Helmut Lachenmann und Richard Strauss PDF

Title Helmut Lachenmann und Richard Strauss
Author Tobias Schick
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Helmut Lachenmann und Richard Strauss1 Tobias Schick Am 24. August 2005 fand im Rahmen des Lucerne Festivals 2005, bei dem Helmut Lachenmann in jenem Jahr Composer in Residence war, ein Orches- terkonzert mit einem ungewöhnlichen und kontrastreichen Programm statt. Auf Wunsch Helmut Lachenmanns wurd...


Description

Helmut Lachenmann und Richard Strauss1 Tobias Schick

Am 24. August 2005 fand im Rahmen des Lucerne Festivals 2005, bei dem Helmut Lachenmann in jenem Jahr Composer in Residence war, ein Orchesterkonzert mit einem ungewöhnlichen und kontrastreichen Programm statt. Auf Wunsch Helmut Lachenmanns wurde dessen »Klavierkonzert« Ausklang die Alpensinfonie von Richard Strauss gegenübergestellt. Diese Kombination vermag zu erstaunen, denn Lachenmann und Strauss gelten gemeinhin nicht als zwei sich ästhetisch besonders nahestehende Komponisten: Hier der bedeutende Protagonist einer avancierten Gegenwartsmusik, dort ein Komponist, der auf halbem Wege von der Moderne zur Neuen Musik stehen blieb2, hier das Programm einer systematischen Untersuchung der Rückseite des philharmonischen Schönklangs, verbunden mit der Frage nach den physikalischen, materialen und körperlichen Bedingungen der Klangerzeugung, dort die kühl kalkulierte Setzung üppiger und klangsinnlicher Reize3 in einer Musik, die so schwer zu spielen ist und doch so leicht wirkt, da sie die Arbeit, die in ihr steckt, hinter ihrer rauschenden Fassade versteckt; hier die kritische Reflexion eines Komponisten, dem Kunst mehr ist als das »Medium eines . . . Schönheits- und Ordnungsbegriffs für eine Gesellschaft, welche in der Kunst immer wieder die Versöhnung mit sich selbst feiern möchte«4, sondern der sich der Aufklärung der Kunst über sich selbst und über ihre verfestigten Wahrnehmungsroutinen verpflichtet fühlt und darum sogar »Kommunikation selbst aufs Spiel«5 zu setzen gewillt ist, dort ein Komponist, der die im 19. Jahrhundert gewachsenen, tradierten SprachDer Text ist die etwas erweiterte Fassung eines Vortrags, den der Autor am 8. November 2018 beim Symposium Helmut Lachenmann – »My Melodies« an der Hochschule für Künste Bremen gehalten hat. 2 Carl Dahlhaus sprach exemplarisch von einer »Abkehr von der Moderne bei Strauss« um 1909 im Zuge von Schönbergs Hinwendung zur Atonalität, der Strauss nicht zu folgen gewillt war (Carl Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts [= Gesammelte Schriften, Bd. 10], hg. von Hermann Danuser, Laaber 2003, S. 324). Hermann Danuser spricht in ähnlicher Weise von einer »unerwarteten Zurücknahme im Entwicklungsstand des musikalischen Materials« nach der Oper Elektra (Hermann Danuser, Die Musik des 20. Jahrhunderts [= Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Bd. 7], Laaber 1984, S. 15. 3 In seiner Mahler-Monographie von 1960 sprach Theodor W. Adorno von »Straussens großbürgerlich vitalistischer Genußmusik« (Theodor W. Adorno, Mahler. Eine musikalische Physiognomik, in: Ders., Die musikalischen Monographien [Gesammelte Schriften, Bd. 13], Frankfurt a. M. 2003, S. 278). Eine differenzierte Betrachtung dieser Einschätzung findet sich bei Andreas Dorschel, Vom Genießen. Reflexionen zu Richard Strauss, in: Gemurmel unterhalb des Rauschens. Theodor W. Adorno und Richard Strauss (= Studien zur Wertungsforschung, Bd. 45), hg. von dems., Wien 2004, S. 23-37. 4 Helmut Lachenmann, Zum Verhältnis Kompositionstechnik – Gesellschaftlicher Standort [1971/72], in: Ders., Musik als existentielle Erfahrung. Schriften 1966-1995, hg. von Josef Häusler, Wiesbaden 20042, S. 95 (im Folgenden zitiert als ME). 5 Helmut Lachenmann, Zur Frage einer gesellschaftskritischen (-ändernden) Funktion der Musik [1972], in: Musik als existentielle Erfahrung, a. a. O., S. 98. 1

