Privatrechtliche Grundlagen PDF

Title Privatrechtliche Grundlagen
Course Einführung ins Privatrecht (BGB)
Institution Justus-Liebig-Universität Gießen
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Wintersemester...


Description

Privatrechtliche Grundlagen Prof. Dr. iur. Tilo Keil

10. Aufl. 2020

I

II

Inhaltsverzeichnis

A. Einführung I.

Seite

1

Grundlagen und Begriffe 1. Entstehungsgeschichte des BGB und HGB 2. Überblick über das Rechtssystem 3. Systematik des BGB 4. Systematik des HGB 5. Internationales Recht und Internationales Privatrecht a. Internationales Recht b. Internationales Privatrecht 6. Gerichtsbarkeit 7. Auslegung a. Auslegung von Gesetzen b. Auslegung von Willenserklärungen II. Fallbearbeitung 1. Anspruchsprüfung 2. Subsumtion 3. Anspruchsaufbau 4. Die möglichen Stilformen

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B. Bürgerlich-rechtliche und handelsrechtliche Grundlagen

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I.

Rechtssubjekte 1. Begriff 2. Natürliche Personen a. Rechtsfähigkeit b. Rechtsgeschäftliche und deliktische Handlungsfähigkeit aa. Geschäftsfähigkeit (1) Geschäftsunfähigkeit (2) Beschränkte Geschäftsfähigkeit (3) Unbeschränkte Geschäftsfähigkeit bb. Deliktsfähigkeit 3. Juristische Personen 4. Rechtsfähige Personengesellschaften 5. Kaufleute und Unternehmer a. Arten der Kaufleute aa. Istkaufmann bb. Kannkaufmann cc. Fiktivkaufmann dd. Formkaufmann

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III ee. Kaufmann kraft Rechtsscheins b. Firma aa. Grundsätze der Firmenbildung bb. Rechtsfolgen der Firmenfortführung c. Handelsregister aa. Eintragungsgegenstand und –wirkung bb. Materielle Publizität des Handelsregisters d. Handelsbücher II. Rechtsobjekte 1. Sachen 2. Rechte a. Grundlegende Einteilung b. Einwendungen und Einreden c. Verjährung 3. Sach- und Rechtsgesamtheiten III. Rechtsgeschäfte 1. Arten der Rechtsgeschäfte 2. Form der Rechtsgeschäfte 3. Gefälligkeitsverhältnis 4. Willenserklärungen 5. Bedingung und Befristung 6. Abschluss von Verträgen a. Vertragsfreiheit b. Angebot c. Bindung an das Angebot d. Annahme e. Schweigen f. Vertrag kraft sozialtypischen Verhaltens g. Dissens 7. Fehlerhafte Rechtsgeschäfte a. Gesetzliche Verbote b. Veräußerungsverbote c. Sittenwidrigkeit d. Rechtsfolgen der Nichtigkeit e. Formverstöße f. Geheimer Vorbehalt g. Scheingeschäft h. Scherzgeschäft 8. Anfechtung a. Anfechtungsgründe aa. Inhaltsirrtum bb. Erklärungsirrtum cc. Motivirrtum dd. Eigenschaftsirrtum ee. Falsche Übermittlung

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IV ff. Arglistige Täuschung gg. Widerrechtliche Drohung b. Durchführung der Anfechtung c. Rechtsfolgen IV. Abstraktionsprinzip V. Stellvertretung 1. Arten der Stellvertretung a. Rechtsgeschäftliche Vertretung b. Gesetzliche Vertretung 2. Voraussetzungen wirksamer Stellvertretung a. Zulässigkeit der Vertretung b. Eigene Willenserklärung des Vertreters c. Handeln im Namen des Vertretenen d. Vertretungsmacht aa. Erteilung der Vollmacht bb. Arten der Vollmacht cc. Erlöschen der Vollmacht 3. Vertretung ohne Vertretungsmacht 4. Handelsrechtliche Vollmachten a. Prokura b. Handlungsvollmacht c. Ladenvollmacht C. Allgemeines Schuldrecht mit handelsrechtlichen Bezügen I.

