Juni 2018, Antworten PDF

Title Juni 2018, Antworten
Author Larissa Imbach
Course WIrtschaftsrecht
Institution Universität Bern
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Summary

Lösungshinweise zur Probeklausur im Wirtschaftsrecht FS 2018 Teil A (61 Punkte) Frage 1 Gemäss Art. 563 OR können gutgläubige Dritte darauf vertrauen, dass jeder einzelne Gesellschafter zur Vertretung der Kollektivgesellschaft berechtigt ist. Die Kollektivgesellschaft wird durch die Rechtsgeschäfte,...


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Lösungshinweise zur Probeklausur im Wirtschaftsrecht FS 2018

Teil A (61 Punkte) Frage 1 Gemäss Art. 563 OR können gutgläubige Dritte darauf vertrauen, dass jeder einzelne Gesellschafter zur Vertretung der Kollektivgesellschaft berechtigt ist. Die Kollektivgesellschaft wird durch die Rechtsgeschäfte, die ein zur Vertretung befugter Gesellschafter in ihrem Namen schliesst, berechtigt und verpflichtet, Art. 567 Abs. 1 OR. Der zur Vertretung befugte Gesellschafter darf alle Rechtshandlungen vornehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringen kann, Art. 564 Abs. 1 OR. Mangels eines entgegenstehenden Handelsregistereintrages ist in casu Lena als Gesellschafterin zur Vertretung der Kollektivgesellschaft berechtigt. Die Anmietung von Lagerraum steht im Zusammenhang mit dem Vertrieb der hergestellten Konfitüre und wird daher vom Zweck der Gesellschaft erfasst. Durch die Anmietung des Lagerraums durch Lena wurde die Kollektivgesellschaft verpflichtet. Der Kauf des Schaufelbaggers hat keinen Bezug zu Konfitüre und ist daher nicht vereinbar mit dem Gesellschaftszweck. Da der Kauf des Schaufelbaggers nicht vom Gesellschaftszweck erfasst wird, ist die Kollektivgesellschaft nicht verpflichtet worden. Frage 2 Gemäss Art. 685f Abs. 1 OR gehen die Rechte beim ausserbörslichen Erwerb von Namenaktien erst mit dem Einreichen des Gesuchs um Anerkennung auf den Erwerber über. Nach Art. 685f Abs. 2 OR ruht das Stimmrecht der Aktien bis zur Anerkennung des Gesuchs durch die Aktiengesellschaft. Rolf hat seine Aktien geerbt und somit ausserbörslich Namenaktien erworben. Laut Sachverhalt hat Rolf kein Gesuch um Anerkennung der geerbten Aktien gestellt und das Stimmrecht seiner Aktien ruht somit. Rolf hätte demnach nicht an der Abstimmung zur Einführung von Stimmrechtsaktien teilnehmen dürfen. Gemäss Art. 691 Abs. 3 OR sind Beschlüsse der Generalversammlung anfechtbar, sofern unbefugte Personen an der Beschlussfassung teilgenommen haben und deren Teilnahme für die Beschlussfassung kausal war. Gemäss Art. 691 Abs. 3 OR kann jeder Aktionär den Beschluss der Generalversammlung anfechten. Gemäss Art. 706a Abs. 1 OR beträgt die Frist für die Klageerhebung zwei Monate. In casu ist Miriam als Aktionärin zur Stimmrechtsklage aktivlegitimiert. Ebenso ist in casu die Frist für die Klageerhebung von zwei Monaten i.S.v. Art. 706a Abs. 1 OR noch nicht verstrichen. Gemäss Art. 704 Abs. 1 Ziff. 2 OR sind für die Einführung von Stimmrechtsaktien zwei Drittel der vertretenen Stimmen sowie die absolute Mehrheit der vertrete-

Lösungshinweise Probeklausur FS 2018

nen Aktiennennwerte erforderlich. Die 5% der Stimmen von Rolf waren nicht kausal für die Erreichung des Quorums von Art. 704 OR. Miriam kann folglich den Generalversammlungsbeschluss nicht erfolgreich anfechten.

