3. Legitimation durch Verfahren PDF

Title 3. Legitimation durch Verfahren
Course Grundzüge der Rechtstheorie und Rechtssoziologie 
Institution Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Legitimation durch Verfahren (Luhmann)

Verfahren statt universeller Wahrheit Luhmann legt darin zunächst dar, dass Entscheidungsfindungsverfahren wie Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sich nicht an Wahrheit im naturwissenschaftlichen Sinne orientieren können und in Abkehr vom Naturrechtsgedanken rechtliche Regelungen vor allem rechtspositivistischer Art und damit nicht universell seien. Auch die Kommunikation der Verfahrensbeteiligten könne nicht die Wahrheitsfindung gewährleisten. So sei etwa eine nach Diskussion in demokratischer Abstimmung gefundene Entscheidung nicht unbedingt „richtig“ im Sinne von „universell wahr“, und das im Gerichtsverfahren bestehende Postulat von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zeige, dass auch im Nachhinein als unrichtig erkannte Entscheidungen ihre Gültigkeit behielten. Während Wahrheit im naturwissenschaftlichen Sinne selbstevident sei, muss das Wahre und Richtige im sozialen Verfahren andere Geltungsgründe beanspruchen, um bei den Adressaten der Entscheidungen als gültig übernommen zu werden. Luhmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sowohl Wahrheit im sozialwissenschaftlichen Sinn (nämlich intersubjektiv zwingende Gewissheit) als auch Macht der intersubjektiven Übertragung komplexitätsreduzierter Sachverhalte bzw. Entscheidungen diene. Die Übertragung solcher komplexitätsreduzierter Entscheidungen sei das Ziel rechtlich geregelter Verfahren. Im Gegensatz zur Übernahme selbstevidenter naturwissenschaftlicher Wahrheiten erfordere die Übernahme hier jedoch – weil Selbstevidenz nicht gegeben sei – einen besonderen Anerkennungsgrund. Diesen Anerkennungsgrund macht Luhmann in der Legitimität aus, die er mit verbindlicher Geltung gleichsetzt.

Legitimation durch soziale Verfahren Diese lasse sich in den heutigen individualisierten Gesellschaften nicht mehr oder nicht mehr allein auf die Vorstellungen der einzelnen Individuen zurückführen, da die Maßstäbe der Individuen zu stark differierten und zudem aufgrund der Vielfalt und Komplexität der Themen nicht jeder zu jedem Thema eine Meinung haben könne, sondern müsse auch vom politisch-administrativen System selbst erzeugt werden. Dazu müsse zwingend ein soziales Umfeld treten, in welchem die (generalisierte) verbindliche Anerkennung von Entscheidungen als Selbstverständlichkeit institutionalisiert ist. Ein Faktor der Erzeugung von Legitimität im politisch-administrativen System neben anderen sei jene durch (soziale) Verfahren. Verfahren in diesem Sinne sind nach Luhmann keine Verfahren, in denen alle Handlungsschritte und ihre Abfolge schon festgelegt seien. Vielmehr ist den sozialen Verfahren eigen, dass sie in Abhängigkeit vom Verhalten der Verfahrensbeteiligten mehrere mögliche Verfahrensverläufe eröffnen. Die Beteiligten erst schlössen also durch ihre selektiven Handlungen mehr und mehr Alternativverläufe des Verfahrens aus und steuerten so auf ein konkretes Ergebnis hin. Die Rechtsnormen, welche die Rahmenbedingungen für Verfahren vorgeben, sind dabei nach Luhmann nicht mit dem Verfahren selbst gleichzusetzen; die Rechtfertigung durch diese Rechtsnormen ist nicht schon Legitimation durch Verfahren. Die Verfahrensregeln reduzierten lediglich Komplexität, indem sie die möglichen Verhaltensweisen der Beteiligten einschränkten. Es sei gerade die Funktion rechtlich geregelter Verfahren, dabei noch Verhaltensmöglichkeiten offenzulassen, um den Verfahrensbeteiligten die Annahme von Verhaltensrollen zu ermöglichen.

