BIKS - Studie PDF

Title BIKS - Studie
Course Einführung die Sozialpädagogik/Soziale Arbeit
Institution Eberhard Karls Universität Tübingen
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BIKS Studie : Wie gut sind die Kindergärten und der Übergang zur Schule...


Description

BIKS Studie Vorwort Nach den internationalen Leistungsvergleichen, die den nicht befriedigenden Kompetenzstand der Fünfzehnjährigen und die enge Kopplung von Herkunft und Schülerkompetenzen in Deutschland aufgedeckt hatten, wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Förderinitiative „Forschergruppen in der Empirischen Bildungsforschung“ ausgeschrieben. Sie sollte die empirische Bildungsforschung an den Universitäten stärken und möglichst auf Dauer verankern. Im Rahmen dieses Programms entstand die interdisziplinäre Bamberger Forschergruppe „Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vorschul- und Schulalter“ (BiKS). Auf der Grundlage von zwei miteinander verzahnten Längsschnittstudien untersuchten Pädagogen, Psychologen und Soziologen die Vorgeschichte und die Folgen der Übergangsentscheidung am Ende der Grundschule, die in Deutschland die Weichen für den Kompetenzerwerb und die Bildungsentscheidungen im Lebenslauf stellt. Die Längsschnittstudie BiKS 3-10 begleitete von 2005 bis 2012 über 500 bayrische und hessische Kinder und ihre Eltern vom Eintritt in den Kindergarten bis zum Ende der Grundschule. Im Mittelpunkt dieses Längsschnitts stand die Einschulung, die ihrerseits schon das Resultat kumulativer Bildungsprozesse in Familie und Kindertageseinrichtung ist. Die Vorgeschichte, den Verlauf und die Folgen der Einschulung untersuchte insbesondere das Teilprojekt 6 der Studie. Mit diesem Band werden nun die wichtigsten Forschungsergebnisse dazu gesammelt vorgelegt. Die BiKS-Forschungen konnten nur durch das Engagement und die Unterstützung zahlreicher Personen durchgeführt werden. Als erste sollen die Leiterinnen und Leiter der anderen Teilprojekte erwähnt werden: Prof. Dr. Hans-Günther Roßbach, Elementar- und Familienpädagogik, zugleich bis Juli 2012 Forschergruppensprecher, Prof. Dr. Cordula Artelt, Empirische Bildungsforschung, die die Sprecherrolle ab August 2012 übernahm, die beiden Soziologen Prof. Dr. HansPeter Blossfeld und Prof. Dr. Thorsten Schneider sowie Prof. Dr. Sabine Weinert, Entwicklungspsychologie. Die persönlich und fachlich bereichernde interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde zur Initialzündung für weitere Vorhaben wie NEPS („National Educational Panel Study“) und BAGSS („Bamberg Graduate School of Social Sciences“), durch die die empirische Bildungsforschung an der Universität Bamberg mittlerweile gut etabliert ist. Gedankt werden soll außerdem den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den insgesamt acht Teilprojekten, insbesondere denjenigen des Teilprojekts 1, das u.a. für die Feldsteuerung der beiden aufwändigen Längsschnittstudien zuständig war. Meine Mitarbeiterinnen Sanna Pohlmann-Rother und Franziska Wehner und mein Mitarbeiter Jens Kratzmann bewältigten die Arbeiten des Teilprojekts 6 in großer personeller Kontinuität als nacheinander vertrauensvoll zusammenarbeitende, eingespielte Zweierteams. Zusammen mit ihnen konnte ich Fragestellungen entwickeln und bearbeiten, die (…)

Forschungsstand zur Einschulung und Beitrag der BiKSEinschulungsuntersuchungen Gabriele Faust 1. Einleitung

