Grundlagen der empirischen Sozialforschung Mitschrift 1. & 2. Einheit PDF

Title Grundlagen der empirischen Sozialforschung Mitschrift 1. & 2. Einheit
Course Grundlagen der empirischen Sozialforschung
Institution Universität Innsbruck
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Mitschrift 1. & 2. Einheit...


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GRUNDLAGEN DER EMPIRISCHEN SOZIALFORSCHUNG (SOSE 2021)

Integrationsfächer wie die Geographie werden in der heutigen Gesellschaft immer wichtiger. Verknüpfungen von verschiedenen Disziplinen/Fachgebieten spielen dabei eine große Rolle. Von der Schule bzw. Einführungsvorlesung dürfte bekannt sein, dass die Allgemeine Geographie (AGg) sich zusammensetzt aus Humangeographie (HGg) und Physischer Geographie (PGg). Naturraum und handelnder Mensch wirken also zusammen.

Folie 1: Inhalt Die Sozialwissenschaften (SOWI) gibt es als wissenschaftliche Disziplin nicht; sie kommt hauptsächlich in Form von Einzelfächern vor, wie Soziologie (Mutterfach der SOWI), Sozialpsychologie, Stadtforschung, Anthropologie, Politologie, Sozialpolitik, Verwaltungswissenschaften oder die Demographie (z.T. auch Bevölkerungsgeographie sowie Sozialgeographie). Im Gegensatz zur Geographie geht es bei all diesen um universale Konzepte, um allgemein gültige Modelle und Theorien. Vielfach ist der Raumbezug kein Thema. In der Geographie steht dagegen die Raumdifferenzierung im Vordergrund, d.h. nicht selten versucht die Geographie, zumindest die HGg, allgemein gültige Regeln räumlich zu widerlegen. Ein Beispiel: Die „Chicagoer Schule der Soziologie“ hat in den 1920er Jahren Stadtmodelle vorgestellt, indem sie den Stadtfunktionen (Wohnen oder Arbeiten) universale räumliche Regelhaftigkeiten zuspricht. Die besten Wohnviertel befinden sich demnach am Stadtrand, und nach innen wird die Wohnqualität schlechter; im Zentrum wird nicht gewohnt, sondern gearbeitet (Finanz- und Handelsfunktion). Aber selbst in den USA wurden diese Modelle schnell falsifiziert: Santa Fe (New Mexico), Monterey (Kalifornien) oder Tucson (Arizona) funktionieren räumlich anders. Ganz zu schweigen von Moskau, Hanoi, Ulan Bator oder Venedig. Ergebnis: Allgemein gültige Stadtmodelle gibt es nicht. Auch die kulturelle Eingrenzung (Islamische Stadt, Sozialistische Stadt, Südostasiatische Stadt, Japanische Stadt usw.) muss sehr viele Generalisierungen akzeptieren. Weitere Beispiele dazu liefern Demographie vs. Bevölkerungsgeographie (siehe später / Folie 14f.).

Grundlagen der empirischen Sozialforschung

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Einführung: Grenzen des Alltagsdenkens Folie 7: Mit was beschäftige beschäftigen n sich die Sozialwis Sozialwissenschaften senschaften senschaften?? • •

Beziehung zwischen Menschen (Individuen) Wie ist die Gesellschaft aufgebaut, wie funktioniert sie, was ist eine Gruppe oder was ist Ethnizität? Wie funktioniert das soziale Zusammenleben überhaupt? Etc.

Folie 8: Bes Besonderheit onderheit der Sozialwissensc Sozialwissenschaften… haften… • •

Unterschied Subjekt (Forschungssubjekt = Wissenschaftler, Forschender) vs. Objekt (Forschungsobjekt = Forschungsgegenstand) Leute forschen über Leute, also Subjekt = Objekt

Aber wie steht es dann mit der Objektivität? Kann man überhaupt objektiv Sozialwissenschaften betreiben? • • • • •

Großes Problem der Sozialwissenschaften Naturwissenschaftliche Ergebnisse werden kaum bezweifelt Bei sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen kann man sehr oft „seinen Senf zugeben“ (z.B. bei sportwissenschaftlichen Erkenntnissen, bei Forschungsresultaten in Politik oder Tourismus) Glaubwürdigkeit der Sozialwissenschaften leidet dabei → soft sciences Kann man unabhängig vom Forschungsgegenstand sein, wenn man als Mensch über andere Menschen forscht? (Bsp. Flüchtlinge bzw. Immigranten, Wohnungssituation von Studierenden, Bergbauernarbeit, etc.)

