Hermeneutik des Vergleichs. Strukturen, Anwendungen und Grenzen komparativer Verfahren (ed. with A. Mauz) PDF

Title Hermeneutik des Vergleichs. Strukturen, Anwendungen und Grenzen komparativer Verfahren (ed. with A. Mauz)
Author Hartmut Von Sass
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Summary

Vorwort Der vorliegende Band geht auf eine Tagung zurück, die im November 2008 am Zürcher Kompetenzzentrum für Hermeneutik stattgefunden hat. Rund die Hälfte der Beiträge wurde in diesem Rahmen vorgetragen, die anderen wurden eigens für diese Publikation verfasst. Das Zustandekommen von Tagung und B...


Description

Vorwort Der vorliegende Band geht auf eine Tagung zurück, die im November 2008 am Zürcher Kompetenzzentrum für Hermeneutik stattgefunden hat. Rund die Hälfte der Beiträge wurde in diesem Rahmen vorgetragen, die anderen wurden eigens für diese Publikation verfasst. Das Zustandekommen von Tagung und Band wurde durch das Engagement verschiedenster Personen und Institutionen ermöglicht. Unser Dank gilt zunächst den Vortragenden bzw. AutorInnen. Sie haben durch ihre Beiträge in je eigener Weise auf Eigenarten und Probleme des Vergleichens aufmerksam gemacht – und damit auf die Wünschbarkeit einer intensivierten interdisziplinären Relexion über die Hermeneutik des Vergleichs. Wir danken ihnen insbesondere auch für ihre Geduld, da die Publikation aus verschiedenen Gründen mit einiger Verspätung erscheint. Zu danken ist ferner dem Kompetenzzentrum für Hermeneutik, das uns Gelegenheit gab, die Vergleichsthematik in diesem institutionellen Rahmen zur Debatte zu stellen; zu nennen sind hier insbesondere Pierre Bühler und Arnd Brandl. Die Durchführung der Tagung wurde durch den Schweizerischen Nationalfonds mit einem grosszügigen Betrag unterstützt. Brigitte Boothe und Philipp Stoellger gilt ein Dank für die Aufnahme des Bandes in eine Reihe, in welche er bestens passt. Seine Drucklegung wurde ermöglicht durch namhafte Zuschüsse des Zürcher Universitätsvereins. Zürich, im Mai 2011 Andreas Mauz, Hartmut von Sass

Inhalt Vorwort

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Andreas Mauz & Hartmut von Sass Vergleiche verstehen. Einleitende Vorwegnahmen

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1

I. Grundlegungen Hartmut von Sass Vergleiche(n). Ein hermeneutischer Rund- und Sinklug

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Vergleichen und Vergleich in den Wissenschaften. Exemplarische Rekonstruktionen zu einer grundlegenden Handlungsform . . . . . . . . . . . . . . .

49

Mathias Gutmann & Benjamin Rathgeber

Peter V. Zima Die Funktion des Vergleichs in den Kultur- und Sozialwissenschaften

...

75

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91

II. Disziplinäre Perspektiven Jürgen Raab Wissenssoziologisches Vergleichen

Christian Seipel Programm des sozialwissenschaftlichen Kulturvergleichs und das Makro-Mikro-Makro-Modell der soziologischen Erklärung

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115

Lourens Minnema Zur Entstehung eines Vergleichs. Ein phänomenologischer Versuch vor dem Hintergrund der Religionswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Volkhard Krech Wie lassen sich religiöse Sachverhalte miteinander vergleichen? Ein religionssoziologischer Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Eva Ebel Der synoptische Vergleich – ein Klassiker der historisch-kritischen Exegese des Neuen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Annelies Häcki Buhofer Zum Konzept des Vergleichs in der Sprachwissenschaft

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191

Andreas Mauz Der literaturwissenschaftliche Fassungsvergleich. Beobachtungen zu seiner Praxis und ein Vorschlag zu ihrer Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . 201

Josef Kopperschmidt Vergleich und Vergleichen aus rhetorischer Sicht

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223

Christian Strub „Das hinreißendste Wort, über das wir verfügen, ist das Wort WIE, ganz gleichgültig, ob es ausgesprochen wird oder ungesagt bleibt.“ Eine These zur Geschichte der Ähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Peter Schneider Freud, der Vergleich und das ganz andere Geschlecht

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267

III. Transdisziplinäre Perspektiven Stefan Berg Vergleichsweise orientiert Eine orientierungstheoretische Betrachtung des Vergleichens

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277

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305

Tilmann Köppe & Simone Winko Zum Vergleich literaturwissenschaftlicher Interpretationen

