Reallexikoneintrag Ästhetik NDL PDF

Title Reallexikoneintrag Ästhetik NDL
Course NDL Einführung in die neuere deutsche Literatur
Institution Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Pages 189
File Size 2.3 MB
File Type PDF
Total Downloads 101
Total Views 119

Summary

Eintrag des Reallexikons der deutschen Literaturwissenschaft...


Description

A Abbild D Widerspiegelung Abbreviatio D Amplificatio Abecedarium1 D Kinderverse Abecedarium2 Text, der nach dem Alphabet strukturiert ist. Expl: Der Terminus bezeichnet im literaturwissenschaftlichen Kontext hauptsächlich Gedichte oder Prosatexte (häufig D Gebete), bei denen die Anfangsbuchstaben der Strophen oder Absätze der Reihenfolge des Alphabets entsprechen (alphabetisches Akrostichon, D Kryptogramm). Er wird gelegentlich auch auf theologische und juristische Hilfsmittel und andere alphabetische Verzeichnisse übertragen. WortG: Ableitung aus der seit dem 9. Jh. belegten (Kluge-Seebold, 2) Bezeichnung der lat. Buchstabenreihe nach deren ersten vier Buchstaben; als Bezeichnung für danach organisierte Texte gleichfalls seit dem frühen Mittelalter geläufig. BegrG: Abecedarium konkurriert im Mittelalter wie im literaturwissenschaftlichen Gebrauch bis heute mit Benennungen nach der vom 12. Jh. an (Kluge-Seebold, 2) belegten dreigliedrigen Bezeichnung der Buchstabenreihe (s. z. B. a.b.c. von dem heiligen sacrament, VL 1, 6; ,Goldenes ABC‘, VL 3, 78⫺80) und auch mit der aus dem Griechischen übernommenen zweigliedrigen (s. z. B. ,Alphabetum narrationum‘, VL 1, 478 f.). Die Ausweitung auf Buchstabentafeln zur Erlernung des Alphabets oder zur Erklärung von Zeicheninventaren (z. B. der Runen im ,Abecedarium Nordmannicum‘,

9. Jh.) scheint auf Gelegenheitsbildungen beschränkt zu sein. SachG: Die deutschen Hymnen und Sequenzen, die ⫺ vor allem seit dem 14. und 15. Jh. ⫺ in der Form des Abecedariums verfaßt wurden, sind späte Vertreter einer schon im Frühmittelalter etablierten lateinischen Tradition, die letztendlich durch die im Hebräischen beliebten abecedarischen Psalmenstrophen (z. B. Psalm 119, Klagelieder 1⫺5) angeregt wurde. Namhafte mittelalterliche Autoren, die diese Form benutzten, sind u. a. der Mönch von Salzburg (,Das guldein Abc‘) und Heinrich Laufenberg. Das niederdeutsche ,Marien-ABC‘ ist ein Preis- und Bittgedicht in 23 Strophen. Diese Beispiele belegen die Bedeutung des Texttyps für die spätmittelalterliche D Mariendichtung. Neben den poetischen Abecedarien steht eine Fülle von wenig erforschten und meist noch nicht gedruckten Prosatexten, in denen Regeln für das christliche Leben und erbauliche Betrachtungen, hauptsächlich Gebete und Lobpreisungen, nach dem Alphabet strukturiert sind (wie z. B. das ,Goldene ABC‘ des ,Meisterbuchs‘, 14. Jh.). Die umfangreichen deutschen Rechtsabecedarien (s. VL 7, 1058⫺ 1061), in denen Exzerpte aus mehreren Rechtsbüchern nach alphabetischen Schlagworten geordnet sind, treten hinzu und belegen das seit dem Spätmittelalter verbreitete Phänomen der Alphabetisierung theologischer und juristischer Hilfsmittel. Das spielerische Prinzip des alphabetischen Akrostichons war auch in der Frühen Neuzeit, besonders im 17. Jh. (z. B. im ,Kühlpsalter‘ des Quirinus Kuhlmann, 1684), beliebt und ist noch bei zahlreichen späteren Autoren (u. a. Jean Paul, Wilhelm Busch, Schwitters und Brecht; vgl. Kiermeier-Debre´/Vogel) bezeugt.

