luhmann den Fall von Mafia-Netzwerken vor Augen hatte, liegt eine solche Interpretation nahe. Hier fallen offensichtlich zwei Mechanismen zusammen: erstens eine sinnhafte Trennung in der Sozialdimension zwischen Inklusionsnetzwerk und Außenstehenden; und zweitens die Kopplung von Kommunikationschancen an soziale Kontakte. Es stellt sich jedoch die Frage, ob soziale Kontakte immer an eine derart klare soziale Unterscheidung zwischen Innen und Außen geknüpft sind. Sind nicht in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Politik die Kommunikations- und Aufstiegschancen oft an Netzwerke gekoppelt – ohne dass man klar zwischen Etablierten und Außenseitern unterscheiden kann? Kontakte zeichnen sich doch dadurch aus, dass man ‚mehr’ oder ‚weniger’ von ihnen oder auch gänzlich ‚andere’ haben kann – und nicht einfach nur Kontakte oder keine Kontakte, wie dies die binäre Gegenüberstellung von Inklusion und Exklusion suggeriert. In dem posthum veröffentlichten Buch Organisation und Entscheidung greift Luhmann an verschiedenen Stellen den Netzwerkbegriff auf. Er spricht hier von informalen und formalen Netzwerken in Organisationen, auch wieder von den mafiosen Netzwerken in Süditalien und von netzwerkartigen Interorganisationsbeziehungen (Luhmann 2000: 24f., 327, 385f., 407ff.). Zur systematischen Einordnung des Konzepts in die Theorie findet sich jedoch wenig Neues – abgesehen von einem Hinweis auf die konstitutive Funktion von Vertrauen. Über das Verhältnis von Netzwerk- und Systembegriff ist damit wenig gesagt. Wie André Kieserling (1999: 220) formuliert, lässt Luhmann in den Publikationen der 1990er Jahre

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(inklusive Organisation und Entscheidung) offen, ob er die von ihm beobachteten Netzwerkphänomene (Mafia, andere Exklusionsnetzwerke) als soziale Systeme auffasst – ob also Netzwerke selbst Systeme sind oder zumindest sein können.

2.2 Netzwerke als autopoietische Systeme höherer Ordnung (Teubner) Demgegenüber hat Gunther Teubner bereits 1992 den Vorschlag gemacht, Netzwerke als soziale Systeme mit spezifischen Eigenschaften aufzufassen. Demnach bilden Organisationsnetzwerke eine eigene Ordnung über den beteiligten Organisationen, in der Merkmale von Vertragsbeziehungen und von formaler Organisation miteinander verknüpft werden (Teubner 1992: 203f.). Je nach Ansatzpunkt handelt es sich dabei entweder um Marktnetzwerke (z.B. Zuliefersysteme oder Franchising) oder um Organisationsnetzwerke (etwa in Großkonzernen oder bei Joint Ventures). In einem späteren Text beschreibt Teubner auch den Staat als Netzwerk von politisch-administrativen, aber auch privaten Organisationen (1999). In solchen Netzwerken sind die beteiligten Organisationen auf eine eigentümliche Weise aneinander gebunden, die Autonomie und korporative Bindung miteinander verknüpft – und dabei beides unterläuft. Die spezifische Operation eines solchen Systems liegt nach Teubner in der Zurechnung von Handlungen auf die einzelnen Akteure und das Gesamtnetzwerk: „Ein kommunikatives Ereignis im Netzwerk wird sowohl einem der autonomen Vertragspartner als auch gleichzeitig der Gesamtorganisation zugerechnet. [...] Wenn diese Doppelattribution von Handlungen in die Selbstbeschreibung des sozialen Arrangements eingeht und dort auch operativ verwendet wird, dann hat sich das Netzwerk als autonomes Handlungssystem selbst konstituiert. [...] Gegenüber Vertrag und Organisation stellen also Netzwerke autopoietische Systeme höherer Ordnung dar, insofern sie durch Doppelattribution emergente Elementarakte (‚Netzwerkoperationen’) herausbilden und diese zirkulär zu einem Operationssystem verknüpfen.“ (1992: 199f.) Auch Teubner bezieht sich auf Netzwerke, die einen gemeinsamen Fokus und damit eine klare Außengrenze haben – so wie (bei allen Unterschieden) die Mafia-Netzwerke bei Luhmann. Nur eine solche klare Grenzziehung kann aus einem Netzwerk ein System machen. So kann etwa ein Bescheid des Arbeitsamtes oder ein Erlass des Umweltministeriums diesen Untereinheiten zugeschrieben werden – aber auch dem Staat als Ganzes. Voraussetzung dafür ist aber eben, dass die Organisationen im Netzwerk sinnhaft zu einem Staat zusammengefasst werden – also eine Sinngrenze zwischen dem Staat und dem nicht-staatlichen Bereich gezogen wird, genauso wie die Mafia zwischen den Dazugehörigen und den Außenstehenden unterscheidet.

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2.3 Netzwerke als strukturelle Kopplung von Organisationen (Kämper/Schmidt) Gänzlich anders ordnen Eckard Kämper und Johannes F.K. Schmidt (2000) in der ersten Auflage dieses Bandes Netzwerkphänomene in die Systemtheorie ein. Mit Blick auf Organisationsnetzwerke formulieren Kämper und Schmidt, dass Netzwerke nicht selbst als Systeme anzusehen sind, sondern auf einer strukturellen Kopplung von (Organisations-)Systemen beruhen. Der Begriff der strukturellen Kopplung steht bei Luhmann für den Aufbau von Strukturen zwischen Systemen. Dazu gehören einerseits Phänomene wie die Verfassung, die öffentliche Meinung oder der Vertrag, die unterschiedliche Funktionssysteme miteinander koppeln (Luhmann 1997: 797ff.). Andererseits sieht Luhmann auch soziale und psychische Systeme strukturell gekoppelt – etwa über die Konstruktion von „Personen“ (1995: 153f.). Kämper und Schmidt übertragen dieses Konzept auf Netzwerke von Organisationen. Diese begreifen sie jedoch nicht als emergente Strukturen zwischen Organisationen. Stattdessen seien die Netzwerkstrukturen als „System-zu-System-Verhältnis“ in den beteiligten Organisationen zu finden (Kämper/Schmidt 2000: 227). Eine strukturelle Kopplung wäre demnach keine Ausbildung eines eigenen Systems: „Strukturelle Kopplungen stellen keine ‚Mechanismen’ oder gar Systeme zwischen Systemen dar, sondern koppeln Systemstrukturen, sie fundieren ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit operierender Systeme, indem sie (wechselseitig) eine Aktualisierung der jeweiligen Systemstruktur in einer momenthaften Operation beeinflussen.“ (2000: 228, Herv. im Orig.) In diesem Sinne wären Netzwerke eher in den beteiligten Organisationssystemen zu verorten als zwischen ihnen (2000: 227). Damit bieten Kämper und Schmidt eine Rekonstruktion des Netzwerkbegriffs mit systemtheoretischem Vokabular an, argumentieren aber im Grunde, dass sie dazu den Netzwerkbegriff nicht benötigen. Schließlich soll der systemtheoretische Begriff der strukturellen Kopplung für die Beschreibung von Unternehmensnetzwerken ausreichen. Eine solche Modellierung mag für Organisationsnetzwerke zutreffen, kann aber systemtheoretischen Prämissen zufolge nicht für Netzwerke von Personen oder Individuen gelten. Denn die Systemtheorie postuliert, dass sich in der Kommunikation zwischen Personen soziale Syste...


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