Philipp Stoellger

Unvergleichlich? Vergleich als Umgang mit dem Inkommensurablen Ein Beitrag zur Hermeneutik der Diferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Autor(inn)enhinweise Namensregister

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347

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351

Sachregister (vergleichshermeneutisch)

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359

Vergleiche verstehen Einleitende Vorwegnahmen von Andreas Mauz & Hartmut von Sass

1. „Das Elend des Vergleichens“ Wer lebt, vergleicht. Denn vergleichend orientieren und orten wir uns. Wir bewerten und werten ab, wir ordnen die Welt, indem wir ihre Teile zueinander in Verhältnisse setzen. Die Omnipräsenz des Vergleichens ist zweifellos auch dafür verantwortlich, dass es im Alltag üblicherweise nicht aufällt. Wenn wir vergleichen, sind wir uns in vielen Fällen kaum bewusst, dass wir dies tun. Die häuig schleichende Gewöhnlichkeit der Diferenz stellt sich ein: „grösser als  ...“, „schneller als ...“, „früher als ...“; ebenso zeichnet sich allzu oft die Selbstverständlichkeit des einander Ähnlichen ab: Etwas ist wie etwas anderes (ein Gesicht sieht aus wie das einer Prinzessin, ein unbekanntes Gemüse schmeckt wie eine Kartofel, ein Gespräch klingt wie eine Szene aus einem schlechten Roman). Freilich geschieht es aber doch auch immer wieder, dass Vergleiche als Vergleiche die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn jemand mit einem bestimmten Vergleich nicht einverstanden ist. Der Widerspruch kann sich dabei verschiedensten Gründen verdanken. Der Akt des Vergleichens wird etwa kontrovers, weil dessen Ergebnis keine Zustimmung indet (ihr Gesicht gleicht nicht dem einer Prinzessin); oder aber, grundsätzlicher, weil die Anlage des betrefenden Vergleichs nicht überzeugt (Was soll das heißen: „Gesicht einer Prinzessin“?); oder, noch grundsätzlicher, weil der Akt selbst in diesem Fall für unzulässig gehalten wird („Wie kannst Du es wagen, ihr unvergleichliches Gesicht mit anderen in Verbindung zu bringen?“). Noch seltener geschieht es aber – im Alltag, aber eben auch im Wissenschaftsalltag –, dass das Vergleichen an sich in den Blick kommt, dass von konkreten und vielleicht für problematisch erachteten Vergleichen der Schritt gemacht wird zur Hermeneutik des Vergleichens, zu dessen allgemeinen Strukturen, Funktionen, aber auch zu seinen Problemen und Grenzen. Eine pointierte Einlassung dieses Typs indet sich in einem frühen Essay des Schriftstellers Peter Handke: Ein konkreter Vergleich – der Umstand, dass der Autor das Kino dem Theater vorzieht – wird ihm zum Anlass für allgemeine Erwägungen zum Ver-

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Andreas Mauz & Hartmut von Sass

gleichen. Und wie bereits aus dem Titel seines Versuchs hervorgeht, Das Elend des Vergleichens (1968),1 sind diese deutlich vergleichskritisch akzentuiert. Das Vergleichen kommt in erster Linie als problematischer Vollzug in den Blick. Aber was sind nun nach Handke die Charakteristika des Vergleichens, und was veranlasst ihn, von einer komparativen Misere zu sprechen? Zunächst ist zu bemerken, dass der Autor das Stichwort des „Elends“ verallgemeinernd übernimmt aus einer Sentenz Blaise Pascals: „Pascal sagte ungefähr: das ganze Elend kommt da her [sic], daß man immerfort glaubte, sich mit Unendlichem vergleichen zu müssen. Und ein anderes Elend – das sagte nicht Pascal – kommt da her, daß man glaubt, überhaupt vergleichen zu müssen.“2