Frage 3 Gemäss Art. 659 Abs. 1 OR dürfen eigene Aktien nur dann erworben werden, wenn der gesamte Nennwert dieser Aktien 10% des Aktienkapitals nicht übersteigt. Weiter muss die Aktiengesellschaft den Kauf ausschliesslich über frei verwendbares Eigenkapital finanzieren. Das Partizipationskapital wird beim Erwerb eigener Aktien dem Aktienkapital angerechnet, Art. 656b Abs. 3 OR. In casu beträgt das Aktienkapital mitsamt dem Partizipationskapital CHF 5 Mio. 250 Namenaktien mit einem Nennwert von CHF 2‘000 haben ein Volumen von CHF 500‘000 und entsprechen somit genau 10% des Aktienkapitals (inkl. Partizipationskapital). In casu soll der Kauf der 250 Aktien mit frei verfügbarem Eigenkapital finanziert werden. Die Sinus AG darf folglich 250 eigene Aktien erwerben.

Frage 4 Gemäss Art. 54 Abs. 2 lit. c FusG kann eine Kollektivgesellschaft in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt werden. Gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. a und b FusG kann sich eine Kollektivgesellschaft in eine Kommanditgesellschaft umwandeln, indem ein Kommanditär der Gesellschaft beitritt oder ein bisheriger Gesellschafter zu einem Kommanditär wird. Findet eine solche Umwandlung statt, sind gemäss Art. 55 Abs. 4 FusG die Bestimmungen von Art. 56 f. FusG nicht anwendbar und die Umwandlung kann ohne Anwendung des FusG erfolgen.

Frage 5 Gemäss Art. 535 Abs. 1 OR steht jedem Gesellschafter die Geschäftsführungsbefugnis zu. Jeder zur Geschäftsführung befugte Gesellschafter besitzt gegenüber der Handlung anderer Geschäftsführer ein Vetorecht, Art. 535 Abs. 2 OR. Das Vetorecht kann die Handlung aber nur verhindern, wenn sie noch nicht vollendet ist. In casu sind Emily und Florian geschäftsführende Gesellschafter. Da laut Sachverhalt Florian erst mit dem Einkauf beginnt, ist die Handlung noch nicht vollendet. Emily kann demnach ihr Vetorecht geltend machen und Florian an der Verwendung der Mittel für den Einkauf hindern. Frage 6 Nach Art. 808c OR sind für die Anfechtung von Gesellschafterversammlungsbeschlüssen die Bestimmungen des Aktienrechts anwendbar. Gemäss Art. 808c i.V.m. Art. 706 Abs. 2 Ziff. 4 OR sind Beschlüsse der Gesellschafterversammlung, welche die Gewinnstrebigkeit der Gesellschaft ohne Zustimmung aller Gesellschafter aufheben, anfechtbar. Gemäss Art. 808c i.V.m. Art. 706 Abs. 1 OR ist jeder Gesellschafter zur Anfechtungsklage aktivlegitimiert. Jedoch erlischt das Klagerecht, wenn nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem Beschluss die Anfechtung angehoben wird, Art. 706a Abs. 1 OR. Da in casu die Gewinnstrebigkeit ohne Zustimmung von Isabelle aufgehoben wurde, ist der Generalversammlungsbeschluss grundsätzlich anfechtbar. Isabelle ist gemäss Art. 808c i.V.m. Art. 706 Abs. 1 OR als Gesellschaf2

Lösungshinweise Probeklausur FS 2018

terin zur Anfechtungsklage aktivlegitimiert. Die Frist von zwei Monaten gemäss Art. 808c i.V.m. 706a Abs. 1 OR ist in casu bereits abgelaufen, da Isabelle erst drei Monate nach der Generalversammlung von dem Beschluss erfährt. Isabelle kann den Beschluss der Generalversammlung nicht mehr anfechten.

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Lösungshinweise Probeklausur FS 2018

