Dürrenmatt - Der Besuch der alten Dame PDF

Title Dürrenmatt - Der Besuch der alten Dame
Course Staatsexamenskolloquium Deutsch NDL
Institution Universität Konstanz
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Summary

Zusammenfassung Vorbereitung Staatsexamen Lehramt Deutsch
Schwerpunkt: Literatur nach 1850
Wintersemester 20/21...


Description

Friedrich Dürrenmatt - Der Besuch der alten Dame    

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Tragische Komödie 1955 geschrieben, 1956 uraufgeführt Der Titel pointiert das zentrale Ereignis des Bühnenstücks Verbrechen, Schuld, Rache, Gerechtigkeit und Sühne sind Motive, die in zahlreichen Werken Ds eine wichtige Rolle spielen o Im BDAD sind diese Motive dominierend Der Einfall für BDAD erhielt D auf seinen Bahnreisen Im BDAD nutzt D die Metapher „Einfall“ über die Bühnenidee hinaus noch in einer weiteren Bedeutung o Ein unberechenbares Ereignis fällt unvermittelt in die vermeintliche Ordnung der fiktiven Welt ein und stellt diese dadurch in Frage o In diesem Sinne inszeniert D die Ankunft der alten Dame als „Ein-Fall“ eines unheimlichen Gastes in das Städtchen Güllen, welches das Modell einer in sich geschlossen Welt darstellt o Die alte Dame löst einen Prozess aus, der sich am ehesten mit einem experimentellen Spiel vergleichen lässt  Zur Prüfung steht dabei an, ob die Güllener, die in der dramatischen Fiktion die Menschheit repräsentieren, sich zur Aufgabe der ethischen Normen korrumpieren lassen  Die Initiatorin ist sich des Ausgangs in ihrem Sinne sicher  Ersichtlich wird die Siegesgewissheit Claires nicht zuletzt in der Todesmetaphorik, die das ganze Drama durchzieht, zu Beginn aber am augenfälligsten Das von D als dramatisches Denkspiel durchgeführte Experiment geht von der Frage aus: Bilden die moralischen Werte, Christentum und Humanismus, einen Schutzwall gegen Unmenschlichkeit? o Im Gegenteil: Die Güllener missbrauchen sämtliche moralischen Werte in kollektiver Verblendung zum Zweck der Selbstentschuldigung und des Selbstbetrugs  Die Presse spricht von einer gewaltigen Verschwörung für eine bessere, gerechtere Welt  Die Güllener betrügen sich selbst und die Welt

Struktur - Die Komödie hat drei Akte: 

Erster Akt (Exposition) o Exposition: Einführung in Schauplatz, Personen und Vorgeschichte der Handlung o Claires „unmoralisches“ Angebot o Entrüstung der Güllener und weisen empört das Ansinnen im Namen der Menschlichkeit zurück o Aber: Ihre Offerte löst eine Veränderung der Wirklichkeit aus







Zweiter Akt (Epitasis) o Die langsame und genüsslich zelebrierte Korrumpierung der Dorfgemeinschaft  Die BürgerInnen erliegen zunehmend der Verlockung des unmoralischen Angebots o Entwicklung Güllens, seiner Bürger und Ills unter dem Eindruck des unsittlichen Angebots in einer Parallelhandlung  Im Vordergrund wechseln die Spielorte – Ills Laden, Polizeiwache, Rathaus, Sakristei – wie die Stationen eines Kreuzweges, den Ill zu gehen hat  Im Hintergrund hat sich Claire auf eine Beobachterposition zurückgezogen und thront gewissermaßen über dem Geschehen o Am Ende des Aktes erreicht der Eskalationsprozess eine kritische Zuspitzung (Peripetie)  Ausruf Ills: „Ich bin verloren!“ Dritter Akt o Vollzug der „Gerechtigkeit“ o Das Geschehen des dritten Aktes kumuliert nach einer erregenden Steigerung in der Tötung Ills o Claire: Menschlichkeit ist für die Börse der Millionäre und ihre Finanzkraft sei so groß, dass sie die Weltordnung bestimmen könnte  Die Tötung bewahrheitet Claires Behauptung, dass alles käuflich ist Anordnung: Zwei dramatische Akten umgeben einen eher idyllischen Teil, der sich als Scheinidylle entpuppt