Nach ausführlichen Beispielen für diese, wie es später variierend heißt, „Sucht, vergleichen zu müssen“, folgt die erste zentrale These: Die Vergleichssucht verdanke sich der „Unfähigkeit“, „erst einmal Einzelheiten zu unterscheiden“. „[D]as Vergleichen schützt vor der Beschäftigung mit dem Gegenstand“ – und insbesondere vor der Beschäftigung mit Gegenständen, die „unverständlich, fremdartig, schwierig“ sind. Konkret im Elend sind somit die Gegenstände, die nicht adäquat „wahrgenommen“ werden. Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf die Weise, wie infolge der Unfähigkeit, Einzelheiten zu unterscheiden, konkret verglichen wird. Es werde eben nicht nur verglichen, sondern das Verglichene werde „zugleich auch jedes Mal bewerte[t]“. Das Vergleichen verbinde sich immer mit einer Abwertung des einen Gegenstandes – wo es doch darum ginge, ihn „überhaupt erst wahrzunehmen“. Diese Grundthesen werden nun mit einiger Vehemenz wiederholt: Die Wahrnehmung bleibe auf der Strecke, weil man „sofort“ „ins Vergleichen ausrutsch[e]“, weil die Gegenstände nur in den Blick kommen, „damit sie gegeneinander ausgespielt werden können“. Dem Gegenstand werde „ausgewichen“ durch seine Reduktion zur „Vergleichsmöglichkeit [...]“. An die Stelle der Wahrnehmung trete das „stupide Messen“, das eine „Hierarchie der Gegenstände“ schafe, die man gleichsam nur als „Waren in einer Warenwelt von Vergleichsmöglichkeiten“ zur Kenntnis nehme. Und erst an dieser Stelle, wenn Handke selbst zu einem Vergleich greift (durch das Vergleichen werden die Gegenstände wie Waren behandelt), kann er dem Vergleichen etwas Positives abgewinnen: „Vergleiche helfen“ – wenn nicht bei der Wahrnehmung der Phänomene, so doch zur Artikulation dezidierter Vergleichskritik. Was ist zu Handkes kleiner Vergleichshermeneutik zu sagen? Zumindest vier Anmerkungen drängen sich auf, Beobachtungen ebenso wie Rückfragen: 1. Handkes Thesen bewegen sich auf einer maximal allgemeinen Ebene. Sie betrefen ihrem Anspruch nach jeden Vergleich: Wenn „man“ vergleicht, verhält es sich „jedesmal“ so und so; für „alle“ Vergleiche gilt ... Dass manche manchmal vielleicht anders vergleichen, dass nicht alle „Gegenstände“ in Peter Handke, Theater und Film. Das Elend des Vergleichens. In: ders., Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt a.M. 122005, S. 65-77. 2 Ebd., S. 65 (alle folgenden Zitate ebd., S. 65-67). 1

Vergleiche verstehen – Einleitende Vorwegnahmen

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gleicher Weise verglichen werden (und werden können), kommt nicht in den Blick. Obwohl sicher nicht jeder Vergleichsvollzug zugleich ein Akt der Bewertung bzw. Abwertung ist (Vergleichen kann kaum auf Messen reduziert werden, und auch nicht jedes Messen führt zwangsläuig zu einer hierarchischen Ordnung der Dinge), belässt es Handke bei pauschalen Zuschreibungen. 2. Handkes Vergleichskritik ist ihrer Struktur nach selbst nichts anderes als ein Vergleich, ein impliziter Vergleich nämlich von „Wahrnehmen“ und „Vergleichen“: Beide Vergleichsglieder werden in Hinsicht auf das tertium des – wie man sagen könnte – ‚angemessenen Umgangs mit den Gegenständen‘ verglichen. Und dieser Vergleich ist durch die Wahl der Vergleichshinsicht gemäß Handkes Generalthese tatsächlich mit einer Bewertung verbunden: mit einer Abwertung des Vergleichens mehrerer bzw. der Privilegierung der Wahrnehmung einzelner Entitäten. Handke, der hier als Anwalt des Partikularen auftritt, ignoriert sein eigenes Mandat, wenn es um die Wahrnehmung der Charakteristika bestimmter Vergleiche geht. Er vergleicht selbst in einer Weise, die er zuvor als deizitär abgewiesen hat. Täte er, was er als Ideal ausgibt, könnte er nicht bei den genannten Pauschalisierungen stehen bleiben. 3. Handkes Ausführungen lassen ofen, ob das Elend des Vergleichens ein notwendiges ist oder nicht. Ob eine Alternative zur beschriebenen Vergleichssucht besteht oder ob nur so verglichen wird, weil „man“ so vergleichen will, bleibt unklar. Wenn Handke postuliert, Vergleiche dienten vor allem dazu, „den verglichenen Gegenstand mit einem Satz wegzureden“ und damit „jede weitere Beschäftigung mit ihm“ zu vermeiden, wenn er von einem „Ausspielen“ des einen Gegenstandes gegen den anderen spricht, so lässt dies auf eine Autonomie des vergleichenden Subjekts schließen. Wenn er an anderer Stelle dagegen von der „Sucht“, „Unfähigkeit“ oder auch „Hillosigkeit“ dessen spricht, der ins Vergleichen „ausrutsche“, scheinen dagegen bestenfalls eingeschränkte Spielräume für Alternativen zu bestehen. Auch hier, auf der basalen Ebene der Vergleichsanthropologie bzw. -psychologie, brechen also Folgefragen auf, welche – würden sie auf- und ernst genommen – die generalisierende Rede vom Vergleichen aulösten. Und dies wäre auch in Bezug auf das höher bewertete Element seines Vergleichs der Fall: der Wahrnehmung des Einzelnen. Sie wird im theoretischen Teil seiner Ausführungen bezeichnenderweise mehr beschworen als expliziert. Es bleibt beim schlichten Konkurrenzmodell. Was unter Wahrnehmung zu verstehen wäre, wird nicht deutlich – mit der Ausnahme, dass das Vergleichen sicher nicht ursprünglich an ihm teil hat (wofür ja gleichfalls plausibel argumentiert werden könnte). 4. Handkes Beitrag ist schließlich auch von Interesse, weil er – zumindest was den akademischen Diskurs betrift – im Wesentlichen eine Gegen- oder Minderheitsposition vertritt. Die vergleichende Methode besitzt nicht nur wissenschaftsgeschichtlich zentrale Bedeutung, sie genießt auch gegenwär-

