Wilhelm Tell Handout - individuelle Freiheit PDF

Title Wilhelm Tell Handout - individuelle Freiheit
Course Einführung in die germanistische Sprachwissenschaft
Institution Universität Paderborn
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Wilhelm Tell Handout zur individuellen Freiheit...


Description

Individuelle Freiheit Die Grundthematik des Dramas „Wilhelm Tell“ ist die politische und individuelle Freiheit des Menschen. Dies wird in erster Linie in der Hauptperson „Wilhelm Tell“ behandelt. Im Folgenden werden die Fragen diskutiert, wie man die „individuelle Freiheit“ nach Schiller definieren kann. Inwiefern handelt Wilhelm Tell frei und inwiefern werden seine Entscheidungen von äußeren Zuständen beeinflusst? Verändert sich Wilhelm Tells individuelle Freiheit während der Handlung? Zunächst

wird

der

Terminus

„individuelle

Freiheit“

genauer

erläutert.

Der

Literaturwissenschaftler Wolfgang Riedel zitiert Schiller, der sich in seinem Aufsatz „Über das Erhabene“ (1801) zur Willensfreiheit des Menschen äußerte: ‚Umgeben von zahllosen Kräften, die ihm alle überlegen sind und den Meister über ihn spielen, macht er durch seine Natur Anspruch, von keiner Gewalt zu erleiden. Durch seinen Verstand zwar steigert er künstlicherweise seine natürlichen Kräfte, und bis auf einen gewissen Punkt gelingt es ihm wirklich, physisch über alles Physische Herr zu werden.‘1 Nach Schiller sei der Mensch durch nichts determiniert. Das Einzige, was den Menschen in seiner Freiheit einschränken würde, sei der Tod. 2 Demnach besitzt der Mensch ein autonomes Ich, welches nur durch den Tod auf die Grenzen der Natur und seines Körpers trifft. „‚Kein Mensch muß müssen‘- mit diesem Lessingzitat definiert Schiller die naturgeschichtliche Sonderstellung

des

Menschen.

Die

Willensfreiheit

als

ein

Gattungsmerkmal

(‚Geschlechtscharakter‘) erhebt ihn unter allen Natur-, speziell den Lebewesen zum singulären Fall, zur Ausnahme“.3 Der Mensch ist ein Wesen, das unabhängig von natürlichen sowie physischen Gesetzen ist. Diese Willensfreiheit sei durch den Geist und durch die Vernunft des Menschen gegeben.

1

Riedel, Wolfgang: Die Freiheit und der Tod. Grenzphänomene idealistischer Theorie. Theoriebildung beim späten Schiller. In: Bollenbeck, Georg (Hrsg.): Friedrich Schiller. Der unterschätze Theoretiker. Köln: Böhlau Verlag 2007. S.59-73, S.59. 2 Vgl. ebd. 3 Vgl. ebd., S. 60.

