Ö2 SV+LH 05052017 - Klausurenkurs PDF

Title Ö2 SV+LH 05052017 - Klausurenkurs
Course Öffentliches Recht
Institution Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Klausurenkurs...


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Düsseldorfer Examinatorium Klausurenkurs Sommersemester 2017

Klausur Ö2 05.05.2017

Sachverhalt In letzter Zeit kommt es gehäuft zu Amokläufen an amerikanischen Schulen, bei denen die jugendlichen Täter vermutlich durch sog. „Ego-Shooter“-Spiele am PC und an Spielekonsolen zu ihren Taten motiviert wurden. Hierbei handelt es sich um Spiele, bei denen der Spieler aus der Sicht einer bewaffneten Person Tötungshandlungen vornimmt. Aufgeschreckt durch die vorgenannten Berichte bringen zwei Bundestagsabgeordnete den Entwurf eines „Gesetzes zum Verbot gewalthaltiger Software (VGSG)“ in den Bundestag ein. Nach § 1 VGSG soll der Verkauf von Spielen der vorgenannten Art auf dem deutschen Markt untersagt werden. Ziel des Gesetzes ist laut der Entwurfsbegründung der Jugendschutz. Insbesondere soll verhindert werden, dass Personen unter 18 Jahren (insbesondere Jugendliche) durch den Kontakt mit gewalthaltiger Software verrohen oder deshalb gar Gewalttaten begehen. Bislang findet in Deutschland eine sog. freiwillige Selbstkontrolle für Softwareprodukte statt. Diese wird von der „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK)“, getragen von der Freiwillige Selbstkontrolle Unterhaltungssoftware GmbH, durchgeführt. Ergebnis der USK-Prüfung von Softwareprodukten sind Empfehlungen zu Alterseinstufungen, wobei diese Produkte nach der Einstufung durch die USK entsprechend der bundesrechtlichen Einteilung gem. § 14 JuSchG nur Personen der betreffenden Altersstufen zugänglich gemacht werden dürfen. Nach § 14 Abs. 2 JuSchG sind folgende Einstufungen für Software vorgesehen: „Freigegeben ohne Altersbeschränkung“ (USK 0), „Freigegeben ab sechs Jahren“ (USK 6), „Freigegeben ab zwölf Jahren“ (USK 12), „Freigegeben ab sechzehn Jahren“ (USK 16) und „Keine Jugendfreigabe“ (USK 18). Der Entwurf des VGSG sieht ferner vor, dass die bisherige freiwillige Selbstkontrolle für Software umorganisiert wird. Bei der USK, die bislang die Organisation der Prüfungen übernahm, sollen nach dem Entwurf des VGSG zukünftig fachkundige Mitglieder in den Gutachtergremien – in zulässiger Weise – beliehen werden, die dann wie bisher die Alterseinstufungen für Software vornehmen; dabei soll aber der Vertrieb von Software, die bislang die Einstufung USK 18 erhalten hätte, unter Änderung des § 14 JuSchG ausnahmslos untersagt werden. Betroffen von dem Gesetzesentwurf sind Softwareprodukte in- und ausländischer Hersteller, die auf unterschiedlichen Wegen vertrieben werden, namentlich Verkauf auf Datenträgern oder Vertrieb durch Download aus dem Internet, soweit sich die Server in Deutschland befinden. 1

