Autismus zusammenfassung Sitzung 8 PDF

Title Autismus zusammenfassung Sitzung 8
Course Kinder- und Jugendpsychiatrie
Institution Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Kinder- und Jugendpsychiatrie -Vl bei Hammerle/Huss (Nebenfach Psychologie, Bachelor of Science); Zusammenfassung der Folien und Notizen...


Description

Autismus

Sitzung 8, 17.12.15

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Michael Huss

Klassifikation: AUTISMUSSPEKTRUM= eigentlich Dimension (DSM-V), nicht Kategorie wie im ICD-10! ICD-10 ➢ F84.0 Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) - Leo Kanner (1896-1981) - 1943: Autistische Störungen des affektiven Kontakts (n=11) ➢ F84.5 Asperger-Syndrom (autistische Psychopathie) - Hans Asperger (1906-1980) - 1944: Autistische Psychopathien im Kindesalter (n=4, männl.) ➢ F84.2 Rett-Syndrom - Andreas Rett (1924-1997) - 1966: Hirnatrophisches Syndrom im Kindesalter (n=22, weibl.)





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Heller‘sche Demenz (dementia infantilis) - Theodor Heller (1869-1938) - 1908: Behandlung des Jugendlichen Schwachsinns vermutlich schwerer Verlauf eine Autismus mit Regression High-functioning autism - Lorna Wing (1981) IQ > 70 bzw. >85 - Symptomwandel: primär Kanner, später Asperger andere desintegrative Störungen F84.3 sonstige tiefgreifende Entw.-Störungen F84.8 nicht näher bezeichnete F84.94

Was lässt an das Vorliegen einer autistischen Störung denken? www.autismus.de bereits vor dem 3. Lebensjahr (Frühkindlicher Autismus): - meidet Blickkontakt - meidet Körperkontakt - haben Probleme, (emotionsbezogene) Gesten oder Lächeln zu verstehen→ Problem mit Interaktion, Emotionen, sozialen Situationen (unpassendes Verhalten) - bizarre stereotype Bewegungsmuster (z.B. Fächeln, Kreiseln von Rädern, Wasserspiele, Wedeln mit Papier) - Veränderung in der Umwelt erregt stark= Konservatismus, es muss immer alles gleich sein - auffällige Sprache (Pronomen „DU“ vs. „ICH“→ Pronomialumkehr, nicht zeigbar (Wygotski), sondern nur zu erreichen durch kognitive Reifung; bei Autisten ist das schwer, sie reden sogar manchmal in 3. Person von sich selbst) - unangemessenes Lachen und Kichern - Zeigen durch hinführen - kein kreatives Spiel, eher repetitiv - spielt nicht mit anderen Kindern - Begabung in Teilbereichen; gibt es, ist aber nicht so häufig; Begabungen werden aber nicht sozialgewinnbringend eingesetzt von Autisten→ Begabungen werden oft nur durch Zufall bemerkt - Fixierung auf spezielle Themen - erkennt Gefahren nicht 1

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auch Kultur spielt Rolle: in Asien wird häufig Autismus kodiert→ sie sind sensibler für „unpassendes Verhalten“ Affinität für bestimmte Gegenstände (teilweise wichtiger als Personen), deshalb vielleicht auch Veränderungen in Umwelt schwierig für Autisten Eltern werden nicht immer als Menschen an sich gesehen sondern haben oft nur eine bestimmte Funktion→ sehr schwer für Eltern Welten sind nicht kongruent; man muss lernen umzudenken im Umgang mit Autisten

a) Frühkindlicher Autismus (ICD-10 F84.0): • qualitative Beeinträchtigung wechselseitiger sozialer Interaktion • qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation (verbal und non-verbal) • eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster • unspezifische Zusatzprobleme (Selbstverletzung, Aggression, Phobien) • Beginn vor dem 3. Lebensjahr b) Asperger-Syndrom (ICD-10 F84.5): • Spracherwerb vor drittem Lebensjahr • Kulturfertigkeiten werden erlernt • qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation (verbal und non-verbal) • Sonderinteressen und Stereotypien • unspezifische Zusatzprobleme (Selbstverletzung, Aggression, Phobien) Zusatzaspekt: auffällige innere Repräsentation sozialer Interaktionen eigene Codes

Epidemiologie:

- mehr Jungs als Mädchen!!

Anstieg der Prävalenz ? •

• •

Cave: Awareness Raymond Babbit Cave: Klinik/Feld-Stichproben Cave: Wechsel der Kriterien 2

eidetisches Phänomen/Savants: Hypothese→ Autisten haben andere neuronale Kapazitäten und Möglichkeiten als normale Menschen; Menschen haben unglaubliche Fähigkeiten im Bereich soziale Interaktion/Gesichtserkennung/ Emotionserkennen und unglaubliches Repertoire an gespeicherten Informationen (Man erkennt Menschen noch nach Jahren wieder)→ diese unglaublichen Fähigkeiten haben Autisten nur in anderen Bereichen

Diagnose und Differentialdiagnose: Phase 1??