Der zentrale Punkt in Schillers Darstellungen ist der Wille. Der Wille sei weder dem natürlichen Gesetz noch der Vernunft in solcher Weise unterworfen, dass dieser nicht die freie Wahl zwischen beiden Instanzen besitzen würde.4 Der Wille entscheidet, von welcher Instanz er sich leiten beziehungsweise beeinflussen lässt. Dies zeugt auch von der Fähigkeit, die natürlichen Gesetze außer Acht zu lassen, indem er sich seinen eigenen Trieben widersetzt. An dieser Stelle zitiert Diana Schilling ein Zitat Friedrich Schillers: „‚Das Tier muß streben den Schmerz los zu sein, der Mensch kann sich entschließen, ihn zu behalten. ‘”5 Empfindungen, wie Schmerz oder Leid, können bei der freien Entscheidung eines Menschen unberücksichtigt bleiben. Dieser kann sich durchaus gegen die Befreiung von Schmerz entscheiden. Das ist eine Fähigkeit, die den Menschen von den Tieren unterscheidet. Ein Mensch kann gegen die eigene Moralvorstellung oder Vernunft handeln. Nach Schiller ist der Wille die Instanz, welche es ihm ermöglicht, wirklich frei zu sein, auch wenn er gegen die Moral oder die Vernunft handeln muss. Um dies zu verdeutlichen, zitiert Schilling an dieser Stelle Schiller: „‚[…] und es kommt ganz auf ihn selbst an, von welcher [Gerichtsbarkeit] er das Gesetz empfangen will.‘”6 Zu Beginn des Dramas wird der Naturmensch und Einzelgänger Wilhelm Tell als ein freier Mann dargestellt, welcher voller Tatendrang und aus intuitiver Überzeugung handelt. Durch seine Willenskraft und seine Entscheidungsfreiheit bildet der Protagonist in den ersten Akten einen eigenen Handlungsstrang. Dieser lässt sich von dem Handlungsstrang des „Rütlischwurs“ bis zur Apfelschussszene trennen. Die erste Textpassage, in welcher Wilhelm Tells individuelle Freiheit deutlich wird, ist die Rettung Baumgartens. Ohne jeglichen Zweifel und ohne Ängste hilft Wilhelm Tell Baumgarten bei der Flucht vor den Reitern des Burgvogtes. Ruodi möchte Baumgarten, aufgrund des gefährlichen Unwetters, nicht über den See fahren. Wilhelm Tell schreckt vor den Gefahren des Unwetters nicht zurück. Er zeigt sich als tapferer Mensch, der rettet und Hilfe leistet, wenn er dazu in der Lage ist. Wilhelm Tell: „Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt, / Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.“7 Die Rettung Baumgartens sieht Wilhelm Tell als moralische Pflicht an. Tell kann praktisch nicht anders, als 4

Vgl. Schilling, Diana: Über Anmut und Würde. In: Luserke-Jaqui, Matthias; Dommes, Grit (Hrsg.): SchillerHandbuch: Leben – Werk - Wirkung. Stuttgart: Metzler 2011. S. 388-398, S. 393 f. 5 Ebd. S. 394. 6 Ebd. S. 393 f. 7 Schiller, Friedrich: Wilhelm Tell. In: Luserke-Jaqui, Matthias (Hrsg.): Klassische Dramen. Maria Stuart, Jungfrau von Orleans, Wilhelm Tell. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1996. S. 385-505, V. 138 ff.

zur Tat zur schreiten. Wilhelm Tell: „Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich Euch, / Aus Sturmes Nöten muss ein Anderer helfen. / […] Ich hab‘ getan, was ich nicht lassen konnte.“8 So riskiert Wilhelm Tell sein eigenes Leben und stellt seine Prinzipien und seinen eigenen Willen über den Tod. Wilhelm Tell wird von keinen äußeren Zwängen beeinflusst und er entscheidet sich autonom zu dieser Handlung. In Bezug auf die Definition der individuellen Freiheit (s.o.) lässt sich sagen, dass Wilhelm Tell frei handelt, da er nach seinem Willen handelt, der von seiner moralischen Vernunft beeinflusst wird. In dem Gespräch mit Stauffacher (1. Akt, 3. Szene) zeigt sich, dass Wilhelm Tell nach seinem eigenen Willen handeln möchte und auf sich selbst vertraut. Bewusst grenzt er sich von dem Vorhaben des Rütlischwurs ab, da seine Handlungen auf intuitiven Reaktionen basieren. Tell möchte sich dem Rütlischwur nicht anschließen, weil er ein „Mann der Tat“ ist und Diskussionen und Versammlungen ablehnt. Trotzdem können die Rütlianhänger Tell rufen, wenn sie seine Hilfe bei einer Tat brauchen: „Doch was ihr tut, laßt mich aus eurem Rat, / Ich kann nicht lange prüfen oder wählen, / Bedürft’ ihr meiner zu bestimmter Tat, / Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.”9 Ein weiterer Grund für die Enthaltung an dem Rütlischwur ist, dass Tell die Meinung vertritt, dass „die einz’ge Tat jetzt Geduld und Schweigen [ist]“ 10. Der Frieden und die Harmonie würde nach Tell zu den Ruhigen und Stillen kommen, die keinen Aufstand entfachen. Trotz des hartnäckigen Versuchs, Tell von dem Rütlischwur zu überzeugen, gelingt es Stauffacher nicht, ihn als Anhänger zu gewinnen. Wilhelm Tell bleibt bei seiner Entscheidung, sich aus dem Vorhaben des Rütlischwurs heraus zu halten. Er ist frei von äußeren Zwängen der Gesellschaft. Die Apfelschussszene kennzeichnet einen dramaturgischen Wendepunkt in Wilhelm Tells individueller Freiheit und seinen Prinzipien, die er zu Beginn des Dramas gezeigt hat. Ohne Absicht hat Wilhelm Tell Gesslers Hut nicht gehuldigt. Tell entschuldigt sich bei Gessler und versucht sich zu fügen.11 Wilhelm Tell: „Verzeiht mir lieber Herr! Aus Unbedacht, / Nicht aus Verachtung Eurer ists geschehn, / Wär ich besonnen, hieß ich nicht der Tell, / Ich bitt um