Der Gesetzesentwurf wird von den übrigen Abgeordneten zunächst zögerlich aufgenommen, wegen der hochkochenden öffentlichen Diskussion schließlich aber im Bundestag behandelt. In der Folge stimmt der Bundestag am 24.06.2013 mit überwältigender Mehrheit für das Gesetz. Nach Abschluss des weiteren Gesetzgebungsverfahrens unter ordnungsgemäßer Beteiligung des Bundesrates wird das Gesetz im Bundesgesetzblatt in der Ausgabe vom 30.08.2013 verkündet. In der Hektik des Verfahrens im Bundestag war eine Bestimmung zum Tag des Inkrafttretens allerdings vergessen worden. Kurze Zeit später kommen dem Ministerpräsidenten M des Landes L Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Formell könne das Verfahren so nicht richtig gelaufen sein. Zunächst sei bereits die Gesetzesinitiative durch nur zwei Abgeordnete zweifelhaft. Zudem sei das Gesetz schon deshalb unwirksam, weil es an einer Bestimmung zum Inkrafttreten fehle. Materiell ist M mittlerweile der Überzeugung, dass durch das Gesetz Grundrechte verletzt seien. Die in- und ausländischen Hersteller der entsprechenden Software würden übermäßig in ihren Grundrechten betroffen. Für einzelne auf USK 18 spezialisierte Unternehmen wirke sich das Gesetz wie ein Berufsverbot aus. Auch lasse sich das Gesetz durch ausländische Hersteller viel zu leicht umgehen. Diese könnten – was zutrifft – gewalthaltige Spielesoftware auf ausländischen Servern zum ungehinderten Download zur Verfügung stellen. Ein Verbot, das nicht kontrollierbar und so leicht zu umgehen sei, könne nicht angemessen sein. Der Nachteil, dass auf ausländischen Servern bereitgehaltene Software häufig nur englischsprachig sei, wiege in Anbetracht der zumeist einfachen Spielweise nicht schwer. Dieses Vollzugsdefizit war bereits im Bundestag diskutiert, aber letztlich in Kauf genommen worden. Schließlich, so meint M, habe sich das alte USK-System in Deutschland eigentlich stets bewährt; so habe es Vorfälle von der Tragweite wie in den USA hierzulande nie gegeben, zumindest – was wiederum zutrifft – nicht mit einem nachweisbaren Bezug zum vorherigen Umgang mit USK 18-Spielen. Im Übrigen trage gerade der Versandhandel den USK-Einstufungen Rechnung, indem USK 18-Spiele über die Paketdienste nur persönlich an den nachgewiesenermaßen volljährigen Besteller ausgehändigt würden. Auch sieht M die Rechte volljähriger Computerspieler durch die Einschränkungen des VGSG verletzt. Das Spielen von nach VGSG verbotenen Computerspielen, soweit diese keine strafwürdigen Inhalte hätten, sei von den grundrechtlichen Freiheiten gedeckt. Die Rechtsverletzung sei ungeachtet der Tatsache zu bejahen, dass die Spieler sich ggf. aus dem Ausland über dort befindliche Server versorgen könnten; schließlich sei der „schnelle“ Weg zu deutschsprachiger Software, auch mit entsprechenden Gewährleistungsrechten, versperrt.

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Anfang Dezember 2013 richtet M für das Land L einen formgerechten Antrag auf Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht, mit dem er die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des VGSG zum Ausdruck bringt. Vorausgegangen war innerhalb der Landesregierung ein dahingehender Kabinettsbeschluss, bei dem sich die Minister aus der Partei des M mit Mehrheit über die Minister des kleineren Koalitionspartners hinweggesetzt hatten. Wie wird das Bundesverfassungsgericht über den Antrag entscheiden? Bearbeitervermerk: Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist zu unterstellen. Grundrechte minderjähriger Spieler sind nicht zu prüfen. Die Landesregierung des Landes L besteht aus M und weiteren Ministern. Auf § 76 GeschO BT (Sartorius I Nr. 35) wird hingewiesen. Im Übrigen ist auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Fragen in einem umfassenden Rechtsgutachten – gegebenenfalls hilfsgutachtlich – einzugehen.

Abwandlung: Der belgische Softwarehersteller „Kill-Bel-l“ (K) erfährt vom Erlass des VGSG und reagiert empört. Er ist spezialisiert auf Entwicklung und Vertrieb von Spielen, die nach altem Recht in Deutschland regelmäßig die Einstufung USK 18 erhalten haben. Dabei beliefert er den deutschen Markt mit Datenträgern, auf die die entsprechende Software aufgespielt ist. Spiele zum Download stellt er nicht bereit. K sieht sich in Grundfreiheiten nach dem AEUV verletzt. In Belgien existiert ein derartiges Vertriebsverbot nicht. Auch K erachtet das bisherige System der freiwilligen Selbstkontrolle in Deutschland nach Maßgabe des bislang geltenden Rechts, das ähnlich in Belgien und anderen europäischen Staaten existiert, für ausreichend zur Gewährleistung des Jugendschutzes. Ist die Ansicht des K bezüglich der Verletzung der Grundfreiheiten zutreffend? Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass keine sekundärrechtlichen Vorschriften zu diesem Regelungsbereich existieren.

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Klausurenkurs Sommersemester 2017

05.05.2017

Unverbindliche Lösungshinweise Ausgangsfall Das BVerfG wird das VGSG gem. § 78 S. 1 BVerfGG für nichtig erklären, wenn der Antrag auf abstrakte Normenkontrolle zulässig und begründet ist. A.

