02.10.17-Skript Erstsemester- Philosophie und Sozialarbeit PDF

Title 02.10.17-Skript Erstsemester- Philosophie und Sozialarbeit
Course Theorien der Sozialen Arbeit
Institution Duale Hochschule Baden-Württemberg
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02.10.17-Skript Erstsemester- Philosophie und Sozialarbeit...


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1) Der Glaube an die 12 gemeinsamen olympischen Götter als Hauptgötter, die über den autochthonen (lokal gebundenen) Göttern der einzelnen Stämme stehen, und damit verbunden: 2) die Achtung der panhellenischen Heiligtümer Olympia und Delphi (sowie weiterer solcher Heiligtümer), 3) die Wahrung des panhellenischen Friedens während der Vorbereitung und Dauer der Olympiaden sowie der anschließenden Heimreise der Athleten und eventueller Siegesfeiern und zudem während der gemeinsamen Abwehr äußerer Feinde, 4) die Beherrschung der gemeinsamen Sprache in Wort und Schrift (damit setzten sich die Griechen von den „Barbaren“ ab, gemäß ihrem Verb ‚barbarein‘ und dem Adjektiv ‚barbaros = nicht griechisch, unverständlich redend), 5) die allgemeine Anerkennung der Idee der Polis (des befestigten und die mit ihm liierten Landschaften beschützenden Stadtstaats) als fundamentaler politischer Organisationsform, die demokratisch geführt wird (und nicht mehr autokratisch oder monarchisch) 6) die heilige Pflicht des wechselseitigen Beistands bei Bedrohung durch äußere Feinde, 7) die Achtung und Wahrung der territorialen Einheit aller Länder, in denen Hellenen wohnen und siedeln. Die dadurch gewährleistete innere Ordnung Griechenlands kann also als eine Vorform des föderalistisch gegliederten Nationalstaates angesehen werden. Die Identitätsstiftung durch Glauben und Sprache in territorialer Einheit wird später die Begründung für die Bildung der Nationalstaaten im christlichen Abendland. Die griechischen kulturellen Entwicklungs- und Kunst-Epochen dieser Zeit beginnen im 8. Jahrhundert vuZ, etwa dann, als mit der präzisen Datierung der ersten komplett aufgelisteten olympischen Spiele im Jahre 776 die historische griechische Zeitrechnung beginnt. Diese nun beginnende Anfangsphase der griechischen Kunstentwicklung nennt man von 800–480 Die archaische Phase der griechischen antiken Kunst und Kultur Sie erlebt einen Höhepunkt in der Zeit zwischen 650 und 480 vuZ. Nach einer Epoche der Selbstfindung und Stabilisierung entwickelt sich die griechische Kultur frei von asiatischen Einflüssen. In ihrem expandierenden Einflussbereich dominiert die griechische Kultur in ihrer nun gewonnenen Eigenständigkeit sogar die autochthonen Kulturen anderer Länder und führt zu ersten Höchstleistungen in Handwerk, Kunst, Architektur und zur Entstehung dessen, was wir noch heute Philosophie nennen. Sie geht über in die klassische Phase von 480–330 Die klassische Phase der griechischen antiken Kunst und Kultur Ihr verdanken wir nahezu alles, was man allgemein gerne als griechische Antike bezeichnet, so z.B. den Neubau der Akropolis von Athen, wie wir sie noch heute erkennen können. In diese Phase fällt auch die Entwicklung der klassischen griechischen Philosophie. Mit und seit Alexander dem Großen entwickelt sie sich zur von 330–30 währenden Hellenistischen Phase der griechischen Kunst und Kultur 1

Ab ca. 200 vuZ kennen wir auch einen römischen Hellenismus, seit 30 vuZ sprechen wir ausschließlich von der römischen Antike (bis ca. 476).