8

Friedrich Schiller: Wilhelm Tell, V. 155-160. Ebd., V. 442 ff. 10 Ebd., V.420. 11 Vgl. ebd., V. 1865 ff. 9

Gnad‘, es soll nicht mehr begegnen.“12 Die Anrede „Verzeiht mit lieber Herr!“13 zeigt, dass der sonst selbstsichere und autonome Wilhelm Tell sich dem Vogt Gessler unterordnet. Zur Strafe erhält Wilhelm Tell den Befehl, einen Apfel von dem Kopf seines Sohnes Walther zu schießen. Damit gefährdet er sein Kind und Tell verspürt die Ungerechtigkeit und Einschränkungen durch die Willkürherrschaft. Wilhelm Tell: „Ich soll der Mörder werden meines Kinds! / Herr, ihr habt keine Kinder – wisset nicht, / Was sich bewegt in eines Vaters Herzen.“14 Im ersten Augenblick wirkt es so, als hätte Tell keine andere Möglichkeit, als Gessler zu gehorchen und den Apfel von dem Kopf des Sohnes zu schießen. Es scheint als wäre Tell in seinem Handeln eingeschränkt. Nach einer genaueren Betrachtung der Apfelschussszene, kann man erkennen, dass Wilhelm Tell in gewisser Weise doch nach seinem Willen handelt. „[I]ndem sich alle nach dieser Seite gewendet und Bertha zwischen Rudenz und den Landvogt sich geworfen, hat Tell den Pfeil abgedrückt.”15 Tell schießt den Pfeil so gesehen unbeobachtet vom Kopf seines Sohnes. Sein Wille ordnet sich nicht dem politischen Zwang unter, sondern richtet sich nach seiner Vernunft. Tell hat erkannt, dass dies die einzige vernünftige Lösung ist. Andernfalls würde ihm seine Freiheit entzogen. Fraglich bleibt jedoch, wieso er nicht bereits dort Gessler ermordet. Tell erwähnt, dass er den zweiten Pfeil für die Ermordung Gesslers eingeplant hat te, hätte er seinen Sohn getroffen. Man kann also vermuten, dass Tell die Ermordung Gesslers vermeiden wollte, da er diese unmoralische Tat nicht begehen wollte. So schießt er auf seinen Sohn, da seine Moralvorstellungen ihn davon abhalten, Gessler direkt zu ermorden. Dies scheint für Tell der einzige Weg zu sein, seine Unschuld zu bewahren. Er handelt aus ehrbaren Gründen, da er den Schutz seiner Familie an die erste Stelle stellt. Zu Unrecht wird Tell nach der Tat gefangen genommen. Allerdings kann er sich aus der Gefangenschaft schnell retten. Seine nächste Handlung, die Ermordung Gesslers, kennzeichnet eine deutliche Veränderung in seiner Entscheidungsfreiheit, da er aufgrund der äußeren Umstände dazu gezwungen ist, gegen die Politik vorzugehen. Sein Plan, sich dem politischen Vorhaben seiner Mitbürger zu entziehen, wird ihm verwehrt. In einer Gasse bei Küßnacht zeigt Wilhelm Tells Monolog seine plötzlich reflektierten Gedanken. Diese Szene kennzeichnet eine deutliche Ambivalenz