2

Abenteuerroman

Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jhs. Hg. v. Philipp Wackernagel. Bd. 2. Leipzig 1867, Nr. 732⫺736, 1014. ⫺ Die geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg. Hg. v. Franz Viktor Spechtler. Berlin 1972, S. 113⫺124.

ForschG: Zusammenfassende Untersuchungen über die abecedarischen Dichtungen fehlen bislang. Die wissenschaftlichen Abecedarien des Mittelalters stehen im Zusammenhang mit der Alphabetisierung von Registern und anderen Hilfsmitteln, die als ein wichtiger Markstein in der Mentalitätsgeschichte des scholastischen Zeitalters angesehen wurde (von den Brincken). Lit: Anna Dorothee von den Brincken: Tabula

alphabetica. Von den Anfängen alphabetischer Registrierarbeiten zu geschichtlichen Werken. In: Fs. Hermann Heimpel. Göttingen 1972. Bd. 2, S. 900⫺923. ⫺ Franz-Josef Holznagel, Rudolf Weigand: Abecedarien. In: Marienlexikon. Bd. 1. St. Ottilien 1988, S. 12 f. ⫺ Joseph Kiermeier-Debre´, Fritz F. Vogel: Das Alphabet. Die Bilderwelt der Buchstaben von A-Z. Ravensburg 1995. ⫺ Herman J. Leloux: Spätmittelalterliche Versionen eines Marianischen Abecedariums aus Norddeutschland und dem Nordosten der Niederlande. In: Studia Germanica Gandensia 16 (1975), S. 169⫺186.

Nigel F. Palmer

Abenteuerroman Romantypus mit dem Schwerpunkt auf ungewöhnlichen, spektakulären, den Rahmen des Alltagslebens sprengenden Geschehnissen. Expl: Der Terminus ist zum einen als Sammelbegriff für all jene längeren epischen Texte verwendet worden, die das Abenteuer ⫺ im Sinne „eines ungewöhnlichen, seltsamen, unsichern ereignisses oder wagnisses, nicht nur eines schweren, ungeheuern, unglücklichen, sondern auch artigen und erwünschten“ (DWb 1, 27) ⫺ in den Mittelpunkt der Darstellung rücken. Zum anderen ist er in neueren germanistischen Untersuchungen eingeschränkt worden auf Romane zwischen dem späten 18. und dem

frühen 20. Jh., mit den Hauptexponenten Cooper und Karl May. Der Abenteuerroman weist folgende Merkmale auf: (1) die vom Helden eindringlich erfahrene Polarität zwischen einer ihm bekannten, soliden Ordnung und demgegenüber zunächst befremdlich und wirr erscheinenden Verhältnissen; (2) die „Kettenstruktur des dargestellten Geschehens“ (Fricke, 12), d. h. die Aneinanderreihung einer großen Zahl als ,Abenteuer‘ qualifizierter Ereignisse in nahezu beliebiger Reihenfolge, die häufig als Reise organisiert ist; (3a) die Herkunft der Hauptfigur aus mittleren Ständen, im Unterschied zum D Höfisch-historischen Roman einerseits und zum D Schelmenroman andererseits; (3b) eine ⫺ verglichen etwa mit dem D Bildungsroman ⫺ allenfalls geringfügige geistig-seelische Entwicklung des Helden; (4) die sinnfällige Handgreiflichkeit des Geschehens sowie gelegentlich eine gewisse Nähe der Handlungsführung zur D Tragödie (Klotz); (5) den fiktiven Charakter des dargestellten Geschehens, der das Genre z. B. von der abenteuerlichen Reisebeschreibung trennt. WortG: Abenteuer geht auf mhd. aventiure zurück (D Aventiure), das ein (zufällig) begegnendes Ereignis und die fremdartige Herausforderung meint. Der früheste bisher bekannte Beleg für das Kompositum Abenteuerroman stammt von 1879 (Koenig, 289); vorher war Abenteurer-Roman (Sanders, 557) schon länger gebräuchlich (vgl. BegrG). Robert Koenig: Deutsche Literaturgeschichte. Bielefeld, Leipzig 1879.