Was markiert nun die Anfänge des Philosophierens? Heraklit1 lehrte mit Bestimmtheit: Alles fließt! – panta rhei –, alles ist im Fluss bzw. in (ewiger) Bewegung; eigentlich soll er gesagt haben: Du steigst in den(selben) Fluss und nicht in denselben! Der kurze Spruch wird Heraklit nur zugeschrieben, fasst aber in der wohl authentischen Langfassung seine Lehre gut zusammen. Denn: In dieser „Fließlehre“ wird über die Welt behauptet, sie sei ständigem Wandel unterworfen, womit auch ständiger Verfall von einmal Gewesenem zusammenhängt. Dass man dieses ewige Werden und Vergehen überhaupt erkennen kann, liegt an der Einheit der Welt als Universum aller Kräfte und Wesenheiten, der Vergangenen, der aktuell Wirkenden wie auch der Kommenden. Hen kai pan: Eins und Alles, das Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen, das gilt es zu ergründen. Eins ist alles, und alles ist Eins. Eine dynamische Weltsicht, ein erster Einblick in die Evolutionslehre, die noch unserem heutigen Weltbild zugrunde liegt, und die sich doch zugleich auf ein ewiges Bestehendes bezieht. Hier greift Parmenides2 ein: „Warum ist überhaupt etwas, und warum ist nicht einfach nichts?“. Diese Ausgangsfrage bringt, in der Versenkung des Geistes darauf, eine klare Antwort zustande: Das Sein in der mannigfaltigen Gestalt des Seienden ist – und das NichtSein ist nicht. Auf Deutsch: alles, was man sinnlich und ideell begreifen kann3, existiert auch; aber alles, was man nicht begreifen kann, das gibt es auch nicht. Das Sein ist zugleich das göttlich-wahre Seiende. Diese unumstößliche (Grund-) Gewissheit: dass es das wirklich gibt, was wir zu erkennen normalerweise nur meinen, ist ein erster Grundsatz der Philosophie als Ontologie, als der Lehre vom Sein und vom Seienden. Dinge wie Gedanken, soweit sie klar sind, haben als Seiende Teil am umgreifenden Sein. Das Sein ist der Urgrund alles Bestehenden, Vergehenden, aller Dinge und Ideen, es ist die abstrakte Totalität alles Existierenden. Selbst die Existenz (aber nicht die Entstehung oder Herkunft) der Götter lässt sich daraus herleiten. Parmenides begründet darüber hinaus den „Satz vom Widerspruch“, einer logischen Grundwahrheit, die in seiner Formulierung lautet: „Dasselbe kann nicht zugleich sein und nicht sein“. Heraklits Element der Bewegung, des Werdens und Vergehens, fällt für ihn unter das Verdikt seines Satzes vom (ausgeschlossenen) Widerspruch, denn: Wirklich Seiendes ist immer ganz, vollendet, gegenwärtig, ohne Entstehen und Vergehen, eins, mit sich identisch. Was nicht in dieser Weise „entweder ganz und gar oder überhaupt nicht“ ist, die Welt der Mischung, der Vielfalt und des Wandels, wird ins Reich der Erscheinung und der menschlichen Meinungen (doxa, hier in einem sehr speziellen Sinne gebraucht, s Anm. 3) relegiert. Damit widerspricht Parmenides – und mit ihm auch Heraklit – der Lehre des älteren FrühPhilosophen Anaximander4 von einem qualitativ und quantitativ unbestimmbaren Urstoff, dem apeiron. Anaximander gebraucht als Erster diesen Begriff als Terminus > philosophischen Fachbegriff für diesen jeder konkreten Existenz vorausliegenden Urstoff. 1 Heraklit, Herakleitos von Ephesus, ca. 550-480 vuZ, wegen seiner seinen Mitmenschen oft unverständlichen Äußerungen „der Dunkle“ genannt 2 Parmenides von Elea in Unteritalien, ca. 515-445 vuZ; seine Lehre besteht 1. aus einer Lehre von der Wahrheit (aletheia) und 2. aus einer Lehre vom Trug, vom bloßen Meinen (doxa), deren Verhältnis stark umstritten ist 3 zu jener Zeit in Griechenland: noein, denken oder durch denken erschließen 4 Anaximandros von Milet in Kleinasien, ca. 611-547 vuZ, Schüler des Thales