12

Ebd., V.1870 ff. Ebd. 14 Friedrich Schiller: Wilhelm Tell, V. 1900 ff. 15 Ebd., V. 2034 f. 13

zwischen moralischem Handeln und seiner Freiheit sich nicht von anderen Instanzen einschränken zu lassen. Aufgrund der bestehenden Bedrohung für seine Familie, fasst Tell den Entschluss, die Ermordung Gesslers durchzuführen. „[...] Und doch an euch nur denkt er, lieben Kinder, / Auch Jetzt – Euch zu verteidigen, eure holde Unschuld / Zu schützen vor der Rache des Tyrannen […]“16. Wilhelm Tell weiß, dass er unmoralisch und gegen seine gewöhnlichen Werte und Normen handelt. „Ich lebte still und harmlos. […] Du hast aus meinem Frieden mich heraus Geschreckt, in gährend Drachengift hast du / Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt, / Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt.“17 Diese reflektierte Art Tells zeigt, dass die Ermordung nicht seinem Willen entspricht. Seine Rechtfertigung en und sein Schuldbewusstsein indizieren, dass er aus einem inneren Zwang handelt. Wilhelm Tell wurde zu dieser Tat von den äußeren Zwängen beeinflusst. Allerdings hat er aus seinem eigenen Willen gehandelt, da er sich autonom entschlossen hat, den Vogt Gessler zu ermorden. Ihm wird klar, dass er Gessler töten muss, um seine Familie zu schützen. Im Vergleich zur Baumgartenszene wird in dieser Szene sein moralisches Dilemma und seine innere Unruhe deutlich. Es zeigt sich, dass Wilhelm Tell ein Teil seiner Identität „aufopfert“. Nach dieser Handlung legt er seine Armbrust ab und es wird deutlich, dass er mit dieser Schul d sein vorheriges Leben nicht mehr weiterführen kann. Aufgrund der äußeren Umstände sieht er keinen anderen Ausweg, als die Ermordung Gesslers einzuleiten. Tell weiß, dass dies eine moralisch falsche Tat ist. Er begeht diese Tat jedoch bewusst, um seine Familie zu schützen. Abschließend kann man festhalten, dass der „freie“ Mensch von moralischen Geboten, dem Gewissen und dem eigenen Verstand geleitet wird. Das heißt aber nicht zwingend, dass der Mensch dadurch nicht frei entscheiden kann. Die individuelle Freiheit kann als eine innere Freiheit interpretiert werden, die den Menschen unbewusst, aber auch im Sinne Schillers bewusst in seinen Entscheidungen und seinem Handeln leitet. Wilhelm Tell zeigt, dass der Mensch in seinen Handlungen frei sein kann. Er muss sich nicht unterordnen und kann nach dem Prinzip „kein Mensch muß müssen“ leben. Bei der Apfelschussszene sowie bei der Ermordung Gesslers, wo man vermuten könnte, dass er durch äußere Zwänge in seiner

16 17

Friedrich Schiller: Wilhelm Tell, V. 2632 ff. Ebd. V. 2568 ff.

Freiheit eingeschränkt ist, handelt Tell frei und nach seinem eigenem Willen. Seine Entscheidung, die moralisch falsche Tat (Ermordung Gesslers) umzusetzen, um den Schutz seiner Familie zu gewähren, ist nach Tells Ansicht ein ‚vernünftiger‘ Grund. Er handelt in diesem Sinne falsch, um schließlich das Richtige erreichen zu können. Er ‚opfert‘ seine Unschuld, indem er sich einer moralisch verwerflichen Tat schuldig macht. Dieses Opfer ist er bereit einzugehen, um seine Familie zu schützen....


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