Hauptteil Hausarbeit Grundrechte SS 2017 PDF

Title Hauptteil Hausarbeit Grundrechte SS 2017
Course Staatsrecht
Institution Universität Potsdam
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Summary

Sommersemester 2017
abgegebene Hausarbeit
Fach Grundrechte, Staatsorganisationsrecht, Öffentliches Recht
...


Description

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Beantwortung der ersten Frage: Gutachten Das Amtsgericht setzt das Verfahren aus, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Bei diesem Vorgehen handelt es sich gemäß Art. 100 I 1 GG1, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG um eine konkrete Normenkontrolle.

Das

Bundesverfassungsgericht

entscheidet

über

Verfassungswidrigkeit und somit Nichtigkeit der vorgelegten Norm. Diese Entscheidung erfolgt auf Grundlage von Zulässigkeit und Begründetheit. A. Zulässigkeit Der Antrag wäre zulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht zuständig ist und alle Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind. I. Zuständigkeit Das Bundesverfassungsgericht ist gemäß Art. 100 I i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Abs. 1 BVerfGG für die konkrete Normenkontrolle zuständig. II. Vorlageberechtigung Das Amtsgericht müsste vorlageberechtigt sein. Vorlageberechtigt sind i.S.v. Art. 100 I GG alle Spruchstellen, die als Gerichte bezeichnet, von einem formellen Gesetz mit dessen Aufgaben betraut und durch sachliche sowie richterliche Unabhängigkeit gekennzeichnet sind2. Das Amtsgericht ist ein Gericht in diesem Sinne und mithin vorlageberechtigt. III. Geeigneter Vorlagegegenstand Es müsste ein tauglicher Prüfungsgegenstand vorliegen. Nach Wortlaut des Art. 100 I GG sind dies Gesetze. Damit sind ausschließlich formelle3 und nachkonstitutionelle4 Gesetze gemeint. Das NetzDG ist ein formelles und nachkonstitutionelles Gesetz und somit tauglicher Vorlagegegenstand.

1 Soweit nicht anders gekennzeichnet sind alle nachfolgenden Artikel solche des Grundgesetzes. 2 BVerfGE 6, 55, 2; 6, 55, 63. 3 BVerfGE 1, 184, 201. 4 BVerfGE 2, 124, 128; 97, 117, 122.

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IV. Überzeugung des Gerichtes von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes Das vorlegende Gericht müsste von der Verfassungswidrigkeit des NetzDG überzeugt sein. Bloße Zweifel oder eine verfassungskonforme Auslegung stehen dem entgegen5. Laut Sachverhalt ist das Gericht von der Verfassungswidrigkeit überzeugt. V. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage Gemäß Art. 100 I GG müsste das zur Frage stehende Gesetz entscheidungserheblich für das Amtsgericht sein. Das Amtsgericht setzt das Verfahren deshalb aus, weil die Entscheidung im Verfahren der H von der Gültigkeit oder Nichtigkeit des NetzDG abhängt.

Somit ist die

Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes entscheidungserheblich. VI. Form Die Form der konkreten Normenkontrolle müsste gewahrt sein. Das Gericht müsste dazu den Vorlagebeschluss gemäß §§ 23 I, 80 II BVerfGG begründet und nach § 315 ZPO unterschrieben einreichen. Hiervon ist gemäß Sachverhalt auszugehen. Die Form wurde gewahrt. VII. Zwischenergebnis Die konkrete Normenkontrolle ist zulässig. B. Begründetheit Die konkrete Normenkontrolle des Amtsgerichtes wäre begründet, wenn das NetzDG mit höherrangigem Recht, ergo mit dem Grundgesetz, unvereinbar wäre. I. Formelle Verfassungsmäßigkeit Die Zuständigkeit des Bundes zum Erlass des NetzDG müsste gegeben sein, eine Gesetzgebungskompetenz müsste vorliegen. Die grundsätzliche Länderzuständigkeit, welche sich aus Art. 30 i.V.m. Art. 70 I ergibt, könnte vorliegend

durch

eine

ausschließliche

oder

Gesetzgebungskompetenz des Bundes ausgeschlossen sein.

1. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz 5 BVerfGE 1, 184, 128; 87, 114, 133.

konkurrierende

3

Eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz könnte sich aus Art. 71 i.V.m. Art. 73 I Nr. 7 Postwesen und Telekommunikation ergeben. Der Regelungsbereich der Telekommunikation könnte angeschnitten sein. Dies meint die Regelung über den Austausch von Informationen mithilfe von Kommunikationsanlagen, mithin die technische Seite. Nicht gemeint sind hingegen die Inhalte, die übermittelt werden oder die Art und Weise der Übermittlung6. Das NetzDG möchte die Rechtsdurchsetzung in den sozialen Medien verbessern. Es kommt also gerade auf die Mithilfe von Telekommunikationseinrichtungen,

besonders

elektronische

Medien,

geteilten Inhalte an. Art. 73 I Nr. 7 ist nicht einschlägig. Der Bund hat keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz. 2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz Weiterhin kommt die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 72 i.V.m. Art. 73 in Betracht. Dazu müsste einer der Kompetenztitel einschlägig sein. In Betracht kommen Art. 74 I Nr. 1, 7 und 11. a. Kompetenztitel Art. 74 I Nr. 1 aa. Art. 74 I Nr. 1 Variante 1, Bürgerliches Recht Die Regelungen der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken könnte Gegenstand des bürgerlichen Rechts gemäß Art. 74 I Nr. 1 Variante 1 sein. Der Begriff des bürgerlichen Rechts ist maßgeblich historisch geprägt7 und meint im Grundsatz alle zivilrechtlichen Vorschriften und somit das Privatrecht als Regelungen zwischen Privatpersonen8. Vorliegend könnten sich die Schutzpflichten der Plattformbetreiber, wie beispielsweise Fazerbook Inc., erweitert haben. Es entstehen jedoch keine zivilrechtlichen Ansprüche. Weiterhin erscheint Fazerbook eher als Mittelmann, da das Gesetz primär der Durchsetzung staatlichen Strafrechts dient. Auch aus diesem Grund handelt es sich nicht um ein Gesetz des privatrechtlichen Bereichs. Diese Gesetzgebungskompetenz ist nicht einschlägig.

bb. Art. 74 I Nr. 1 Variante 2, Strafrecht

6 Jarass, Pieroth, Pieroth, Art. 73, Rn. 26. 7 BVerfGE 33, 125, 152. 8 BVerfGE 42, 20, 30 f..

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Ferner könnte Art. 74 I Nr. 1 Variante 2 einschlägig sein. Der Bund ist danach für Gesetze, welche das Strafrecht zum Inhalt haben, zuständig. Das Strafrecht umfasst nach diesem Sinne alle staatlichen Maßnahmen, die der Reaktion auf Straftaten dienen. Dazu zählen Strafen, Bußen und auch Maßregeln der Besserung und Sicherung9. Mit dem NetzDG wird keine Strafbarkeit von Plattformbetreibern festgelegt. Nur soweit es im Gesetz um Bußgeldvorschriften wegen eines Verstoßes gegen die Verpflichtungen geht, könnte das Strafrecht einschlägig sein. § 4 NetzDG setzt fest, dass ordnungswidrig

handelt,

wer

die

in

§

1-3

NetzDG

normierten

Bestimmungen nicht einhält. Zwar fallen Ordnungswidrigkeiten auch unter das Strafrecht10, vorliegend dient die Sanktionierung jedoch nur der Durchsetzung des in § 1-3 NetzDG festgesetzten Verhaltens. Es handelt sich somit um eine unselbstständige Strafrechtsnorm11. Die Annahme der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass des gesamten NetzDG über den Umweg des Art. 74 I Nr. 1, würde zu einer nicht hinnehmbaren Aushöhlung der Gesetzeskompetenz der Länder gemäß Art. 30, 70 I führen12. Art.

74

I

Nr.

1

Variante

2

kann

somit

nicht

die

Gesetzgebungskompetenz für alle §§ des NetzDG begründen. b. Kompetenztitel Art. 74 I Nr. 7 Die Regelungen der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken könnte Gegenstand der öffentlichen Fürsorge sein. Öffentliche Fürsorge ist gemäß Art. 74 I Nr. 7 die öffentliche Hilfe bei wirtschaftlicher Notlage13. Hierbei ist es auch nicht unschädlich, dass Private, hier Plattformbetreiber, zur Durchsetzung gebunden werden14. Auch der Jugendschutz fällt in den Regelungsbereich der öffentlichen Fürsorge15. Das NetzDG dient unter Anderem dem Schutz vor rechtswidrigen Inhalten und der Entfernung derselben aus den sozialen Netzwerken. Geschützt werden also auch Minderjährige, die frei in Kontakt mit sozialen Medien treten können. Aus diesem Grund ist auch der Jugendschutz tangiert. Bisher war die inhaltliche Regulierung der Medien jedoch Länderkompetenz, welche von diesen durch 9 BVerfGE 109, 190, 212. 10 BVerfGE 31, 141, 144; 27, 18, 32. 11 BVerfGE 26, 246, 258. 12 Münch/ Kunig, Kunig, Art. 74, Rn.14; BVerfGE 26, 246, 258 ff.. 13 Jarass/ Pieroth, Pieroth, Art. 74, Rn. 17 f.. 14 BVerfGE 57, 139, 166 ff.. 15 BVerfGE 31, 113, 117.