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Dies prä-existente, alle Möglichkeiten enthaltende apeiron ist unvergänglich. Was sich aus ihm heraus realisiert, muss wieder vergehen, das heißt, wieder in das apeiron zurücksinken „nach der Notwendigkeit“ (ein Vorgriff auf den Entropie-Satz, 2. Hauptsatz der Thermodynamik5). Denn es liegt Unrecht (adixia) darin, dass das konkrete Entstehende (nur) eine der vielen Möglichkeiten wahrnahm; dafür zahlt es gerechterweise Strafe durch seinen Untergang. Folgerichtig können viele Welten entstehen, die wieder vergehen müssen. Wir finden hier ein ethisches Prinzip in der frühen Naturphilosophie, welches für die Thermodynamik natürlich ausgeschlossen ist. Naturwissenschaftlich befasste Anaximander sich mit den Abständen, den Bahnen und der Größe der Gestirne. Er war auch der erste, der die Erde nicht als Scheibe (Diskus) ansah, sondern als Zylinder, auf dessen oberer Kreisfläche sich die oikoumene, die Gemeinschaft der Menschen mit ihrem Wirtschaften befindet. Aber sein fruchtbarster Gedanke für die Entwicklung philosophischen Denkens war die Trennung zwischen latenter Potentialität und geprägter Aktualität des Seins. Die genannten Philosophen gehören zu den griechischen Denkern, die man unter dem Titel Vorsokratiker zusammenfasst. Es sind alle jene Philosophen, die vor dem historischen Sokrates6 aufgetreten sind und fast alle das gleiche Schicksal erlitten, nämlich, dass von ihren Originalschriften nur wenige Fragmente erhalten sind, die es schwer machen, ihre Lehren stringent zu rekonstruieren. Deshalb müssen wir uns in ihrer Deutung auf die philosophische Rezeptions- und Wirkungsgeschichte beziehen, die so genannte Doxographie. Denn aus der mündlichen Überlieferung der einzelnen philosophischen Lehren wurde irgendwann eine schriftliche Tradition, wir kennen sie spätestens seit den beiden bestbekannten „Begründern“ der abendländischen Philosophie aus dem 4. Jh vuZ, Platon7 und Aristoteles8. Beide waren Schüler des Sokrates, dessen Lehren sie beide schriftlich festgehalten haben, Platon als älterer in seinen so genannten Dialogen, Aristoteles, der als Jüngerer vor allem Schüler des Platon war, in seinen systematischen Schriften zu den einzelnen Teilgebieten seiner philosophischen Lehre.

Was sind nun die alten und noch heutigen Teilgebiete der Philosophie als Wissenschaft? Erwähnt wurden bereits die Ontologie als Lehre vom Seienden als Seienden und die Lehre vom ewigen Werden und Vergehen als „Prozess-Ontologie“. Nun haben wir mit der schriftlichen Tradition der Doxographie als eines der wichtigsten Teilgebiete die „Geschichte der Philosophie“ angeschnitten. Ohnehin wird noch heute die Philosophie in „systematische“ und „historische“ eingeteilt. Die Philosophie war die erste Form des systematischen und folgerichtigen Denkens, die ihre Hauptthemen aus den Ansichten der Alten heraus entwickelte. Das hat sich bis heute so erhalten: Die Philosophiegeschichte ist