BegrG: Im 19. Jh. umfaßte der Begriff, noch unter dem Namen Abenteurerroman (z. B. Hettner, 318), zuerst nur die „Robinsonsund Aventurier-Geschichten“ (Schäfer, 69), d. h. die etwa zwischen 1720 und 1750 erschienenen Romane mit einem Helden vom frühneuzeitlichen Kaufmannstyp des Aventuriers (D Robinsonade). Etwa in den 1870er Jahren wurde der vorher getrennt behandelte „Vagabunden-Roman“ (Schäfer, 68) einbezogen, darunter als der erste Grimmelshausens ,Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch‘, der schon früher als „Vorläufer der Robinsonnaden“ (Koch, 254) be-

Abenteuerroman zeichnet, unter Titeln wie „Abenteurer- und Vagabundenroman“ (Scherr, 53) mit ihnen zusammengestellt worden war und dann im letzten Viertel des 19. Jhs. als der wichtigste deutsche „Abenteuerroman“ (Koenig, 289) bzw. „Abenteurerroman“ (Borinski, 126) figurierte. Im 20. Jh. hat der Begriff ,Abenteuerroman‘ seine Unterscheidungskraft verloren. Einerseits hat er jegliches historisches Profil eingebüßt und ist zum „Oberbegriff für eine Reihe von gattungsmäßigen Erscheinungsformen des volkstümlichen realistischen Romans“ (Rehm, 1) zu allen Zeiten geworden. Andererseits wurde er seit den 60er Jahren neu eingeschränkt auf die Romane von den Erben der deutschen Cooper-Tradition (Friedrich Gerstäcker, Balduin Möllhausen, Karl May, später Traven u. a.), die vorher z. B. als ,transatlantisch-exotische Romane‘ (weitere Belege bei Graf, 16 f.) etikettiert wurden. Daneben bezeichnet Abenteuerroman weiterhin thematisch nicht festgelegte, strukturell verwandte (s. Expl) Erzähltexte vornehmlich der Frühen Neuzeit und des 19. Jhs., die sich z. T. mit anderen Erzähltypen (Reiseroman, historischer Roman, utopischer Roman, Robinsonade) überschneiden. Karl Borinski: Geschichte der deutschen Literatur. 2. Teil. Stuttgart 1893. ⫺ Hermann Hettner: Literaturgeschichte des 18. Jhs. Bd. 3/1. Braunschweig 1862. ⫺ Erduin Julius Koch: Grundriß einer Geschichte der Sprache und Literatur der Deutschen. Bd. 2. Berlin 1798. ⫺ Koenig (s. WortG) ⫺ Walter Rehm: Art. ,Abenteuerroman‘. In: RL1 1, 1⫺4. ⫺ Johann Wilhelm Schäfer: Hb. der Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 2. Bremen 1844. ⫺ Johannes Scherr: Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig 21854.

SachG: In der Geschichte des Abenteuerromans verschiebt sich die Motivierung des Abenteuers. Während der heroische Abenteurer vom antiken Heldenepos bis zum höfischen Ritterroman danach strebt, ,Ehre‘ ⫺ im Sinne hoher gesellschaftlicher Reputation ⫺ zu erlangen, das erfolgreiche Bestehen des Abenteuers also „als Ausweis der Zugehörigkeit zur Herrenklasse“ (Ueding, 69) wirkt, führt der spätere Abenteuerroman aus der bekannten Welt hinaus, wobei z. B. Krieg, Fernweh, Entdeckungslust,