Der Eintritt in das Pflichtschulsystem ist weltweit ein wichtiges pädagogisches Thema: zum einen im Hinblick auf die Kinder, die diesen Schritt bewältigen müssen, zum anderen institutionell betrachtet als Nahtstelle zwischen dem vorschulischen Bereich und dem Schulsystem. Bildungsübergänge allgemein gelten als kritische Zonen mit Chancen und Risiken für die Betroffenen, u.a. auch weil die in diesem Zusammenhang anstehenden Bildungsentscheidungen gesellschaftliche Ungleichheiten befördern können. Diese Aspekte sind daran beteiligt, dass die Einschulung breite und anhaltende Aufmerksamkeit erhält. Im Rahmen der Studie „Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vorschul- und Schulalter (BiKS)“ wurde die Einschulung in ihrer Vorgeschichte, ihrem Verlauf und ihren Folgen untersucht, indem in den Jahren 2005 bis 2013 547 Kinder aus 97 Kindergartengruppen und ihre Familien in den zwei Bundesländern Bayern und Hessen vom Eintritt in den Kindergarten bis zum Übergang in die weiterführenden Schulen begleitet wurden (zu Stichprobe, Anlage und Auswertung der Untersuchungen vgl. den Beitrag von Faust, Kratzmann & Wehner, Teil I, in diesem Band). In die zunächst halbjährlichen, später jährlichen Erhebungen, die neben fortlaufenden Kompetenzmessungen der Kinder auch Befragungen und Beobachtungen umfassten, waren auch die Erzieherinnen und die Lehrkräfte der Kinder sowie das Leitungspersonal von Kindergärten und Grundschulen einbezogen. Sowohl empirisch-quantitative als auch qualitative Verfahren kamen zum Einsatz. Um was geht es bei BIKS? So war nicht nur eine über den unmittelbaren Schuleintritt hinausgehende längsschnittliche Untersuchung der Einschulung einschließlich einer detaillierten Analyse der Formation der Einschulungsentscheidungen der Eltern möglich, sondern es konnten auch die familiären und institutionellen Einflüsse auf die Kompetenzentwicklung der Kinder vor und nach dem Schuleintritt, die mit den Einschulungs- und später auch den Übergangsentscheidungen am Ende der Grundschule verflochten sind, untersucht werden. Der in dieser Buchveröffentlichung vorgestellte Ertrag der BiKSEinschulungsuntersuchungen besteht in der breiten und tiefen, längsschnittlichen und mehrperspektivischen Untersuchung der frühen Bildungsprozesse der Kinder in Verbindung mit der Einschulungsentscheidung ihrer Eltern. Außerdem werden Ergebnisse zur Kooperation von Kindergarten und Grundschule unter Einbezug der Eltern berichtet.

2. Rechtliche Rahmenbedingungen des Schuleintritts Wie in zahlreichen anderen Staaten legen auch in Deutschland Stichtagsregelungen fest, welche Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt in das Pflichtschulsystem eintreten. Gemäß dem Hamburger Abkommen der Ministerpräsidenten der Länder vom 28. Oktober 1964, das die Rahmenvorgaben der Länder im Bildungsbereich vereinheitlichen sollte, war dies in allen Bundesländern für mehr als drei Jahrzehnte einheitlich der 30. Juni. Alle Kinder, die bis zu diesem Tag ihr sechstes Lebensjahr vollendeten, wurden zum neuen Schuljahr schulpflichtig. Als zweites Einschulungskriterium kam der für die erfolgreiche Mitarbeit in der Schule notwendige körperliche, geistige und seelische Entwicklungsstand („Schulfähigkeit“) hinzu.