5 Der 1. Hauptsatz lautet: Die (Menge der) Energie der Welt ist konstant, die Entropie (Energieverteilung) der Welt strebt einem Maximum zu. Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik besagt auf empirischer Grundlage, dass in geschlossenen Systemen (wie der physikalischen Welt) alle Prozesse, die mit einer Entropieänderung verbunden sind, nur in einer (zeitlichen) Richtung ablaufen, ihre zeitliche Umkehrung wird dadurch ausgeschlossen – bis zur Implosion in den Wärmetod des Weltalls. Diese Entwicklung konstituiert den klassischen physikalischen Zeitbegriff 6 Sokrates von Athen, ca. 470-399 vuZ, neben seiner Tätigkeit als philosophischer Aufklärer sind Kriegsdienst und politische Ämter überliefert; es gibt keine Schriften von seiner eigenen Hand 7 Platon von Athen oder Ägina, 428/427-348/347 vuZ., Schüler des Sokrates, dessen Lehre er aufzeichnete und in idealistischem Sinne weiterentwickelte 8 Aristoteles von Stagira, einer ionischen Kolonie auf Chalkidike in Thrakien, 384-322 vuZ., nach seiner Heimat später oft „der Stagirite“ genannt, hat ein umfangreiches Werk geschaffen, mit dem er zum 1. Systematiker der Philosophiegeschichte wurde; seine Werke sind meist Vorlesungsmitschriften seiner Schüler, die er dann redigierte

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nach wie vor eines der Hauptlehrgebiete des Faches, weil nur sie wirklich die Entwicklung der philosophischen Terminologie, also ihrer Fachsprache, nachvollziehbar macht. Der Begriff der Philosophie, dem Wort nach, ist „Liebe zur Weisheit“, nicht zur „Wahrheit“. Weisheit ist bei den Griechen eine Tugend (eine der vier elementaren oder Kardinaltugenden > Ethik, 5. Sem.), das Erlernen und Behalten von positivem Wissen über die Welt und über das Leben des Geistes ist höchst erstrebenswert und wertvoll für die Orientierung der Menschen in der Welt. In diesem Sinne kann man die alte Philosophie auch als (streben nach höchster) Bildung bezeichnen. In ihr geht es immer um Wahrheit, aber schon damals nicht in einem absoluten Sinne, laut dem es eine Wahrheit schlechthin gäbe, die unumstößlich sei. Sondern fast alle griechische Philosophie spielt sich im Dialog ab, der Philosoph spricht mit sich selbst, mit den Göttern oder mit Kollegen – oder auch ganz normalen Menschen. Man wägt Argumente ab, stellt Thesen auf und verteidigt sie, während man andere Thesen zu widerlegen versucht. „Wem die Argumente ausgehen, der hat verloren“ wäre zu diesem Sprachhandeln der falsche Spruch; es geht eher darum, über einen Ausgang der Diskussion Übereinkunft zu erzielen, und läge er in einer logischen Aporie (als einem unauflöslichen Widerspruch) oder in einem handlungsbezogenen Dilemma, das nicht lösbar erscheint9. So werden festgefügte Meinungen relativiert, liebgewonnene Ansichten, die von vielen geteilt werden, als bloßes ignorantes Meinen entlarvt und auch Methoden der Diskussionsführung als Demagogie und reines politisches Kalkül ohne Wahrheitsgehalt angeprangert. Dadurch und seit Sokrates unterscheidet man zwischen nach Wissen und Weisheit strebender Philosophie und der Sophistik, die eine verselbständigte Rhetorik benutzt, um vor Gericht z.B. das Recht beugen zu können oder mit perfiden Gedankenführungen und scheingerechtfertigten Behauptungen (fake news, post-faktisches Argumentieren) die Menschen von Absurditäten als Wahrheiten zu überzeugen (sophistische Eristik10). Als Philosophen werden nur Denker bezeichnet, die nicht mit einem Wahrheitsanspruch auftreten, eben solche, die der Sokratischen Methode der Gesprächsführung folgen. Dessen „Mäeutik“ genannte „Hebammenkunst“ als Methode der Aufklärung über den wahren Gegenstand einer (philosophischen) Auseinandersetzung entspricht dem oben bereits erwähnten Verfahren, nur wissen wir jetzt, dass es Sokrates war, der diese Methode zur Perfektion entwickelte. Wie ernst er die Methode nahm, zeigt sich an einigen seiner markanten „Merksprüche“, die in der Philosophiegeschichte mit ihm verknüpft sind. Sein „gnoti se auton“ - erkenne Dich selbst! – gehört dazu, der Aufruf an seine Kollegen, zuerst den eigenen Charakter zu erkunden, bevor man sich etwa als Ratgeber anbietet. Und als er von einem weitgereisten Kollegen, der dazu das Orakel von Delphi befragt hatte, einmal als „der weiseste aller Männer“ bezeichnet wurde, antwortete er mit Bestimmtheit: ich weiß, dass ich nichts weiß! Das sollte bedeuten, dass er weise in dem Sinne sei, als er wenigstens so viel weiser als seine Mitmenschen war, die mit ihrem positiven Wissen prahlen und sich ihrer Sache stets so sicher sind, dass er wisse, nichts wirklich sicher zu wissen. Sokrates hat hierin in gewissem Sinne einen Vorläufer in Heraklit. Denn Heraklits Denken in Gegensätzen, die zum Ausgleich gebracht werden durch ihren Widerstreit, ist der Beginn dessen, was in der Philosophiegeschichte Dialektik genannt wird, was eigentlich „Kunst der Gesprächsführung“ (dialektike techne) bedeutet. Die Welt stellt sich in Gegensatzpaaren 9 Ein Dilemma, griechisch dilēmmatos „aus zwei Sätzen bestehend“; spätgriechisch als eigenes Wort dílemma „eine Schlussart, durch welche der Gegner von zwei Seiten, er mag zugeben oder nicht, gefangen wird“; Plural Dilemmata oder eingedeutscht Dilemmas, auch Zwickmühle, bezeichnet eine Situation, die zwei Möglichkeiten der Entscheidung bietet, die beide zu einem unerwünschten Resultat führen. Es wird durch seine Ausweglosigkeit als paradox (griechisch parádoxos „wider Erwarten, wider die gewöhnliche Meinung, unerwartet, unglaublich“) empfunden. Dazu Näheres im 5. Semester 10 Eristik, so genannt nach Eris, der griechischen Göttin der Zwietracht

