Skript Mathematische Methoden der Physik PDF

Title Skript Mathematische Methoden der Physik
Author Maximilian Keller
Course Mathematische Methoden der Physik 
Institution Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Summary

Lotze...


Description

Karl-Heinz Lotze

Mathematische Methoden der Physik Nachschrift des Vorlesungs-Manuskripts und LATEX-Satz von Simon St¨ utzer

Jena, November 2011

Vorwort Nachdem an vielen Universit¨ aten Mathematik-Vorkurse f¨ur Studienanf¨ anger der Physik bereits existierten, wurde auch an der Physikalisch-Astronomischen Fakult¨at der Friedrich-Schiller-Universit¨at Jena ein solcher Kurs mit dem Wintersemester 1997/98 eingerichtet. Mit ihm wurden anf¨anglich zwei Ziele verfolgt: der Ausgleich der unterschiedlichen Voraussetzungen, mit denen Abiturienten zum Studium kommen und die Handhabung mathematischer Techniken, wie sie vom ersten Tag des Physikstudiums an unerl¨aßlich sind. Binnen weniger Jahre wurde der Vorkurs auf Wunsch der Studenten als Vorlesung ”Mathematische Methoden der Physik” weitergef¨uhrt. Wenig sp¨ater kamen zu dieser einsemestrigen Vorlesung ¨ hinzu. Mittlerweile ist die Veranstaltung ein pr¨ufungsrelevantes Pflichtmodul. Ihr auch Ubungen Inhalt, die gew¨ ohnlichen Differentialgleichungen und die Vektoranalysis, wird maßgeblich dadurch bestimmt, dass die Theoretische Physik nun bereits im zweiten Semester beginnt. Ebenfalls auf Wunsch der Studenten werden, nicht verpflichtend, die ”Mathematischen Methoden” mit wechselnden Inhalten um ein oder zwei weitere Semester verl¨angert. Anstelle eines ausf¨ uhrlichen Vorwortes verweise ich auf meinen Aufsatz Wie gut bereitet der Mathematikunterricht auf ein Studium der Physik vor?, Praxis der Naturwissenschaften/Physik 55(2006)(5)8 − 17, worin die Konzeption dieser Kurse ausf¨uhrlich erl¨ autert wurde. Der Aufsatz ist diesem Skript angef¨ugt. Von den dort gegebenen Begr¨ undungen und Motivationen wiederhole ich hier nur eine: Die ”Mathematischen Methoden der Physik”, die man auch als ”Rechenmethoden der Physik” bezeichnen k¨onnte, sollen und k¨ onnen Lehrveranstaltungen, die professionelle Mathematiker f¨ur Physikstudenten halten, nicht ersetzen. Sie k¨onnen sie bestenfalls erg¨anzen. Und so sehe ich sie als Fortsetzung einer Tradition der Zusammenarbeit von Mathematikern und Physikern in der Ausbildung von Physikstudenten, die ich als Student erlebte und an der ich in den 1980er Jahren als Assistent teilnahm. Besagter Aufsatz enh¨alt auch eine Liste der mit ¨ahnlichen Zielen verfassten deutschsprachigen Literatur, die um das sch¨one Buch meines Wiener Kollegen F. Embacher zu erg¨anzen ist, das erst nach der Ver¨offentlichung des Aufsatzes erschien: Embacher, F: Mathematische Grundlagen f¨ ur das Lehramtsstudium Physik, Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2008. Trotz der Verf¨ugbarkeit zahlreicher einschl¨agiger Lehrb¨ ucher wurde der Wunsch der Studenten nach einem Skript zum Vorkurs und den ”Mathematischen Methoden” laut. Ich habe diesem Wunsch nur z¨ogernd nachgegeben, weil ein Skript die Gefahr birgt, dass man ”was man schwarz auf weiß besitzt, getrost nach Hause tragen” kann und die Vorlesung nicht besuchen muss. Diese findet aber im H¨ orsaal statt, und das dort gesprochene, erkl¨arende und erl¨auternde Wort sowie die auf Fragen der Studenten gegebenen Antworten sind durch kein Skript zu ersetzen. Zwischendurch haben Studenten selbst Zusammenfassungen von diesen Lehrveranstaltungen verfasst und ihren j¨ungeren Kommilitonen weitergereicht. Diese Art der Auseinandersetzung mit dem 1