DBDAD = Analytisches Drama 

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Die Art, wie D in der Alten Dame die Vorgeschichte der handlungstragenden Figuren einbringt, erinnert an Darstellungsweisen in Kriminalromanen, in denen der Leser erst allmählich und oft erst am Schluss über die Zusammenhänge aufgeklärt „König Ödipus“ = klassisches Beispiel eines analytischen Dramas eine formale Nachbildung von Sophokles‘ König Ödipus, die auf zwei Handlungseben spielt o 1) Die Ebene des tragischen Privatschicksals o 2) Die Ebene des komischen Kollektivgeschehens „Tragische Komödie“: Zwei Handlungen mit gegenläufigen wie aufeinander bezogenen Tendenzen: o Die lächerliche Groteske von der Käuflichkeit der Moral des Kollektivs o Die tragische Geschichte von der Entwicklung des ethischen Bewusstseins in einem Einzelnen -> Die Kollektivhandlung endet als Komödie, die Privathandlung endet als Tragödie Die „innere Handlung“ ist raffiniert angelegt

o Während sich die „unschuldigen“ Bürger Güllens immer tiefer in die Verlockungsnetze verstricken und alle Moral über Bord werfen, entwickelt der tatsächlich Schuldige ein Bewusstsein seiner Verfehlung o -> Dem moralischen Niedergang des Gemeinwesens korrespondiert der moralische Aufstieg eines Einzelnen

Zeitbezug – Kapitalistische Gesellschaft und Verfall der Moral  









Die Zeitangabe „Gegenwart“ ist von nicht wenigen Interpreten als unmittelbar auf die Entstehungszeit bezogen worden Dementsprechend erkennen sie in der Thematisierung von Täterschaft, Mitläufertum, Kollaboration und Verdrängung beispielsweise jene Formen von Kollektivschuld wieder, mit denen die europäischen Länder nach dem Ende des Nazireichs und der Judenvernichtung konfrontiert sind Vor allem aber sehen sie die Kritik Ds am schweizerischen und bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder der 1950er Jahre und deuten es als Modell einer vom Kapital beherrschten Gesellschaft und ihrer moralischen Korrumpierbarkeit o Der Lebensstandard der breiten Masse stieg innerhalb weniger Jahre o Die rasante Entwicklung zu einer Hochkonjunktur konnten nur durch Gastarbeiter am Laufen gehalten werden o Die vom Krieg verschonte Schweiz machte die Entwicklung zur Wohlstandsgesellschaft schneller durch als die europäischen Nachbarländer o Die Menschen tragen ihren neuen Wohlstand zur Schau Die Schattenseiten werden verdrängt o Die zunehmende Technisierung zerstört die Umwelt o Ablehnung jeglicher Verantwortung für das, was man tut o Moralische Werte werden zugunsten des Konsums geopfert o Der Massenkonsum halt, die Vergangenheit des Nationalsozialismus zu verdrängen  In der Bundesrepublik setzte eine Umdeutung der Vergangenheit kollektiv ein  Niemand wollte bei den Verbrechen dabei gewesen sein Aber: DBDAD ist kein bloßes Zeitstück o Das anhaltende Interesse an dem Stück zeigt, dass es nicht allein die historischen Zusammenhänge erhellt o Das Spiel von der subversiven Macht des Geldes, in dem ein Mensch den Wahn demonstriert, dass alles auf der Welt käuflich ist, selbst die Gerechtigkeit, hat für Zuschauer und Leser bis heute seine Anziehungskraft nicht verloren Behauptung in „Justiz“ (letzter Kriminalroman von D): Die Gerechtigkeit lasse sich nur noch durch ein Verbrechen wiederherstellen

