Jürgen Habermas - Lebenswelt und System PDF

Title Jürgen Habermas - Lebenswelt und System
Author Rebecca Sievers
Course Theorien der Soziologie
Institution Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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Summary

Jürgen Habermas, 10. Sitzung der VL "Theorien der Soziologie", SoSe 2018, CAU Kiel ...


Description

Jürgen Habermas

10. Sitzung

21.06.2018

Kritische Theorien

Lebenswelt und System bei Jürgen Habermas Rückblick zur neunten Sitzung Prüfungsrelevant! In Bourdieus Feldtheorie haben soziale Felder autonome und heteronome Pole. Was ist jeweils damit gemeint? Geben Sie für den autonomen und den heteronomen Pol eines Feldes jeweils ein Beispiel. - Autonom ist der Teil eines Feldes, der sich von externen Zugriffen besonders gut unabhängig machen kann à hier gelten nur feldinterne Regeln - Heteronom ist der Teil eines Feldes, wo feldexterne Kriterien berücksichtigt werden à hier gelten auch feldexterne Regeln - Kunst: autonomer Pol = abstrakte moderne Kunst (für Laien unverständlich, nur Experten haben Zugang); heteronomer Pol: kommerzialisierte Kunst (Schlager, Pop, Kunsthandwerk...) Bourdieu zufolge hat jedes Feld seine eigene „Kapitalsorte“. Erläutern Sie diesen Begriff und geben Sie Beispiele für unterschiedliche Kapitalsorten. - Jedes Feld hat seine spezifische Kapitalsorte - Bourdieu geht also von einer Pluralität der feldspezifischen Kapitalsorten aus - Es gibt daher nicht nur ökonomisches Kapital (Reichtum), sondern auch zum Beispiel: - Wissenschaftliches Kapital (Publikationen in guten Fachzeitschriften), künstlerisches Kapital (sichtbare Ausstellungen in Institutionen der Hochkultur), politisches Kapital (viele gewonnene Wahlen) - Die Ausdifferenzierung von unterschiedlichen Feldern und Kapitalsorten führt zu Brechung der Übertragbarkeit von einer Kapitalsorte in die andere Wie gestaltet sich bei Bourdieu das Verhältnis von Feldlogik und der Logik sozialer Schichtung? Geben Sie ein Beispiel für diesen Zusammenhang. - In allen Feldern gilt: bildungsnahe Oberschichten haben den leichteren Zugang, werden leichter zu Spitzenvertretern des Feldes - Aber Felder und ihre Spitzen vertreten nicht die Interessen der Oberschicht, sondern des Feldes - Beispiel: die meisten Richter kommen aus bürgerlichen Familien - Aber: empirisch gesehen entscheiden sie bei Konflikten zwischen Unterschichten und Oberschichten nicht zugunsten der eigenen Klasse

Kritische Theorien „Ihrem Selbstverständnis nach belassen es kritische Theorien (...) nicht bei einer soziologischen ‚Beobachtung der Kritik’ (...) und der Analyse ihrer Ermöglichungsbedingungen, Gründe und Ursachen. Sie zielen vielmehr auf den Nachweis, dass mit guten Gründen, d.h. auf der Grundlage rechtfertigbarer Normen kritisierbare Zustände und Ereignisse gesellschaftsstrukturell bedingt sind (...). D.h. Kritische Sozial- und Gesellschaftstheorien sind erstens – explizit oder implizit – normativ voraussetzungsvoll, sie nehmen gesellschaftliche Strukturen zweitens als problemerzeugende in den Blick und sie sind drittens

Jürgen Habermas

10. Sitzung

21.06.2018

darauf ausgerichtet, ein Nachdenken über Perspektiven einer solchen Umgestaltung der Gesellschaft zu ermöglichen, die eine Verringerung menschlichen Leidens, die Realisierung sozialer Gerechtigkeit und die Steigerung individueller Autonomie ermöglichen“ (Scherr 2015, 17, Hervorhebung im Original).