Teil B (52 Punkte) Frage 1 Art. 4 FusG zählt die zulässigen Fusionen auf. Daraus ist ersichtlich, dass Einzelunternehmen nicht fusionieren können. Entsprechend kann das Unternehmen von Peter das Unternehmen von Bertha nicht absorbieren; Peter hat nicht Recht. Eine andere Variante, um die Unternehmen zusammenzuführen, ist die Vermögensübertragung i.S.v. Art. 69 FusG. Dabei wird zwar nicht das eine Unternehmen vom anderen übernommen, jedoch werden Aktiven und Passiven übertragen. Dies wäre gemäss Art. 69 Abs. 1 FusG möglich, wenn die Einzelunternehmen im Handelsregister eingetragen sind. In casu sind beide Einzelunternehmen im Handelsregister eingetragen, weshalb die Vermögensübertragung nach FusG zulässig ist. Es bedarf eines schriftlichen Übertragungsvertrages, welcher von den obersten Leitungs- oder Verwaltungsorganen (resp. von Bertha und Peter) abgeschlossen wird, Art. 70 Abs. 1 FusG. Für die Übertragung des Grundstückes bedürfen die entsprechenden Teile des Vertrags gemäss Art. 70 Abs. 2 FusG der öffentlichen Beurkundung. Das Unternehmen „Brusch-Malerei“ wird aus dem Handelsregister gelöscht. Frage 2 Gemäss Art. 725 Abs. 1 OR liegt ein Kapitalverlust vor, wenn das Nettovermögen die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr deckt. Vorliegend beträgt der Verlust CHF 1,5 Mio. und die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven CHF 1,4 Mio.; d.h. die Hälfte des Eigenkapitals ist nicht mehr durch das Nettovermögen gedeckt. 1 Ein Kapitalverlust liegt vor. 2

Frage 3 Aufwertung Grundstücke Gemäss Art. 670 Abs. 1 OR kann eine AG, sofern die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven infolge eines Bilanzverlusts (Kapitalverlusts) nicht mehr gedeckt ist, zur Beseitigung der Unterbilanz Grundstücke, deren wirklicher Wert über die Anschaffungskosten gestiegen ist, bis höchstens zu diesem Betrag aufwerten. Da in casu ein Kapitalverlust vorliegt und die Grundstücke um die Hälfte an Wert gewonnen haben, kann eine Aufwertung stattfinden. Werden die Grundstücke auf ihren wirklichen Wert aufgewertet, so steigt auf der Aktivseite der Bilanz der Wert der Liegenschaften auf CHF 3 Mio. und somit um CHF 1 Mio.; auf der Passivseite der Bilanz werden die gesetzli-

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Alternative Berechnungsmethode: Nettovermögen (d.h. Aktiven – Fremdkapital) ist kleiner als die Hälfte des Eigenkapitals (d.h. < ½ AK + GesRS). Vorliegend: Aktiven CHF 5,6 Mio. – Fremdkapital CHF 4,3 Mio. = CHF 1,3 Mio. ist kleiner als ½ von CHF 2,8 Mio. 2

Begründete Ausführungen zum „hälftigen“ Kapitalverlust wurden ebenfalls bepunktet. 4

Lösungshinweise Probeklausur FS 2018

chen Reserven um CHF 1 Mio. grösser, da sie neu die Aufwertungsreserven enthalten. Das Eigenkapital beträgt nun CHF 3‘800‘000, der Verlust nach wie vor CHF 1‘500‘000. Da CHF 1‘500‘000 kleiner ist als die Hälfte von CHF 3‘800‘000, 3 kann mit dieser Massnahme der Kapitalverlust beseitigt werden. Beisteuerung von Maschinen durch Rolf bei Erhöhung des Darlehens Die Aktivseite steigt um CHF 1‘000‘000. Ebenso die Passivseite durch Erhöhung des Fremdkapitals. Diese Massnahme hat keine Auswirkung auf den Kapitalverlust (bzw. keinen Einfluss auf das Nettovermögen oder das Eigenkapital). Kapitalerhöhung Zur Beseitigung des Kapitalverlusts kann eine Kapitalerhöhung vorgenommen werden. Vorliegend ist Rolf bereit, für weitere CHF 1‘000‘000 Aktien der ALSET Motor AG zu zeichnen. Wird das Aktienkapital um CHF 1‘000‘000 erhöht, beträgt das EK neu CHF 3‘800‘000. Der Verlust bleibt CHF 1‘500‘000. CHF 1‘500‘000 ist kleiner als die Hälfte von CHF 3‘800‘000. 4 Mit der entsprechenden Kapitalerhöhung kann der Kapitalverlust beseitigt werden. Auflösung der gesetzlichen Reserven Art. 671 Abs. 3 OR sieht vor, dass die allgemeine gesetzliche Reserve, soweit sie die Hälfte des Aktienkapitals nicht übersteigt, nur zur Deckung von Verlusten oder für Massnahmen verwendet werden darf, die geeignet sind, in Zeiten schlechten Geschäftsganges das Unternehmen durchzuhalten, der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken oder ihre Folgen zu mildern. Vorliegend übersteigt die gesetzliche Reserve die Hälfte des Aktienkapitals nicht (AK = CHF 2‘000‘000; gesetzl. Res. = CHF 800‘000). Es liegt ein Verlust vor, weshalb die gesetzliche Reserve zur Deckung verwendet werden darf. Wird der Verlust von CHF 1‘500‘000 mit den gesetzlichen Reserven (CHF 800‘000) verrechnet, so besteht neu ein EK von CHF 2 Mio. und ein Verlust von CHF 700‘000, d.h. der Verlust ist nun kleiner als ½ des EK. 5 Der Kapitalverlust kann dadurch beseitigt werden.