In der Regel ist es sinnvoll, bei solchen Arbeiten… 1. versuchen empirisch korrekt zu sein, d.h. die Datenauswertung statistisch und logisch einwandfrei und – trotz allem – möglichst emotions-/leidenschaftslos durchzuführen. 2. Aber in vielen (zeitkritischen) Studien ist es günstig, am Anfang der Arbeit auf eine Prämisse hinzuweisen (Bsp. Nachfolgende Studie geht vom Grundgedanken aus, dass Schwächerengruppen/Minderheiten/Flüchtlinge usw. in der Gesellschaft gefährdet/benachteiligt sind bzw. eine Bereicherung darstellen. Deshalb erscheint es wünschenswert, dass diese gefördert/bewahrt usw. werden müssen…) → normative Einstellung, nicht mehr unabhängig vom Forschungsgegenstand; d.h. man geht von der Prämisse aus, dass ein gewünschter Zustand erreicht werden soll (Bsp. keine Zersiedlung, Bewahrung von Minderheiten, Schutz von Flüchtlingen, Abwehr von Diebstählen etc.) Normative Einstellung ist ein großes Dilemma der Sozialwissenschaften → unterschiedliche Weltanschauungen können damit leicht die Forschung beeinflussen!

AUFGABE Bitte überlegen Sie sich weitere Situationen, wo man normativ vorgehen sollte bzw. auch Situationen, wo wertneutrale Haltung angebracht ist. • • •

Jugendliche Gewalt Physische Erkrankungen Pädagogische Grundhaltungen

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Folie 9: Sozialw Sozialwissenschaftliches issenschaftliches Verständnis vs vs.. Alltagsverständ Alltagsverständnis nis Die Gesellschaft kennt drei große Ordnungsrahmen: 1. Alltagsverständnis (Alltagsdenken, gesunder Menschenverstand, Volksmeinung, kollektive Meinung, Mentalität, natürliches Empfinden) 2. Religion bzw. Ideologie (wird hier nicht behandelt) 3. Wissenschaftsverständnis •



Alltagsverständnis ist notwendig (Bsp. richtige Schuhe bei Schlechtwetter; in Gegenden mit ethnischen Minderheiten: Für was sollen wir den Kindern unsere alte Sprache mitgeben, sie sollten doch vielmehr Englisch lernen etc.) Wissenschaftsverständnis korrigiert häufig Alltagsverständnis (Bsp. Minderheitensprachen sind ein einmaliger Kulturschatz, man sollte diese bewahren etc.)

Wissenschaftsverständnis … … sollte auf Objektivität achten … sollte ferner komplexe Sachverhalte nicht simplifizieren … ist ferner gekennzeichnet vom Bemühen um klare Begriffsverhältnisse

Folie 10: KKonstruktionen onstruktionen • •

Meiste sozialwissenschaftliche Begriffe sind Konstruktionen (ethnische Gruppe, Raumkonzepte, Kapitalismus usw.) „Minderheit“ kaum zu definieren, wird ständig konstruiert → um eine Minderheit zu bilden, ist ein Gemeinschaftsgefühl (WIR-Gefühl, Zusammengehörigkeitsgefühl) unbedingt notwendig

PFLICHTLEKTÜRE E. Steinicke - 2005: Von der „ethnischen Gruppe“ zur „ethnischen Minderheit“. Ein Beitrag zur Ethnoterminologie. In: GW-Unterricht 98: 31- 38 • •

Bsp. Erweiterung der EU → Anzahl ethnischer bzw. nationaler Minderheiten (Minoritäten) steigt Permanentes Konfliktpotenzial