Jürgen Habermas (geb. 1929) Die kritische Theorie -

In der Tradition der „klassischen“ kritischen Theorien: Adorno, Horkheimer, Marcuse Hintergrund: gesellschaftlich Utopien/Ideologien führten im Laufe des 20. Jahrhundert oft zu Katastrophen (Stalinismus, Maoismus, Faschismus) Das Ideal ist nicht eine utopische, geordnete Gesellschaft (wie im Kommunismus), sondern: Eine „herrschaftsfreie“, ideale Form der Kommunikation

Leitfrage Was motiviert Kommunikationsteilnehmer zur Annahme eines Interaktionsangebotes? -

Sprecher kann gute Gründe dafür anführen, die eine Annahme des Gesprächs rational erscheinen lassen; Mit jeder Sprechhandlung sind Ansprüche auf rationale Geltung verknüpft, für deren argumentative Einlösbarkeit der Sprecher die Gewähr übernimmt. Hinter jeder Kommunikation steckt die Suche nach Rationalität; man kann den Sprecher fragen und er ist im Stande sich zu antworten und sich rational zu verhalten Argumentative Rationalität (nicht Zweckrationalität, sondern sind im Stande sich zu einigen ohne Gewalt)

Zentrale These der Theorie kommunikativen Handelns Ernsthafte und aufrichtige Kommunikationen sind mit genau 4 Geltungsansprüchen verknüpft: 1. Verständlichkeit der Äußerung; 2. Wahrhaftigkeit im Blick auf die damit bekundeten Absichten, Überzeugungen und Empfindungen, Ehrlichkeit, keine versteckten Absichten bei Fragen; 3. Wahrheit des propositionalen Gehalts der Äußerung, wahre Antworten; 4. Richtigkeit der Äußerung in Relation zu sozial geltenden Handlungsnormen bzw. Angemessenheit in Relation zu sozial geltenden Werten (nicht: „Warum fragen Sie das? Können Sie sich nicht woanders informieren?“  wäre unangemessen) Vorstellung eines idealen Gesprächs – ist das realistisch?

Erläuterungen -

Je nach Aussage steht ein Geltungsanspruch im Vordergrund (z.B. keine Wahrhaftigkeit bei Liebesbeziehungen, um den Partner nicht zu verletzten) Mithilfe von Argumenten ist eine vernünftig begründbare Entscheidung möglich Gilt für alle Zeiten und ALLE Kulturen Wurde oft kritisiert (nicht in allen Kulturen gelten diese Geltungsansprüche)

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21.06.2018

Kommunikatives Handeln und argumentativer Diskurs -

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Geltungsansprüche können im Falle ihrer Problematisierung durch Kommunikationsteilnehmer auf dem Wege argumentativer Begründung eingelöst werden; Geltungsansprüche können auch dann eingelöst werden, wenn es zu Konflikten kommt, selbst dann kann rational (und friedfertig) kommuniziert werden; In Abhängigkeit vom jeweils einzulösenden Geltungsanspruch lassen sich unterschiedliche Formen des argumentativen Diskurses (bzw. der Kritik) unterscheiden (wenn es zu Konflikten kommt, kann man auch eine rationale Art und Weise kommunizieren; argumentative Diskurse = es gewinnt der mit dem besseren Argument; Bsp. Zwei Wissenschaftler mit unterschiedlichen Theorien)

Strukturdimensionen und Funktionen kommunikativen Handelns und diskursiver Argumentation

Rationale Begründung -

Werte und Normen sind rational begründbar (Habermas: Es gibt immer einen rationalen Weg raus aus dem Konflikt) Nicht bloße Tradition oder eingeübte Kultur Habermas verlangt kritische Reflexion/Rationale Begründbarkeit (kommunikatives Handeln): Theorie soll kritische Theorie der Gesellschaft sein Sind unsere Werte und Normen die richtigen Werte und Normen? Andere Seite: Es gibt Situationen, in denen Argumente nicht rational begründet werden = strategisches Handeln

Unterscheidung zwischen kommunikativem und strategischem Handeln -

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Eine alternative Form der Motivierung zur Annahme eines Kommunikationsangebotes liegt vor, wenn (unabhängig von argumentativen Begründungsmöglichkeiten) die Befriedigung oder Beeinträchtigung von Bedürfnissen in Aussicht gestellt wird. In diesem Falle liegt nicht kommunikatives Handeln, sondern strategisches Handeln vor. Strategisches Handeln = Adressat lässt sich auf Argument ein, weil es für ihn nützlich ist (nicht Geltungsansprüche als Motivation)

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21.06.2018

Um diese zwei unterschiedlichen Kommunikations-/Handlungstypen herum bilden sich zwei Sphären der Gesellschaft: Kopplung von Handlungstheorie und Differenzierungstheorie  Gesellschaft ist zweigespalten in Lebenswelt Systemische Sphäre