Frage 4/5 Da in casu nicht börsenkotierte Namenaktien vorliegen, ist Art. 685b OR einschlägig. Gemäss Art. 685b Abs. 1 OR kann die Gesellschaft das Gesuch um Zustimmung ablehnen, wenn sie dafür einen wichtigen, in den Statuten genannten Grund bekannt gibt. Als wichtige Gründe gelten gemäss Art. 685b Abs. 2 OR Bestimmungen über die Zusammensetzung des Aktionärskreises, die im Hinblick auf den Gesellschaftszweck oder die wirtschaftliche Selbständigkeit des Unternehmens die Verweigerung rechtfertigen. Vorliegend steht das Argument der wirtschaftlichen Selbständigkeit des Unternehmens im Vordergrund, da die Statu-

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Alternative Berechnungsmethode: Die Aktiven betragen neu CHF 6,6 Mio. minus Fremdkapital CHF 4‘3 Mio.= CHF 2,3 Mio., was grösser ist als CHF 1,4 Mio. 4

Alternative Berechnungsmethode: Die Aktiven betragen neu CHF 6,6 Mio. minus Fremdkapital CHF 4‘3 Mio.= CHF 2,3 Mio., was grösser ist als die Hälfte von AK + ges. Reserven (CHF 3,8 Mio. durch 2= CHF 1.9 Mio.). 5

Alternative Berechnungsmethode: Aktiven von CHF 5.6 Mio. - Fremdkapital von CHF 4.3 Mio. = CHF 1.3 Mio., was grösser ist als die Hälfte von AK und ges. Reserven [CHF 2 Mio./2 = CHF 1 Mio. 5

Lösungshinweise Probeklausur FS 2018

ten diesen Grund explizit nennen. Gemäss Statuten ist eine Ablehnung eines Erwerbers aufgrund der wirtschaftlichen Selbständigkeit möglich, wenn ein Erwerber durch die Aktienübertragung die Mehrheit des Namenaktienkapitals (d.h. 50% der Aktien plus 1 Stimme) auf sich vereinigen würde. Vorliegend kauft die Frank Tonmann AG lediglich 25% der Aktien, weshalb die statutarischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind und die Ablehnung nicht rechtmässig ist.

Frage 6 Ist die Kompetenz zur Ablehnung durch die Statuten der GV übertragen worden, kann der entsprechende Beschluss der Generalversammlung Gegenstand einer Anfechtungsklage gemäss Art. 706 Abs. 2 Ziff. 1 OR sein, da vorliegend unter Verletzung von Gesetz oder Statuten Rechte von Aktionären beschränkt worden sind. Gemäss Art. 706 Abs. 1 OR können nur ein Verwaltungsrat oder ein Aktionär Beschlüsse der GV anfechten. 6 Frank ist demzufolge nicht aktivlegitimiert zu einer Anfechtungsklage. 7