1. Fragestellung und Grundbegriffe • „Irrgarten der Ethnoterminologie“ (Lador-Lederer 1986) • Forderung von einem internationalen Minderheitenreicht im Soft-Law-Bereich (auf der Basis von Empfehlungen); einheitliche Vorgangsweisen zur Bewahrung der ethnischen bzw. ethnolinguistischen Vielfalt • Etliche Definitionen für „Minderheit“ (Bsp. zahlenmäßig unterlegen Bevölkerungsgruppe; nicht-dominierende, sozial benachteiligte Gruppen („Schwächerengruppen“) mit Gemeinschaftsgefühl, usw.) • Definition „ethnische Minderheiten“ unterscheidet sich oftmals von Staat zu Staat • Ethnische Gruppen zunächst anthropologisch definierte Gemeinschaften („Abstammungsgemeinschaften“, „rassistische Gruppen“), meist aber Vereinigung von Abstammung und kulturelle Charakteristika (besondere Kultur, Sprache, Religion) → „ethnolinguistische Gruppen“, „ethnoreligiöse Gruppen) • Schwierigkeiten oft in der Bestimmung von Sondergruppen, also ethnische bzw. nationale Minderheiten eines Landes → Minderheitenschutz (Gleichheitsgrundsatz, UNO Menschenrechtspaket Selbstbestimmungsrecht der Völker) Grundlagen der empirischen Sozialforschung

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Unterschied von Außengruppen (=“nationale Minderheiten“; sprachlich-kulturelle Gruppen sind politisch-territorial von der Hauptgruppe getrennt; Bsp. Kroaten, Slowenen und Ungarn in Österreich) und Eigengruppen (indigene Gruppen, Siedlungsgebiet in einem Staat; Bsp. Sarden, Ladiner und Friulaner in Italien)

2. Modelldefinitionen

Mitteleuropa: ethnolinguistische Gemeinschaften (Bsp. Wiener Tschechen, Roma und Sinti (Volksgruppe), Südkärntner Slowenen etc.) → Diskussion Arbeitsmigranten Niederlande:

Immigranten aus außereuropäischem Kulturkreis bzw. südeuropäischer Peripherie; Modell der Multikulturalität (Bsp. Türken, Surinamer, Marokkaner, Antillenbewohner, Flüchtlinge, etc.)

USA:

Melting-Pot-Modell, „tossed salad” Metapher; „rassisch” (races) definierte Gruppen (Bsp. White Americans, Black (African) Americans, Native Americans, Hispanics, “visible minorities”,...)

Kanada:

großzügigste Auslegung; anthropologisch-„rassisch“ definierte Minderheiten aber auch ethnische (ethnolinguistische) Minderheiten; großzügig festgelegte Freiheitsrechte

Frankreich:

meiste Volksgruppen; werden nicht als Minderheiten gesehen, sondern als französische Staatsbürger

3. Synthese und Konsequenzen Zwei grundsätzliche Problembereiche: 1. Ethnische (nationale) Minderheit und Bodenständigkeit 2. Bedeutungsinhalt von „ethnisch“: abstammungsmäßig-kulturell vs. außereuropäisch Operationalisierbar gemachte Unterscheidung in „autochthone“ und „allochthone“ Bevölkerungsgruppen eventuell Schlüsselrolle in einem einheitlichen Begriffsverständnis zu ethnischen Minderheiten: • Allochthone Minderheiten entstehen außerhalb ihres eigenen Gebietes (exogen) aufgrund von Wanderungen, Vertreibungen oder Arbeitsmigration. • Autochthone Minderheiten entstehen innerhalb eines Staates bzw. Gebietes (endogen)

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Folie 11: D Definition efinition von „Minderheit“ • •

Subjektive Komponente: „Man kann keine Minderheit sein, ohne es zu wissen.“ → Minderheit muss sich ihrer Stellung bewusst sein Sondergruppe = Besondere Gruppe

Folie 12: Klassifikat Klassifikation ion von Sond Sondergruppen ergruppen •

• • •

Ethnische Sondergruppen  Ethnisch = Verzahnung von Abstammung und Kultur  „rassisch“ sollte man vermeiden, bezogen auf körperliche Merkmale → anthropologisch  Ethno-linguistische Sondergruppen; z.B. Bretonen in Frankreich, Kroaten im Burgenland, Sorben in Deutschland, Südtiroler, Latiner in Italien  Ethno-religiöse Sondergruppen; z.B. Juden in Marokko Religiöse Sondergruppen; z.B. Protestanten in Österreich, Katholiken in Russland Soziale Sondergruppen; z.B. Studenten, Bergbauern in Österreich, Gastarbeiter, Häftlinge Politische Sondergruppen; gewisse Parteien