Schuldverhältnisse 1. Begriff und Arten 2. Entstehung 3. Leistungspflichten a. Bestimmtheit der Leistung b. Haupt- und Nebenpflichten c. Hol-, Bring- und Schickschuld d. Stückschuld und Gattungsschuld e. Wahlschuld f. Geldschuld g. Zinsschuld 4. Schadensersatz a. Arten des Schadens aa. Vermögens- und Nichtvermögensschaden bb. Schmerzensgeld cc. Unmittelbarer und mittelbarer Schaden dd. Personen-, Sach- und Vermögensschaden ee. Erfüllungs- und Vertrauensschaden b. Naturalrestitution und Geldersatz aa. Naturalrestitution

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V bb. Geldersatz c. Berechnung des Schadens – Einzelfälle aa. Konkrete Schadensberechnung bb. Entgangener Gewinn cc. Fehlgeschlagene Aufwendungen dd. Entgangene Gebrauchsvorteile ee. Freizeit ff. Hausarbeit gg. Fangprämie hh. Vorteilsausgleichung d. Kausalität e. Mitverschulden 5. Leistungserbringung a. Leistungszeit b. Teilleistungen c. Treu und Glauben d. Handelsbrauch e. Leistungsverweigerungsrecht f. Vertragsstrafe 6. Beteiligung Dritter am Schuldverhältnis a. Vertrag zugunsten Dritter b. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter c. Leistung durch Dritte d. Leistung an Dritte e. Erfüllungsgehilfe 7. Gläubiger- und Schuldnerwechsel a. Abtretung von Forderungen b. Schuldübernahme 8. Mehrheit von Gläubigern und Schuldnern a. Schuldnermehrheit b. Gläubigermehrheit 9. Beendigung von Schuldverhältnissen a. Erfüllung b. Aufrechnung c. Sonstige wichtige Beendigungsgründe II. Leistungsstörungen 1. Pflichtverletzung 2. Verschulden a. Eigenes Verschulden b. Zurechnung fremden Verschuldens 3. Unmöglichkeit a. Begriff und Arten der Unmöglichkeit b. Untergang des Anspruchs auf Primärleistung (§ 275 I BGB) c. Leistungserschwerungen (§ 275 II, III BGB) d. Auswirkungen der Unmöglichkeit auf die Gegenleistungspflicht

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VI

4.

5.

6.

7.

8. 9.

e. Gläubigerrechte bei Unmöglichkeit aa. Sekundärleistungsansprüche bb. Rücktritt Schuldnerverzug a. Begriff b. Voraussetzungen des Schuldnerverzugs c. Rechtsfolgen des Schuldnerverzugs Nicht- oder Schlechterfüllung einer möglichen Leistung a. Schadensersatz (§ 280 I BGB) aa. Voraussetzungen bb. Rechtsfolgen b. Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 I, III, 281 BGB) aa. Voraussetzungen bb. Rechtsfolgen c. Rücktritt (§ 323 BGB) Fehlende Rücksichtnahme a. Rücksichtnahmepflichten (§ 241 II BGB) b. Rücksichtnahme im vorvertraglichen Schuldverhältnis c. Rücksichtnahme bei Drittbeziehungen Gläubigerverzug a. Begriff b. Voraussetzungen des Gläubigerverzugs c. Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs Störung der Geschäftsgrundlage Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund

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VII

Abkürzungsverzeichnis a.E. AG AktG Alt. ArbGG ArbZeitG BetrVG BGB BGH BUrlG CISG EGBGB EMRK EntgeltFG ESC EU EUV EuGH f. (ff.) FamFG GBO GewO GbR GG ggf. GmbH GmbHG grds. GVG GWB HGB HS. i.d.R. InsO IPR i.V.m. Kap. KG KSchG Lstg. MuSchG Nr.

am Ende Aktiengesellschaft Aktiengesetz Alternative Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitszeitgesetz Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bundesurlaubsgesetz Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf Einführungsgesetz zum BGB Europäische Menschenrechtskonvention Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Sozialcharta Europäische Union Vertrag über die Europäische Union Europäischer Gerichtshof folgende (Plural) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Grundbuchordnung Gewerbeordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung grundsätzlich Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Handelsgesetzbuch Halbsatz in der Regel Insolvenzordnung Internationales Privatrecht in Verbindung mit Kapitel Kommanditgesellschaft Kündigungsschutzgesetz Leistung Mutterschutzgesetz Nummer

VIII OHG OWiG PatG PHG ScheckG StGB StPO TVG UKlaG UmwG UN u.U. UWG vgl. VO VwGO WaffG WechselG WE WEG z.B. ZPO ZVG

Offene Handelsgesellschaft Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Patentgesetz Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte Scheckgesetz Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Tarifvertragsgesetz Unterlassungsklagengesetz Umwandlungsgesetz Vereinte Nationen unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vergleiche Verordnung Verwaltungsgerichtsordnung Waffengesetz Wechselgesetz Willenserklärung Wohnungseigentumsgesetz zum Beispiel Zivilprozessordnung Zwangsversteigerungsgesetz