Frage 7 Erwirbt der Anbieter von der Veröffentlichung des Angebotes bis sechs Monate nach Ablauf der Nachfrist Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft zu einem über dem Angebotspreis liegenden Preis, so muss er diesen Preis allen Empfängerinnen und Empfängern des Angebotes anbieten (Best Price Rule), Art. 10 Abs. 1 UEV. 8 Vorliegend bezahlt die Xenon AG der Zoom AG pro Aktie einen Zuschlag von 50% zum Börsenkurs. Da Xavier seine Aktien anlässlich des Übernahmeangebots verkauft hat, fällt er in den Geltungsbereich von Art. 10 Abs. 1 UEV. D.h. er hat Anspruch darauf, dass er diesen Zuschlag von 50 % pro Aktie ebenfalls bekommt. Frage 8 Verfügt der Anbieter nach Ablauf der Angebotsfrist über mehr als 98 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft, so kann er binnen einer Frist von drei Monaten vom Gericht verlangen, die restlichen Beteiligungspapiere für kraftlos zu erklären; zu diesem Zweck muss Klage gegen die Gesellschaft geführt werden, siehe Art. 137 Abs. 1 FinfraG. Die Xenon AG muss zu diesem Zweck gegen die YouLight AG Klage erheben und bei Obsiegen den Besitzern der kraftlos erklärten Aktien den Angebotspreis bezahlen.

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Bonus: Ob dem Erwerber ein Klagerecht zusteht, ist umstritten.

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Begründete Ausführungen zum Vorhandensein der Aktivlegitimation mit Hinweis auf den Lehrstreit oder Rechtsprechung wurden ebenfalls bepunktet. 8

Ausführungen zu Art. 127 Abs. 2 bzw. Art. 135 Abs. 2 lit. b FinfraG, wonach die Besitzerinnen und Besitzer von Beteiligungspapieren derselben Art gleich zu behandeln sind, wurden ebenfalls bepunktet. 6

Lösungshinweise Probeklausur FS 2018

Teil C (57 Punkte) Frage 1 (I) Art. 828 Abs. 2 OR sieht vor, dass eine Genossenschaft mit zum Voraus festgesetzten Grundkapital unzulässig ist. Somit hat Franziska nicht Recht: das Grundkapital einer Genossenschaft muss keine fixe CHF 10‘000 aufweisen. (II) Nach Art. 853 Abs. 1 OR müssen alle Genossenschafter einen Anteilsschein übernehmen. Gabriel muss zumindest CHF 100 zahlen, damit er seinen Anteilsschein übernimmt. (II) Das Prinzip der offenen Tür sieht in Art. 839 Abs. 1 OR vor, dass jederzeit neue Mitglieder aufgenommen werden können. Diesem Grundsatz muss entsprochen werden, indem der Eintritt in die Genossenschaft durch die Statuten nicht übermässig erschwert werden darf, Art. 839 Abs. 2 OR. Nach herrschender bundesgerichtlicher Rechtsprechung lässt sich aufgrund dieser Bestimmung jedoch für Hanna kein klagbarer Anspruch auf Eintritt ableiten. Frage 2 (I) Grundsätzlich steht jedem Genossenschafter der Austritt frei, Art. 842 Abs. 1 OR. Gemäss Art. 844 Abs. 1 OR kann der Austritt durch einen Genossenschafter nur auf Ende des Geschäftsjahres mit einer einjährigen Kündigungsfrist erfolgen. Gemäss Art. 16 Abs. 2 der Statuten entspricht das Geschäftsjahr dem Kalenderjahr und endet jeweils am 31.12. des Kalenderjahres. Gabriel hat Recht – er muss bis spätestens am 31.12.2018 kündigen, damit er am 30.6.2020 nicht mehr Genossenschafter ist und er per 31.12.2019 austritt. (II) Wenn die Statuten keine Bestimmungen über einen Abfindungsanspruch enthalten, kann der ausscheidende Genossenschafter keine Abfindung beanspruchen, Art. 865 Abs. 1 OR. Die Statuten der „fair wohnen Genossenschaft“ enthalten gemäss Sachverhalt keine Bestimmungen über Abfindungen, womit Gabriel nicht Recht hat und keine Abfindung beanspruchen kann. (III) Gemäss Art. 842 Abs. 2 OR kann der Austretende zur Zahlung einer Auslösungssumme verpflichtet werden, wenn dies die Statuten so vorsehen und der Genossenschaft durch den Austritt ein erheblicher Schaden entsteht bzw. deren Fortbestand gefährdet ist. Dazu fehlt auch hier eine Bestimmung in den Statuten, womit die Genossenschaft von Gabriel keine Auslösungssumme verlangen kann; Gabriel hat auch hier Recht. (IV) Nach Art. 842 Abs. 3 OR ist ein dauerndes Verbot oder eine übermässige Erschwerung des Austritts nicht zulässig und eine solche Vereinbarung ist ungültig. Jedoch kann nach Art. 843 Abs. 1 OR der Austritt durch die Statuten oder durch Vertrag auf höchstens fünf Jahre ausgeschlossen werden. Die „fair wohnen Genossenschaft“ kann Gabriel den Austritt aus der Genossenschaft weder dauernd noch vorübergehend verbieten, weil dies unzulässig bzw. in den Statuten nicht vorgesehen ist; Gabriel hat auch hier Recht.