Musik & Ästhetik 24, 2/2020, 59–76

www.musikundaesthetik.de

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mittel nicht kritisch reflektiert, sondern auskostet und auf die Spitze treibt. Helmut Lachenmanns und Richard Strauss’ künstlerische Ansätze könnten unterschiedlicher kaum sein  – so scheint es zumindest angesichts dieser bewusst überzeichneten Gegenüberstellung gängiger Rezeptionskonstanten. Die Vermutung, dass Gegensätze sich anziehen und gegenseitig erhellen, liefert auch das Begründungsmuster für die Programmdisposition des Konzerts in Luzern. Im Gespräch mit Max Nyffeler hat Lachenmann seine Faszination für die Alpensinfonie mit ihrer dialektischen Wahrheit begründet und sie als »lehrreich-gespenstische Emphase im Namen eines längst abgedankten Weltbildes«, als eine Art »Abschied in gespenstischem Jubel« charakterisiert6, dessen stumme Rückseite von dem längst in Gang befindlichen Zerfall kündet und unterstellt Strauss, die sich bereits im Untergang befindliche Epoche nicht naiv, sondern in vollem Bewusstsein zu überhöhen: »Die Alpensinfonie ist keine unreflektierte Musik. Sie gibt sich ungebrochen, aber das ist etwas anderes als unreflektiert. Ich glaube, dass Richard Strauss ganz genau gewusst hat, dass es zu Ende ist mit dem Weltbild, das er hier vermittelt hat.«7 Doch da an ungebrochener, einer traditionellen Musiksprache zugewandter Musik weder im 20. noch im 21. Jahrhundert Mangel herrscht, kann dieser Aspekt kaum allein für Lachenmanns Strauss-Faszination verantwortlich sein. So ließ dieser denn auch eine »positive« Bewunderung für Strauss’ kompositorische Meisterschaft erkennen und plädierte dafür, nicht über dessen affirmative Emphase die Nase zu rümpfen: »wir starren herablassend auf das Programm und übergehen die Intensität dieser Musik als Struktur, vor deren Reichtum unsere zeitgenössischen Klangfarbeningenieure alt aussehen.«8 Diese Faszination gibt Anlass zu der Frage, ob Lachenmanns Musik mit derjenigen von Strauss mehr gemein hat als üblicherweise angenommen, denn Begeisterung ist selten grundlos, sondern oft auf ähnliche Neigungen zurückzuführen. Die folgende vergleichende Analyse befragt daher die Musik von Lachenmann und Strauss auf mögliche strukturelle Parallelen. Diese zeigen sich am ehesten in einem Bereich, der mit dem Begriff der »kompositionstechnischen Haltung« umschrieben werden kann, denn offenkundig sind ihre Tonsprachen, nicht nur bedingt durch ein unterschiedliches Kunstverständnis, sondern auch durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Epochen, so verschieden, dass es wenig zielführend ist, vorrangig oberflächliche Ähnlichkeiten oder konkrete Parallelen ausfindig machen zu wollen, obwohl 6 Helmut Lachenmann im Gespräch mit Max Nyffeler über die Alpensinfonie von Richard Strauss, in: Programmbuch des Lucerne Festivals 2005, hier zitiert nach http://www.beckmesser.info/helmut-lachenmannund-die-alpensinfonie/ (28. 8. 2018). 7 A. a. O. 8 A. a. O.

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es auch diese gibt. Bei kaum einem anderen Komponisten der Neuen Musik finden sich so häufig virtuose Läufe in einer Art, die deutlich an die aufund abstürzenden Kaskaden eines Strauss erinnern wie bei Lachenmann.9 Er selbst gab an10, die Gigue aus der Tanzsuite mit Deutschlandlied (1979/80) neben der offenen Elektra-Partitur komponiert zu haben, um sich von dieser für die Organisation der aberwitzig überdrehten Virtuosität dieses Abschnitts inspirieren zu lassen. Die von Lachenmann hierbei erwähnte Passage aus Elektra ist die »Lichter«-Szene, in der Klytämnestra der vorgebliche Tod Orests verkündet wird (Ziffer 261-5). In der Tat ähneln sich beide Passagen in einer Reihe wesentlicher struktureller Eigenschaften: Beide stehen in einem sehr schnellen 6/8-Takt (punktierte Viertel = 120 bei Strauss, kaum je erreichte 132 bei Lachenmann), vereinigen unterschiedliche Geschwindigkeitsebenen ([punktierte] Viertel, Achtel, Sechzehntel, tremolierte Klänge) und verschränken auf höchst virtuose Weise relativ kurzgliedrige und meist ausschnitthafte Strukturelemente, wodurch in beiden Fällen der Eindruck einer atemberaubenden Geschwindigkeit entsteht. Der Vergleich der beiden Passagen, deren Verwandtschaft durch die Äußerung Lachenmanns verbürgt ist, zeigt, dass diese im Wesentlichen nicht in der zitathaften Übernahme von Fremdmaterial, sondern in grundlegenden Parallelen der satztechnischen Organisation bestehen. Dieser Sachverhalt gibt Anlass zu der These, dass auch über dieses Beispiel hinaus die konkreten, bisweilen auch anekdotischen Ähnlichkeiten weniger bedeutsam sind als die generellen Parallelen im Musikdenken, die es ratsam erscheinen lassen, sich an der Arbeitsweise des Archäologen zu orientieren, ähnlich wie dies Michel Foucault bei der Aufdeckung der als »episteme« bezeichneten, disziplinüberschreitenden Parallelen des Denkens einer Epoche getan hat.11

