2 Gehlens Ansatz der philosophischen Anthropologie PDF

Title 2 Gehlens Ansatz der philosophischen Anthropologie
Author Becci Tendo
Course Einführung in die Philosophie
Institution Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
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ist von meinem philo lehrer. seine zusammenfassungen und texte sind die besten, die es gibt...


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Arnold Gehlens Ansatz der Anthropologie

Arnold Gehlens Ansatz der Anthropologie Kompensation der Mängel und Entlastung durch Institutionen Arnold Gehlen (1904-1976) entwirft eine Anthropologie ohne Metaphysik: Der Mensch ist demnach kein Kompositum aus Geist und Natur. Andererseits sieht er den Menschen auch nicht wie die Evolutionsbiologie als „arrivierten Affen“, es gibt keineswegs einen nur graduellen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Vielmehr ist der Mensch als Ganzer ein Sonderentwurf der Natur. Seine Sonderstellung hat der Mensch, weil er ein Mängelwesen ist (vgl. Johann Gottfried Herder, „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“). Die Mängel sind Unangepasstheiten, Unspezialisiertheiten und Primitivismen. Sie zeigen sich im Fehlen des Haarkleides, der natürlichen Angriffsorgane, der spezifischen Schärfe der Sinnesorgane, der zur Flucht geeigneten Körperausstattung und der verlässlichen Leitung durch Instinkte, die dem Tier das Überleben ermöglichen. Außerdem ist der Mensch einer Reizüberflutung ausgesetzt, während Tiere durch eine artspezifische Wahrnehmung nur das für sie vital Notwendige erfassen. Lebensfähig ist der Mensch durch Kompensation der Mängel und Entlastung durch Institutionen. Die Bedeutung der Institutionen fasst Gehlen so zusammen: „Die Formen, in denen Menschen miteinander leben oder arbeiten, in denen sich die Herrschaft ausgestaltet oder der Kontakt mit dem Übersinnlichen - sie alle gerinnen zu Gestalten eigenen Gewichts, den Institutionen, die schließlich den Individuen gegenüber etwas wie eine Selbstmacht gewinnen […]. Die Forderungen des Berufes und der Familie, des Staates oder irgendwelcher Verbände, denen man angehört, regeln uns nicht nur in unserem Verhalten ein, sie greifen bis in unsere Wertgefühle und Willensentschlüsse durch.“ (Gehlen, Arnold: Anthropologische Forschung. Reinbek 1965. S.71) Institutionen sind Formen der Bewältigung lebenswichtiger Aufgaben, und sie sind stabilisierende Gewalten, etwas, worauf man sich im eigenen Verhalten und dem der anderen verlassen kann. Damit bieten sie eine bienfaisante certitude, eine wohltätige Fraglosigkeit und Sicherheit, die wiederum die Voraussetzung für ein persönliches erfinderisches und fruchtbares Wirken ist. Die Instinktreduktion beim Menschen wird durch die Schaffung von Verhaltensregeln, Normen und Gesetzen kompensiert, wie sie sich in den Institutionen Recht, Moral, Staat, Kirche, Schule, Familie, Ehe und Eigentum manifestieren. Die organische Unspezialisiertheit verlangt eine bewusste Naturbearbeitung durch Handwerk,

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Technik und Wirtschaft. Technik ist für den Menschen Organersatz (der Faustkeil als Waffe), Organentlastung (man denke an das Tragtier) und Organüberbietung (das Flugzeug ersetzt nicht nur die nicht gewachsenen Flügel, sondern überbietet sie weit über alle organische Flugleistung hinaus). Zur Technik zählt Gehlen auch die Zähmung und Züchtung von Tieren. Die Weltoffenheit, die mit Reizüberflutung und daher mit Unsicherheit einhergeht, bedarf als Gegengewicht einer entlastenden Weltdeutung. Sie geschieht im Mythos, in der Religion, in Wissenschaft und Philosophie sowie in der Sprache. Der Mensch ist ein handelndes Wesen, das heißt ein Wesen, das die beliebig vorgefundenen Naturumstände auf intelligente Weise verändert und zu seinen Zwecken, zur Sicherung des Überlebens, umformt. Dabei können Hände und Gehirn als spezialisierte Organe angesehen werden, aber in einem anderen Sinne als die tierischen: „Verwendungsvieldeutig, spezialisiert für unspezialisierte Aufgaben und Leistungen, gewachsen daher den unvorhersehbaren Problemen der offenen Welt.“ (ebd., S.95) Zum Handeln gehört, dass der Mensch nicht unmittelbar einem Reiz folgen muss, sondern innehalten und sich dem Reiz gegenüber verhalten kann. Der Mensch ist also von Natur ein Kulturwesen. Für Gehlen ist Kultur der Inbegriff der vom Menschen ins Lebensdienliche umgearbeiteten Natur. Einen Naturmenschen gibt es nicht. Kritik an Gehlen besteht vor allem darin, dass er das Angewiesensein des Menschen auf entlastende Institutionen überschätzt und den autonomen, mündigen Menschen, dem man die ganze Verantwortung und Selbstbestimmung zumuten kann, in seiner Anthropologie nicht berücksichtigt.