Zulässigkeit

I. Zuständigkeit Gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 BVerfGG entscheidet das BVerfG u.a. über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem GG. II. Antragsberechtigung Antragsberechtigt sind gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Abs. 1 BVerfGG die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages. Hier könnte ein Antrag einer Landesregierung vorliegen. Problematisch ist, dass offenbar nicht die ganze Landesregierung hinter dem Antrag steht. Für die Antragstellung ist grundsätzlich ein Kabinettsbeschluss erforderlich 1; dieser ist hier mit Mehrheit ergangen. Einstimmigkeit kann insoweit nicht verlangt werden. Ein zulässiger Antrag einer Landesregierung liegt damit vor.

III. Antragsgegenstand Antragsgegenstand ist jede Rechtsnorm, die bereits verkündet ist. Das VGSG ist damit tauglicher Antragsgegenstand. IV. Antragsbefugnis Voraussetzung für die Antragsbefugnis sind nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht. § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG verlangt, dass der Antragsteller

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Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG-Komm., § 76 Rn. 10.

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die Norm für nichtig hält. Hier drückt M in seinem Antrag die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit aus, so dass die nach dem Wortlaut des § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, weshalb es auch auf den Streit des Verhältnisses von Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG zu § 76 Abs. 1 BVerfGG nicht ankommt. V. Form und Frist Die Einhaltung der nach § 23 Abs. 1 BVerfGG einzuhaltenden Schriftform ist laut Sachverhalt zu unterstellen. Der Antrag ist nicht fristgebunden. VI. Zwischenergebnis Der Antrag auf abstrakte Normenkontrolle ist zulässig. B. Begründetheit Der Antrag ist begründet, wenn die angegriffene Norm in förmlicher oder sachlicher Hinsicht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. I. Formelle Verfassungsmäßigkeit des VGSG 1.

Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz ist nach dem Bearbeitervermerk zu unterstellen. Anmerkung: Sie dürfte sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ergeben 2.

2.

Gesetzgebungsverfahren

a)

Einleitungsverfahren

Fraglich ist, ob zwei Bundestagsabgeordnete das Erfordernis der Einbringung „aus der Mitte des Bundestages“ gem. Art. 76 Abs. 1 GG erfüllen. § 76 Abs. 1 GeschO BT verlangt eine Einbringung in Fraktionsstärke (bzw. von 5 % der Mitgliedern des Bundestages). Ungeachtet der Frage, ob § 76 Abs. 1 GeschO BT eine verfassungskonforme Konkretisierung des Art. 76 Abs. 1 GG im Rahmen der vom Grundgesetz vorausgesetzten Selbstorganisation des Bundestages darstellt3, macht sich der Bundestag den Entwurf der beiden Abgeordneten aber jedenfalls mit seiner weiteren Befassung

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Vgl. zur Verbreitung jugendgefährdender Schriften BVerfG NJW 1971, 1559. So Nolte/Tams, JURA 2000, 158, 159.

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und schlussendlichen Abstimmung zu eigen 4, so dass von einer verfassungsgemäßen Gesetzesinitiative auszugehen ist (a. A. mit entsprechender Begründung wohl vertretbar; dann ist jedenfalls hilfsgutachterlich weiter zu prüfen). b)

Hauptverfahren

Das Verfahren im Bundestag und Bundesrat ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist Letzterer laut Sachverhalt ordnungsgemäß beteiligt worden. c)

Abschlussverfahren

Mit Gegenzeichnung, Ausfertigung und Verkündung ist das Gesetzgebungsverfahren grundsätzlich ordnungsgemäß beendet, Art. 58 und 82 GG. Fraglich ist, ob sich hieran durch die fehlende Klausel zum Inkrafttreten etwas ändert. Allerdings sieht Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG das Vorhandensein einer Regelung zum Inkrafttreten nur als Soll-Bestimmung vor, im Übrigen treten Gesetze ohne diese Regelung gemäß Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG mit dem vierzehnten Tag nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Bundesgesetzblatt, in dem die Verkündung erfolgte, ausgegeben worden ist. 3. Zwischenergebnis Das Gesetz ist formell ordnungsgemäß zustande gekommen. II.

Materielle Verfassungsmäßigkeit des VGSG

In Betracht kommt eine Verletzung von Grundrechten, namentlich des Art. 12 Abs. 1 GG bzw. des Art. 2 Abs. 1 GG von Softwareunternehmen und des Art. 2 Abs. 1 GG der volljährigen Computerspieler. 1.