o Die im Spiel gezeigte Lösung ist bestürzend und beunruhigend, denn sie gibt keine befriedigende Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit und schon gar nicht eine, die den ethischen Normen unserer Gesellschaft standhält o Das Stück demonstriert vielmehr ein Gedankenspiel  Es macht Mechanismen der Verführbarkeit der Menschen sichtbar und legt die Folgen offen, wenn in einer Krisensituation moralische Grundsätze außer Kraft gesetzt werden o Antworten demonstriert das Stück nicht, sondern das Bewusstsein der Zuschauer wird geschärft

DBDAD ist für D ein untypisches Stück  



Er will keine Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne stellen Claire und Ill sind Charakter, auch wenn D sich bemüht, das Erdachte, Konstruierte als Gegenwelt zum Charakterhaften einzubauen o Dies geschieht in Form der künstlichen Prothesen – Claire wird dadurch „entmenscht“ o Oder in Gestalt der grotesken Figuren, allen voran der auswechselbaren Ehemännern DBDAD ist auf mit traditionellen dramaturgischen Konzeptionen kompatibel o Ein Regisseur, der Ds Konstruktivismus nicht schätzt, streicht die Ehemänner und Prothesen und hat sich dem Realismus genähert

Figuren 

Claire Zachanassian (gehört zu „Die Besucher“) o Wurde 1892 als Klara Wäscher in Güllen geboren  Wortbedeutung „Klara“: die Reine, Helle, aber auch Berühmte o Name Claire Zachanassian  Der Name ist aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt:  Zacharoff: ein englischer Munitionsfabrikant  Onassis: ein griechischer Großreeder  Gulbenkian: ein armenischer Ölmilliardär o Ihr Besuch ist das auslösende Moment des dramatischen Geschehens  Ihr überraschender Einfall (sie wird erst 2 Stunden später erwartet) markiert eine Zäsur im ersten Akt o Diese alte Dame inszeniert mit ihrem Besuch den Einbruch des Unvorhergesehenen in eine scheinbar fest gefugte Welt o Dem Lehrer der Stadt erscheint Claire als eine Parze, als eine Lebensfaden spinnende Schicksalsgöttin  Er vergleicht sie mit der gr. Schicksalsgöttin Klotho  und zugleich, weil sie bereits den siebten Mann hat, mit der gr. Hetäre (Geliebte bedeutender Männer) Lais

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 später als die antike „Heldin“ Medea Sie setzt ihr Gerechtigkeitsempfinden als absolut und stellt es höher als die staatliche Rechtsprechung Auf den ersten Blick erscheint sie als unerbittliche Rächerin  Ihre Rache zeigt aber zugleich, dass sie selbst in keiner Weise korrumpierbar ist Aber: Der Charakter Claires hat eine größere Tiefendimension  Sie ist nicht gänzlich unmenschlich: Sie erinnert sich and die Orte ihres Beisammenseins und besucht sie  Sie will vielmehr die Gegenwart auslöschen und die reine, von Schuld befreite Vergangenheit wieder auferstehen lassen  Diese fast sentimentalen Gefühlsregungen lassen Claire zweitweise geradezu poetisch werden  Allerdings: D hat diese Partien der Erstfassung gekürzt bzw. gestrichen und Claire verliert dadurch ein entscheidendes Stück an Innenleben  Doch gerade die Spannung zwischen romantischer Vergangenheitsverklärung und eiskalter Rachgier macht das Wesen dieser grotesken Figur aus – Warum nimmt D diese Änderungen vor? Grotesk ist bereits Claires Äußeres  alt, fett, ihr linkes Bein und ihre rechte Hand sind Prothesen, sie lässt sich in einer Sänfte tragen  Beide Körperseiten sind betroffen -> D wollte eine ganzheitliche Deformation anzeigen  Die Deformation ihres Körpers korrespondiert mit ihrem zerstörten Inneren, ist Ausdruck ihrer seelischen Verletzungen o Sie zeigt auch ihre krankhafte Fixierung auf die Rache an Ill/Güllen Ihr Gefolge gleicht die Funktionen aus, die sie selbst nicht mehr ausführen kann  Ihre Bediensteten sind weitgehend entmenschlicht, ihre Individualität und sogar ihr Geschlecht sind abhandengekommen  Diese „Marionetten“ können in ihren Körper integriert werden, und bilden mit ihr ein vielköpfiges Wesen, welches Gerechtigkeit und Rache nach Güllen bringt  -> nicht nur ihr Körper ist zusammengesetzt, sondern ihr ganzes Wesen Sie ist gefühlskalt  Der sukzessive Ersatz der lebendigen Anteile kann mit dem fortschreitenden Absterben ihrer Emotionalität gleichgesetzt werden  Aber: Sie hat auch eine menschliche, gefühlvolle Seite  Das Paradoxe dieser als groteske Figur angelegten Gestalt ist es, dass gerade ihr menschlicher Teil sie dem Leser bzw. Zuschauer nahebringt (untypisch für D) Die Deformation des Geistes zeigt sich auch in ihrer Sprache

