Übungsfall 3 - Lösung PDF

Title Übungsfall 3 - Lösung
Course Verwaltungsrecht I mit integrierter Abschlussklausur zur Fortgeschrittenenübung
Institution Universität Regensburg
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Wintersemester...


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FAKULTÄT FÜR RECHTSW ISSENSCHAFT

Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht PD Dr. Albert Ingold Lehrstuhlvertreter

Vorlesung „Verwaltungsrecht I“ Übungsfall zu § 12 Lösungsskizze Schwerpunkt: Rücknahme von Verwaltungsakten, § 50 VwVfG Die Klage des A hat Erfolg, wenn sie zulässig (A.) und begründet (B.) ist. A. Zulässigkeit I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs Mangels aufdrängender Sonderzuweisung bestimmt sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I 1 VwGO. Gegenstand der Klage muss eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art sein. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Im Streit steht die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Baugenehmigung. Die Baugenehmigung richtet sich unzweifelhaft nach öffentlichem Recht, Art. 68 I 1 BayBO. Die Rücknahme vollzieht sich als „actus contrarius“ ebenfalls nach öffentlichem Recht; im Übrigen kommen die Art. 48 bzw. 49 BayVwVfG zur Anwendung, die als Sonderrecht Hoheitsträger spezifisch als solche berechtigen und verpflichten. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit (hinsichtlich der Beteiligten und der streitentscheidenden Normen) ist die Streitigkeit auch nicht-verfassungsrechtlicher Art. Schließlich darf der Rechtsstreit nicht durch eine gesetzliche Regelung einem anderen Gerichtszweig zugewiesen sein; dies ist nicht ersichtlich. Damit ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO eröffnet. II. Klageart Die richtige Klageart bestimmt sich nach dem (ggf. nach §§ 88, 86 III VwGO auszulegenden) klägerischen Begehren.

1. Sachbegehren des A A bezeichnet sein Klageziel nicht genauer, es ist daher durch Auslegung zu ermitteln (vgl. § 88 VwGO). In der Sache geht es A darum, eine Baugenehmigung zu haben, um damit sein Bauvorhaben verwirklichen zu können. Grundsätzlich sind hierfür zwei Wege denkbar: A könnte (im Wege der Verpflichtungsklage) eine neue Baugenehmigung einklagen oder sich gegen die Aufhebung der alten Baugenehmigung wenden, mit der Folge, dass diese wieder „auflebt“. In einer solchen Situation ist die Anfechtung der Aufhebung grundsätzlich sachdienlicher: Die erneute Prüfung, ob eine Baugenehmigung erteilt werden kann, ist mit Risiken behaftet, während umgekehrt schon ein kleiner Fehler bei der Aufhebung zu deren Aufhebung durch das VG und damit zum Wiederaufleben der alten Genehmigung führen kann. Ziel des A ist also die Beseitigung des Aufhebungsbescheides. Hierfür ist eine Anfechtungsklage die richtige Klageart, wenn es sich bei dem Akt, dessen Aufhebung A begehrt, um einen Verwaltungsakt handelt (§ 42 I Alt. 1 VwGO). 2. Rechtsnatur des Aufhebungsbescheids Der Aufhebungsbescheid teilt die Rechtsnatur des Ausgangsbescheids „Baugenehmigung“ („actus contrarius“). Diese stellt als hoheitliche Einzelfallregelung einer Behörde mit Außenwirkung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts einen Verwaltungsakt nach § 35 S. 1 VwVfG dar. Damit handelt es sich auch bei der Aufhebung um einen Verwaltungsakt. Somit ist die Anfechtungsklage gem. § 42 I Alt. 1 VwGO richtige Klageart. III. Klagebefugnis, § 42 II VwGO Der Kläger müsste geltend machen, durch den angegriffenen Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 II VwGO). Nach der Möglichkeitstheorie darf eine Rechtsverletzung nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder denkbaren Betrachtungsweise ausgeschlossen erscheinen. Der Adressat eines belastenden VA ist – bei behaupteter Rechtswidrigkeit des VA – stets klagebefugt, weil es möglich erscheint, dass er zumindest in seinen Rechten aus Art. 2 I GG verletzt sein könnte. IV. Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO § 68 I 1 VwGO verlangt grundsätzlich, dass vor Erhebung der Anfechtungsklage ein Vorverfahren (§§ 68 ff. VwGO) form- und fristgerecht, aber erfolglos durchgeführt wurde. Dies ist hier nicht geschehen. Ein Vorverfahren war im vorliegenden Fall allerdings seit der Neu reglung des Erfordernisses eines Widerspruchsverfahrens in 2