Art. 12 Abs. 1 GG der deutschen und EU-Softwareunternehmen

Anmerkung: Bearbeiter, die auf das Vollzugs- bzw. strukturelle Regelungsdefizit abstellen, können auch Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG zitieren.

a)

Schutzbereich

Eröffnet ist der Schutzbereich in personeller Hinsicht (ggf. i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) jedenfalls für deutsche Softwareunternehmer. Fraglich ist, ob dies unter Heranziehung des Art. 18 AEUV auch

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In diesem Sinne MDHS, GG-Komm., Art. 76 Rn. 47.

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für EU-ausländische Softwareunternehmen gilt, die ihre Software in Deutschland vertreiben 5. Hier wird der Auffassung gefolgt, dass die personelle Einschränkung des Art. 12 Abs. 1 GG nicht anwendbar ist, wenn sich EU-Ausländer auf dieses Grundrecht berufen (Anwendungsvorrang). Möglich ist es aber auch, darauf zu verweisen, über eine entsprechende Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG einen im Ergebnis gleichwertigen Grundrechtsschutz sicherzustellen 6. Verwirklicht werden kann dies etwa dann, wenn man die im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG geltenden Voraussetzungen einer Eingriffsrechtfertigung auf Art. 2 Abs. 1 GG überträgt. Denkbar ist u. U. schließlich, EU-Ausländer auf den Schutz durch die Grundfreiheiten zu verweisen. Anmerkung: Es handelt sich bei dieser Fragestellung um ein schwieriges Rechtsproblem. Hier sollte jede angemessen begründete Auffassung, die Problembewusstsein erkennen lässt, positiv gewürdigt werden. Insbesondere gilt dies, wenn die Problematik ausführlich erörtert wird. In materieller Hinsicht müsste in Ansehung des einheitlichen Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 GG die Ausübung bzw. das Haben eines Berufs in Rede stehen. Hier ist davon auszugehen, dass Softwareunternehmen eine auf Dauer angelegte erlaubte, d.h. nicht schlechthin gemeinschädliche Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht ausüben. Dabei ist bei naheliegender Betrachtung davon auszugehen, dass hier der Beruf des Softwareunternehmens (und nicht der des Softwareunternehmens für gewalthaltige Spielesoftware) in Rede steht (a. A., was das Berufsbild betrifft, mit entsprechender Begründung vertretbar). b)

Eingriff

Durch das Verbot, zukünftig bestimmte Spiele zu vertreiben, wird der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG auch verkürzt; eine jedenfalls objektiv berufsregelnde Tendenz ist anzunehmen. Ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG ist zu bejahen. Insbesondere ist das Handeln derjenigen Personen, die aufgrund einer Beleihung im Rahmen der Prüfkommission handeln, dem Staat zurechenbar. c)

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Fraglich ist, ob der Eingriff gerechtfertigt ist.

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Offengelassen etwa von BVerwG, Urt. v. 23.03.2011 – 8 C 47/09, juris. Vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, Komm. zum GG, 39. Ergänzungslieferung 2001, Art. 2 Rn. 37 f.

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aa)

Schranken

Art. 12 Abs. 1 GG unterliegt nach der Rechtsprechung des BVerfG trotz des Wortlauts des S. 2 (Regelungsvorbehalt für die Berufsausübung) einem einheitlichen Schrankenvorbehalt. Eine solche Schranke könnte in dem VGSG zu sehen sein. bb)

Schranken-Schranken, insb. Verhältnismäßigkeit

Fraglich ist, ob dieses Gesetz seinerseits materiell verfassungsgemäß, insbesondere verhältnismäßig ist. (1)

Zweck der Regelung

Zweck des Gesetzes ist die Verbesserung des Jugendschutzes durch Eindämmung des negativen Einflusses auf das Verhalten durch gewalthaltige Software. Für die Qualifizierung der Zwecksetzung ist grundsätzlich die Dreistufentheorie des BVerfG7 heranzuziehen, nach der in Bezug auf die Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Berufsfreiheit zwischen Berufsausübungsregelungen und subjektiven sowie objektiven Berufswahlregelungen (bzw. -schranken) unterschieden wird. Die Verhältnismäßigkeit wird durch die Anwendung der Dreistufentheorie modifiziert. Ausgehend davon, dass hier der allgemeine Beruf des Softwareherstellers in Rede steht, stellt sich die Einschränkung, einen bestimmten Produktzweig – USK 18-Spiele – nicht mehr absetzen zu dürfen, wohl lediglich als Berufsausübungsregelung dar, die das „Wie" der Berufsausübung regelt. Berufsausübungsregelungen sind durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls zu rechtfertigen. Diese liegen in Anbetracht der Zwecksetzung des Gesetzes – Verbesserung des Jugendschutzes durch Eindämmung des negativen Einflusses auf das Verhalten durch gewalthaltige Software – grundsätzlich vor. Allerdings ist zu bedenken, dass je nach Zuschnitt des Unternehmens mehr oder weniger intensive Beeinträchtigungen anzunehmen sind, die in Einzelfällen die Wirkungen einer Berufswahlregelung erreichen können, so dass nicht zuletzt deshalb die Verhältnismäßigkeit zu prüfen bleibt.