Freiheit und Institutionen Kritik an Gehlens Institutionenbegriff Menschen leben nicht als Einzelwesen und auch nicht mehr in familiären Clans und Stämmen, sondern als Bürger großer Gesellschaften und Staaten. Diese haben zahlreiche Institutionen ausgebildet, in die jeder eingebunden ist und denen er sich unterordnen muss.  Institutionen im Nahbereich: Ehe und Familie, Wohngemeinschaften, Gemeinschaften in Schulklassen und Arbeitskollegien, Nachbarschaften, Vereine und Berufsverbände, Kirchengemeinde, Fan-Clubs  Institutionen im Fernbereich: Gemeinde-, Landes- und Bundesbehörden, Polizei, Militär, Ökonomie, Justizverwaltung, Steuerverwaltung, Medien Alle diese Institutionen stellen Forderungen an uns, verbieten oder gebieten ein bestimmtes Verhalten. Sie formulieren, direkt oder indirekt, Rollenerwartungen und sorgen durch positive und negative Sanktionen dafür, dass wir ein bestimmtes Rollenverhalten zeigen. Die Sanktionen sind äußerst vielfältig und präzise abgestuft. Sie sorgen dafür, dass der Rollendruck erhalten

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bleibt. Institutionen sind also Widersacher der Freiheit: Sie schränken uns ein, dirigieren, zwingen und fordern Unterordnung. Theodor W. Adorno (1903 -1969) sah vor allem die „ins Ungeheure zusammengeballte Wirtschaft“ und die mit ihr verwobene Verwaltung als Institutionen, die den Menschen so sehr beherrschen, dass sie zur „entsetzlich drückenden Last“ werden und alle Entfaltungsmöglichkeiten „in einem nie dagewesenen Maß verkümmern“ lassen (vgl. Radio-Streitgespräch zwischen Theodor Wiesengrund Adorno und Arnold Gehlen. In: Grenz, F.: Adornos Philosophie in Grundbegriffen, Frankfurt a.M. 1974, S.247.) Gleichzeitig sind sie aber auch Garant der Freiheit: Ohne Institutionen wären wir, vor allem in der modernen, arbeitsteiligen Welt, gar nicht mehr überlebensfähig oder ununterbrochen damit beschäftigt, unsere elementaren Bedürfnisse nach Nahrung, Wohnung, Sicherheit zu befriedigen, so dass für freie Entfaltung keinerlei Spielraum bliebe. Der Kulturphilosoph Arnold Gehlen hat auf diese freiheitssichernde Entlastungsfunktion der Institutionen verwiesen. Er sieht den Menschen als instinktarmes Mängelwesen gegenüber den Tieren. In der Natur könnte der Mensch nicht (mehr) überleben, daher kompensiert er seine Mängel durch Kultur, und in dieser bildet er Institutionen aus, die ihm das Überleben sichern: Statt täglicher Nahrungssuche durch Jagd und Sammeln von Essbarem reicht nun der Gang zur Institution „Supermarkt“; statt permanenter Wachsamkeit gegenüber Feinden reicht die Telefonnummer der Institution Polizei. Institutionen sind also ambivalent (mehrdeutig) in ihrer Beziehung zur Freiheit:

Institutionen als Widersacher

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prägen Rollenerwartungen und Rollen, die wir zu spielen haben, somit wird ein Gruppendruck ausgeübt beschränken die Selbstbestimmung durch Verbote, Pflichten, Gesetze (Steuern, Arbeitspflicht, Schulpflicht) bedrohen freie Entfaltung durch das Gewaltmonopol des Staats und Verpflichtungen in Familie, Schule, Betrieb etc. erzwingen ein Absehen vom nur persönlichen Nut-

oder der Freiheit?

Garant

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befreien aus Hilflosigkeit (Eltern) bieten Schutz vor Übergriffen anderer, die meine Freiheit beschränken wollen (Polizei, Justiz, Militär) bieten Entfaltungsmöglichkeiten für meine Bedürfnisse (Vereine, Parteien, Kirchen, peergroups) entlasten von der Überfülle von Eindrücken, die mich lähmen würden, schaffen Freiräume für

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Arnold Gehlens Ansatz der Anthropologie zen, fordern eine Berücksichtigung des Allgemeinen und des Gemeinwohls.

das Handeln wirken wissens-, gewissens- und charakterbildend als Voraussetzung für Entfaltung von Freiheit (Schule, Erziehung, Medien).

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