Schulischer Bildungs- und Erziehungsauftrag PDF

Title Schulischer Bildungs- und Erziehungsauftrag
Course Grundlagen der Schulpädagogik und der Allgemeinen Didaktik
Institution Universität Leipzig
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Vorlesung Schulischer Bildungs- und Erziehungsauftrag...


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Schulischer Bildungs- und Erziehungsauftrag Mittwoch, 21. November 2018

15:44

Funktionen und Aufgaben der Schule Funktionen (Wiater 2013) - Leistungserwartungen der Gesellschaft/des Staates an die Schule, die diese im Unterricht/Schulleben realisieren soll Aufgaben (Wiater 2013) - Konkret-praktische Konsequenzen, die aus Funktionen/Bedürfnissen der Gesellschaft (Bsp.: Bearbeitung Probleme d. Rechtsradikalismus) erwachsen Funktionen und Aufgaben sind historisch-gesellschaftlich bedingt (Wiater 2013) - Seit vermutlich 5000 Jahren gibt es Schulen - Zeit- und gesellschaftsbedingt variierende Erwartungen zur Erbringung von Leistungen - Abhängig von Zeit- und Gesellschaftsform, worin zu erwerbendes Wissen besteht und wie es vermittelt wird Beginn der allgemeinen Schulpflicht in Deutschland - Zunächst 1717 in Preußen - "Generaledikt" von Friedrich Wilhelm I. - Schulen als "Veranstaltungen des Staates" mit Anordnung einer allgemeinen Schulpflicht seit 1717 - Ab dem Ende des 5. Lebensjahres - Gesellschaftliche Notwendigkeit, dass Kinder lernen - Schulpflicht eher rudimentär, da gleichzeitige Arbeit in Landwirtschaft/Fabriken - Erziehung zu Gottesfurcht, Auswendiglernen des Katechismus, Untertanen des Königs - "dass die Schulmeister auf dem Land die Religion und die Moral den jungen Leuten lehren ist recht gut […] sonst ist es auf dem platten Land genug, wenn sie ein bisschen Lesen und Schreiben lernen; wissen sie aber zu viel so laufen sie in die Städte und wollen Sekretär und so was werden" (Friedrich II.)

Schule im Kaiserreich - Ständisch gegliederte Erziehung für "Gott, Kaiser und Vaterland" - Qualifikationen für die Phase der zweiten Industrialisierung - Allgemeine Bildung, Erwerbs- und Urteilsfähigkeit - "Schule wird […] zwar auch zu einer universalisierten Instanz sozialer Disziplinierung, aber sie wird zunehmend auch von den Betroffenen selbst als eine lebenslauf- und karrieredefinierende Einrichtung erfahren und in den Selbstbildern der Heranwachsenden wie ihrer Eltern auch in die Arbeiterschaft, als eine solche Instanz gesucht und akzeptiert" (Tenorth 1988) Schule in der Weimarer Republik - Schwierige ökonomische und politische Bedingungen der ersten Demokratie in Deutschland - Ziel: "sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung, persönliche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums und der Volksversöhnung", Nichtverletzung der "Empfindungen Andersdenkender" im Unterricht (Reichsverfassung 1919) NS-Zeit - Blut- und Bodenideologie - Zucht und Züchtigung als "rassegemäße Erziehung" (Spengler 1921) - Pädagogik für Elite, Rest des Volkes Pflichterfüllung - Volksschule hat "hohe Aufgabe, die deutsche Jungend zur Volksgemeinschaft und zum vollen Einsatz für Führer und Nation zu erziehen" (Fricke-Finkelnburg 1989)

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Funktionen der Schule - "Schulen als Orte der gesellschaftlich kontrollierten und veranstalteten Herstellung von Subjektivität" (Fend 2012) - Doppelte Perspektive: Reproduktion der Gesellschaft, individuelle Entwicklung der Schüler 1. Enkulturation (Reproduktion kultureller Sinnsysteme) 2. Qualifikation (Vermittlung von Fertigkeiten, Kenntnissen) 3. Allokation (soziale Selektion durch Prüfungen für Berufslaufbahnen) 4. Integration (Stabilisierung der sozialen/politischen Verhältnisse 5. Bildung und Erziehung

Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule aus rechtlicher Sicht Ungelöstes Normproblem der Pädagogik (Ruhloff 1980) - Zielvorstellungen in demokratischer/pluralistischer Gesellschaft notwendig kontrovers - Pädagogik kann qua Wissenschaft zu Kritik/Klärung/Differenzierung von Normen/Zielen beitragen - Pädagogik kann nicht Entscheidung über Gültigkeit von Normen/Werten verbindlich treffen - Legitimationsproblem der Normen (Gudjons 2012) Fixierung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags

Enkulturation, Sozialisation, Erziehung, Bildung

- Enkulturation: Hineinfinden in Kultur, Erwerb der Basisfähigkeit - Sozialisation: moralische Ordnung der Gesellschaft - Erziehung: anerzogenes Benehmen, gute Manieren Strukturelle Abgrenzung der Begriffe

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Erziehungsbegriff Warum ist der Mensch auf Erziehung angewiesen? (Gudjons 2012) Anthropologische Grundlagen Warum ist der Mensch auf Erziehung angewiesen? (Gudjons 2012) - Biologische Aspekte - Mensch ist Mängelwesen (Gehlen 1961) - physiologische Frühgeburt (Portmann 1951) - umweltgebunden/weltoffen (Uexüll 1956) - Philosophische Aspekte - Mensch als "erster Freigelassener der Schöpfung" (Herder) - "Der Mensch kann nur zum Menschen werden durch Erziehung" (Kant) - Enkulturation - Ohne Kultur kein menschliches Überleben (Fend 1969, Tenorth 1992) - Pädagogischer Grundgedanke - "Zu erziehender und erzogener Mensch verhalten sich zueinander nicht wie Kaulquappe und Frosch […], vielmehr wird die Bestimmtheit, die der Mensch im Erziehungsprozess erst erlangt, die durch Erziehung selbst produziert." (Benner 1997) Was ist Erziehung? - "Herausziehen" des Edukanden aus der Unmündigkeit - "die von Erziehungsnormen geleitete Einübung von Kindern und Jugendlichen in diejenigen körperlichen, emotionalen, charakterlichen, sozialen, intellektuellen und lebenspraktischen Kompetenzen, die in einer gegebene Kultur bei alles Menschen vorausgesetzt werden" (Wikipedia) Veränderung von Erziehungsvorstellungen - Unterdrückung/Züchtigung - 1890-1933: Reformpädagogik kritisiert dies - Ende 60er: Umdenken bezüglich Erziehung - Erziehungsziele änderten sich von Ordnung/Disziplin/Pflichterfüllung hin zu Selbstständigkeit/Kritikfähigkeit/Durchsetzungsvermögen/Teamfähigkeit - "neue Sekundärtugenden" - Andere Konzepte: Wachsenlassen, Anpassung, Lebenshilfe Konzeptualisierungen von Erziehung Weite vs. Enge Konzeptualisierungen (Matthes 2014) - Enges Verständnis des Erziehungsbegriffs: Werteerziehung - Weites Verständnis: Kontinuierung der Kultur - Oder beschränkt auf Kindheit vs. lebenslanges lernen

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Wertneutrale vs. Wertende Konzeptualisierungen - Wertneutraler Erziehungsbegriff: "Als Erziehung werden Handlungen bezeichnet, durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht zu fördern" (Brezinka 1990) - Bezieht sich auf jegliche Beziehung, Bsp.: klauen - Wertend: "[…] das Insgesamt jener intentionalen, humanen und liberalen Lernhilfen, die, dem Wert- und Sinnhorizont der abendländisch-europäischen Tradition entsprechen, als umfassende Enkulturationshilfen auch moralisch relevante Sozialisationshilfen und verantwortungs- bzw. gewissenszentrierte Personalisationshilfen einschließen." (Weber 1990) - Negative Erziehung nicht ausgeklammert Direkte vs. Indirekte Konzeptualisierungen - Direkter Erziehungsbegriff: Handeln mit Förderungsabsicht auf den zu Erziehenden ausgerichtet - Bsp.: Aufforderung, Ermunterung, Lob, Tadel, Gespräch Indirekt: beinhaltet das Arrangieren und Animieren als Grundform pädagogischen Handelns - Bsp.: selber lernen durch Erfahrungen/Einsicht - Beides intentionale/absichtliche Formen - Daneben noch unabsichtliche/funktionale Erziehung, bei der Orientierungen der Gesellschaft vermittelt werden - Bsp.: Idole Sollen Lehrkräfte erziehen?

Erziehender Unterricht - Einheit von Unterricht und Erziehung (Herbart 1806) - Eigenaktivität der Lernenden herausfordernde und Lernvoraussetzungen berücksichtigende Wegbereitung zu Mündigkeit/geistiger Wachheit/Urteilsfähigkeit/vernunftgemäßen und ethisch reflektierten Verarbeitung des Wissens (Matthes 2014) - Unterricht erzieht durch Inhalte/Aufgaben/Zusammenleben/personale Führungshilfen (Glöckel 1990) Erziehung zur Mündigkeit (Adorno 1971) - "Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen."