3

kaufmännische Unternehmungen das Motiv sein können oder auch der pure Zufall die Regie übernimmt. Dieser Wendung verdanken sich gerade auch die Abenteuerromane im engeren Sinne: Sie schildern überwiegend die Erlebnisse von Personen, die aus einer konventionellen Lebensweise in der Zivilisation ausbrechen, weil sie dazu gedrängt bzw. gezwungen werden oder weil sie sie als zu eintönig und lähmend empfinden. Der „Schritt aus der Ordnung“ (Best, 71) führt in ferne Länder (D Exotismus), mit Nordamerika als beliebtestem Schauplatz, in einer besonderen Ausprägung aber auch, wie modellhaft bei Euge ` ne Sue in den ,Geheimnissen von Paris‘, zu den düsteren, unter einer scheinbar geordneten Oberfläche verborgenen Schattenseiten der Heimat des Protagonisten; die Begegnung mit dem Fremden, Widerständigen zeitigt dann jene extremen, häufig lebensgefährlichen Erlebnisse, die den Inhalt des Abenteuerromans ausmachen: Kampf mit wilden Tieren, Naturgewalten oder menschlichen Kontrahenten. Innerhalb dieses Rahmens setzen die herausragenden Repräsentanten des Genres eigene Akzente: Charles Sealsfield (Karl Postl) etwa stellt seine Romane in den Dienst republikanischer Ideale, Balduin Möllhausen zeigt in einigen Arbeiten seine Figuren zunächst ausführlich in Deutschland, dann in der amerikanischen Wildnis, Karl May operiert mit einem Ich-Erzähler als heroischem Serienhelden. In der Nachfolge von Karl May wurde der Abenteuerroman zu einem der beliebtesten Genres des Trivialromans. Spätestens seit der Mitte des 20. Jhs. verlagert sich die literarische Inszenierung abenteuerlichen Geschehens zunehmend in extraterrestrische Sphären (D Science fiction), und die alten Romane werden auf dem Buchmarkt vor allem in Bearbeitungen für jugendliche Leser vertrieben, die wohl ohnehin seit langem den größten Teil des Publikums bilden. Andererseits wurde die Struktur des Abenteuerromans vor allem in außerdeutscher Literatur in experimentellen Romanen (D Nouveau roman) adaptiert. ForschG: Von der Erweiterung des Literaturbegriffs in den 1960/70er Jahren und von

4

Absurd

der Beschäftigung mit der D Trivialliteratur profitiert auch der Abenteuerroman. Der ältere Typus wurde vor allem von sozialund mentalitätsgeschichtlichen Studien wiederentdeckt. Das vermeintlich simple Reihungsprinzip erwies sich als Instrument zur Thematisierung zuvor ausgegrenzter und unbeachteter Sachverhalte. An Verknüpfungsregeln und Aufbau ließen sich Integrationskraft und Wandel von Weltmodellen nachweisen. Ähnliches gilt auch für den Abenteuerroman des 19. Jhs. Hinzu kam die Auseinandersetzung mit Autoren, mit denen man sich vorher allenfalls am Rande befaßt hatte (May, Retcliffe, Möllhausen). Den zentralen Bezugspunkt bildet oft, implizit oder ausdrücklich, die Kolportagetheorie Ernst Blochs, der einen Gedanken Georg Simmels (die „Atmosphäre des Abenteuers“ sei „unbedingte Gegenwärtigkeit, das Aufschmelzen des Lebensprozesses zu einem Punkt“; Simmel, 77), zu der Vorstellung weiterentwickelt, im Extremismus des Abenteuers artikuliere sich ein „nach außen gebrachter Traum der unterdrückten Kreatur, die großes Leben haben will“ (Bloch, 172), ein ⫺ bei aller Gefahr der Vereinnahmung durch reaktionäre Tendenzen ⫺ letztlich utopisch-revolutionärer Impetus. Diese von Bloch nur skizzierten Gedanken werden präzisiert und weiter entfaltet: Der Abenteuerroman knüpfe an bürgerlichemanzipatorische Tendenzen in der Literatur des 18. Jhs. an (Ueding); die dem Helden im Abenteuer zuteil werdende Initiation sei die „Konstitution einer neuen Persönlichkeit, die die Grenzen der alten verlassen hat“ (Steinbrink, 18); und die Gattung erzähle vorwiegend „von den Abenteuern der fünf Sinne“, die hier „zu ihrer höchsten, Sein und Bewußtsein verschmelzenden Bedeutung gelangen“ (Eggebrecht, 7). Andere Kommentatoren ziehen dagegen die einseitige Pointierung der ,progressiven‘ Seite des Abenteuerromans in Zweifel, indem sie darlegen, der Tagtraum dieser Texte funktioniere „auch nach rückwärts, in Richtung einer konservativen Gegenutopie, inklusive Machtrausch und Menschenverachtung“ (Märtin, 17). Lit: Armin Ayrenschmalz: Zum Begriff des Abenteuerromans. Diss. Tübingen 1962. ⫺ Otto