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das

JMStV

und

den

RStV

auch

wahrgenommen

wurde. 16

Die

Erforderlichkeit einer Bundesgesetzgebung ist demnach nicht ersichtlich. Ferner stellt der Schutz Minderjähriger allenfalls einen Randbereich des Regelungsziels dar. Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 74 I Nr. 7 kommt mithin nicht in Betracht. c. Kompetenztitel Art. 74 I Nr. 11 Das Recht der Wirtschaft könnte angeschnitten sein. Dieser Begriff ist grundsätzlich weit zu verstehen und bezeichnet alle Normen, die das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche Regeln17. Die Aufzählung einzelner Wirtschaftszweige als Beispiele im Gesetz ist ausfüllend, eine Erweiterung der Kompetenz ist jedoch dahingehend möglich, dass auch branchenübergreifende Regelungen, die dem wirtschaftlichen Leben dienen, darunterfallen sollen.18 Eine wirtschaftsregelnde Tendenz kommt dem NetzDG vorliegend deshalb zu, weil das Gesetz den sozialen Netzwerken bestimmte Verfahren aufzwingt und diese Veränderungen auch wirtschaftsregulierende Bedeutung haben. Das NetzDG bezweckt jedoch auch inhaltliche Regelungen der sozialen Netzwerke. Diese sind, wie oben erläutert, eher Länderkompetenz. Dazu dienen auch die Ländermedienanstalten. Eine Erforderlichkeit der Bundeskompetenz ist vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens nicht ersichtlich. 3. Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen Da eine gesetzlich geregelte Gesetzgebungskompetenz nicht in Betracht kommt, könnte eine ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz vorliegen. In Frage kommt die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs und die Annexkompetenz.

Nach

diesen

hätte

der

Bund

auch

dann

die

Gesetzgebungskompetenz, wenn der zu regelnde Bereich in einem so engen Zusammenhang zu einer geschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes steht, dass er zwingend mitgeregelt werden muss 19. Einziges Ziel des Gesetzes ist die inhaltliche Regelung von Telemedien, die Anknüpfung an eine geschriebene Gesetzgebungskompetenz ist nicht ersichtlich. Des 16 Koreng, S. 204. 17 BVerfGE 68, 319, 330; 5, 25, 28. 18 Jarass/ Pieroth, Pieroth, Art. 74, Rn. 22. 19 Münch/ Kunig, Kunig, Art. 70, Rn. 23 ff..

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Weiteren zeigen die bisherigen Regelungen der Länder, dass eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht von Nöten ist. 4. Zwischenergebnis Es ist keine Gesetzgebungskompetenz ersichtlich, welche die Zuständigkeit des Bundes für den Erlass des NetzDG begründet. Es bleibt beim Grundsatz der Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art. 30, 70 I. Das NetzDG ist nicht formell verfassungsgemäß. HILFSGUTACHTEN 5. Gesetzgebungsverfahren Das Gesetz müsste entsprechend dem im Grundgesetz normierten Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sein. a. Gesetzesinitiative Das Initiativrecht müsste verfassungsgemäß ausgeübt worden sein. Das Einbringen des Gesetzes durch die Bundesregierung ist gemäß Art. 76 I verfassungsgemäß. Danach hätte der Bundestag das Gesetz dem Bundesrat zuleiten müssen20. Davon ist aufgrund fehlender Sachverhaltsinformationen auszugehen. b. Gesetzesbeschluss des Bundestages Der Bundestag müsste das Gesetz gemäß Art. 77 I 1 wirksam beschlossen haben. Im Mai 2017 stimmten die Abgeordneten mit großer Mehrheit für die Verabschiedung des Gesetzes. Das NetzDG wurde demnach wirksam beschlossen. c. Beteiligung des Bundesrates Der

Bundesrat

Grundsätzlich

müsste sind

verfassungsgemäß Gesetze

beteiligt

Einspruchsgesetze,

worden von

sein. einem

Zustimmungsgesetz nach Art. 74 II kann nicht ausgegangen werden. Hätte der Bundesrat Einspruch gegen das Gesetz einlegen wollen, so wäre zunächst der Vermittlungsausschuss nach Art. 77 II 1 anzurufen gewesen. 21 Er verzichtet gemäß Sachverhalt auf seine Rechte Einspruch einzulegen. Der Bundesrat wurde verfassungskonform beteiligt. 20 Degenhart, Rn. 215. 21 Degenhart, Rn. 225 f..

