Übung Arbeitsrecht Lösung Fall 16 a PDF

Title Übung Arbeitsrecht Lösung Fall 16 a
Course Arbeitsrecht
Institution Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Pages 4
File Size 87.1 KB
File Type PDF
Total Downloads 80
Total Views 124

Summary

Übung Arbeitsrecht Lösung Fall 16 a...


Description

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht Vorlesungsbegleitende Übungsveranstaltung Arbeitsrecht Wintersemester 2017/2018

Fall 16 a

Fall 16 a Lösungsskizze (voll ausformuliert) Die Klage ist begründet, wenn das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 20.01.2012 aufgelöst worden ist. I. Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung Die außerordentliche Kündigung der V gegen die Altenpflegerin H müsste wirksam sein. 1. Ordnungsgemäße Kündigungserklärung Dafür müsste zunächst eine ordnungsgemäße Kündigungserklärung der V vorliegen. Die Schriftform des § 623 BGB wurde mit dem Kündigungsschreiben, das der H persönlich am 21.01.2012 übergeben wurde, eingehalten. Fraglich ist, ob das Fehlen von Kündigungsgründen der Wirksamkeit der Kündigung entgegenstehen könnte. Das Fehlen der Angabe von Kündigungsgründen ist jedoch unschädlich, da ein Kündigungsgrund gem. § 626 Abs 2 S 3 BGB nur auf Verlangen angeben werden muss. H verlangte keine Angabe von Gründen. Problematisch ist, ob der Personalleiter auch kündigungsberechtigt war. H rügt, dass dem Schreiben keine Vollmachtsurkunde für den Personalleiter beigefügt wurde. Möglicherweise liegt aufgrund des Mangels der Vorlage der Vollmachtsurkunde eine wirksame Zurückweisung der Kündigung durch H gem. § 174 BGB vor. Jedoch gilt der Personalleiter regelmäßig als bevollmächtigt, Kündigungen auszusprechen. Von dieser Vertretungsbefugnis des Personalleiters gelten die Arbeitnehmer iSv § 174 S 2 in Kenntnis gesetzt. Außerdem wäre die Zurückweisung der H, durch die Geltendmachung in der Klageschrift nicht unverzüglich iSv § 174 S 1 BGB erfolgt. Folglich ist eine Zurückweisung der Kündigung hier nicht wirksam gegeben. 2. Ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG Damit die außerordentliche Kündigung wirksam ist, müsste außerdem eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG stattgefunden haben. Am 19.01.2012 wurden dem Betriebsrat die notwendigen Informationen gegeben. Fraglich ist, ob die Anhörungsfrist gemäß § 102 Abs 2 BetrVG auch eingehalten wurde. Danach hat der Betriebsrat 3 Tage Zeit. Im vorliegenden Fall schließt der Betriebsrat frühzeitig die Anhörungsfrist ab. Das frühzeitige Abschließen des Betriebsrates steht der Wirksamkeit nicht entgegen. Der Betriebsrat hätte rügen müssen, wenn ihm ein Tag nicht ausgereicht hätte und dies in formeller Hinsicht der Wirksamkeit der Kündigung hätte entgegenstehen sollen. Das tat er nicht. Die Anhörung war daher ordnungsgemäß. 3. Besonderer Kündigungsschutz Als Vorschriften für einen besonderen Kündigungsschutz kommt § 15 KSchG in Betracht. Jedoch erfassen diese Normen nicht die bloße Gewerkschaftszugehörigkeit, sodass sie nicht einschlägig sind.

1/4

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht Vorlesungsbegleitende Übungsveranstaltung Arbeitsrecht Wintersemester 2017/2018