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dar, die wir in Worten mit Leben/Tod, Tag/Nacht, Werden/Vergehen, Freiheit/Sklaverei, Zustimmung/Ablehnung bezeichnen. Dieses dynamische, auf den Ausgleich der Gegensätze hinwirkende Prinzip („Der Krieg ist der Vater aller Dinge“) und der die Natur wie die gesellschaftlich-politische Welt beherrschende Logos11 fordern diesen Ausgleich notwendig, damit nicht alles ins Chaos12 verfällt oder zurückfällt. Diese Einsicht in die Notwendigkeit befreit den Menschen zum normalen Leben – aber er muss diese Einsicht auch erringen. Dafür braucht es Wissen, das man den Menschen, sofern man eine Methode der Vermittlung gefunden hat wie Heraklit die Dialektik, beibringen muss. Keinesfalls darf man sie ohne Anleitung nach Wissen streben lassen. Deshalb ist er auch gegen die seinerzeitigen Modelle von Demokratie, aber ebenso gegen die traditionelle Adelsherrschaft; er vertritt eine elitäre Position des Vernunftadels. Aberglaube und dichterische Welterklärung werden von ihm kritisiert. Er vertritt als einer der Ersten also einen Standpunkt, der in der Philosophiegeschichte als Repräsentant des reflektierten Übergangs vom Mythos zum Logos bezeichnet wird. Zählen wir noch weitere Disziplinen der Philosophie auf, damit Sie eine Orientierung bekommen: Da ist die Erkenntnistheorie und dort speziell die Epistemologie (Wissenschaftstheorie), die sich mit dem Erwerb von (wissenschaftlichem) Wissen beschäftigt und als Erkenntnistheorie nach den Bedingungen der Möglichkeit von Wissen überhaupt fragt. Dann haben wir als Lehre vom folgerichtigen Denken die Logik. Neben der Religionsphilosophie (die in ihrer Ausübung ja an den Wahrheitsanspruch ihrer Gegenstände, den einzelnen Religionen und deren Offenbarungen, gebunden ist) ist die Logik übrigens die einzige philosophische Disziplin, die in ihrer Teildisziplin der Aussagenlogik den Begriff der Wahrheit benutzt: Eine Aussage kann nämlich in sich logisch wahr sein. Das liegt dann vor, wenn eine eindeutige Aussage, also ein sinnvoller sprachlicher Satz, ein Lemma (vgl. Anm. Fn. 10), allen Gesetzen der Lexikalik, Semantik und Syntax Genüge tut. – Dann haben wir als Theorien des richtigen Handels und Verhaltens in einer gegebenen sozialen Gemeinschaft die Ethik, und als Theorie der Wahrnehmung und der Schönheit die Ästhetik. Ihren Ausgang nahm diese Bewegung des speziell philosophischen Fragens jedoch in Betrachtungen über die Natur; viele der frühen Schriften, Lehrgedichte und Aphorismen nannten sich selbst – oder wurden in der Doxographie so genannt – peri physeos, „Über die Natur“; Philosophie als Reflexionstätigkeit (und noch nicht als Reflexionswissenschaft!) beginnt also als Physik, als Naturlehre. Als wichtigster Ansatz der später „Philosophieren“ genannten Tätigkeit war also das Nachdenken über die Naturphänomene und dort speziell der Sternenhimmel13. Thales14 soll der erste dieser vorsokratischen Naturphilosophen gewesen sein, begleitet von Pythagoras15 und seiner Schule. Als vorläufig letzte Disziplin muss noch die Metaphysik vorgestellt werden.