F. Best: Abenteuer ⫺ Wonnetraum aus Flucht und Ferne. Frankfurt 1980. ⫺ Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt 1962. ⫺ Harald Eggebrecht: Sinnlichkeit und Abenteuer. Die Entstehung des Abenteuerromans im 19. Jh. Berlin, Marburg 1985. ⫺ Harald Fricke: Karl May und die literarische Romantik. In: Jb. der Karl-MayGesellschaft 1981, S. 11⫺35. ⫺ Andreas Graf: Der Tod der Wölfe. Das abenteuerliche und das bürgerliche Leben des Romanschriftstellers und Amerikareisenden Balduin Möllhausen (1825⫺ 1905). Berlin 1991. ⫺ Martin Green: Seven types of adventure tale. University Park 1991. ⫺ Hans Hofmann: Historische Wandlungen des Erlebnisphänomens ,Abenteuer‘. In: WB 23/1 (1977), S. 72⫺88. ⫺ Volker Klotz: Abenteuer-Romane. Sue ⫺ Dumas ⫺ Ferry ⫺ Retcliffe ⫺ May ⫺ Verne. München, Wien 1979. ⫺ Ralf-Peter Märtin: Wunschpotentiale. Geschichte und Gesellschaft in Abenteuerromanen von Retcliffe, Armand, May. Königstein 1983. ⫺ Michael Nerlich: Kritik der Abenteuer-Ideologie. Beitrag zur Erforschung der bürgerlichen Bewußtseinsbildung 1100⫺1750. 2 Teile. Berlin (Ost) 1977. ⫺ Volker Neuhaus: Der zeitgeschichtliche Sensationsroman in Deutschland 1855⫺1878. Berlin 1980. ⫺ Hans Plischke: Von Cooper bis Karl May. Eine Geschichte des völkerkundlichen Reise- und Abenteuerromans. Düsseldorf 1951. ⫺ Alexander Ritter: Darstellung und Funktion der Landschaft in den Amerika-Romanen von Charles Sealsfield (Karl Postl). Diss. Kiel 1969. ⫺ Helmut Schmiedt: Karl May. Frankfurt 31992. ⫺ Gunter G. Sehm: Der ethnographische Reise- und Abenteuerroman des 19. Jhs. Wien 1972. ⫺ Georg Simmel: Philosophische Kultur. Leipzig 1911. ⫺ Bernd Steinbrink: Abenteuerliteratur des 19. Jhs. in Deutschland. Tübingen 1983. ⫺ Jean-Yves Tadie´: Le roman d’aventures. Paris 1982. ⫺ Gert Ueding: Glanzvolles Elend. Versuch über Kitsch und Kolportage. Frankfurt 1973.

Helmut Schmiedt

Abgesang D Barform D Kanzone Abstrakte Prosa D Kurzprosa Absurd Widersinnig; sinnlos. Expl: Das Prädikat absurd wird allgemein verwendet sowohl (1) für Aussagen, die mit

Absurd den Anforderungen der Logik (z. B. Widerspruchsfreiheit) nicht zu vereinbaren, als auch (2) für Sachverhalte (z. B. Verhaltensweisen), die mit den Mitteln der Vernunft nicht zu begreifen sind. Als literaturwissenschaftlicher Terminus, der auf die existentialistische Philosophie (Sartre, Camus; DExistentialismus) zurückgeht, bezieht sich absurd (3) auf Texte über die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz als ganzer (DAbsurdes Theater). WortG: Lat. absurdus (der etymologische Zusammenhang mit lat. surdus ,taub‘ oder susurrus ,Zischen‘ ist umstritten) bezeichnet etwas, das dem Gehör (Cicero, ,De oratore‘ 3,41) oder ⫺ im übertragenen Sinne ⫺ der Vernunft oder dem Anstand zuwider oder auch einfach nur für einen bestimmten Zweck ungeeignet ist (Cicero, ,De oratore‘ 2,85). Seit dem Anfang des 17. Jhs. ist das dt. Lehnwort absurd mit der Bedeutung ,ungereimt‘, ,widersinnig‘ gebräuchlich (DWb2 1, 1113 f.). Daß schon Goethe die Substantivierung das Absurde häufig benutzt (z. B. „Das Absurde mit Geschmack dargestellt, erregt Widerwillen und Bewunderung“; FA 13, 1.227), dürfte ihren literarischen und literaturwissenschaftlichen Gebrauch in der 2. Hälfte des 20. Jhs. mitgeprägt haben. Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke [Frankfurter Ausgabe, FA]. Frankfurt 1987 ff.