Elektra und das Mädchen mit den Schwefelhölzern Der folgende Vergleich stellt den Beginn von Strauss’ Oper Elektra dem Mädchen mit den Schwefelhölzern, der »Musik mit Bildern« Lachenmanns gegenüber. Die äußere Gemeinsamkeit, dass es sich in beiden Fällen um den Beginn von epochalen Musiktheaterwerken handelt, ist zunächst nicht viel mehr als eine heuristische Vorentscheidung, die sogar irreführend sein kann, denn um die höchst unterschiedlichen Musiktheaterkonzeptionen von Strauss und Lachenmann soll es gerade nicht gehen. Im Zentrum des folgenden Vergleichs stehen vielmehr der Aspekt der kompositorischen Syntax, 9 Vgl. bei Lachenmann etwa Mouvement (- vor der Erstarrung) T 112-187, Schreiben T 173, 214 f., 256 ff. u. 269 f. oder den Abschnitt Jagd aus Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, bei Strauss etwa Till Eulenspiegel bei Ziffer 10, 28 oder 31, Elektra, Ziffer 1-2, Ziffer 49-2 oder Ziffer 116, um nur wenige Beispiele zu nennen. 10 In der an den Vortrag anschließenden Diskussion am 8. November 2018 in Bremen. 11 Vgl. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a. M. 1981, S. 24.

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die Frage der strukturellen Gliederung und die Strategie von klanglichen Verbindungen und Entwicklungen. Die Untersuchung bezieht sich im Einzelnen auf die Kategorien Syntax, Ideal des transformativen Klangs, Virtuosität, kompositorische Stringenz, Ökonomie der Mittel und Form.12

Beginn der Oper Elektra Die Eröffnungsszene von Elektra und insbesondere deren Anfang ist von einer im Werk von Strauss wohl sonst nie erreichten Atemlosigkeit gekennzeichnet, die das Resultat einer äußerst kurzgliedrigen kompositorischen Syntax ist. Diese besteht aus einer Aneinanderreihung von kurzen, etwa zwei bis fünf Takte umfassenden »Satzgliedern«, deren Abfolge vielfach unerwartet und kontrastreich ist. Konventionelle Strukturen wie Satz oder Periode gibt es nicht, stattdessen folgen vielfach heterogene Momente aufeinander. Nach den drei ersten Takten des zentralen Agamemnon-Leitmotivs, mit dem das Stück eröffnet wird, folgen vier Takte, die die Mägde im Gespräch über Elektra zeigen. Daran schließt sich eine zweitaktige, virtuose Aufwärtsbewegung an, die den Auftritt Elektras schildert. Die nächsten beiden Takte (T 10/11) vollziehen auftaktige Abwärtssprünge, woran sich drei Takte mit grell crescendierenden Akkorden anschließen. T 15-17 sind von einer aufsteigenden Melodie13 und deren nachfassendem Zielton as2 geprägt und gehen direkt über in eine Wiederholung der crescendierenden Akkorde. Auch nach dem Wiedereinsatz der Mägde in T 20 setzt sich dieser schnelle Wechsel fort und wird sogar noch beschleunigt. Dieser charakteristischen Kurzgliedrigkeit des Anfangs als Aspekt der Heterogenität und einer »syntaktischen Zentrifugalkraft« ist ein Moment der Ordnung und Vereinheitlichung gegenübergestellt. Die kompositorische Stringenz des Anfangs erwächst zum einen aus der Struktur des Textes. Die Musik wird durch die im Gespräch vorangetriebene Erzählung der Mägde sowie durch den Wechsel zwischen ihrem Prosagesang, der weitgehend der natürlichen Betonung und Melodie des Gesprochenen folgt, und den nonverbalen, durch das Orchester dargestellte Reaktionen Elektras gegliedert. Wie diese beiden Ebenen ineinander spielen, kann vielleicht am besten ab T 22 beobachtet werden: Die Mägde erzählen von Elektras Verhalten, das Orchester zeigt dieses akustisch. Zum anderen werden viele der kurzen strukturellen »Motivglieder« wiederholt – allerdings meist nicht vorhersehbar, sondern in immer wieder anderen Zusammenhängen. Häufig entsprechen sie wichti12 Auf die Frage, warum die von Lachenmann hervorgehobene Alpensinfonie gerade nicht im Zentrum der Betrachtungen steht, wird später noch zurückgekommen. 13 Es handelt sich hierbei um das Motiv von Elektras Einsamkeit, das mit dem zentralen Agamenmon-Motiv verwandt ist. Die Darstellung der Leitmotive folgt dem Verzeichnis bei Kurt Overhoff, Die Elektra-Partitur von Richard Strauss, Salzburg 1978.