Früher: Da Lebensalter und Entwicklungsstand voneinander abweichen können, erließ die Kultusministerkonferenz 1967 bzw. 1968 Ausnahmeregelungen für jüngere, aber schulfähige Kinder (vorzeitige Einschulungen) und schulpflichtige, aber noch nicht schulfähige Kinder Zurückstellungen (vgl. Burk & Faust-Siehl, 1999, S.82). Beide Beschlüsse wurden zwar 1997 aufgehoben Heute: doch bestehen nach wie vor in der Bundesrepublik Deutschland drei je nach Entwicklungsstand unterschiedliche Möglichkeiten des Schuleintritts, nämlich vorzeitige, fristgerechte und verspätete Einschulung. In der ehemaligen DDR wurden seit 1965 alle Kinder, die das sechste Lebensjahr bis zum 31. Mai vollendeten, zum Schuljahrsbeginn am 1. September des gleichen Jahres schulpflichtig, wobei auch hier Möglichkeiten der vorzeitigen Einschulung und der Zurückstellung vorgesehen waren (Geiling, 1999, S. 205). Ausnahmeregelungen dieser Art existieren nicht in allen Staaten. In Japan und Spanien etwa tritt die gesamte schulpflichtige Schülerkohorte zu annähernd 100% in die Pflichtschule über. Mit der Festlegung auf das sechste Lebensjahr liegt der Schuleintritt in Deutschland zwischen einem frühen (wie z.B. in West- und Mitteleuropa; Großbritannien: fünf Jahre, Niederlande: vier Jahre beim Eintritt in die Basisschool) und einem späten Übergang (wie z.B. in Nord- und Osteuropa; Finnland, Estland und Lettland: sieben Jahre; vgl. Schmitt u.a., 2001, S.17). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die vorschulischen und die schulischen Systeme und als Folge davon auch der Schritt in das Pflichtschulsystem sehr unterscheiden, so dass das Schuleintrittsalter nur eingeschränkt vergleichbar ist. In Deutschland kristallisierte sich das vollendete sechste Lebensjahr als Einschulungsalter historisch zu Beginn des 19. Jahrhunderts heraus, nachdem es in den Schulordnungen der Jahrhunderte davor zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr geschwankt hatte. Allerdings bestand schon in dieser Zeit in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand des Kindes ein gewisser Spielraum: Bereits bei Comenius entschieden sowohl das Alter als auch der Entwicklungsstand über den Zeitpunkt, zu dem die Eltern das Kind in die Schule schicken sollten (vgl. Rüdiger, Kormann & Peez, 1976, S.14f.). Die doppelte Bindung der Einschulung sowohl an das Alter als auch an den Entwicklungsstand und der zeitliche Spielraum rund um das sechste Lebensjahr sind auch für die Weimarer Grundschule nachweisbar. Die Festlegung auf das vollendete sechste Lebensjahr erfolgte erstmals 1938 im Reichspflichtschulgesetz, das für das gesamte Reichsgebiet galt (vgl. Götz, 2011, S. 99ff.). 1997 verständigten sich die Kultusminister der Länder auf die „Empfehlungen zum Schulanfang“. Danach sollten Zurückstellungen auf Ausnahmen beschränkt werden. Zur vorzeitigen Einschulung wurde demgegenüber ermutigt. Sie ist auch dann möglich, wenn das sechste Lebensjahr erst nach dem 31. Dezember des Einschulungsjahres vollendet wird. Außerdem sollten die Länder den Stichtag zwischen dem 30.06. und 30.09. festlegen und mehrere Einschulungstermine pro Schuljahr vorsehen können (vgl. Burk & Faust-Siehl, 1999, S.83). Während die halbjährliche Einschulung – wenn überhaupt – nur auf Schulebene praktiziert wird, werden die Stichtage und die länderspezifischen Schuleintrittsregelungen immer wieder verändert, so auch während der BiKS-Studie. Wie Hessen hielt etwa die Hälfte der Bundesländer auch nach der KMK-Empfehlung von 1997 am Stichtag 30.06. fest. Bayern gehörte zu den Bundesländern, die den Stichtag in Richtung Jahresende oder auf den 31.12. verlegen wollten. In diesem Bundesland wurde der Stichtag zunächst „flexibilisiert“: Alle bis zum 30.09. sechs Jahre alt werdenden Kinder wurden durch die Anmeldung der Eltern bei der Schule schulpflichtig (Burk & Faust-Siehl, 1999; Faust, 2006). Im Schuljahr 2005/06 war der 31.07. der neue verpflichtende Stichtag für die Einschulung. Danach wurde die Stichtagsverlegung noch weitere vier Jahre fortgeführt. Dadurch wurden in Bayern zunehmend jüngere Kinder schulpflichtig. Allerdings wurde der