1

A. Einführung In diesem Skript wird der Stoff behandelt, den das Modul 205 (Privatrechtliche Grundlagen) umfasst. Daher werden im Anschluss an einen einführenden Überblick (Grundlagen und Begriffe; Fallbearbeitung) zunächst die bürgerlich-rechtlichen und handelsrechtlichen Grundlagen vermittelt. Dem schließt sich eine Darstellung des Allgemeinen Schuldrechts mit handelsrechtlichen Bezügen an. Aus dem Gebiet des Allgemeinen Schuldrechts ausgespart bleibt das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dieses gehört zusammen mit dem Besonderen Schuldrecht und dem Sachenrecht – jeweils mit handelsrechtlichen Bezügen – zum Lehrstoff des Moduls 305 (Privatrechtliche Vertiefung). Die textbegleitende Lektüre der jeweils zitierten Vorschriften des BGB und des HGB sowie der zentralen Nebengesetze ist unverzichtbar und wird aufs dringendste empfohlen!

I.

Grundlagen und Begriffe

Unter Recht im objektiven Sinne versteht man die Summe der geltenden Rechtsnormen und Rechtsgrundsätze. Unter subjektivem Recht versteht man die Berechtigung, die sich aus dem objektiven Recht ergibt. Das subjektive Recht kann ein Herrschaftsrecht (z.B. Eigentum), ein Anspruch (z.B. Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises) oder ein Gestaltungsrecht (z.B. Anfechtungsrecht) sein. Das objektive Recht besteht aus folgenden Rechtsquellen: Internationales Recht Grundgesetz Gesetze (des Bundes und der Länder) Rechtsverordnungen (werden von den Regierungen erlassen) Satzungen (z.B. Gemeindesatzungen im Rahmen der Selbstverwaltung) Gewohnheitsrecht (lang andauernde Übung, die als Recht empfunden wird, z.B. betriebliche Übung im Arbeitsrecht) ¾ Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts

¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

1.

Entstehungsgeschichte des BGB und HGB

Das Bürgerliche Recht ist das Recht des täglichen Lebens. Es regelt die Rechtsverhältnisse natürlicher Personen (Menschen) und juristischer Personen (z.B. GmbH). Die Hauptmaterien des Bürgerlichen Rechts sind im BGB vom 18.08.1896 geregelt. Das BGB trat am 01.01.1900 in Kraft. Durch die Reichsgründung 1871 war die Basis für ein einheitliches Privatrecht geschaffen. Vorläufer des BGB waren verschiedene Landesgesetze, die mehr oder minder stark das Privatrecht kodifiziert hatten.

2 Das Handelsrecht ist das Sonderrecht der Kaufleute. Es ist im Wesentlichen Privatrecht und überwiegend geregelt im HGB vom 10.05.1897, ebenfalls seit 01.01.1900 in Kraft. Nachrangig anzuwenden ist das BGB, dem die Rechtsvorschriften des HGB als spezielle Regelungen vorgehen. Das HGB ist aus deutschen Stadtrechten hervorgegangen und stark beeinflusst vom italienischen und französischen Handelsrecht. Es geht zurück auf das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861.

2.

Überblick über das Rechtssystem

Das Recht teilt sich in zwei große Bereiche: das Privatrecht und das öffentliche Recht. Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehungen verschiedener Rechtssubjekte auf dem Boden der Gleichordnung. Zum öffentlichen Recht gehören dagegen die Rechtsvorschriften, die die Unterordnung des Einzelnen unter die hoheitliche Gewalt des Staates oder anderer öffentlichrechtlicher Rechtssubjekte (auch im Verhältnis zueinander: z.B. Gemeindezusammenschluss) betreffen.