Die Bedeutung der Verfahrensrollen Die Ausbildung von Verfahrensrollen führt nach Luhmann zu Rollentrennung zwischen Verfahrensrolle und Rollen aus der Verfahrensumwelt. So könne beispielsweise ein Parlamentsabgeordneter in seiner Rolle als Abgeordneter die Interessen der Konservenindustrie nicht durch den Verkauf von Konserven fördern, sondern nur durch Teilnahme an Abstimmungen oder entsprechende Beeinflussung von Stimmabgaben. Während Beteiligte eines sozialen Verfahrens sich also nur nach Maßgabe des Verfahrenssystems durch ihre anderen Rollen motivieren lassen könnten, schirme das Verfahren sie aber gleichzeitig auch gegen Folgenverantwortung für Verfahrenshandlungen in ihren anderen Rollen ab, da Nicht-Verfahrensbeteiligte aus anderen Rollenbeziehungen die Eigengesetzlichkeiten des Verfahrens und damit auch dessen Ergebnisse zu akzeptieren hätten. Vorwürfe könnten einem Verfahrensbeteiligten nur gemacht werden, wenn dieser sich nach Maßgabe des jeweiligen sozialen Verfahrens ungeschickt verhalten habe. Diese relative Autonomie des Verfahrens auf Verhaltens- und auf Rollenebene trage zur sozialen Generalisierung des Ergebnisses bei und damit zur Schaffung einer Umwelt, in der die verbindliche Anerkennung von Entscheidungen (mithin Legitimität) als Selbstverständlichkeit institutionalisiert ist. Zur Mitwirkung am Verfahren motiviert würden die nicht beruflich Beteiligten, also beispielsweise die Parteien eines Gerichtsverfahrens, durch ein eigenes Interesse am Thema, die Gewissheit, dass eine Entscheidung zustande kommen wird sowie die (durch die möglichen Alternativverläufe des Verfahrens bedingte) Ungewissheit, welche Entscheidung gefällt werden wird. Denn um diese Ungewissheit mehr und mehr einzuschränken, können sie eine Verfahrensrolle annehmen und sodann durch Vornahme von Verfahrenshandlungen versuchen, Alternativverläufe auszuschließen.

Legitimation durch Verfahren (Luhmann) -

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Typisches Kennzeichen moderner politischer Systeme, dass die Entscheidungen des Gesetzgebers, der Behörden und der Gerichte von den Betroffenen selbstverständlich als bindend angesehen werden Zwang und Konsens müssen in einem Mischverhältnis gegeben sein, um dauerhafte politische Herrschaft zu ermöglichen (Zwang und Konsens = knappe Ressourcen) des politischen Systems o Bloße Addition könne die Institutionalisierung der Legitimität nicht erklären Bereitschaft zur motivlosen Akzeptanz weit verbreiten → soziologisch das Problem Wie das soziologisch funktioniert? Durch zwei Mechanismen: o Eine Generalisierung der Sinngrundlagen der Institutionen o Entscheidungsverfahren Generalisierung der Sinngrundlagen o Sehr abstrakte Werte mit Institutionen (z.B. Familie oder Rechtssystem) verbunden Luhmanns zweite Erklärung: Das politisch-administrative System beschafft sich die Legitimität seiner Entscheidungen selbst durch Verfahren o Die Entscheidung, ob legitim, soll nicht darauf beruhen, dass die Beteiligten sich von der Notwendigkeit, Richtigkeit oder Gerechtigkeit der Entscheidung überzeugen lassen Betroffene werden im Verfahren einem Lernprozess unterworfen, an dessen Ende sie die ergehende Entscheidung als Prämisse ihres künftigen Verhaltens akzeptieren Es kommt nicht auf Überzeugung, sondern auf den äußeren Erfolg an Verurteilte muss mit Urteil nicht zufrieden sein, sondern sich danach richten Dieser Erfolg ist nur in einem sozialem Klima zu erzielen, das die Anerkennung verbindlich gemeinter Entscheidungen institutionalisiert Das Verfahren fordert nicht persönliche, individuelle Überzeugung o Verfahren baut Erwartungen des Betroffenen und seiner Umgebung so um, dass am Ende alle einfach die Entscheidung akzeptieren müssen Als besonders eindrucksvoll und mit den meisten Details behaftete Beispiel nennt Luhmann das Gerichtsverfahren Das Gerichtsverfahren ist ein in Regeln gefasster und begrenzter Konflikt o Konflikte habe die Tendenz zur Generalisierung Der erste Schrit für spätere Annahme der Entscheidung ist, dass sich die Beteiligten bestimmten Verhaltensregeln unterwerfen und ihr Verhalten dem sich entwickelnden Verfahren einfügen Indem sie sich auf ein Verfahren einlassen, erkennen sich die Gegner wechselseitig in ihren Rollen als Parteien an Indem man sich auf das Verfahren einlässt, hat man im vornhinein die Entscheidung als verbindlich anerkannt Als nächstes müssen die Beteiligten dazu gebracht werden, Verfahrensrollen zu übernehmen o Dazu veranlasst sie die Gewissheit, dass eine Entscheidung ergehen wird, verbunden mit der Ungewissheit über den Ausgang und die Hoffnung, das zu ihrem Gunsten beeinflussen zu können o Ungewissheit = geradezu der Motor des Verfahrens Einmal in den „Trichter des Verfahrens“ geraten, legt man sich fest durch Anerkenntnis, Geständnisse oder durch eine eigene Darstellung des Sachverhalts Um Erfolgschancen zu erhöhen, muss man sich auf bestimmte Streitpunkte konzentrieren und seine Argumente zuspitzen Die Parteien arbeiten so an der Geschichte des Verfahrens mit und finden sich am Ende wieder als jemand, der „unbezahlte zeremonielle Arbeit“ geleistet hat → man hat sich selbst isoliert → eine Rebellion gegen die Entscheidung hat keine Chance mehr Gerade diese Wehrlosigkeit erleichtert es dem Unterlegenen, die Entscheidung zu akzeptieren