Bildungsbegriff Herkunft - Bildung = althochdeutsch: Schöpfung/Bildnis/Gestalt - Deutscher Begriff

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- Theologischer Begriff aus Mittelalter - Vermutlich Meister Eckhardt (1260-1328): Imago-dei-Lehre (gebildet durch Gott und nach Abbild Gottes) - Prozess wird außen an Menschen herangetragen - Übernahme in Pädagogik durch Comenius (1592-1670) - Begriff bezieht sich sowohl auf Prozess (sich bilden) als auch auf Zustand (gebildet sein) - "Prozess der Selbstkonstruktion des Menschen … und das Ergebnis der Aneignung der Welt" (Brockhaus 2006) Wesensmerkmale Bildungsbegriff (Handwörterbuch der Pädagogik) - Wichtiger/schwieriger Begriff der Pädagogik (ähnlich "Erziehung") - Widerspieglung Selbst- und Weltverständnis des definierenden Menschen - Historisch zu erschließen (Böhm 2006) Beispiele für historische Konzeptualisierungen Bildung als… - Befreiung des mündigen Bürgers - Reiner Geist gegen Sinnhaftigkeit - Schlüsselrolle der mathematischen Disziplin - Suche nach Wahrheit über rationale Erkenntnis (empirisch-analytisches Denken, Platon)

- Kunst des Streitgesprächs - "passende Wort als sicherstes Zeichen richtigen Denkens" - Erkenntnis durch Sprache und Literatur (hermeneutisches Denken, Isokrates) - Mündigkeit und Autonomie (Kant) - Selbstverwirklichung des Individuums in einem dialektischen Prozess der Horizonterweiterung und Selbstfindung durch Entfremdung (Hegel) - Selbstzweck des Menschen - Höchste, vielseitige, harmonische Entfaltung der inneren Kräfte des Individuums auf Grund der Beschäftigung mit möglichst vielen Bereichen der Welt (Wilhelm v. Humboldt) - Kritik/Scheitern (Adorno) - Bürgerrecht (Dahrendorf) - Idee der politischen Demokratie (Klafki) - Kulturelles Kapital (Bourdieu)

- Literacy: Ausrichtung auf Kompetenzen/Fertigkeiten/Problemlösung (Baumert) - "Idee der politischen Demokratie" (Klafki 1996) - Kritische Aneignung der Tradition: Bildung ist nicht in Gesellschaft, sondern in ihrer kritischer Weiterentwicklung zu begründen - Orientierung an 3 Grundprinzipien von Bildung (für alle, im Allgemeinen, in allen Grunddimensionen menschlicher Fähigkeiten) - Bildung als Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs-, Solidaritätsfähigkeit Theorie der kategorialen Bildung (Klafki) - Bildungstheorie in der Tradition des klassischen Bildungsbegriff

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Bildung vs. Literacy - Veränderung der Begriffsverwendung infolge der OECD-Schulleistungsstudien - Anspruch der Messbarkeit von Bildung (Bildungsstandards)

Umrisse eines modernen Bildungskonzepts (Gudjons 2012) - 5 grundlegende Dimensionen des Bildungsbegriffs 1. Sachliche Dimension (Bildungsinhalte) 2. Temporäre Dimension (Bildung braucht Geschichte) 3. Soziale Dimension (normative Zusammenhänge der Gesellschaft) 4. Wissenschaftliche Dimension (Bildung braucht Wissenschaft, nicht Dogmatismus) 5. Autobiographische Dimension (Bildung für individuelles Selbstverständnis) - Moderne Bildungstheorie findet in zentralen Herausforderungen ihren zentralen Bezugspunkts Bildung als selbstkritische Bildung für alle (Gudjons 2012, Koch/Maritzki/Schäfer 1997) - Bildung nicht nur um in Gesellschaft einzuführen und ihre Regeln einzuüben, sondern reflexive Distanz herzustellen - Bildung als Selbstbildung umfasst mehr als nur materiale/formale Bildung - Existenzielle Fragen wie Selbstvergewisserung, Sinnkonstitution, zeitgeschichtliche Ortsbestimmung - Dimensionierende/strukturierende Kraft mit Wirkung auf Verhalten und Handeln - Begrenzt weder berufsständig, schichtspezifisch, alters-, geschlechtsbezogen - Lebenslanger Prozess

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Zusammenfassung - Funktion und Aufgaben der Schule sind historisch determiniert und begründen sich aus Ansprüchen der Gesellschaft an Schule (Reproduktion) als auch Ansprüchen an notwendige Qualifikationen - Erziehung (Zucht) ist ein umstrittenes Konstrukt, aber es gibt keinen Unterricht, der nicht erzieht - Erziehungs- und Bildungskonzepte entwickelten sich in Abhängigkeit davon, welches Bild vom Menschen in einer zeitverhafteten Gesellschaftsordnung denkbar und sinnvoll erscheint, aber auch welche Erkenntnisse aus verschiedenen Weltanschauungen und Wissenschaften das aktuell verfügbare Bild des Menschen und seiner Welt prägen

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