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d. Abschlussverfahren Die Form des Abschlussverfahrens müsste gemäß Art. 82 I 1 gewahrt worden sein22. Das Gesetz wurde von der Bundespräsidentin ausgefertigt und verkündet. Mithin trat das Gesetz am 1. Juli 2017 in Kraft. II. Materielle Verfassungsmäßigkeit Das NetzDG dürfte keinen Verstoß gegen höherrangiges Recht und somit grundgesetzliche Bestimmungen darstellen. 1. Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz Das Bestimmtheitsgebot, als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, gemäß Art. 20 III i.V.m. Art. 28 II müsste gewahrt worden sein. Das Bestimmtheitsgebot setzt die Verpflichtung der gesetzgeberischen Gewalt zur Erlassung von hinreichend konkreten Normen fest. Demnach muss ein Gesetz seine Voraussetzungen und Rechtsfolgen ausreichend genau bestimmen. Der einzelne Bürger muss mithin verstehen können, was von ihm gefordert wird und welche Rechtsfolge sich an ein Gesetz anschließt, damit er sich entsprechend darauf einstellen kann.23 Vorliegend ist fraglich, ob einige Formulierungen des NetzDG diesem Gebot genügen können. Besonders problematisch erscheint die Regelung zur Löschung von „offensichtlich rechtswidrigen Inhalten“ nach § 3 II Nr. 2 NetzDG. Die Formulierung „offensichtlich rechtswidrig“ könnte nicht bestimmt genug sein. Das ist der Fall, wenn man nicht davon ausgehen könnte, dass Menschen, die mit dem NetzDG in Kontakt kommen, wissen, was hierunter zu verstehen ist. Die Formulierung „offensichtlich rechtswidrig“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff

und

gewährt

den

Plattformbetreibern

einen

Ermessensspielraum. Fraglich ist, ob dieser zur Unbestimmtheit des NetzDG führt, also zur Verfassungswidrigkeit. Das Wort „rechtswidrig“ ist sehr exakt durch die präjudizielle Rechtsprechung zu den vorgegebenen Strafrechtsnormen bestimmt.24 Auf die Unbestimmtheit des Wortes „offensichtlich“ kann es weiterhin nicht ankommen, da ein gewisser gesellschaftlicher Generalkonsens dieses Wort geprägt hat. Des Weiteren 22 Degenhart, Rn. 236. 23 Jarass/ Pieroth, Jarass, Art. 20, Rn. 58. 24 BVerfGE 93, 266, 291 ff..

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verlängert sich die Frist zur Löschung des Inhaltes lediglich auf eine Woche. Es erscheint also klar und eindeutig, dass Inhalte, die unter die Strafrechtsnormen subsumiert werden können, gelöscht werden. Mithin ist das NetzDG ausreichend bestimmt genug. 2. Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 Hs. 1 Das NetzDG könnte mit dem in Art. 5 I 1 Hs. 1 grundrechtlich geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung unvereinbar sein. Dazu müsste ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegen, welcher nicht gerechtfertigt ist. a. Schutzbereich Der Schutzbereich von Art. 5 I 1 Hs. 1 müsste eröffnet sein. Art. 5 I 1 Hs. 1 ist ein Jedermann-Grundrecht und dessen persönlicher Schutzbereich ist somit für alle Nutzer von sozialen Netzwerken eröffnet. Ferner müsste der Schutzbereich auch sachlich eröffnet sein. Die vom Schutzbereich des Art. 5 I 1 Hs. 1 umfasste Freiheit der Meinung ist grundsätzlich weit zu verstehen. Sie gibt jedem Menschen das Recht seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Meinung in diesem Sinne ist jede wertende Äußerung, geprägt durch ein Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder des Meinens 25. Es wird weder nach dem Wert der Meinung unterschieden, noch nach Kriterien der Wahrheit,

Emotionalität

oder

anderen

Kategorisierungen26.