Recht

Öffentliches Recht

Völkerund Europarecht

Staatsund Verfassungsrecht

• Charta der UN • EU-Vertrag • EU-Richtlinie • NATOVertrag • Bilaterale Verträge

• GG • Verfassungen der 16 Bundesländer • Staatsverträge

Verwaltungsrecht

PolizeiR BauR SchulR GewerbeR • SteuerR • SozialR • UmweltR

• • • •

Privatrecht

Gerichtsverfassungsund Prozessrecht

Strafrecht

• StGB • OWiG • WaffG

• • • • • • • •

GVG ZPO StPO VwGO ArbGG InsO FamFG GBO

Bürgerliches Recht

Arbeitsrecht

• • • • • • • • •

BGB EntgeltFG KSchG GewO MuSchG ArbZeitG BUrlG BetrVG TVG

Handelsund Wirtschaftsrecht

• • • •

BGB WEG PHG UKlaG

• • • • • • • • •

HGB AktG GmbHG UmwG WechselG ScheckG PatG UWG GWB

3 Die Aufteilung hat insoweit praktische Relevanz, als die Einordnung bestimmter Fragen etwa über die sachliche Zuständigkeit von Gerichten oder über Auslegungsmethoden entscheidet (z.B.: Ist ein Tarifvertrag wie ein Gesetz oder wie ein Vertrag auszulegen?). Die Trennlinie verläuft aber nicht immer scharf. Das Arbeitsrecht gehört zum Teil zum Privatrecht (z.B. Arbeitsvertragsrecht) und zum Teil zum öffentlichen Recht (z.B. Arbeitsschutzrecht, Schwerbehindertenrecht, Tarifrecht). Rechtsstreitigkeiten aus dem Arbeitsrecht sind daher einer besonderen Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesen. Privatrecht: Prinzip der Gleichordnung Öffentliches Recht: Prinzip der Über- und Unterordnung

3.

Systematik des BGB

Das BGB besteht aus fünf Büchern. Der Allgemeine Teil enthält allgemeine Regelungen, die grundsätzlich für alle folgenden vier Bücher gleichermaßen gelten. Zum Bürgerlichen Recht sind ferner verschiedene in Sondergesetzen geregelte Rechtsmaterien zu rechnen. 1. Buch: Allgemeiner Teil §§ 1 – 240 2. Buch: Schuldrecht §§ 241 – 853 3. Buch: Sachenrecht §§ 854 – 1296 4. Buch: Familienrecht §§ 1297 – 1921 5. Buch: Erbrecht §§ 1922 – 2385

4.

Systematik des HGB

Auch das HGB besteht aus fünf Büchern. Weitere Quellen des Handelsrechts sind zahlreiche das HGB ergänzende – Nebengesetze und Verordnungen. Daneben gelten Handelsgewohnheitsrecht und Handelsbräuche (§ 346 HGB). Zu beachten ist ferner eine Vielzahl internationaler Vereinbarungen. 1. Buch: Handelsstand §§ 1- 104 a 2. Buch: Handelsgesellschaften §§ 105 – 236 3. Buch: Handelsbücher §§ 238 – 342 e 4. Buch: Handelsgeschäfte §§ 343 – 475 h 5. Buch: Seehandel §§ 476 – 619

5.

Internationales Recht und Internationales Privatrecht

Das zwischenstaatliche (supranationale) Recht umfasst die internationalen Rechtsquellen. Dieses Recht ist vom Internationalen Privatrecht (IPR = Kollisionsrecht) zu unterscheiden. Das IPR beantwortet bei Fällen mit Auslandsberührung die Frage nach dem anzuwendenden Recht. Das IPR ist kein internationales Recht, sondern jeweils nationales Recht eines Staates, das aus Regelungen zur Grenzziehung zwischen der eigenen und fremden Rechtsordnungen besteht.

4

a.

Internationales Recht

Zu den völkerrechtlichen Vereinbarungen mit privatrechtlich bedeutsamen Regelungen, die in Deutschland Gesetzesrang haben, gehören die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Europäische Sozialcharta (ESC). Dem Recht der Europäischen Union (EU) kommt ebenfalls immer größere Bedeutung zu, weil das Gemeinschaftsrecht zunehmend das nationale Recht überlagert. Hier ist zwischen primärem und sekundärem EU-Recht zu unterscheiden. Das primäre EU-Recht wird vor allem im Zusammenwirken der Mitgliedstaaten geschaffen (z.B. Vertrag über die Europäische Union (EUV), EU-Grundrechte-Charta). Hingegen besteht das sekundäre EU-Recht aus denjenigen Rechtsvorschriften und Rechtsakten, die von den EU-Organen in Anwendung und auf der Grundlage des primären EU-Rechts erlassen werden (z.B. Verordnungen, Richtlinien). Verordnungen sind ab dem Zeitpunkt ihrer Verabschiedung auf Gemeinschaftsebene für jedermann (z.B. Bürger, Behörden, Gerichte) verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Das wichtigste Instrument zur Vereinheitlichung des Rechts sind jedoch die Richtlinien. Diese binden unmittelbar nur die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die innerhalb einer bestimmten Frist zu erreichenden Ziele. Richtlinien geben den Mitgliedstaaten Ergebnisse verbindlich vor, stellen ihnen jedoch frei, mit welchen Mitteln und in welcher Form sie diese innerhalb der vorgegebenen Zeit erreichen wollen. Der Mitgliedstaat, der seiner Umsetzungspflicht nicht fristgerecht nachkommt, kann sich einer Schadensersatzpflicht denen gegenüber aussetzen, die durch die verspätete Umsetzung einen Schaden erleiden. Die Harmonisierung ist inzwischen auf vielen Gebieten des Wirtschaftsrechts schon weit vorangeschritten. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts erfasst auch das Richterrecht und führt dazu, dass die nationalen Vorschriften richtlinienkonform anzuwenden sind.

b.