Bayern auch nicht mehr statthaft (§ 68 I 2 Hs. 1 VwGO i.V.m. Art. 15 II i.V.m. I AGVwGO). V. VBeteiligtenbezogene Voraussetzungen 1. Kläger, § 63 Nr. 1 VwGO A ist als natürliche Person gemäß § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligten- und gemäß § 62 I Nr. 1 VwGO i.V.m. §§ 104 ff. BGB prozessfähig. 2. Beklagter, § 63 Nr. 2 VwGO Der Freistaat Bayern ist gemäß § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig und wird gemäß § 62 III VwGO i.V.m. Art. 16 S. 1 und 2 AGVwGO, § 3 I 1 Nr. 1, II 1 LABV und Art. 37 (vgl. Abs. 1, 6) LKrO durch den Landrat vertreten. VI. Klageerhebung 1. Form, §§ 81 f. VwGO A muss die Klage gemäß § 81 I VwGO schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle erheben. Hinsichtlich des Inhalts der Klageschrift ist § 82 VwGO zu beachten. Die Form ist lt. Sachverhalt gewahrt. 2. Frist, § 74 I 2 VwGO Die Anfechtungsklage muss gemäß § 74 I 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe (vgl. dazu Art. 41 BayVwVfG; hier ist wegen Art. 68 II 3 BayBO die Vorschrift des Art. 41 V BayVwVfG einschlägig und es kommt auf den Zeitpunkt der Zustellung an) des Bescheids erhoben werden. Die Klagefrist ist lt. Sachverhalt gewahrt. Zwischenergebnis: Die Klage ist zulässig. B. Begründetheit Die Anfechtungsklage des A ist begründet, wenn sie gegen den richtigen Beklagten gerichtet ist (§ 78 I Nr. 1 VwGO) und soweit die Aufhebung der Baugenehmigung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 I 1 VwGO). I. Passivlegitimation, § 78 I Nr. 1 VwGO Gemäß § 78 I Nr. 1 VwGO passivlegitimiert ist der Freistaat Bayern als Rechtsträger der Behörde LRA Regensburg, da dieses als Staatsbehörde (untere Bauaufsichtsbehörde) gehandelt hat (Art. 53 I 1, 54 I Hs. 1 BayBO, Art. 37 I 2 BayLKrO).

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II. Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Baugenehmigung, § 113 I 1 VwGO 1. Rechtsgrundlage für die Aufhebung Das LRA hat die Aufhebung der Baugenehmigung aufgrund formeller und materieller Mängel (= Rechtswidrigkeit) angeordnet. Daher ist Art. 48 BayVwVfG als Rechtsgrundlage einschlägig. 2. Formelle Rechtmäßigkeit der Aufhebung a)

Zuständigkeit Die Zuständigkeit für die Rücknahme richtet sich, weil es sich dabei um einen neuen Verwaltungsakt handelt, nach den Verhältnissen bei deren Erlass. Art. 48 V BayVwVfG (= besondere örtliche Zuständigkeitsregelung) regelt insofern nur einen Teilaspekt (Zuständigkeit nach Unanfechtbarkeit des Ausgangsbescheides, an der es hier ohnehin fehlt). Im Regelfall ist nach der Actus-contrarius-Theorie die Ausgangsbehörde zuständig. Hier bestehen weder Zweifel daran, dass das LRA Regensburg ursprünglich zuständig war (sachlich: Art. 53 I 1, 2, 54 I Hs. 1 BayBO, Art. 37 I 2 BayLKrO; örtlich: Art. 3 I Nr. 1 BayVwVfG), noch gibt es Anhaltspunkte, dass sich die Verhältnisse im Nachhinein verändert hätten. Damit war das LRA Regensburg auch für die Rücknahme zuständig.

b)

Verfahren, insbes. Anhörung, Art. 28 I BayVwVfG Grundsätzlich ist eine Anhörung gemäß Art. 28 I BayVwVfG erforderlich, da ein belastender VA vorliegt und A nach Art. 13 I Nr. 2 BayVwVfG Beteiligter ist. Sie war auch nicht entbehrlich (Art. 28 II/III BayVwVfG). Lt. Sachverhalt ist sie ordnungsgemäß erfolgt.

c)

Form Die Formerfordernisse der Art. 68 II 1 BayBO, Art. 37 III, Art. 39 I BayVwVfG (actus contrarius) wurden gewahrt.