BegrG/SachG: Der vormoderne Begriff ,absurd‘, seinem Inhalt nach (,Widersinniges‘) unverändert geblieben, ist in unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen geradezu gegensätzlich ausgelegt worden. Im Kontext der Logik bedeutet absurd soviel wie ,den Anforderungen der Vernunft nicht genügend‘, im Kontext der Theologie kann absurd dagegen ,die Leistungsfähigkeit der Vernunft überfordernd‘ meinen. Die Logik kennt seit der Antike das Beweisverfahren der reductio (auch: deductio) ad absurdum: die Wahrheit eines Satzes kann indirekt bewiesen werden durch den Nachweis, daß aus dem kontradiktorischen Satz zwingend etwas Absurdes folgt, d. h. eine Aussage, die in sich widersprüchlich ist oder einer anderen, offenkundig wahren Aussage widerspricht. Die christliche Theologie verfügt seit ihrer Frühzeit über das Argument, daß

5

Absurdes (z. B. der Tod des Sohnes Gottes), gerade weil es die menschliche Vernunft beleidigt, nur Gegenstand des Glaubens sein kann. Dieses Argument findet sich zuerst bei Tertullian (,De carne Christi‘, 5) und wird später u. a. von der mystischen Theologie im Gefolge des Dionysius Areopagita, von Pascal und Kierkegaard wieder aufgenommen. Es wird erst im 18. und 19. Jh. in die Formel ,credo quia absurdum‘ (ich glaube es, weil es absurd ist) gefaßt (vgl. Marwald, 79⫺87). Die theologische Verwendung des Begriffs wird im 20. Jh. maßgebend für dessen Umformung in der atheistischen Philosophie des französischen Existentialismus. Der Begriff wird von Sartre (,La nause ´e‘, 1938) und insbesondere von Camus (,Le mythe de Sisyphe‘, 1942) verdoppelt und universalisiert. Einerseits umfaßt er das ⫺ wegen der Abwesenheit eines sinngebenden Gottes ⫺ objektiv Sinnlose überhaupt, d. h. Welt und menschliche Existenz als ganze, andererseits eine subjektive und sich auch literarisch auswirkende Einstellung der Sinnlosigkeit gegenüber: die widervernünftige, weil in sich widersprüchliche Revolte gegen die gleichwohl als unabänderlich anerkannte Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz. ForschG: Da ,absurd‘ erst durch den Existentialismus zu einem philosophischen Zentralbegriff geworden ist, hat die Erforschung seiner Vorgeschichte erst in den 1960er Jahren begonnen (vgl. HWbPh 1, 66 f.), ist aber kaum weitergeführt worden, so daß die begriffsgeschichtliche Kenntnis immer noch lückenhaft ist. Die Analyse des Absurditätsbegriffs von Sartre und Camus und seiner literarischen Auswirkungen (vgl. z. B. Baker, Milman) wird seit derselben Zeit kontinuierlich fortgesetzt. Lit: Richard E. Baker: The dynamics of the absurd in the existentialist novel. New York u. a. 1993. ⫺ H. Gene Blocker: The metaphysics of absurdity. Washington 1979. ⫺ Albert Camus: Le mythe de Sisyphe. Essai sur l’absurde. Paris 1942 (dt.: Der Mythos von Sisyphos. Hamburg 1959). ⫺ Donald A. Crosby: The speaker of the absurd. Sources and criticism of modern nihilism. Albany 1988. ⫺ Jean-Louis Gardies: Le raisonnement par l’absurde. Paris 1991. ⫺ Wolfgang F. Haug:

6

Absurdes Theater

Sartre und die Konstruktion des Absurden. Hamburg 31991. ⫺ Re´gis Jolivet: Sartre ou la the´ologie de l’absurde. Paris 1965. ⫺ Michael Lauble: Sinnverlangen und Welterfahrung. Albert Camus’ Philosophie der Endlichkeit. Düsseldorf 1984. ⫺ Johann Rudolf Marwald: Die Bedeutungsentwicklung von frz. absurde und absurdite´. Diss. Bonn 1968. ⫺ Yoseph Milman: Opacity in the writings of Robbe-Grillet, Pinter, and Zach. A study in the poetics of the absurd literature. Lewiston 1991. ⫺ Leo Pollmann: Sartre und Camus. Stuttgart, Berlin 2 1971. ⫺ Matthias Rath: Albert Camus. Absurdität und Revolte. Heidelberg 1983. ⫺ Bia...


Similar Free PDFs