Alfred Schütz, die Orientierung modo futuri exacti PDF

Title Alfred Schütz, die Orientierung modo futuri exacti
Course Soziologische Grundbegriffe und Anwendungsfelder
Institution Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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Summary

Was bedeutet nach Alfred Schütz die Orientierung modo futuri exacti?
Wie hängt diese Orientierung mit dem Sinn der Handlung zusammen?
Was ist demnach der Unterschied zwischen „Um-zu“ und „Weil-“Motiven? ...


Description

Was bedeutet nach Alfred Schütz die Orientierung modo futuri exacti? Wie hängt diese Orientierung mit dem Sinn der Handlung zusammen? Was ist demnach der Unterschied zwischen „Um-zu“ und „Weil-“Motiven? Einleitung In den folgenden Ausführungen werde ich mich mit der Person Alfred Schütz und seiner soziologischen Arbeit auseinandersetzen, indem ich vorerst einen kleinen Überblick über sein Leben und seinen beruflichen Werdegang gebe. Zur Klärung und Einordnung seiner Arbeit, werde ich versuchen diese in das Spektrum der soziologischen Ansätze einzuordnen und sie so vergleichbar zu machen. Ein besonderes Augenmerk werde ich bei meiner Auseinandersetzung auf Schütz’ Kritik an Webers Version des subjektiven Sinns und der daraus erwachsenen Weiterentwicklung durch Schütz legen. Im weiteren Verlauf werde ich mich dann auf die damit verbundene Orientierung der Handlung an der zukünftigen Vergangenheit, also der modo futuri exacti, konzentrieren und zum Schluss dieses Essays auf die Motive, die nach Schütz mit dieser Orientierung verbunden sind, kommen. Hierbei unterscheidet er „um-zu“- und „weil“-Motive. Nach einer Begriffsklärung möchte ich auch die Entstehung und die Verfestigung dieser Motive aufgreifen und klären inwiefern das biographische Sediment eines jeden Individuums entscheidend für seine zukünftigen Taten und Überzeugungen sein kann.

Die Person Alfred Schütz und ihr beruflicher Werdegang Alfred Schütz wurde am 13. April 1899 in Wien geboren und widmete sich nach Kriegsende 1918 seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften. Gleichzeitig nahm er an Veranstaltungen der Wiener Akademie für Internationalen Handel teil. Nach seiner Promotion lebte er eine Art „Doppelleben“ 1, bei einer Bank und am Lehrstuhl in Wien. Ihn begeisterten die Ausführungen Husserls über die ‚Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins’. Ab 1929 arbeitete er an seinem ersten Werk „Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt“, das 1932 erschien. In Folge 1

Hrsg. von Elisabeth List: Alfred Schütz Werkausgabe Band VI.1 – Relevanz und Handeln 1 Zur Phänomenologie des Alltagswissens. 1. Auflage, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH 2004. 1

verdichtete sich der Kontakt mit Husserl. Im zweiten Weltkrieg siedelte Schütz mit seiner Familie nach Amerika über, wo er seine Arbeit fortsetzte. Dort kam er mit Parsons in Kontakt und wurde Professor an der New School of Social Research in New York. Erst 1956 gab Schütz seine Arbeit im Bankwesen nach über 35 Jahren auf und widmete sich alleinig seiner Arbeit an der Universität und der Forschung. Kurz danach erkrankte er und starb letztendlich am 20. Mai 1959 in New York, sodass viele seiner Werke erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden (vgl. List – Alfred Schütz Werkausgabe S. 357-360)1. Wie in der kurzen Übersicht seines Lebens und Werdegangs schon angeklungen ist, lässt

sich

Schütz’

Denkweise

der

„verstehenden

Soziologie“2

bzw.

der

Phänomenologie zuordnen. Diese schließt von der eigenen Weltanschauung auf die der Allgemeinheit, geht also vom Individualismus und nicht vom Holismus aus. Die Phänomenologie begreift die Umwelt durch die sogenannte strukturierte Introspektion, die Sicht ins eigene Bewusstsein. Diese „phänomenologische Konstitutionsanalyse der Sozialwelt“2 hinterfragt, wie man selbst die Dinge in der Umwelt wahrnimmt und wie daraus Schlüsse auf die Allgemeinheit gezogen werden können. Zu diesen phänomenologischen Aspekten kommen drei weitere Aspekte, die Schütz durch seine Arbeit mit Webers Werken berücksichtigte (vgl. Kaesler – Klassiker der Soziologie S. 342)2. Der erste Punkt ist das ‚Selbstverstehen’ also nach Weber die „Sphäre des einsamen Ichs“2. Zu gleicher Zeit muss aber auch das Fremdverstehen analysiert werden. Durch diese beiden Prozesse kommt es in Folge dann drittens zu einem „geteilten Erfahrungsmuster“2, das über Zeichensysteme und gegenseitige Anpassung der jeweils subjektiven Erfahrungen entsteht (vgl. Kaesler – Klassiker der Soziologie)2.