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gen Leitmotiven der Oper. Auch die gleichbleibende Art des Prosa-Gesangs der Mägde stiftet Zusammenhang (Bsp. 1) Bsp. 1: Zentrale Leitmotive: »Agamemnon der Vater« (Oboen T 1/2), »Das fallende Beil« (Violinen, Ziff. 1), »Elektras Ekel« (Blechbläser, Ziff. 1 + 2), »Elektras Hass« (Oboen, Ziff. 1 + 6)

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Charakteristisch für die kompositorische Syntax des Anfangs ist, dass die strukturellen Zusammenhänge zwar häufig wechseln, die Musik aber dennoch dem Ideal einer stetigen Transformation des Klangs gehorcht. Scharfe, mechanische Schnitte, wie sie etwa für Igor Strawinskys »Baukastenprinzip« oder »Schablonentechnik« typisch sind14, gibt es bei Strauss nicht. Trotz plötzlicher Wechsel der Motivglieder treibt die Musik nahezu organisch weiter. Strauss verkettet auch gegensätzliche Strukturmomente miteinander: Die Eröffnungsgeste ist mit dem beginnenden Gespräch der Mägde klanglich verschränkt, da der nachlassende Ausklang des Eröffnungsakkords in Bassklarinette, Pauke und großer Trommel zum tiefen Fundament des Gesangs wird. Dieses ist mit der außerordentlich kontrastierenden aufsteigenden 14 Vgl. Volker Scherliess, Igor Strawinsky und seine Zeit, Laaber 1983, S. 130-141.

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Geste insofern verknüpft, als diese bereits am Ende des Gesprächs auftaktig in den Holzbläsern einsetzt. Die Aufwärtsbewegung hingegen verlangt geradezu nach einer Fortsetzung. Diese findet sie in dem Akkord der Trompeten (T 10), denn die letzten Töne des Laufs münden direkt in diesen.15 Allerdings ist der Übergang kein stufenloser: durch die deutlich andere Instrumentierung und den neu und unvermittelt hinzutretenden Spitzenton h2 in der ersten Trompete werden die beiden Momente gleichsam voneinander abgesetzt. Die Verzahnung der unterschiedlichen strukturellen Figuren zwischen T 11 und 18 erfolgt durch die Weitergabe von Zentraltönen. Das fis1 der Violinen (T 11) wird von den Trompeten übernommen, die jenen dafür ein as1 zurückgeben (T 14) (Bsp. 2) Bsp. 2: Tonweitergabe zwischen Violinen und Trompeten (T 10-14); die in F stehenden Trompeten des obersten Systems werden eine Quarte nach oben transponiert

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Dafür übernehmen die Flöten und Trompeten in T 18 das f1 der ersten Bratschen. Der »Einschwingklang« des »Ekel-Motivs« in T 19 – um einen Begriff aus Lachenmanns »Klangtypologie«16 auf frühere Musik anzuwenden – fungiert als Doppelpunkt und geht nicht bruchlos in das Folgende über. Und doch wird die durch das Crescendo freigesetzte klangliche Energie explizit 15 Die Klarinetten und Bratschen enden mit der Großterz des2-f2, die Trompeten 2 und 3 setzen mit d2-fis2 fort. 16 Vgl. Helmut Lachenmann, Klangtypen der neuen Musik, in: Musik als existentielle Erfahrung (Anm. 5), S. 1-20.