Zwischenergebnis: Der Aufhebungsbescheid ist formell rechtmäßig. 3. Materielle Rechtmäßigkeit Die Rücknahme ist rechtswidrig, wenn die Voraussetzungen des Art. 48 BayVwVfG nicht vorlagen (a, b) bzw. die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen in fehlerhafter Weise Gebrauch gemacht hat (c).

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a)

Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids („Schachtelprüfung“) aa)

Rechtsgrundlage, Art. 68 I 1 BayBO Rechtsgrundlage für die Erteilung der Baugenehmigung ist Art. 68 I 1 BayBO.

bb)

Formelle Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids (1)

Zuständigkeit des LRA Regensburg Das LRA Regensburg war sachlich (Art. 53 I 1, 2, 54 I Hs. 1 BayBO, Art. 37 I 2 LKrO) und örtlich (Art. 3 I Nr. 1 BayVwVfG) für den Erlass der Baugenehmigung zuständig.

(2)

Verfahren, Art. 9 ff. BayVwVfG (a) Verstoß gegen Art. 20 BayVwVfG B war als Neffe des A kraft Gesetzes vom Verwaltungsverfahren (Art. 9 BayVwVfG) ausgeschlossen. Somit liegt ein Verstoß gegen Art. 20 I 1 Nr. 2, V Nr. 5 BayVwVfG vor. (b) Rechtsfolge dieses Verstoßes? (aa) Formeller Fehler (i) Der Fehler führt nicht zur Nichtigkeit (vgl. Art. 44 III Nr. 2 BayVwVfG), sondern (bloß) zur formellen Rechtswidrigkeit, d.h. der Ausgangsbescheid ist wirksam (Art. 43 BayVwVfG). (ii) Eine Heilungsmöglichkeit gem. Art. 45 BayVwVfG (enumerative Aufzählung in Absatz 1) besteht nicht. (bb) Unbeachtlichkeit gem. Art. 46 BayVwVfG? Nach Art. 46 BayVwVfG entfällt der Anspruch des Bürgers auf Aufhebung des (Ausgangs-)VA wegen dieses Verfahrensfehlers, wenn offensichtlich ist, dass die Entscheidung in der Sache durch den Fehler nicht beeinflusst wurde. (i) Anwendbarkeit des Art. 46 BayVwVfG neben Art. 48 BayVwVfG Problematisch ist zunächst, ob Art. 46 BayVwVfG, der den Anspruch auf Aufhebung versagt, die Behörde daran hindert, den – letztlich nach wie vor rechtswidrigen – VA zurückzunehmen, Art. 48 BayVwVfG. Diese Frage ist umstritten.1

1

Für Rücknehmbarkeit: H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 11, Rn. 18; dagegen: F. O. Kopp/U. Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 46, Rn. 45 f.; § 48, Rn. 52.

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Der Streit bedarf jedoch dann keiner Entscheidung, wenn die Voraussetzungen des Art. 46 BayVwVfG schon gar nicht vorliegen. (ii) Unbeachtlichkeit Ein Fehler ist gemäß Art. 46 BayVwVfG nur unbeachtlich bei offensichtlicher Einflusslosigkeit des Verfahrensmangels auf die Entscheidung in der Sache. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn es sich um eine gebundene Entscheidung handelt, die weder Ermessensspielräume noch Beurteilungsspielräume eröffnet. Zur Vertiefung: Bei einer gebundenen Entscheidung (egal unter welchen Verfahrensvoraussetzungen) hätte nur so entschieden werden können (Alternativlosigkeit). Keine Offensichtlichkeit liegt dagegen bei personenbezogenen Entscheidungen und bei komplizierten Abwägungs-, Beurteilungs- und Ermessensentscheidungen vor; gerade bei solchen Entscheidungen ist nicht „offensichtlich“, wie das Ergebnis ausfällt. Fehler haben hier stets die Vermutung für sich, dass sie das Ergebnis beeinflussen.2 Die Nachweislast für die Einflusslosigkeit liegt bei der Behörde (Innenbereich des behördlichen Entscheidungsvorgangs); bloße Behauptungen oder gar Mutmaßungen genügen nicht. Die Erteilung der Baugenehmigung ist gem. Art. 68 I BayBO an sich eine rechtlich gebundene Entscheidung. Hier besteht indes die Besonderheit, dass eine Befreiung gemäß § 31 II BauGB Teil der Genehmigung war. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (Wortlaut: „kann befreit werden“). Damit ist die Mitwirkung des B nicht offensichtlich ohne Auswirkung auf die Sachentscheidung, weil es gut sein kann, dass er seinem Onkel als Antragsteller im Rahmen der Ermessensausübung wegen der Familienbande besonders wohlgesonnen war. Der Fehler ist also beachtlich. (3)

Form Das besondere Formerfordernis des Art. 68 II 1 BayBO (Schriftform, § 126 I BGB analog) wurde eingehalten.

cc)

Materielle Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids (1)

Genehmigungspflicht Die Genehmigungspflicht folgt aus Art. 55 I BayBO; eine Ausnahme liegt insbesondere nach Art. 58 BayBO (Genehmigungsfreistellung) nicht vor.