Kritik am subjektiven Sinn nach Weber und die Weiterentwicklung nach Schütz Webers Definition des ‚subjektiven Sinns’ beinhaltet die Annahme, dass jedes menschliche Verhalten erst durch einen subjektiven Sinn zu einer Handlung wird. Bezieht sich diese Handlung auch noch auf andere und berücksichtigt deren subjektive

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Hrsg. von Dirk Kaesler: Klassiker der Soziologie - Von Auguste Comte bis Alfred Schütz. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, München: Verlag C.H. Beck oHG 2006. 2

Sinne, so spricht man nach Weber von ‚sozialem Handeln’ (vgl. Kalberg – Max Weber lesen S. 30)3. Schütz kritisiert diese vage Definition des ‚subjektiven Sinns’ nach Weber, denn für ihn bedarf es einer „philosophischen Grundlegung der verstehenden Soziologie“2 und somit auch des ‚subjektiven’ Sinns.

„Dazulegen sei,was Sinnsetzung im Handeln in subjektiver wie intersubjektiver Hinsicht heiße und inwiefern eine Erfahrungswissenschaft vom Sinnverstehen –wie die Soziologiein der Lage sei, die ‚subjektiven’ Sinnsetzungen im kontinuierlichen Ablauf der Ereignisse im Alltag in methodisch durchgearbeiteter Form wissenschaftlich ‚objektiv’ zu erfassen.“2

Schütz beginnt bei seiner Definition vorerst mit der Unterscheidung von ‚Handeln’ und einer ‚Handlung’. Während es sich beim ‚Handeln’ um einen Ablauf handelt, der im Gegensatz zum Verhalten geplant ist, versteht er unter einer ‚Handlung’ das Ziel dieses Plans (vgl. Kaesler – Klassiker der Soziologie S. 343).2 Einfach gesagt fügt sich eine abgeschlossene ‚Handlung’ aus vielen kleinen Elementen, also dem ‚Handeln’ zusammen. Durch unterschiedliche biographische Sedimente, nimmt jedes Individuum eine Handlung anderes wahr. Wir sind geprägt von bereits durchlebten Handlungen und den damit verbundenen Erfahrungen, sodass auch unser subjektiver Sinn individuell ist. Dies führt dazu, dass „verschiedene Personen ein und dasselbe Handeln unterschiedlich sinnhaft deuten.“2 Außenstehenden ist keine Introspektion des Gegenübers möglich. Das Unvermögen sich gegenseitig in den Kopf gucken zu können, motiviert zu kommunizieren, denn ohne Kommunikation ist die „Spannweite“2 eines Entwurfs des jeweiligen Handelnden von andern nicht bewertund abschätzbar. In der Vorlesung ist häufig angeklungen, dass laut Schütz also laut der phänomenologischen Sicht auf die Welt die Konzentration auf die eigene Wahrnehmung der Schlüssel zum Fremdverstehen darstellt. Durch die strukturierte

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Stephen Kalberg: Max Weber lesen. 1. Auflage, Bielefeld: transcript Verlag 2006.

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Introspektion lassen sich Schlüsse auf die Allgemeinheit ziehen und so das Problem von alter und ego lösen, die sich nicht direkt gegenseitig in den Kopf blicken können. Je intensiver die eigene Wahrnehmung reflektiert wird, desto häufiger kommt es zu einer subjektiven Evidenz, also der Deckung zwischen der erwarteten und er tatsächlichen Wahrnehmung. Die ständige Wiederholung dieser Synthese von Erwartung und der Wahrnehmung führt zur Entstehung des biographisch variablen Sediments.

Modo futuri exacti – die Rolle der Zeit in einer Handlung Bei der ‚modo futuri exacti’ handelt es sich um die Wahrnehmung der Gegenwart als zukünftige Vergangenheit.