 Sie spricht häufig in unvollständigen Sätzen  Es ist eine Prothesensprache, in der kein Leben mehr wohnt o Soziale Deformation  1950er Jahre: Claires Lebenswandel und ihr Umgang mit Männern gelten als sozial abweichend  Antibürgerliche Existenz als Prostituierte  Sexuelle Freizügigkeit gegenüber Ill als unverheiratete Frau  Die geschiedene Frau galt als sozial deklassiert  -> D steigert diese Außenseiterstellung ins Groteske, indem er Claire sich achtmal scheiden und wieder verheiraten lässt  Fortsetzung der Prostitution in der Ehe: Sie lässt sich bezahlen  Auch ihr (erster) Auftritt verletzt gesellschaftliche Konventionen und schockiert die Umwelt  Der Verkauft ihres Körpers erweist sich als die prägende Grunderfahrung ihres Lebens  Käuflichkeit ist Claires Lebensprinzip: Sie glaubt, auch ideelle Werte kaufen zu können  Sie hat eine Außenseiterstellung: sowohl früher als Klara als auch heute als Claire o Claire lässt sich auch als frühes Bsp. einer emanzipierten Frau deuten  Sie weist männliche Charaktereigenschaften und Handlungszüge auf o Gestaltung der Figur auf Folien antiker Mythen und literarischen Traditionen  Antike Vorbilder bei Claire: die drei Parzen, der Pandora-Mythos und die dreifaltige Göttin  Die drei Parzen symbolisieren in der gr. Mythologie die Macht der Frau über Leben und Tod  Die drei Göttinnen werden als strenge alte Frauen oder düstere Jungfrauen dargestellt  Klotho spinnt den Lebensfaden, Lachesis misst den Faden und weist dem Menschen sein Schicksal zu und Atropos zerschneidet den Faden und bringt damit den Tod  Claire übernimmt alle drei Funktionen  Büchse der Pandora  Pandora ist die weibliche Ur-Sünderin  Sie öffnet versehentlich das Gefäß, das Zeus aus Rache mit allen Plagen und Laster der Menschheit gefüllt hat  Bis auf die Hoffnung, die zuunterst lag, können alle Übel entweichen und sich verbreiten  Die schlimmstmögliche Wendung für D ist jedoch, dass sie den Menschen auch noch die Hoffnung bringt o Genau das ist mit Claires Millionen verbunden  Dreifaltige Göttin  Die Dreiheit realisiert sich im Mythos in Gestalt von drei Frauen, die jeweils mit einer Farbe verbunden sind

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Die junge Frau ist mit der Farbe Weiß assoziiert und verkörpert Geburt und Wachstum Die rote Göttin steht als erwachsene Frau für Liebe und Sinnlichkeit, aber auch Kampf Das alte Weib bringt den Tod – Farbe Schwarz Claire vereint alle drei Farben