2

F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2013, § 25, Rn. 9.

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(2)

Genehmigungsfähigkeit Die Genehmigungsfähigkeit (Art. 68 I 1 BayBO) ist zu verneinen, da das Vorhaben lt. Sachverhalt gegen die Festsetzungen des (gültigen) Bebauungsplans (§ 29 I, § 30 I BauGB) verstößt und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 II BauGB nicht vorliegen.

Zwischenergebnis: Die Baugenehmigung ist materiell rechtswidrig. b)

Besonderer Vertrauensschutz bei begünstigenden VA, Art. 48 I 2, II –IV BayVwVfG aa)

Begünstigender VA? Die Baugenehmigung ist ein begünstigender VA (Baugenehmigung = formell begünstigender VA, da er die dem einzelnen zustehende Baufreiheit aus Art. 14 I GG wiederherstellt).

bb)

Frist des Art. 48 IV BayVwVfG Die Rücknahmefrist (ein Jahr ab Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides) wurde eingehalten.

cc)

Art. 48 II oder III BayVwVfG (1)

Art. 48 II BayVwVfG Art. 48 II BayVwVfG ist nicht einschlägig, da durch die Baugenehmigung keine einmalige oder laufende Geld- oder teilbare Sachleistung gewährt wird.

(2)

Art. 48 III BayVwVfG Art. 48 III BayVwVfG stellt keine zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzungen auf, sondern gewährt dem Wortlaut nach nur einen Entschädigungsanspruch. Inwieweit im Einzelfall Vertrauensschutzerwägungen in die Rücknahmeentscheidung einfließen (müssen), ist eine Frage der jeweiligen Ermessensausübung.

c)

Ermessensausübung Es besteht ein Ermessensspielraum der Behörde bei Rücknahme des Ausgangsbescheids, Art. 40 BayVwVfG, den sie fehlerfrei ausfüllen (und gem. Art. 39 I 3 BayVwVfG auch entsprechend begründen) muss. Bei der Ermessensausübung sind hier gegebenenfalls die Einschränkungen, die sich durch Art. 48 I 2 i.V.m. II–IV BayVwVfG ergeben, zu berücksichtigen; sie bilden den Ermessensrahmen für die Rücknahme begünstigender VA. 7

Die Ermessensentscheidung ist gemäß § 114 S. 1 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar, d.h. auf das Vorliegen der anerkannten Ermessensfehler (Ermessensausfall, -fehlgebrauch oder -überschreitung). Nach zutreffender Ansicht ist bei der Rücknahme von Verwaltungsakten, die unter Art. 48 III BayVwVfG fallen, dem Vertrauensschutzgedanken als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips über die einfachgesetzliche Ausprägung in Art. 48 BayVwVfG hinaus Rechnung zu tragen. Es wäre unbefriedigend, wenn der Bestandsschutz von Verwaltungsakten völlig hinter einem reinen Vermögensschutz in Form einer Geldentschädigung zurückträte. Deshalb ist der Aspekt eines drohenden Vertrauensschadens bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Rücknahme nicht völlig ausgeblendet, sondern jedenfalls im Rahmen der Ermessenserwägungen zu berücksichtigen.3 Im Fall zeitigt diese Erkenntnis allerdings weiter keine Konsequenz: A hat hier noch gar keine Vertrauensdisposition aufgrund der Genehmigung vorgenommen, so dass ihm durch die Rücknahme auch kein Vertrauensschaden entstanden ist. Weitere Fehler sind ebenfalls nicht ersichtlich, die Behörde hat „nach Abwägung aller Belange“ gehandelt. Zwischenergebnis: Der Aufhebungsbescheid ist materiell rechtmäßig. III. Subjektive Rechtsverletzung des A, § 113 I 1 VwGO Da der Aufhebungsbescheid rechtmäßig ist, verletzt er A auch nicht in seinen Rechten. Zwischenergebnis: Die Klage ist unbegründet. C. Gesamtergebnis Die Klage hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.

3

Vgl. A. Decker, in: Wolff/Decker, Studienkommentar VwGO/VwVfG; 3. Aufl. 2012, § 48 VwVfG, Rn. 37 m.w.N.