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BVerfGE 7, 377 ff.

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(2)

Geeignetheit

Das Gesetz müsste im weitesten Sinne zweckförderlich sein. Wenn die technischen Gegebenheiten auch Umgehungsmöglichkeiten eröffnen mögen, ist die Maßnahme für sich allein durch Eindämmung der Zahl verfügbarer Spiele in jedem Fall noch zweckförderlich. Dem Gesetzgeber steht auch eine Einschätzungsprärogative zu. (3)

Erforderlichkeit

Fraglich ist, ob ein milderes Mittel gleicher Zweckförderlichkeit besteht. Hier ist an die Beibehaltung des früheren USK-Systems zu denken, dass einen weniger gewichtigen Eingriff in Art. 12 GG darstellt. Allerdings wird man davon ausgehen müssen, dass die breite Verfügbarkeit von USK 18Spielen auf dem Markt eine Erleichterung des Zugangs auch für Spieler unter 18 Jahren nach sich zieht, so dass das Mittel weniger geeignet ist (a. A. mit entsprechender Argumentation vertretbar). (4)

Angemessenheit

Auf der Ebene der Angemessenheit stehen sich der Jugendschutz (einschließlich der Verhinderung von Gewalttaten) und die unternehmerische Freiheit der Softwareunternehmen gegenüber. Zunächst ist festzustellen, dass bislang in Deutschland offenbar kein klarer Konnex zwischen dem Spielen gewalthaltiger Computerspiele und Amokläufen Jugendlicher festzustellen ist. Damit ist grundsätzlich von einer Wirksamkeit des USK-Systems und den daraus folgenden Zugangsbeschränkungen für Jugendliche auszugehen. Anderes könnten aber negative Erfahrungen aus anderen Ländern wie den USA ergeben. Für den Fall, dass gewalthaltige Spiele negativen Einfluss auf die Psyche von Jugendlichen haben könnten und sich hierdurch in der Bundesrepublik Fälle von Amokläufen einstellen würden, könnte dies erhebliche Folgen für die Jugendlichen und in der Folge auch für Leib und Leben Dritter haben. Jedoch handelt es sich wohl um lediglich vermutete Gefahren durch Software, die Jugendlichen entsprechend der gesetzlichen Regelung schon vor dem VGSG nicht hätte zugänglich gemacht werden dürfen. Zu erwägen ist, ob dem VGSG ein strukturelles Regelungsdefizit innewohnt, das zu dessen Verfassungswidrigkeit führen könnte. So hat das BVerfG ausnahmsweise anerkannt, dass Vollzugsdefizite zur Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Regelungen führen können. In der Rechtsprechung des BVerfG wird dies in Fällen eines widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts bejaht. Ist dies der Fall, kann die Verfassungswidrigkeit einer Norm aus Gleichheitsgesichtspunkten herzuleiten sein. Allerdings führt nicht bereits die empirische Ineffizienz zur Gleichheitswidrigkeit, vielmehr ist

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auf das normative Defizit des Gesetzes abzustellen8. Hier könnte sich ein solches normatives Defizit aus dem Umstand ergeben, dass von vorneherein und sehenden Auges lediglich in Deutschland angebotene und insbesondere nur auf deutschen Servern abgelegte Software betroffen ist. Damit wird einerseits der Zweck der Regelung widerlegt, dies andererseits um den Preis der Einschränkung des Art. 12 Abs. 1 GG für Anbieter in Deutschland. Die Regelung ist damit im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) der der Regelung unterworfenen Softwareunternehmen nicht angemessen.

Anmerkung: Von den Bearbeitern kann der Erkenntnisstand des BVerfG bezogen auf die Verfassungswidrigkeit von Normen aufgrund struktureller Regelungsdefizite nicht erwartet werden. Verlangt wir...


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