Internationales Privatrecht

Die Regeln des Internationalen Privatrechts (IPR) sind einschlägig, wenn Fälle mit Auslandsberührung zu lösen sind (z.B. Verkehrsunfall eines Deutschen mit einem Belgier in Italien; ein Deutscher hat in Frankreich ein Testament gemacht und stirbt in Spanien). Hier entscheiden die Normen des IPR, welches Recht zur Abwicklung und Entscheidung im Einzelfall anzuwenden ist (in Deutschland normiert in Art. 3 ff. EGBGB). Anknüpfungspunkt für das IPR zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung können persönliche (z.B. Staatsangehörigkeit, Wohnsitz) oder räumliche Umstände (z.B. Ort der belegenen Sache, um die sich der Streit dreht) sein. Möglich ist es auch, die Rechtsordnung für anwendbar zu erklären, unter der die maßgebliche Willenserklärung abgegeben bzw. Handlung vorgenommen wurde. Auf bestimmten Gebieten ist die Rechtsordnung anzuwenden, in deren Herrschaftsbereich sich das angerufene Gericht befindet. Das deutsche Recht lässt für das internationale Vertragsrecht die freie Rechtswahl der Vertragsparteien zu. Fehlt eine Vereinbarung, gilt grundsätzlich die Rechtsordnung desjenigen Vertragspartners, der die vertragscharakteristische Leistung erbringt (z.B. Sitz des Lieferanten beim Kaufvertrag, Sitz des Werkunternehmers beim Werkvertrag, Ort der Arbeitsleistung). Haben die Kaufvertragsparteien ihre

5 Niederlassungen in verschiedenen Staaten und sind diese Staaten Vertragsstaaten des UNKaufrechts, so gilt für den internationalen Warenverkehr das UN-Kaufrecht (CISG). In der Praxis werden diese Regelungen allerdings häufig durch entsprechende Abreden, die nach dem Kollisionsrecht der meisten Staaten zulässig sind, wirksam ausgeschlossen.

6.

Gerichtsbarkeit

In keiner Rechtsordnung genügt es, dass Rechte bestehen; sie müssen auch durchsetzbar sein. Verzichtet die Rechtsordnung auf Erzwingbarkeit, gibt sie sich selbst auf, da sie ihre Beachtung in das Belieben der Betroffenen stellt. Der staatliche (Gerichts-)Prozess dient als Institution sowohl dem Rechtsfrieden wie der Durchsetzung und Bewährung des objektiven Rechts. Unter Gerichtsverfassung versteht man den Aufbau, die Funktion und die Zuständigkeit der Gerichte einschließlich der in ihrem Rahmen tätig werdenden Rechtspflegeorgane (z.B. Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Rechtspfleger): ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

7.

Verfassungsgerichtsbarkeit des Bundes und der Länder Ordentliche Gerichtsbarkeit (Zivil- und Strafgerichtsbarkeit) Arbeitsgerichtsbarkeit Sozialgerichtsbarkeit Verwaltungsgerichtsbarkeit Finanzgerichtsbarkeit

Auslegung

Ist in Gesetzen, Verträgen oder Willenserklärungen der Inhalt nicht eindeutig, wird die Auslegung erforderlich. Die Schwierigkeit bei der Auslegung liegt oft darin, dass Gesetze und Willenserklärungen bisweilen unpräzise oder mehrdeutig formuliert sind. Zum einen sind Gesetze abstrakt und allgemein gültig formuliert, da sie eine Vielzahl von Fällen erfassen sollen. Zum anderen ist ihr Medium, die Sprache, oft nicht hinreichend genau. Der bloße Text bietet somit für die Rechtsanwendung nicht immer eine sichere Grundlage. Die Vorstellung Rechtsunkundiger, die Antwort auf eine konkrete Rechtsfrage lasse sich stets einfach ablesen, muss daher fehlschlagen. Vielfach offenbart erst die Auslegung, welchen Inhalt der Text hat. Es wäre aber unredlich, wollte man sagen, dass sich auf diese Weise immer nur ein einziges Ergebnis finden ließe. Selbst die ausgefeilteste Methodenlehre gäbe kein Mittel an die Hand, um den Ausgang eines Rechtsstreits sicher vor...


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