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Teil 2 A. Zulässigkeit (wie im Ausgangsfall) B. Begründetheit der Klage Die Anfechtungsklage des A ist begründet, wenn sie gegen den richtigen Beklagten gerichtet ist (§ 78 I Nr. 1 VwGO) und soweit die Aufhebung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 I 1 VwGO). I. Passivlegitimation, § 78 I Nr. 1 VwGO (wie im Ausgangsfall) II. Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Baugenehmigung 1. Rechtsgrundlage: Art. 48 BayVwVfG 2. Formelle Rechtmäßigkeit (wie im Ausgangsfall) 3. Materielle Rechtmäßigkeit a)

Rechtswidrige Baugenehmigung (wie im Ausgangsfall)

b)

Besonderer Vertrauensschutz bei begünstigenden VA, Art. 48 I 2, II–IV BayVwVfG Grundsätzlich müssen für die Zulässigkeit der Rücknahme eines VA die besonderen Voraussetzungen des Art. 48 BayVwVfG erfüllt sein. Hier könnte jedoch ein Sonderfall nach Art. 50 BayVwVfG vorliegen, da die Rücknahme nach Klageerhebung durch N erfolgte. Sinn und Zweck der Regelung des Art. 50 BayVwVfG ist es, der Behörde eine erweiterte Möglichkeit zur Aufhebung von VAen zu geben, wenn in einem Rechtsbehelfsverfahren ohnehin mit deren Aufhebung zu rechnen ist. Dann nämlich kann der Begünstigte nicht mehr auf den Bestand des VA vertrauen und bedarf nicht des (Vertrauens-)Schutzes nach Art. 48 I 2 und II bis IV BayVwVfG. aa)

Begünstigender VA Die Baugenehmigung ist ein begünstigender VA, der die Baufreigabe ausspricht. Daran ändert sich auch nichts durch die Tatsache, dass die Baugenehmigung zugleich für N belastend ist.

bb)

andauernde Drittanfechtung („während“) Die Baugenehmigung wurde von N als Drittem im Wege der Anfechtungsklage angefochten, über die noch nicht rechtskräftig entschieden ist. 9

cc)

Abhilfeentscheidung („soweit“) Unstreitig muss die Rücknahmeentscheidung gerade der Abhilfe gegenüber der Rechtsverletzung des Dritten – hier also des N – dienen. Vorliegend basiert die materielle Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung auf einem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften (s.o.), so dass diesem Erfordernis genügt ist. Streitig ist jedoch, ob darüber hinausgehend auch die Zulässigkeit oder sogar die Zulässigkeit und Begründetheit der Nachbarklage gegeben sein müssen. Diese Frage kann indes vorliegend dahinstehen, da wegen des Nachbarrechtsverstoß N klagebefugt (§ 42 II VwGO) ist und sonstige Zulässigkeitshindernisse nicht ersichtlich sind. Ferner begründet die materielle Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung im Hinblick auf die Verletzung von Nachbarrechten auch die Begründetheit der Anfechtungsklage, so dass selbst dem strengsten Maßstab vorliegend genügt ist.

Die Voraussetzungen des Art. 50 BayVwVfG sind also erfüllt, der besondere Vertrauensschutz ist gesetzlich ausgeschlossen. c)

Ermessen Nach Art. 48 I 1 BayVwVfG steht die Rücknahme im Ermessen der Behörde („kann“). Die Behörde hat vorliegend indes keinerlei Ermessenserwägungen angestellt („müsse“), so dass ein Ermessensausfall vorliegen könnte. Allerdings ist an dieser Stelle die Wertung des § 50 VwVfG in seiner Wirkung auf das Ermessen zu berücksichtigen: soweit wegen einer zulässigen und begründeten Drittanfechtung die Rücknahme eines VA erfolgt, scheint es im Vergleich zum gebundenen gerichtlichen Gestaltungsentscheidung der Anfechtungsklage unbillig, der Behörde einen weitergehenden Entscheidungsspielraum zuzubilligen. Deshalb ist in solchen Fällen des § 50 VwVfG von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen.4 Mangels konkretem Ermessen der Behörde liegt also auch kein Ermessensfehler vor.

d)

Zwischenergebnis Die Rücknahme der Baugenehmigung ist materiell rechtmäßig.

4. Zwischenergebnis Die Rücknahme der Baugenehmigung ist rechtmäßig 4

Vgl. BVerwG, NVwZ 2002, 730.

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C. Gesamtergebnis Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, also erfolglos.

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