   Medea  In der Tragödie von Euripides hatte Medea ihre Nebenbuhlerin und ihre eigenen Kinder aus Rache gegenüber ihrem Mann, der sie verlassen hatte, getötet  Motiv des „gefallenen Mädchen“  Das Magdalenen-Schicksal endet vielfach mit einem Kindsmord wegen der drohenden Ausgrenzung der Mutter  D dreht den sonst üblichen gesellschaftlichen Abstieg um Gefolge (Die Besucher) o Die auswechselbar anonymen drei ehemalige Ehemänner o Fünf Dienstleute  Toby und Roby waren zum elektrischen Stuhl verurteilte Gangster aus Manhattan  Butler: Der ehemalige Richter  Koby und Loby: meineidige Zeugen aus dem Vaterschaftsverfahren  Claire ließ sie kastrieren und blenden  In der Entindividualisierung erweisen sie die unerbittliche Grausamkeit der alten Dame  Ihre angestrebte Gerechtigkeit ist nichts anderes als die Befriedigung ihrer Allmachtsfantasien o Dass es sich beim Gefolge von Claire nicht um Individuen handelt, sondern um entpersonalisierte Figuren, zeigen am augenfälligsten die Namen  Sie bilden eine beliebig fortsetzbare Kette  Sie definieren sich ausschließlich über ihre Beziehung zu Claire  Sie sind willenlose Marionetten Claires o Symbolhaft zeigen sie, was den Güllenern noch bevorsteht Das Kollektiv der Güllener Bürger (Die Besuchten) o Die Gruppe der Besuchten repräsentiert Güllen als ein geschlossenes, strukturiertes Gemeinwesen  Dazu gehört auch Ill o Insofern diese Figuren – abgesehen von Ill – zumeist im gesellschaftlichen Kollektiv auftreten, sind sie auswechselbare Typen, die in ihrer Gesamtheit eine einzige dramatische Figur, die Güllener Bürger, bilden o Nur die Funktionsträger der Stadt gewissen in dieser Gruppe gewisse individuelle Konturen  Aber: Sie sind auch namenslos, sie sind nur Typen, Repräsentanten verschiedener Bereiche



o Die Güllener lösen den Konflikt, indem sie dieselben Ideale, auf die sie sich bei der ersten spontanen Ablehnung der kriminellen Offerte beriefen, nun als sittlichen Bestimmungsgrund des nicht mehr zu vermeidenden Mordes reklamieren  Das Ausmaß des Selbstbetrugs ist grotesk  Die Güllener bleiben bis zum Ende von ihrer moralischen Integrität überzeugt o Der Bürgermeister  = oberste Repräsentant der Stadt, verkörpert die politische Klasse  Meister des Umdeutens der Wahrheit  Talent: Die Wahrheit opportunistisch verfälschen („Tod durch Freude“)  Häufig angewandte Strategie: Verschweigen  Im dritten Akt hat er sich aller humanistisch-rechtsstaatlicher Floskeln entledigt o Der Lehrer  Die interessanteste Figur ist der Lehrer, dessen humanistische Bildung ihn nicht davor schützt, schuldig zu werden  Er verkörpert den Typus des Intellektuellen  Er ist die moralische Instanz Güllens; das Gewissen, das sich regt  Aufruf an Claire, sie solle sich zu mehr Menschlich durchringen  Claires Menschlichkeit wird durch Geld diktiert  -> Wende: Der Lehrer erkennt, dass seine lebenslang gelehrten Ideale angesichts dieser Medea versagen werden  Sein Gewissen enthält zumindest einen Rest von Anstand  Das Scheitern seiner Lebensphilosophie ist nur noch mit Alkohol zu ertragen  Letztendlich: Er ist es, der den Mord im Namen der Gerechtigkeit als sittliche Notwendigkeit rechtfertigt  Seine Ideale haben sich ins Gegenteil verkehrt  Das zeigt: Kultiviertheit schützt nicht vor Barbarei o Stattdessen kann sie zur Rechtfertigung des Unrechts missbraucht werden Alfred Ill o Ill erweist sich anfangs als typischer Güllener: Er versucht die Vergangenheit und Gegenwart zu verfälschen und zu verklären o Der zweite Akt zeigt schrittweise seine Isolierung in der Gemeinde o Von Beginn an gibt es Vorausdeutungen auf seinen Tod o Durch den Besuch Claires durchschaut Ill zunehmend seine Situation und durchbricht die Illusion o Macht eine mentale Entwicklung durch  Durch diese Wandlung, die Mut erfordert, wird er zu einer tragischen Figur