„Ich stelle mir also vor, daß Ereignisse eines bestimmten Typs und einer bestimmten Art stattgefunden haben werden, ich versetze mich an einen Punkt in der Zukunft, von dem aus gesehen sich die aktuelle Situation reziprok als relevant gewesen erweisen wird: diese Denkweise soll Denken in der vollendeten Zukunft, modo futuri exacti, genannt werden.“1

Bei dieser Denkweise lässt sich jede Handlung wie oben beschrieben in unzählige kleinere Einheiten zerlegen, die alle zusammen dazu führen, dass in der Zukunft irgendetwas sein wird, wie geplant. Diese Zergleiderung einer Handlung wurde in der Vorlesung durch Prof. Renn als Ziehharmonikaeffekt bezeichnet. Folgendes Beispiel soll das Denken im modo futuri exacti verdeutlichen: Damit am Abend, wenn die geladenen Gäste da sein werden eine leckere Suppe auf dem Tisch stehen wird, muss diese jetzt gekocht werden. Damit diese Suppe gekocht werden kann, müssen die Zutaten gekauft werden. Damit die Zutaten kaufbar werden, müssen sie geerntet werden. Damit sie geerntet werden können, müssen sie zuvor gesät werden usw. Bei jedem einzelnen Schritt ist es möglich zeitlich weiter zurückzuspringen und die dort vorherrschende Gegenwart als zukünftig vergangen wahrzunehmen. Dabei steht also die Frage im Fokus, was durch ein spezielles Handeln reziprok erreicht werden soll (vgl. List – Alfred Schütz Werkausgabe S. 160)1. 4

Die Motive der modo futuri exacti – „um-zu“- & „weil“- Motive „Handlungsverstehen vollzieht sich nach Schütz als Motivverstehen.“ 2 Wie die zwei Namen der Motive schon erahnen lassen unterscheidet man die Motivation durch den „Zweck“1 (das um-zu-Motiv) und die des Grundes (weil-Motiv) (vgl. List – Alfred Schütz Werkausgabe S. 258)1. Im Falle des ersteren geschieht eine Handlung also, um etwas zu erreichen. Beispielsweise esse ich eine Portion Spaghetti, um satt zu sein. Ich studiere, um einmal Lehrerin werden zu dürfen/können. Und ich befasse mich mit Schütz, um mein soziologisches Wissen auszubauen. All diese Motive sehen meine Gegenwart als zukünftige Vergangenheit an und wollen ein zukünftiges Ziel erreichen. Das zweite Motiv, also das des Grundes, geht tiefer. Es antwortet auf die Frage ‚Warum tust du etwas?’. Eben dieser Grund für eine Handlung liegt meist an „vergangenen Erfahrungen“1, die eine Person geprägt und ihr biographisches Sediment beeinflusst und verändert haben. Man kann zum Beispiel Angst vor Hunden haben, weil man in der Kindheit gebissen wurde. Diese Angst kann einen dazu motivieren, die Straßenseite zu wechseln, wenn einem ein freilaufender Hund entgegenkommt. Oder einem schmeckt Schokoladeneis am besten, weil einem seine Mutter früher immer welches gekauft hat. Auch das kann einen dazu bewegen, sich in der Eisdiele für das Schokoladeneis und gegen Vanille zu entscheiden. Aufgrund von wiederkehrenden Handlungsfolgen ist es möglich, eine Art „Typenbildung“4 vorzunehmen (W.M. Sprondel und R. Grathoff – Alfred Schütz und die Idee des Alltags in den Sozialwissenschaften S.50).4

„Es werden nämlich gleichartig wiederkehrende Handlungsabläufe, die durch Setzung gleichartiger Mittel, gleichartige Handlungsziele verwirklichen, gleichartige Um-zu-Motive oder ... gleichartige echte Weil-Zusammenhänge der Ergebnisse der jeweils Handelnden zugeordnet. Diese werden als konstant angenommen und gegenüber 4

Hrsg. von Walter M Sprondel und Richard Grathoff: Alfred Schütz und die Idee des Alltags in den Sozialwissenschaften.1. Auflage, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag 1979. 5

allen Modifikationen, welche sie im lebendigen Bewußtsein eines so Handelnden, und zwar so handelnden immer, erfahren mögen, invariant gesetzt.“ An diesen Typen ist dann in Folge ein „inneres Zeitbewusstsein“ 4 und somit auch ein Teil ihrer Erfahrungen ablesbar.

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