Stichtag 31.12. nicht realisiert und die Verlegung auf das Jahresende zurückgenommen, nachdem die Eltern verstärkt die Möglichkeit der Zurückstellung nutzten. Seit dem Schuljahr 2010/11 gilt wieder der Stichtag 30.09. Die Veränderungen in der bayerischen Einschulung wirken sich im Kontext der BiKS-Untersuchungen als ein natürliches Experiment aus: Bayerische BiKS-Schulanfänger sollen jünger als die hessischen in die Schule eintreten. Hinzu kamen Veränderungen durch die Einführung der Sprachstandserhebungen und Sprachförderung vor dem Schuleintritt. Diese wurden kurzfristig zu Beginn der 2000er Jahre eingeführt, als u.a. PISA und IGLU die gravierenden Defizite im Kompetenzerwerb und in der Bildungsbeteiligung der Schüler/-innen mit Migrationshintergrund deutlich gemacht hatten (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, S.372ff.; Bos, Lankes, Prenzel, Schwippert, Walther & Valtin, 2003, S.276ff.). Um noch ausreichend Zeit für die Förderung zu haben wurde die Schulanmeldung der Kinder z.B. in Hessen in den Herbst vor der Einschulung vorgezogen. Hessen war das erste Bundesland mit diesen Maßnahmen und nahm – zusammen mit Hamburg – den sprachlichen Entwicklungsstand als weiteres Schulfähigkeitskriterium in die hessischen Schulpflichtbestimmungen auf. Neben den Stichtagen sind vor allem die Regelungen zu vorzeitigen und verspäteten Einschulungen länderabhängig, uneinheitlich und in ständiger Bewegung. Auch die Raten der fristgerechten und vor allem der nicht fristgerechten Einschulungen schwanken zwischen den Ländern und im Zeitverlauf. Zwischen 2007, als die vorzeitig eingeschulten BiKS-Kinder in die Schule kamen, und 2010, dem aktuellsten statistisch aufbereiteten Jahr, sank der Anteil der vorzeitigen Einschulungen in den westdeutschen Bundesländern von 7 % auf 5.1 %, wobei er in den Ländern mit Stichtag 30.06 auf höherem Niveau blieb und geringfügiger abnahm als in den Ländern mit einer Stichtagsverlegung in Richtung Jahresende. Demgegenüber stiegen die Zurückstellungsraten an, und zwar in Westdeutschland von 5.6 % auf 7.8 %. Sie verringerten sich in den Ländern mit konstant gebliebenem Stichtag, während sie in den Ländern mit Stichtagsverlegung zunahmen. Durch die Veränderungen der Einschulungsregelungen befinden sich inzwischen ca. 61 % der Sechsjährigen im Primarbereich, darunter anteilig mehr Mädchen als Jungen (zu den Zahlen vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012, S. 250f.). Dazu trägt bei, dass mehr Mädchen vorzeitig in die Schule eintreten, während die Jungen bei den Zurückstellungen überrepräsentiert sind (vgl. ebd., S.63). Diese typische Geschlechterverteilung wird bereits in der Bildungsreformzeit beobachtet.

3. Theoretische Grundlagen Am Schulanfang treffen mit dem Kindergarten, der Grundschule und der Familie unterschiedliche Institutionen aufeinander und der Übergang hat sowohl einen sozialisatorischen als auch bildungsspezifischen Charakter. Überdies sollte das Kind als zentraler Akteur berücksichtigt werden. Eine Theorie des Schulanfangs, die diesem komplexen Gefüge und auch der Bildungsbedeutung des Übergangs gerecht würde, liegt bislang noch nicht vor. Nach Hacker (1998, S. 35ff.) gehen theoretische Begründungsansätze zum Übergang entweder von den beteiligten Institutionen aus oder sie setzen an den Bedingungen der kindlichen Entwicklung an. Ein etwas älteres Beispiel für den ersten Ansatz liegt mit Plake (1974) vor, in dem ein struktureller Sozialisationskonflikt zwischen Familie und Schule festgestellt, aber der Kindergarten nicht adäquat berücksichtigt wird. Das Fehlen eines