Ill erkennt allmählich seine Schuld, gesteht sie ein und ist bereit, das Urteil der Dorfgemeinde anzunehmen o Aber der Tod Ills ist letztlich sinnlos, er kann in der Gegenwart nur als Paradox gezeigt und erklärt werden  Tragische Helden gibt es nur in der antiken Tragödie  Ill kann durch seinen Tod nicht die gestörte Ordnung widerherstellen  Für ihn persönlich ist das Erkennen der Schuld sinnvoll, doch gesellschaftlich ist es sinnlos, da sich die Güllener durch seinen Tod nicht ändern  Er ist aber auch zugleich Sieger des Kräftespiels, denn er begeht nicht Selbstmord o Ein Gegenmodell zur Gretchentragödie scheint hier kurz auf  Durch ihre zynische Art, Weltordnungen ließen sich finanzieren, Gerechtigkeit kaufen, setzt Claire sich ihrerseits ins Unrecht, ohne dass dadurch automatisch Ills Unrecht in Recht verwandelt würde  -> Von nun an umgibt ihn die Gloriole eines Märtyrers Die Sonstigen und die Lästigen o Die Sonstigen: Eisenbahnpersonal, Pfändungsbeamter o Die Lästigen: Vertreter der Medien  Ds kritische Distanz gegenüber den Medien o Ihre Identität erhalten sie nur durch ihren Beruf, der sie vorübergehend nach Güllen führt 



Recht und Gerechtigkeit   





Frage: Unter welchen Umständen kann Gerechtigkeit lebensmächtig sein? Claire wurde in der Vergangenheit großes Unrecht angetan Claire fordert Gerechtigkeit o Das, was ihr angetan wurde, soll nun auch Ill erleben o Mit Recht im juristischen Sinne hat die Forderung Claires nichts zu tun o Sie will sich (wie Medea) für das ihr zugefügte Unrecht rächen Ill bekennt sich zu seiner Schuld o Deshalb kann er im Urteil der anderen Gerechtigkeit erleben und mit seinem Tod einverstanden sein Die anderen maßen sich denselben Umgang mit der Gerechtigkeit an, den ihnen Claire vorgeführt hat o Ihr Verbrechen wird mit so viel christlich-abendländischer Heils-Phraseologie bemäntelt, dass es leichtfällt, mit seinen blutigen Idealen Ernst zu machen o Die Szene, in der die Gemeinde Satz für Satz mit erhobener Hand den demokratischen Beschluss nachspricht, ist eine Parodie auf den Rütli-Schwur in Schillers „Wilhelm Tell“  Als Pointe des Stücks führt D nicht allein die Opfertat eines Einzelnen vor, sondern als deren grelles Gegenstück auch das kollektiv begangene Verbrechen, das als Widerherstellung der Gerechtigkeit







gerechtfertigt wird, in Wahrheit aber nur das Ausmaß der Verblendung der Güllener sichtbar macht Sie gehen für ihre heiligsten Güter – den Wohlstand – über Leichen und feiern sich in der Parodie eines Sophokleischen Chorliedes dafür noch selbst

Das Chorlied o In der Sophokleischen Tragödie „Antigone“  Chorlied: Größe des Menschen, der die Welt beherrscht; Achtung der Einhaltung des Geset...


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