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Andreas Mauz & Hartmut von Sass

tig quer durch die Disziplinen ein kaum bestrittenes Renommee (vgl. Abschnitt 2). So stellte sich aber auch die Frage, wie Handke sich zu den kaum zu bestreitenden Vorzügen vergleichender Betrachtung verhält bzw. ob und wie seine Anfragen in der disziplinären und interdisziplinären Vergleichsdiskussion zur Sprache kommen. Mit diesen knappen Hinweisen sei vorläuig angedeutet, dass es sich lohnt, dem ubiquitären und deshalb scheinbar vertrauten Vorgang des Vergleichens Aufmerksamkeit zu schenken – konkreten Vergleichen ebenso wie Überlegungen zur Hermeneutik des Vergleichs im Allgemeinen. Diese Aufmerksamkeit verbindet die Beiträge des vorliegenden Bandes. Was sie mit unterschiedlichen Akzentsetzungen erweisen, sind ebenso der Glanz wie das Elend jenes Vollzugs, der im Grimmschen Wörterbuch auf die schöne Formel einer „nebeneinanderstellung zweier ähnlicher dinge behufs gleichstellung oder behufs kritischer hervorhebung der ähnlichkeiten und unanähnlichkeiten“3 gebracht wird.

2. Zur Wissenschaftsgeschichte des Vergleichs Eine Geschichte des Vergleichs ohne weitere Einschränkungen gliche der Nachzeichnung einer für das Menschsein fundamentalen Fertigkeit. Dies ist hier sicher nicht beabsichtigt.Vielmehr geht es um die Darstellung einiger zentraler Stationen auf dem Weg des wissenschaftlichen Interesses am Vergleich – einerseits als Figur des Denkens und Sprechens sowie andererseits als Vollzug des Erkennens und Ordnens. In dieser Doppelung des Vergleichs zwischen Figur und Vollzug steckt bereits der entscheidende Umschlagpunkt in der nun zu skizzierenden Entwicklung; denn während der Vergleich stets von rhetorischem Interesse und deshalb auch Gegenstand philosophischer Beschäftigung gewesen ist, stellt der Vergleich als methodischer Vollzug, der wissenschaftlich prominent und wissenschaftstheoretisch ergiebig wäre, ein Produkt der Neuzeit dar – genauer: Er ist ein Kind des 19. Jahrhunderts. Mit der Heraufkunft der modernen, d.h. methodengeleiteten und empirisch orientierten Wissenschaften gelangen zugleich die komparativen Verfahren zu einer zuvor unbekannten Relevanz. So hält etwa Ernst Mach 1896 fest: „Die Vergleichung ist aber zugleich auch das mächtigste innere Lebenselement der Wissenschaft. Denn aller Zusammenhang, alle begriliche Einheit kommt durch die Vergleichung in die Wissenschaft. Der Zoologe sieht in den Knochen der Flughaut der Fledermaus Finger, vergleicht die Schädelknochen mit Wirbeln, die Embryonen verschiedener Organismen miteinander und die Entwicklungsstadien desselben Organismus untereinander, und erhält so statt eines Conglomerates zusammenhangsloser Thatsachen ein geordnetes, aus gleichartigen Elementen bestehendes, von einheitlichen Motiven beherrschtes Bild.“4 3 Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, Art. ‚Vergleichung‘. In: dies., Deutsches Wörterbuch, Bd. 25, München 1984, S. 458-460, S. 459. 4 Ernst Mach, Die Vergleichung als wissenschaftliches Prinzip. In: ders., Prinzipien der Wärmelehre [1896], Hamburg 2010, S. 396-405, S. 397.