Fall 16 a

4. Wirksamen außerordentliche Kündigung Damit die Kündigung wirksam ist, müsste außerdem die Kündigungsfrist eingehalten worden sein und ein wichtiger Grund bestehen. a) Einhaltung Frist, § 626 Abs 2 BGB Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist gem. § 626 Abs 2 BGB müsste eingehalten worden sein. Zunächst muss aus dem Sachverhalt ermittelt werden worauf der Kündigungsberechtigte die außerordentliche Kündigung stützen will. V erfährt am 10.01.2012 von der Strafanzeige. Der Zugang der Kündigung müsste innerhalb von 2 Wochen ab der Kenntnis von der Strafanzeige erfolgt sein. Die Kündigung ist der H am 21.01.2012 zugegangen, sodass die zwei Wochen im Sinne der §§ 626 Abs 2, 187 Abs 1, 188 Abs 2 BGB eingehalten wurden. b) Wichter Grund gemäß § 626 Abs 1 BGB Außerdem müsste ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliegen. Hierzu müssten Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Um festzustellen, ob ein wichtiger Grund besteht, muss eine Zweistufenprüfung vorgenommen werden. aa) Umstände, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund abzugeben Dazu müssten objektive Tatsachen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist als an sich geeignet angesehen werden können, um einen wichtigen Grund der Kündigung darzustellen. Dies wird in solchen Fällen bejaht, bei denen schwere Vertragsverstöße vorliegen oder eine erhebliche Verletzung der Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber gegeben ist. Die Einhaltung der Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber ist eine schuldrechtliche Pflicht, die aus § 241 Abs 2 BGB abgeleitet wird. Außerdem folgt aus der in Art. 12 GG geschützten Unternehmerfreiheit eine Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Bei einer Strafanzeige kommt eine erhebliche Pflichtverletzung/ Loyalitätsverletzung grundsätzlich in Frage. Somit liegt ein Umstand vor, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben. bb) Umstände des Einzelfalles Weiterhin müssten die Umstände des Einzelfalles im Wege der Gesamtwürdigung einen wichtigen Grund darstellen. Neben der Negativprognose und der Prüfung des Ultima-Ratio-Prinzips, ist hierbei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, bei der das Recht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 GG und Art. 10 EMRK und das von Arbeitgeber verfolgte Ziel miteinander abzuwägen sind. (1) Öffentliches Interesse an der Information Es müsste ein öffentliches Interesse bestehen. Das Arbeitgeberinteresse betrifft rein betriebsinterne Vorgänge und soll nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Das Interesse der Öffentlichkeit kann aber im Einzelfall überwiegen. Ein öffentliches Interesse könnte hier dadurch gegeben sein, dass alte Menschen in Pflegeheimen besonderer Verwundbarkeit unterliegen können. Folglich liegt ein besonderes Interesse vor, die Missstände in dem Pflegeheim aufzudecken. 2/4

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht Vorlesungsbegleitende Übungsveranstaltung Arbeitsrecht Wintersemester 2017/2018

Fall 16 a

(2) Keine andere Möglichkeit der Aufdeckung Für die Aufdeckung der Missstände dürfte es keine andere Möglichkeit gegeben haben. Loyalitätspflicht bedeutet auch, Missstände zunächst intern zu klären, um den Ruf des Arbeitgebers nicht unnötig zu schädigen. Anders ist es zu beurteilen, wenn es vom Arbeitnehmer vernünftigerweise nicht erwartet werden kann. H hat vor Erstattung der Anzeige durch mehrfache eigene Angaben und durch anwaltliches Schreiben auf die Missstände und Gefahr des Abrechnungsbetrugs hingewiesen. V hat jedoch darauf nicht reagiert. Da sonst keine anderen Abhilfemöglichkeiten mehr ersichtlich sind und H sich unter Umständen selber strafbar gemacht hätte wegen Beihilfe zum Abrechnungsbetrug, war die von H gewählte Aufdeckung wirksam. (3) Wahrheitsgehalt der weitergegebenen Information Weiterhin müsste der Wahrheitsgehalt der weitergegebenen Information geprüft werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob es sich um wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben handelt. Aus Loyalitätspflicht ergibt sich, dass die freie Meinungsäußerung mit Pflichten und Verantwortung verbunden ist und derjenige, der Informationen weitergibt, nach den ihm zustehenden Möglichkeiten zu prüfen hat, ob diese genau und zuverlässig sind. Hiergegen könnte sprechen, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt hat und H ggfs. leichtfertig die Anzeige erstattet hat. Jedoch ist dem entgegen zu halten, dass es vorrangig die Aufgabe der Ermittlungsbehörde ist, Sachverhalt und Möglichkeit einer Verurteilung zu ermitteln. Somit konnte von H nicht erwartet werden, dass sie als Anzeigenerstatterin das Ergebnis der Ermittlung vorauszusehen. Außerdem hat auch der MDK fehlerhafte Pflege und Dokumentation festgestellt. Mithin erfolgte die Anzeige der H auf einer konkreten Tatsachengrundlage. (4) Handeln im guten Glauben H müsste im guten Glauben gehandelt haben. Die Strafanzeige könnte dann unverhältnismäßig gewesen sein, wenn H nicht in gutem Glauben, sondern überwiegend für eine Verbesserung der eigenen Situation gehandelt hätte. Dies kann hier jedoch ausgeschlossen werden, da zahlreiche Berichte der H gegenüber V zu keiner Abhilfe geführt haben. Außerdem hat sich H auch nicht an einen größeren Kreis der Öffentlichkeit gewandt. Folglich hat H im guten Glauben gehandelt. (5) Strafanzeige dürfte als Mittel nicht unverhältnismäßig zum Zweck sein? Die mit der Anzeige verbundene Schädigung dürfte nicht zum verfolgten Zweck unverhältnismäßig sein. Zu berücksichtigen ist auch das Interesse an wirtschaftlichem Erfolg zum Nutzen von Anteilseignern, Arbeitnehmern und der Allgemeinheit, auch wenn Anteilseigner eine staatliche Einrichtung ist. Vorliegend ist besonders das öffentliche Vertrauen in eine staatlich verwaltete Gesellschaft schutzwürdig. Ein öffentlicher Anteilseigner hat ein eigenes Interesse an der Aufklärung. c) Ergebnis der Interessenabwägung Die Strafanzeige war vorliegend vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und es liegt kein wichtiger Grund iSd § 626 Abs 1 BGB vor.