Wichtige Stichpunkte: -

Ein unabhängiger Driter muss anwesend sein Erfolg nur in einem sozialem Klima möglich Beteiligte müssen sich bestimmten Verhaltensregeln unterwerfen Der Ausgang muss offen sein → Gewissheit, dass Entscheidung Beteiligte muss dazu gebracht werden, Verfahrensrollen zu übernehmen Beteiligte können sich in Verfahrensrollen frei bewegen → Konfliktregulierung Aussagen nur „zum Thema des Verfahrens“ bzw. auf bestimmte Streitpunkte konzentrieren → Komplexität verringern (Entscheidung ermöglichen) Lernprozess → äußerer Erfolg Konfliktregulierung

Wie kann Verfahren Entscheidungen legitimieren? (Luhmann)

 Zum Lernprozess:

Röhl, a.o.O. Seite 409 ff.

´06 - Verfahren bringt nicht nur Entscheidungen hervor, sondern legitimiert diese auch, denn Verfahren sind relativ autonome entscheidungsfähige Interaktionssysteme. Wichtig ist dem Verfahren, dass ein Dritter anwesend ist, der unabhängig von den streitenden Parteien entscheiden kann und die Entscheidung zu Beginn des Verfahrens noch nicht feststeht, d.h. der Ausgang ist offen. Das ist die wichtige Voraussetzung, damit nicht vorher schon durch bestimmte Machtkonstellationen feststeht, wie die Entscheidung sein wird. Außerdem setzt das Verfahren voraus, dass die Beteiligten in Verfahrensrollen „schlüpfen“, die unabhängig von ihren alltäglichen Rollen im Leben sein sollen. Das heißt, sie sind im Verfahren nur Angeklagter, Zeuge… Alle anderen Rollen sind dadurch neutralisiert. Die Beteiligten können sich in ihren Verfahrensrollen frei bewegen, jedoch ist ihr Argumentationsraum verknappt, d.h. sie dürfen nur Aussagen „zum Thema des Verfahrens“ machen. Dadurch, dass sie sich nun in den Verfahrensrollen wiederfinden und nur aus ihnen argumentieren können, setzt ein Lernprozess ein. Sie beginnen das Verfahren nur noch aus der Verfahrensrolle zu sehen und sehen die Entscheidung des Dritten – des Richters – als Erwartung aller. Sie nehmen die Entscheidung als legitim hin, da sie den Erwartungen aller entspricht. Damit legitimiert Verfahren Entscheidungen in der Weise, dass sie erst während des Verfahrens getroffen werden und durch die Verfahrensrollen. L egitimation kann nicht nur durch Richtigkeit erreicht werden, sondern durch Verfahren. Durch die Beschränkung auf das jeweilige Thema wird die Komplexität verringert und erstens die Entscheidung zum Thema überhaupt möglich und zweitens die Beteiligung am Verfahren erleichtert. Die Legitimation erfolgt durch Beteiligung am Verfahren. Rollen dienen der Konfliktregulierung und der besseren Beteiligung am Verfahren (Richterrolle, um objektiv urteilen zu können etc.). Während des Verfahrens wird ein Lernprozess vorausgesetzt. Das bedeutet, Beteiligte müssen alternative Verhaltenserwartungen aufgeben. 3 Kriterien: 1. Muss durch rechts- und organisationsnormen bestimmt sein + Einnahmen der Rollen erlauben. 2. Muss autonom sein, d.h. der Ausgang muss offen sein. 3. Muss komplex genug sein, um Konflikte zuzulassen. War Verfahren ordnungsgemäß, so wird erwartet, dass durch den Lernprozess alternative Erwartungshaltungen aufgegeben werden und das Ergebnis akzeptiert wird, egal ob es für richtig oder falsch gehalten wird. Dadurch wird es legitmiert....


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