Diagnostische Phase 2: Interview, Beobachtung, Test ▪ ▪ ▪

ausführliche Exploration der Bezugspersonen strukturierte Verhaltensbeobachtung Testpsychologie

frühe Zeichen: Checklist for Autism in Toddlers (CHAT); (Baron-Cohen et al. 2000) Verhaltensbeobachtung: Diagnostische Beobachtungsskala für autistische Störungen (ADOS) (Lord et al. 2000) Interview: Autismus Diagnostisches Interview – revidierte Fassung (ADI-R) (Lord et al. 1994, Schmötzer et al. 1993) -

Kombination ADOS und ADI-R gut

Differentialdiagnose: • Intelligenzminderung ohne Autismus • organische Ursachen (z.B. erworbene Aphasie mit Epilepsie ‚Landau-Kleffner‘; diverse Stoffwechselerkrankungen, • neurodegenerative Erkrankungen) • Bindungsstörung / schwere Deprivation • Schizophrenie • Mutismus Komorbidität: ▪ Intelligenzminderung ▪ Epilepsie ▪ ADHS

- Fähigkeiten werden aber nicht kontextgebunden benutzt 3

Ätiologie: Frühkindlicher Autismus: -

Konkordanzraten eineiiger Zwillinge = 82% (Folstein & Rutter, 1977; Le Couteur et al. 1996) Konkordanzraten in schwedischer Studie eineiiger Zwillinge = 91%; zweieiige Zwillinge = 0% (Steffenburg et al. 1989)

Asperger Syndrom: -

deutliche schlechtere Evidenzlage (Konkordanzschätzungen: 30 – 60%)

Rett-Syndrom: -

Gen (MECP2) auf langem Arm des X-Chromosoms identifiziert (Amir et al. 1999, Vourc‘h et al. 2001)

Hinweise auf neurobiologische Ätiologie: - Linkage- und Assoziationsstudien weisen auf eine Beteiligung der Chromosomen 7,15,17 und X hin - überzufällige Häufungen von assoziierten Markern und Genen sind an der serotonergen Regulation beteiligt

Umweltfaktoren: insgesamt fragliche Evidenz für: - Maternalen Alkoholismus - Maternale Schilddrüsen-Unterfunktion etwas bessere Evidenz für: - angeborene Röteln (Chess 1978): 243 Kinder mit angeborenen Röteln 90 hatten Entwicklungsstörungen davon 17 mit autistischem Spektrum Antiimpfkampagne: Hypothese: - Schutzimpfungen mit dem Kombinationsimpfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln führen zu Autismus.

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Ziel der Antiimpfkampagne: - Schadensersatzklagen von Eltern gegen Impfstoffhersteller - bereits in den 90er Jahren trafen sich Wakefield und Rechtsanwalt Barr, welcher wissenschaftliche Belege für die Hypothese finden sollte vermeintliche Hinweise wurden in Fachzeitschrift ‚The Lancet‘ (1998; 351:637-41) gedruckt - Studie zeigte, dass bei 8 von 12 Kinder das autistische Verhalten in Zusammenhang mit Impfung stand - 5 der 8 Autisten waren Klienten vom Rechtsanwalt Barr

finanzielle Verstrickung der Beteiligten: insgesamt wurden 3.5 Mio. Pfund (5,3 Mio. €) für Beratertätigkeiten, Gutachten und Forschungsaufträge gezahlt Walter Wakefield (Galionsfigur der Kampagne) – 760.100 € 5 der 13 Lancet Autoren – 278.200 € Gutachter der den Artikel für Lancet prüfte – 60.800 € Wakefield beantragte Patente für die Einzelimpfstoffe 2004 wurde der Betrug durch die Sunday Times aufgedeckt ➔ 11 der 13 ‚The Lancet‘ Autoren distanzierten sich in der Folge von der Veröffentlichung

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Folge: viele Eltern ließen ihre Kinder daraufhin nicht mehr impfen Herdimmunität nahm ab 2006 starb ein Kind erstmals wieder durch Masern gegen Wakefield wurde Anklage erhoben, derzeit arbeitet er für ein Unternehmen in Austin, Texas

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➔ Marktrücknahme von Impfstoffen aus Sorge vor Schadensersatzklagen sind keine Seltenheit!