3/4

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht Vorlesungsbegleitende Übungsveranstaltung Arbeitsrecht Wintersemester 2017/2018

Fall 16 a

5. Einhaltung der Klagefrist, §§ 4, 7, 13 KSchG? Unabhängig davon, dass schon kein wichtiger Grund vorliegt, ist fraglich, ob die Klagefrist nach §§ 4, 7, 13 KSchG eingehalten worden ist. Der Klageeingang war am 13.02.2012. Die Frist berechnet sich nach §§ 187, 188 II BGB. Am 21.01.2012 ist die Kündigung zugegangen, dies war ein Samstag. Die Frist endete nach § 188 II BGB mit Ablauf des gleichen Wochentags der entsprechenden dritten Woche, also am 11.02.2012. Folglich würde diese Frist auch auf einen Samstag enden. Jedoch tritt nach § 193 BGB an Stelle des Samstags der nächste Werktag. Dies ist dann Montag, der 13.02.2012. Mithin wurde die Klagefrist eingehalten. Trotz Einhaltung der Klagefrist ist die außerordentliche Kündig ung jedoch mangels wichtigen Grundes unwirksam. II. Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung? Es könnte eine wirksame ordentliche Kündigung vorliegen. 1. § 140 BGB Eine Umdeutung einer außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche ist gemäß § 140 BGB möglich. Hier wollte sich V auf jeden Fall von H trennen. 2. Ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung, § 102 BetrVG Der Betriebsrat müsste ordnungsgemäß angehört worden sein. Die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung wegen unterschiedlicher Folgen und Fristen enthält nicht zugleich auch eine Anhörung zur ordentlichen Kündigung. Daher ist eine ordnungsgemäße Betriebsanhörung schon aus formellen Gründen abzulehnen. 3. Kündigung nur wirksam, wenn sie sozial gerechtfertigt wäre, § 1 KSchG Darüber hinaus ist fraglich, ob die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt wäre. Zunächst müsste das KSchG anwendbar sein. Da noch 15 andere Arbeitnehmer sich ebenfalls beschwert hatten, sind mindestens 5 bzw. 10 Arbeitnehmer vorhanden. Außerdem arbeitet H auch schon länger als 6 Monate bei V. Es müsste sich weiterhin um eine verhaltensbedingte Kündigung handeln nach § KSchG. Jedoch stellt im vorliegenden Sachverhalt eine Strafanzeige auch Rahmen der ordentlichen Kündigung keinen Grund dar. Dazu kann auf Interessenabwägung verwiesen werden. Auch die ordentliche Kündigung demnach unwirksam.

1 II im die ist

Ergebnis: Die Kündigungsschutzklage der H ist begründet. Sie hat Aussicht auf Erfolg.

4/4...


Similar Free PDFs