Folie 13: D Definition efinition von „eth „ethnischer nischer Gruppe“ und „ethnisch „ethnischer er Minderheit“ • • •

Objektives Merkmal; z.B. Sprache (ethno-linguistische Gruppe, z.B. Ukrainer in Österreich, Vietnamesen in Deutschland/Italien/…) Subjektives Merkmal Um in Österreich aus einer ethnischen Gruppe eine ethnische Minderheit zu machen, ist ein juristischer Akt notwendig → juristische Konstruktion

Folie 16: D Demographie emographie • •

Bevölkerungsvorgänge werden analysiert, beschrieben, … → sind universal Sozialwissenschaften (Demographie) sind kaum raumabgrenzend, im Gegensatz zu Bevölkerungsgeographie

Folie 17: D Demographische emographische Gru Grundgleichung ndgleichung Formel zeigt von einer Raumvergessenheit Bevölkerung zu einem späteren Zeitpunkt (Pt+n) = Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt (Pt) + Geburten (Bt, t+n) – Sterbefälle (Dt, t+n) + Zuwanderung (It, t+n) – Abwanderung (Et, t+n)

Folie 18: W Weltbevölkerung eltbevölkerung • • •

Hat auch zur Gründung des „Club of Rome“ geführt Malthus meinte, die Weltbevölkerung nimmt geometrisch zu, während die Nahrungsmittel nur arithmetisch zunehmen, d.h. irgendwann werden wir verhungern Räumliche Differenzierung ist notwendig (Bsp. Italien und Österreich auf Folie 19, bezogen auf Zuwanderer anderer Länder)

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Methodologi Methodologie e vs. Metho Methodik dik Methodologie = wissenschaftstheoretischer Begriff Methodik = in jeder Disziplin verschieden; Arbeitsweisen, Datenerhebungstechniken Unterscheidung zwischen induktive und deduktive Herangehensweise (Sozialwissenschaften mehr deduktive Herangehensweise = sozialwissenschaftliche Methodologie) Methode

Induktiv:

Fragen

Deduktiv:

(Hypo)These → Wissen des aktuellen Forschungsstands

Überprüfung

→ Antwort → THEORIE Methode

→ Theorie → WISSENSCHAFT

Überprüfung

Beispiele für induktive Herangehensweisen: Idiographischer Ansatz → Einmaligkeit eines Sachverhaltes (z.B. Hochhauslandschaft in Los Angeles, Endmoräne von Wasserburg, Bayrischer Wald, Profil des Hahnenkamms, …) Nomothetischer Ansatz → Regelhaftigkeiten (z.B. Hochhauslandschaft in Los Angeles – Feststellen der Allgemeinen Gültigkeit der US-amerikanischen Hochhauslandschaften, …)

Grundbegriffe der Sozialwissenschaften Folie 34: Sozialer Stat Status/Rolle us/Rolle Zugeschrieben (askriptiv) Erworben (meritokratisch)

→ Rang/Position wird zugeschrieben (z.B. von Geburt an/Familie) → durch Engagement/Arbeit/… erreicht (z.B. Schule, Universität)

Folie 35: Fa Faktoren/Stat ktoren/Stat ktoren/Statussymb ussymb ussymbole ole Besitz/Einkommen: monetäre Statussymbole, Prestige Funktion: Aufgaben (z.B. Berufe, Titel) Bildung/Qualifikation: Schulabschlüsse, Lehre Abstammung, Religion, Biologie (Geschlecht, Alter, Aussehen) …

Folie 37: Soziale Roll Rolle e •



Jeder (Rollenträger) hat eine Rolle zu spielen mit einer jeweiligen Handlungserwartung (z.B. Universitätsprofessor – Bilden/Lehren, Studenten – Lernen/Studieren/Zuhören, Busfahrer – sicher Busfahren, …) Handlungsspielraum für Kreativität

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