überzeugenden theoretischen Rahmens erschwert die Einordnung der Phänomene des Übergangs (so auch schon Hüttenmoser, 1981a, S. 1, und 1981b, S. 402). Im Folgenden werden vier gegenwärtig aktuelle Ansätze vorgestellt und auf ihre Eignung als Rahmentheorie des Schulanfangs untersucht. Hier steht die Frage nach dem „optimalen“ Einschulungsalter im Mittelpunkt. Die Analysen belegen, dass ältere Schulanfänger/-innen verglichen mit jüngeren – vorzeitig Eingeschulten oder den relativ Jüngeren des gleichen Einschulungsjahrgangs – bessere Leistungen erzielen, seltener Klassen wiederholen und zu höheren Anteilen anspruchsvollere weiterführende Schulformen besuchen. Fredriksson und Öckert (2005) zeigen für die schwedische Bevölkerung der Geburtsjahrgänge 1935 bis 1984 größere Vorteile der älteren Schulstarter während der Bildungskarriere und kleinere Vorteile beim Gehalt im Erwerbsleben auf. Die Analysen ziehen nationale oder internationale Large-ScaleDatensätze mit Kompetenzwerten und/oder Informationen zu Bildungsverläufen heran. Rückschließend wird das Einschulungsalter der Schüler/-innen ermittelt. Mit Regressionsanalysen, Matching-Strategien oder dem Instrumentalvariablenansatz wird nach Unterschieden zwischen den zu verschiedenen Zeiten des Jahres geborenen und deshalb zu Schulbeginn unterschiedlich alten Kindern gesucht. Puhani und Weber (2005) verwenden den IGLU-2001Datensatz und die Hessische Schülergesamtstatistik des Schuljahrs 2004/05 mit 6.591 bzw. 182.676 Fällen. Auch in dieser Analyse erreichen die relativ Älteren höhere Testwerte im IGLU-Lesetest und anspuchsvollere Sekundarschulformen in den Klassenstufen 6 bis 8. Einzelne Telefoninterviews belegen zudem Vorbehalte von Schulleitungen gegenüber jungen Schulanfängern. Ein Problem dieser Studie ist die mangelnde Unterscheidung zwischen vorzeitig Eingeschulten und den relativ Jüngeren unter den fristgerecht Eingeschulten. Jürges und Schneider ermitteln auf der Basis des PISA-E-Datensatzes von 2000 für die im Juni gegenüber den im Juli Geborenen der westdeutschen Teilstichprobe eine um 8 % geringere Wahrscheinlichkeit für eine Gymnasialempfehlung (2006, S. 212). In der Studie von Fertig und Kluve (2005) zeigen zwar sowohl das lineare Wahrscheinlichkeitsmodell als auch der Matching-Ansatz für die west- und ostdeutschen 18- bis 29-Jährigen des „JungeErwachsenen-Längsschnitts“ einen negativen Zusammenhang zwischen dem Schuleintrittsalter und Klassenwiederholungen sowie höheren Schulabschlüssen, nicht aber der Instrumentalvariablenansatz. In einer Auswertung der PIRLS-2006Daten stellt Mühlenweg (o.J.) darüber hinaus für 17 Staaten (ohne Deutschland) einen Zusammenhang zwischen Schuleintrittsalter und sozialer Ausgrenzung her: Die relativ jüngeren Viertklässler/-innen haben eine niedrigere Lesekompetenz und sind signifikant häufiger Opfer von Mobbing und Gewalt in der Schule. Dies betrifft insbesondere Jungen und Schüler/-innen mit Migrationshintergrund. Ein gravierendes Problem der bildungsökonomischen Studien ist die Kontrolle möglicher Selektionseffekte. Da keine Kompetenzwerte zum Zeitpunkt des Schuleintritts vorliegen, werden Kontrollvariablen wie z.B. der Bildungshintergrund der Eltern, die Bücheranzahl, der Besitz an Computern etc. herangezogen, durch die die Unterschiede zwischen den Gruppen möglicherweise nicht vollständig erfasst werden. Erschwerend ist, dass die Einschulungsregelungen von den Eltern und den schulischen Entscheidungsträgern nur bedingt eingehalten werden. So ist der Alterskorridor für deutsche Schulanfänger deutlich