Vergleiche verstehen – Einleitende Vorwegnahmen

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Für diesen Wandel dürften vor allem zwei Momente eine Rolle gespielt haben: zum einen eine nicht zuletzt durch die Aufklärung bedingte Aufbruchphase im ausgehenden 18. Jahrhundert – mithin ein wissenschaftliches Fernweh, das immer neue Kenntnisse über Völker, Planzenarten, Tiergattungen, Sprachen u.a. zuspielte und die Relativität des bislang Bekannten unübersehbar werden ließ; zum anderen die dadurch beschleunigte Umprägung der Wissenschaften selbst samt der später folgenden Umstellung der Sicherung wissenschaftlicher Ergebnisse auf methodisch validierte Verfahren.5 Wissen wird damit nicht mehr über eine Übereinstimmungsigur begründet, sondern über eine Verfahrensstruktur gerechtfertigt. Beide Momente haben sich auch fördernd auf die Signiikanz komparativer Verfahren ausgewirkt.6 Um diese Wirkung genauer zu verstehen, schauen wir zunächst kurz zurück, damit die angedeutete Wertschätzung des Vergleichs dann knapp beleuchtet werden kann. Als wissenschaftstheoretischer Gegenstand wird der Vergleich, wie angedeutet, nicht früher als im angehenden 19. Jahrhundert greifbar. Das verwundert kaum, weil die Wissenschaftstheorie ihrerseits eine Begleiterscheinung der im oben genannten Sinn „modernen“ Wissenschaften darstellt. Dies heißt nun aber nicht, dass der Vergleich als philosophischer Topos zuvor keine Rolle gespielt hätte. Sehr grob können drei Horizonte umrissen werden, in denen der Vergleich von der Antike bis hinein in den Spätidealismus auf seine Weise thematisch wurde: die klassische Rhetorik, die scholastische Argumentationslehre und die neuzeitliche Erkenntnistheorie. Zunächst ist die klassische Rhetorik zu nennen, innerhalb der Cicero und Quintilian in der Aristotelischen Tradition den Vergleich als Element der Redekunst (näherhin als Teil der Lehre von der Ampliikation) verhandeln. Dabei dient der Vergleich, ähnlich wie die Metapher, die Parabel oder das Bild als Bekräftigung einer vorgetragenen These, die jedoch auch ohne das tropische Ornament einsichtig sein soll. Für den Vergleich gilt, was für andere Formen igürlicher Rede auch gilt: Sie sind ein prinzipiell verzichtbares Supplement des eigentlichen Gehalts der Rede.7 Die Frage jedoch, inwiefern sie sich zumindest rhetorisch als produktiv erweisen, mündete schon früh in Verhältnisbestimmungen der Tropen untereinander. Quintilian etwa bot für die Relation von metaphorischer und komparativer Rede die berühmte Deinition an, nach der Metaphern verkürzte Vergleiche darstellten.8 Beide Fragen – die der Substituierbarkeit bzw. der Beziehung tropischer Redeweisen untereinander – wer5 Martin Heidegger hat in diesem Wandel bekanntlich mehr gesehen als nur die Etablierung eines neuen wissenschaftlichen Paradigmas.Vielmehr handle es sich dabei um die Vergegenständlichung alles Seienden im Vor-Stellen, sodass nun das „Wesen“ neuzeitlicher Metaphysik zur Vollendung komme; siehe ders., Die Zeit des Weltbildes (1938). In: Holzwege, Frankfurt a.M. 82003, S. 75-96 (Zusätze S. 96-113), bes. S. 82f. und S. 89. 6 Vgl. zu diesem Umschwung: Rudolf Stichweh, Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen. Physik in Deutschland 1740-1890, Frankfurt a.M. 1984. 7 Dazu Aristoteles, Rhetorik III, 4, 1406b-c. 8 Vgl. Carl H. Knoblauch, Quintilian’s Value for Modern Composition Theory and Teaching, Rhetoric Society Quarterly 12/2, 1982, S. 95-104.

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Andreas Mauz & Hartmut von Sass

den im 20. Jahrhundert erneut verhandelt, als Autoren wie Ivor Richards, Max Black oder Hans Blumenberg auf den Eigenwert der Metapher und damit auch des Vergleichs aufmerksam gemacht haben.9 Die Frage der Ers...


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