11 Dieser Logos, als höhere Vernunft oder Weisheit verstanden, repräsentiert in dieser Verwendung einen ordnenden Weltgeist, der auf den Schöpfer von Welt und Mensch verweist, „der schon alles richtig gemacht hat“; die Welt als Kosmos (von kosmein=schmücken, aber vor allem ordnen, regieren) weist an sich eine geordnete Struktur auf; wir haben hier einen ersten Hinweis auf das zentrale Problem der griechischen und später auch römischen und dann christlich-mittelalterlichen Philosophie, die nämlich aus gesellschaftlichen Zwängen heraus grundsätzlich theologisch begründet wurde, also als grundlegende Disziplin die Metaphysik ansahen. Insbesondere seit Kant und dann im frühen 20. Jahrhundert hat sich die Philosophie als wissenschaftliche Philosophie aus den Zwängen des metaphysischen Denkens befreit. 12 Chaos („die klaffende Leere des Weltraums“), in der antiken Vorstellung der mit ungeformtem und unbegrenztem Urstoff gefüllte, noch nicht die Gliederung der Dinge enthaltende Raum als Vorstufe des endlichen und wohlgeordnetem Kosmos 13 Wolfgang Schadewaldt: Griechische Sternsagen, Frankfurt, Fischer-Bücherei 1956, beschreibt den Beginn der griechischen Astronomie als Astrologie vor dem Übergang vom Mythos zum Logos 14 Thales von Milet in Kleinasien, ca. 625-527 vuZ., Begründer der Elementargeometrie 15 Pythagoras, geb. ca. 570/560 Samos, gest. um 480 in Metapont/Unteritalien, Philosoph, Politiker und Mathematiker

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Metaphysik ist der neuzeitliche Titel eines der philosophisch wichtigsten Bücher, die Aristoteles verfasst hat. Das Buch hatte ursprünglich keinen Titel, es war eine Zusammenstellung von Abhandlungen zu Grundfragen der Philosophie. Die Titelgebung geht auf eine bibliothekarische Einordnung in der Bibliothek von Alexandria zurück, nach der diese Schriftensammlung – nach welchem Ordnungssystem auch immer man sich das vorzustellen hat – „hinter“ der großen Physikvorlesung des Autors stand bzw. lag (in Form von Papyrusrollen). „Ta meta ta physika“ bedeutet auf Deutsch „das, was nach der Physik kommt“. Metaphysik leitet sich von dort her als die philosophische Disziplin ab, die sich mit rein theoretischen Fragen, z.B. nach...


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