Auch

Tatsachenbehauptungen sind, da sie zur Meinungsbildung beitragen können, vom Schutzbereich umfasst. Lediglich erwiesen oder bewusst falsche Tatsachenbehauptungen, sowie die sogenannte Schmähkritik fallen nicht in den Schutzbereich.27 Das vom NetzDG normierte Verfahren regelt den Umgang mit Beschwerden über Postings in sozialen Netzwerken. Diese sind Meinungsäußerungen, von deren Schutzwürdigkeit, soweit keine der oben genannten Ausnahmen vorliegt, zunächst auszugehen ist. Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 I 1 Hs. 1 ist somit eröffnet. b. Eingriff in den Schutzbereich Die Regelungen des NetzDG müssten zu Lasten der Nutzer der sozialen Netzwerke in deren Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 Hs. 1 eingreifen. 25 BVerfGE 7, 198, 210. 26 Jarass/ Pieroth, Jarass, Art. 5, Rn. 5; BVerfGE 124, 300, 320. 27 Jarass/ Pieroth, Jarass, Art. 5, Rn. 6.

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Nach dem klassischen Eingriffsbegriff liegt immer dann ein solcher Eingriff vor, wenn der Staat durch hoheitliches Handeln unmittelbar, final und imperativ ein Verhalten, welches in den Schutzbereich des Grundrechtes fällt, erschwert oder unmöglich macht28. Vorliegend wird durch das NetzDG die Löschung von Postings der Nutzer sozialer Plattformen geregelt. Wie auch im Sachverhalt löschen daraufhin die Plattformbetreiber einzelne Meinungsäußerungen von Usern.

Dies stellt keinen unmittelbaren und

hoheitlichen Akt öffentlicher Gewalt dar. Der klassische Eingriffsbegriff ist demnach abzulehnen. In Betracht kommt ein Eingriff nach dem modernen Eingriffsbegriff. Nach diesem liegt ein Eingriff dann vor, wenn ein staatliches Handeln dem Einzelnen ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich macht29. Gemeint ist demnach jede dem Staat zurechenbare Grundrechtsbeeinträchtigung. Die Löschung von Nutzerinhalten auf sozialen Plattformen erfolgt auf Grundlage des NetzDG, welches vom Staat erlassen wurde. Somit ist die Löschung der Meinungsäußerungen dem Staat zurechenbar. Fraglich ist jedoch, inwieweit ein Eingriff vorliegt, da das NetzDG nur die Löschung offensichtlich rechtswidriger Inhalte beabsichtigt. Diese wären ohnehin nicht vom Schutzbereich des Art. 5 I 1 Hs. 1 umfasst. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die relativ kurzen und festen Löschfristen von 24 Stunden bzw. sieben Tagen dazu führen, dass eine genaue Prüfung der Posts nicht erfolgen kann und somit im Zweifel auch rechtmäßige Meinungsäußerungen gelöscht werden. Ebenso führt die Angst vor den hohen Sanktionierungen bei Nicht-Einhaltung dazu, dass legale Inhalte gelöscht werden30. Durch die Verabschiedung des in dieser konkreten Weise ausformulierten NetzDG durch den Gesetzgeber kommt es mittelbar zur Löschung von Inhalten, die ursprünglich rechtmäßig und somit von der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 Hs. 1 umfasst sind. Ein Eingriff in den Schutzbereich liegt mithin vor. c. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Der

Eingriff

in

den

Schutzbereich

der

Meinungsfreiheit

Verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.

28 Jarass/ Pieroth, Jarass, Vorb. vor Art. 1, Rn. 27; BVerfGE 105, 279, 299 f.. 29 BVerfGE 105, 279, 301. 30 Guggenberger, S. 99.

könnte

10

aa. Einschränkbarkeit der Meinungsfreiheit Die Meinungsfreiheit müsste einschränkbar sein. Gemäß der Schrankentrias des Art. 5 II findet das Recht auf freie Meinungsäußerung seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Alle drei Schranken kommen in Betracht, deshalb ist zu differenzieren. Das NetzDG müsste zunächst ein allgemeines Gesetz darstellen. Fraglich ist, was unter allgemeinen Gesetzen zu verstehen ist. Allgemein ist ein Gesetz nicht schon dann, wenn es abstrakt-generell formuliert ist. Darum kann es in Art. 5 II nicht gehen, weil ein solches Verbot von Einzelfallgesetzen bereits in Art. 19 I 1 festgesetzt ist und Art. 5 II somit bedeutungslos wäre31. Darüber, was allgemeine Gesetze sonst bedeuten sollen, streiten zwei Ansichten. Heute wird eine Kombination beider vertreten. Nach der sogenannten Sonderrechtslehre ist ein Gesetz allgemein, wenn es keine bestimmte Meinung verbietet und deren geistige Zielsetzung unter Strafe stellt, sondern ein anderes Rechtsgut schützt32. Die Abwägungslehre fordert zudem eine größere Gewichtung des anderen Rechtsgutes. Das zu schützende Rechtsgut müsste demnach Vorrang vor der...


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