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weitergegeben, denn die beiden Oboen greifen in ihrer Aufwärtsgeste die beiden Intervalle des letzten »Ekel-Motivs« der Flöten und Trompeten auf und führen sie anders weiter. Zudem halten die Kontrabässe noch eine Sechzehntelnote in den folgenden Takt über, sodass keine Pause entsteht, als hätte Strauss Angst gehabt, dass die Verbindung nicht organisch genug sei. Der Anfang von Elektra erweist sich als klar kalkuliert und zeigt eine große handwerkliche Meisterschaft. Allein, besonders ökonomisch ist er nicht. Vielmehr entfaltet Strauss einen überbordenden Reichtum an Gesten und Klangfarben, worin Theodor W. Adorno den »Gestus eines idealisierten großen Industriellen« erblickt: »Er braucht nicht zu sparen: höchst aufwendig sind die Mittel. Er braucht nicht an die Bilanz zu denken; unbekümmert wird produziert.«17 Die einzelnen Momente jagen einander nach und vermitteln den Eindruck, als verschleudere Strauss unbekümmert bereits zu Anfang sein strukturelles Material, um dann doch mit diesem noch knapp zwei Stunden zu arbeiten. Darin zeigt sich aber auch eine dezidiert unakademische Haltung. Mit seinen Mitteln zu haushalten, lange Steigerungszüge zu planen und außergewöhnliche Momente sparsam zu dosieren, liegt nicht in seinem Sinn. Strauss spart nicht an Noten und entfaltet auch für kurze Momente wie dem von Elektras Auftritt (T 8 f.) einen wahren Feuerzauber, der so schnell wieder erloschen ist, wie er begonnen hat. Die unökonomische Großzügigkeit zeigt sich auch in der klanglichen Vielfalt. Es ist fast unnötig, auf die riesige und farbenreiche Besetzung hinzuweisen, die unter anderem vier Flöten, vier Oboen (darunter Englischhorn und Heckelphon), acht Klarinetteninstrumente (darunter Es-Klarinette, zwei Bassetthörner und Bassklarinette), sechs Trompeten sowie eine Basstrompete und drei Posaunen, Kontrabassposaune und Kontrabasstuba vorsieht. Der systematisch entfaltete Klangfarbenreichtum lässt sich auch in der stetigen Variation der Leitmotive erkennen. Das Agamemnon-Motiv etwa erscheint bis Ziffer 6 (T 42) acht Mal in jeweils verändert Gestalt.18 Es variiert die Dynamik, die Besetzung und vor allem das an den jeweiligen Kontext angepasste Ende des Motivs. Stärker als das Agamemnon-Motiv fungiert das »Ekel-Motiv« als Signal und kompositorisches Objekt. Auch dieses erscheint jedoch nicht nur häufig in unterschiedlicher Tonlage, sondern zudem bewusst jedes Mal anders gefärbt. Die drei Trompeten sind immer dabei. Zu diesen treten aber wechselnde Instrumente. In T 12-14 die Posaunen, in T 18/19 die Flöten, in T 22/23 die Hörner und Klarinetten (letztere mit Triller) sowie in T 24/25 die Bassetthörner und Fagotte. Erst in T 34 f. 17 Theodor W. Adorno, Richard Strauss. Zum hundertsten Geburtstag: 11. Juni 1964, in: Musikalische Schriften I–III (= Gesammelte Schriften Bd. 16), Frankfurt a. M. 2003, S. 565 f. 18 T 1-3 tutti, T 7 Bassklarinette und Fagotte, T 8 Holzbläser, Ziff. 3 + 3 Flöten und Englischhorn, Ziff. 3 + 4 und 3 + 5 Bassetthörner und Bassklarinette, Ziff. 4 + 3 Bassetthörner und Bassklarinette, Ziff. 5 + 3 f. Bassetthörner, Bassklarinette und Fagott, Ziff. 6 f. Klarinetten.

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erscheint das Motiv wieder in seiner diastematischen und klangfarblichen Ausgangsgestalt. Der Klangfarbenreichtum dank ständiger Variation hat seine Ursache aber gewiss nicht nur in einer Idiosynkrasie gegenüber einer zurückhaltenden Sprödigkeit, sondern steht in Verbindung mit dem Ideal eines sich ständig transformierenden Klangs. Die Musik von Strauss bleibt immer in Bewegung und wird vorangetrieben: »Der dem Gehör keinen Augenblick zur Kontemplatio...


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