 

Kommunikatives Handeln strategisches Handeln

Die Differenzierung der Gesellschaft in die Sphären der Lebenswelt und Systeme -

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Lebenswelt als Sphäre kommunikativen Handelns; Systemische Sphäre als Bereich offen strategischen Handelns Zur Differenzierung dieser beiden Sphären kommt es erst im Laufe der sozialen Evolution (früher gab es nur Lebenswelt, daraus hat sich die systemische Sphäre da hinaus differenziert) Die Differenzierung dieser beiden Sphären impliziert eine entsprechende Differenzierung im Bereich der Interaktionsmedien

Lebenswelt und Systeme: Beispiele -

Systeme differenzieren sich aus der Lebenswelt aus, sie trennen sich von ihr Politik und Wirtschaft Systeme bleiben aber an Lebenswelt rückgebunden In den Systemen herrscht strategisches Handeln Bsp.: Werbung, Wahlkampf Hier wird nicht die Wahrheit gesagt und auch nicht aus Überzeugung gehandelt, sondern strategisch agiert; es sollen bestimmte Bedürfnisse befriedigt werden Strategisches Handeln in der Lebenswelt gilt als illegitim; Gesellschaft hat sich daran gewöhnt nicht: sich strategisch in der Lebenswelt zu verhalten (z.B. Bedürfnisbefriedigung bei Freundschaften; hier kommt es auf Geltungsansprüche an)

Lebenswelt und Systemische Sphäre existieren nebeneinander; beides differenziert sich und besteht aus unterschiedlichen Teilen.

Funktion der Interaktionsmedien bei Habermas -

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Interaktionsmedien = Kommunikations-Erleichterer Erzeugung von Annahmebereitschaft in rascher und effizienter Weise auch in Situationen, in denen die Annahme ansonsten unwahrscheinlich oder nur nach langwierigen Argumentationsprozessen zu erwarten wäre (siehe symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien bei Luhmann); Kommunikations-Booster Die Interaktionsmedien erfüllen diese Funktion jedoch in unterschiedlicher Weise:

Kommunikationsmedien und Steuerungsmedien -

Kommunikationsmedien (fachliche Reputation; Wertbindung): „Rational motiviertes Vertrauen“ in die Einlösbarkeit problematischer Geltungsansprüche wird hier als Annahmemotiv wirksam (Bsp.: Arzt: „Operation.“ „Sind Sie sich sicher?“  man würde das nicht fragen; rational motiviertes Vertrauen

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10. Sitzung

21.06.2018

durch Kommunikations-Booster) – wir können lebensweltlich rational miteinander umgehen, ohne dass es lange dauert, einfach durch das Vertrauen = Beschleunigung Steuerungsmedien (Geld; Macht): Ersetzung von „rationalen Motiven“ durch „empirische Motive“ (d.h. durch die Erwartung erweiterter bzw. durch Sanktionen beeinträchtigter Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung) für die Annahme von Interaktionsangeboten. (Warum lässt man sich ein auf einen Deal mit jemanden, der weit weg ist? Geld erleichtert wirtschaftliche Interaktionen)  sowohl in der Lebenswelt als auch in der systemischen Sphäre

Zusammenfassung Das waren die Möglichkeiten der Motivierung von Akteuren zur Annahme von Interaktionsangeboten (bei Habermas immer im Zentrum). Warum lassen wir uns auf kommunikative Interaktionen ein? - Weil wir interessiert sind am kommunikativen Handeln = wir unterstellen die Einlösbarkeit von Geltungsansprüchen, deswegen interessieren wir uns an Interaktionen, Kommunikationen; Wir gehen davon aus, dass sich der andere an die vier Geltungsansprüche hält und er das auch von uns; friedfertige Art der Kommunikation = Kommunikatives Handeln (nicht = friedliches Handeln) - Friedliches Handeln durch argumentative Diskurse - Wegen Kommunikations-Erleichterern: Zwei Ebenen, 1. Lebenswelt und fachliche Reputationen = rational motiviertes Vertrauen gegen die Einlösbarkeit kommunikativer Geltungsansprüchen; 2. Ausdifferenzierung des politischen und administrativen Systems: Steuerungsmedien = Motivation durch Medien wie Geld Strategisches Handeln  Steuerungsmedien wie Geld und Macht  Systeme wie Politik und Wirtschaft Kommunikationsmedien  Kunst, Wirtschaft, Moral...


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