Störung kognitiver Prozesse: ➢ Fähigkeit, Welt aus dem Blickwinkel anderer Menschen zu sehen („Theory of mind“) ist bei Autismus nicht gegeben und führt zu: - Defiziten sich vorzustellen, dass Menschen unterschiedliche Befindlichkeiten aufweisen können - Missverständnissen bei der Interpretation menschlichen Verhaltens - emotionalen Ausbrüchen, da Verhaltensweisen von anderen missverstanden werden • • • • •

physikalische Vorgänge können nicht von psychischen Vorgängen unterschieden werden Wörter, die psychischen Zustand beschreiben, können nicht mit diesen in Verbindung gebracht werden sind nicht in der Lage, fiktive Spiele auszuführen Intentionen anderer Personen werden nicht erkannt können bei einem Ereignis nicht unterscheiden, ob sie absichtlich oder zufällig eingetreten sind

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Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen (auch emotional) Man muss sich hier in die Lage von Sally versetzen, um zu wissen, wo sie suchen wird. das können Autisten nicht so, sie bleiben eher auf Faktenebene

Funktionelles MRT:

Hypothese: Da wo wir Gesichter detektieren, sind bei Autisten Objekte …

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Social Phenotype:

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Eye-tracking Autisten präferieren Gegenstände

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anderes Taktgefühl (links)

Neuropsychologie: ▪ Intelligenzprofil: - episodisches Verständnis schlecht - Mosaiktest, Figurenlegen besser ▪ Exekutivfunktionen (unspezifisch) gestört ▪ post-mortem: verminderte Neuronenzahl im Arealen des limbischen Systems ▪ Forschungsperspektive: Spiegelneurone bei Affen

Therapie und Prognose: 1. Behandlung – multimodaler Therapieansatz: ▪ Verhaltenstraining ▪ Gruppenintegration ▪ Psychoedukation ▪ Picture Exchange Communication ▪ Pharmakologische Behandlung: es gibt nicht ein spezifisches Medikament, man muss nach Symptomen gucken und die Medikamente dementsprechend anpassen und nach und nach testen; ganz individuell - es gibt keine Standardmedikation, daher symptomorientiertes Vorgehen! - Stimulanzien (Quintana et al. 1995) - Risperidon (McDougle et al. 1998) - SSRI (McDougle et al. 1996) 2. TEACCH-Programm: Klassiker ▪ das Treatment and Education of Autistic and related Communication-handicapped Childern (TEACCH) beinhaltet den Einsatz gut strukturierter pädagogischer Maßnahmen ▪ basiert auf verhaltenstherapeutischen Elementen ▪ trägt dem Entwicklungsstand des Kindes Rechnung ▪ bezieht spezielle Zugänge zu autistischen Kognitionen und Verhaltensweisen ein (bildhafte Kommunikation) ▪ große Anzahl von Berichten hebt große Effektivität des Programms hervor (Campbell et al. 1996) ▪ derzeit keine neueren vergleichenden Evaluierungen -

wie kann man kommunizieren? → soziale Interaktion soll verbessert werden 8

3. Festhalte-Therapie: ▪ von Martha Welch (1984) entwickelte Therapie ▪ Widerstand autistischer Kinder gegen Nähe und Körperkontakt soll durch Festhalten überwunden werden ▪ nach Tinbergen und Tinbergen (1984) soll so das „Urvertrauen“ nachgeholt werden ▪ problematisch ist die dramatische, fast gewalttätig anmutende Vorgehensweise ▪ Konzept unterstellt, dass früheres Urvertrauen vom Kind nicht eigenständig erworben werden kann - wird heute nicht mehr empfohlen und eingesetzt→ unethisch

4. Neurosensorische Verfahren: ▪ Hypothese: Autistische Kinder besitzen erhöhte Empfindlichkeit in der Wahrnehmung akustischer Reize. ▪ Hypo- als auch Hypersensivität gegenüber bestimmten Lautfrequenzen wird angenommen ▪ Auditorisches Integrationstraining (AIT) soll spezifische Lautfrequenzen dämpfen (durch speziellen Filter) ▪ Intervention soll Geräuschempfindlichkeit herabsetzen und dadurch Anpassungsverhalten verbessern ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪

kontrollierte Doppelblindstudie mit 17 Personen verlief positiv (Rimerland & Edelson 1995) weitere Untersuchungen notwendig, da häufig nur unsystematische Berichte von Eltern vorliegen weitere Studie von Rimerland (2002) zeigte, dass eingesetzter Filter nur geringfügig den Therapieeffekt beeinflusste möglicherweise sind andere Variabeln bedeutsamer Bettison (1996) fand größeren Einfluss durch Methode des strukturierten Zuhörens als durch das auditive Integrationstraining Wert der Methode könnte vor allem darin liegen, dass das Kind 2-mal am Tag für eine halbe Stunde still sitzen muss dadurch könnten Lernprozesse angestoßen werden, die sonst nicht möglich sind

Prognose: • • • •

Kernsymptome persistieren lebenslang ca. 30% gelingt soziale Integration Prognose stark von psychosozialem Umfeld und kognitiven Ressourcen abhängig Langzeiteffekte pharmakologischer Behandlung nicht systematisch untersucht

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