breiter als erwartet (Puhani & Weber, 2005, S. 46, wonach das Einschulungsalter zwischen 5;0 und 8;0 mit Einzelfällen bis zu neun Jahren und mehr liegt). Nicht zu entscheiden ist schließlich, ob die beobachteten Effekte – sofern sie sich belegen lassen – Auswirkungen des Einschulungsalters oder des höheren Lebensalters und der größeren Erfahrung der relativ Älteren in den Schulklassen sind. Weiß (2008, S. 171) kritisiert, dass die Analysen der Bildungsökonomie der „Spezifik des Objektbereichs kaum angemessen Rechnung tragen“ und bemängelt die „ausgeprägte Selbstreferenzialität der Bildungsökonomie“. Die untersuchten Zusammenhänge würden als Input-Output Beziehungen modelliert, ohne das Verhalten der Akteure zu berücksichtigen. Zudem würden vorschnell Empfehlungen an die Politik abgeleitet. Im Unterschied dazu liegen in den BiKS-Einschulungsuntersuchungen Kompetenzdaten vor der Einschulung vor und die Formation der Einschulungsentscheidungen ist Forschungsthema.

3.2 Das Individuum im Kontext seiner Umwelten: Ökopsychologische Grundlagen Eine wichtige Quelle für ein adäquates Verständnis des Schulanfangs ist der ökopsychologische (oder auch ökosystemische oder bioökologische) Ansatz von Bronfenbrenner (1989). Er betrachtet Individuen nicht isoliert, sondern stellt sie in den Kontext von Umwelten. Diese Betrachtungsweise ist für Lebewesen grundlegend, weil alle an ihre Umwelten angepasst sind und in Symbiose damit leben sowie zum Erhalt ihrer Umwelt beitragen (Oerter, 2002, S. 72). Dies muss noch mehr für den Menschen und seine im Verlauf der Kulturentwicklung geschaffene Umwelt gelten, die nur aufgrund der spezifisch menschlichen sozialen und kulturellen Weitergabe entstehen konnte. Für Tomasello (zusammenfassend 2006) ist die frühe Fähigkeit der Kinder, sich ab etwa neun Monaten in andere hineinzuversetzen, deren Absichten zu verstehen und sich mit ihnen zu identifizieren, die Grundlage der kulturellen Evolution. Sie gewinnen dadurch Zugang zu den Leistungen des „kognitiven Kollektivs“ und können die verschiedenen Lernformen von Imitation, Zusammenarbeit und Unterricht nutzen. Jedes menschliche Kind steht dadurch quasi „auf den Schultern von Riesen“ (ebd., S. 19). Ein so eng mit Entwicklung, Sozialisation und Lernen verbundener Gegenstand wie die Einschulung wäre ohne diesen in seiner Bedeutung kaum zu überschätzenden charakteristischen Mensch-Umwelt-Zusammenhang nicht zu erfassen. Beim Menschen gehören deshalb nicht nur die materiellen Gegebenheiten und – besonders wichtig – die in den Umwelten stattfindenden Interaktionen zur Umwelt, sondern auch die Institutionen und das gesamte gesellschaftliche System (Oerter, 2002, S. 72). Bronfenbrenners Leistung liegt u.a. darin, die menschliche Umwelt als eine Serie von ineinander verschachtelten Systemen zu bes...


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