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Lösungshinweise Probeklausur FS 2018

Frage 3 Art. 831 Abs. 1 OR sieht vor, dass bei der Gründung der Genossenschaft sieben Mitglieder vorhanden sein müssen. Sodann sieht Art. 831 Abs. 2 OR vor, dass, wenn die Zahl der Genossenschafter unter sieben fällt, die Bestimmungen des Aktienrechts über Mängel der Organisation entsprechend Anwendung finden. Gemäss Art. 731b Abs. 1 OR kann ein Aktionär, ein Gläubiger oder der Handelsregisterführer dem Richter beantragen, die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen. Der Richter kann insbesondere unter Androhung der Auflösung der Gesellschaft eine Frist ansetzen, binnen derer der rechtmässige Zustand wieder hergestellt muss, er kann das fehlende Organ oder einen Sachwalter ernennen, oder er kann die Gesellschaft auflösen und die Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs anordnen. Wenn Gabriel aus der Genossenschaft austritt, fällt die Mitgliederzahl unter sieben und es liegt ein Organisationsmangel vor. In diesem Fall können Massnahmen nach Art. 731b OR ergriffen werden.9

Frage 4 Gemäss Art. 773 OR muss das Stammkapital der GmbH mind. CHF 20‘000 betragen. Zudem müssen die Stammanteile bei der Gründung voll liberiert werden, Art. 777c Abs. 1 OR. Ohne den Beitrag von Christina wird das minimale Stammkapital von CHF 20‘000 nicht erreicht bzw. die Stammanteile nicht voll liberiert. Christina kann ihren finanziellen Beitrag nicht erst nach der Gründung leisten; Aline hat Recht. Frage 5 Gemäss Art. 796 Abs. 1 OR können die Statuten die Gesellschafter zu Nebenleistungen verpflichten. Dabei handelt es sich zudem um bedingt notwendigen Statuteninhalt nach Art. 776a Abs. 1 Ziff. 1 OR. Nach Art. 796 Abs. 2 OR können nur Nebenleistungen vorgesehen werden, die dem Zweck der Gesellschaft, dem Erhalt ihrer Selbständigkeit, oder der Wahrung der Zusammensetzung des Gesellschafterkreises dienen. Im vorliegenden Fall dienen die Flyerverteilung, die Protestaktionen und der Verkauf von selbstgemachten Essen weder der Erhaltung der Selbständigkeit noch der Wahrung des Gesellschaftskreises. Die „No Animal Testing GmbH“ bezweckt den Vertrieb von umwelt- und tierfreundlicher Kosmetika. 10 Die Flyerverteilung, die Protestaktionen und der Verkauf von selbstgemachten Essen stehen somit nicht im Zusammenhang mit dem Zweck der Gesellschaft. Die Flyerverteilung, die Pro-

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Bonus: Es liegt zwar ein Organisationsmangel vor, jedoch ist die Genossenschaft auch mit sechs Genossenschaftern beschlussfähig. Nach Art. 840 Abs. 3 OR entscheidet die Verwaltung über die Aufnahme neuer Mitglieder. Folglich kann in diesem Fall die Verwaltung einen neuen Genossenschafter ernennen, damit der Organisationsmangel behoben ist, vgl. BGer. 4A_370/2015 vom 16.12.2015, E. 2.3-2.8) 10

Bonus: Durch die Protestaktionen, das Verteilen der Flyer und durch den Verkauf des Essens werden die Mittel zur Verfolgung des statutarischen Zweckes nicht effizienter gestaltet, nicht unterstützt und auch nicht zur Verfügung gestellt. 8

Lösungshinweise Probeklausur FS 2018

testaktionen und der Verkauf des Essens können nicht als Nebenleistungspflichten in den Statuten vorgesehen ...


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