Stoff ist grunds¨atlich zu begr¨ußen. Nicht zu begr¨ußen ist hingegen, dass ein Student unter einem Pseudonym seine Vorlesungsmitschrift ohne Angabe von Quellen als Probekapitel eines von ihm zu schreibenden Buches bei Wikibooks ver¨offentlicht hat. Ein solches Vorgehen disqualifiziert sich selbst und bedarf keines weiteren Kommentars. utzer besorgte Ausarbeitung ist die einzige, die ich durchDie vorliegende, von Herrn Simon St¨ gesehen habe und hiermit autorisiere. Ich danke Herrn St¨utzer f¨ ur seinen großen Fleiß, seine Sorgfalt und die Hartn¨ackigkeit, mit der er auf die Ver¨offentlichung des Skripts dr¨angte, und hoffe, dass die Nutzer sinnvollen Gebrauch davon machen. Herr St¨utzer geh¨ ort auch zu jenen ¨ oherer Semester die Ubungen Kommilitonen, die als Studenten h¨ zu den genannten Veranstaltungen abgehalten haben. Ich habe diese T¨ atigkeit bereits bei verschiedenen Gelegenheiten als ein besonders sch¨ones Beispiel daf¨ ur hervorgehoben, wie Studenten unterschiedlicher Semester miteinander und voneinander lernen. Die in der Vorlesung und nun auch im Skript dargebotenen Inhalte sind klassischer Stoff, der in unz¨ahligen Lehrb¨ uchern dargestellt wurde. Gleichwohl muss ihm ein jeder, der ihn vortr¨agt, seine eigene didaktische Note aufpr¨agen, angefangen von der Konzeption uber die Auswahl von ¨ Beispielen bis hin zu einer konsequent einheitlichen Symbolik. Klassiker unter diesen Lehrb¨uchern sind: Becker, R. : Vorstufe zur theoretischen Physik Springer-Verlag, N.Y., Berlin, G¨ottingen, Heidelberg 1950 Joos, G., Richter E.W. : H¨ohere Mathematik f¨ur den Praktiker J.-A.-Barth-Verlag, Leipzig, 1968 (11. Auflage)

¨ bungsaufgaben, auf die in der Ich habe immer wieder, besonders auch bei der Auswahl von U nachfolgenden Liste aufgef¨ uhrten Lehrwerke zur¨ uckgegriffen ohne dass dies an einzelnen Stellen des Skripts kenntlich gemacht wurde. Boas, M.L. : Mathematical Methods in the Physical Sciences John Wiley & Sons, Inc., 2006 Hassani, S. : Mathematical Methods for Students of Physics and Related Fields Springer-Verlag, N.Y., 2000 Kusse, B.R., Westwig, E.A. : Mathematical Physics Wiley-VCH-Verlag, Weinheim, 2006 Lovric, M. : Vector Calculus John Wiley & Sons, Inc., 2007 Marsden, J., Weinstein, A. : Calculus (3 Vols.) Springer-Verlag, N.Y., Berlin, Heidelberg, Tokyo, 1985 Riley, K. F., Hobson, M.P., Bence, S.J. : Mathematical Methods for Physics and Engineering Cambridge University Press, Cambridge, 2006 Simmons, G.F. : Calculus with Analytic Geometry McGraw-Hill Companies, Inc., 1996

2

Keines dieser Werke liegt meiner Lehrveranstaltung ganz zugrunde, alle zusammen sind sie jedoch eine reiche Quelle der Inspiration und bestimmend f¨ur das Anspruchsniveau der ”Mathematischen Methoden der Physik”.

Karl-Heinz Lotze Jena im Oktober 2010

3

Inhaltsverzeichnis I

Vorkurs

1 Die 1.1 1.2 1.3

7

Exponentialfunktion Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wachstum und Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8 8 10 12

2 Komplexe Zahlen 14 2.1 Definition und Rechenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.2 Die Gaußsche Zahlenebene, Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.3 Die Formeln von Euler und Moivre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.4 Radizieren komplexer Zahlen, Kreisteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3 Skalarprodukt und Vektorprodukt 22 3.1 Wiederholung: Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3.2 Skalarprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.3 Geometrische Anwendungen mit physikalischer Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . 28 3.4 Das Vektorprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4 Kegelschnitte 4.1 Wiederholung: Der Kreis . 4.2 Die Ellipse . . . . . . . . . 4.3 Die Hyperbel . . . . . . . 4.4 Die Parabel . . . . . . . . 4.5 Zusammenfassung . . . .

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34 34 35 38 41 43

5 Differentialrechnung mit einer Variablen 44 5.1 Die Ableitung: Bezeichnungen, Definition und geometrische Bedeutung . . . . . . . 44 5.2 Wichtige Grenzwerte und Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 5.3 Differentiationsregeln und weitere Ableitungen. Implizites Differenzieren . . . . . . 50 5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 6 Differentialrechnung mit zwei und drei Variablen 58 6.1 Funktionen mit zwei Variablen. Partielle Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 6.2 Geometrische Interpretation: Tangentialebene und Normalenvektor einer Fl¨ache . . 61 6.3 Richtungsableitung und Gradient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 6.4 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6.5 Der Gradient in drei Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 7 Rechnen mit kleinen Gr¨ oßen 7.1 Vorbereitende Beispiele . . . . . . . . . . 7.2 Taylor-Polynome . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Beispiel: Nochmals zur Eulerschen Formel 7.4 Differenzen und Differentiale . . . . . . . 4

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69 69 70 72 73

INHALTSVERZEICHNIS

7.5

Lineare Approximation und Fehlerfortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

8 Integralrechnung 8.1 Integration als Umkehrung der Differentiation. Das unbestimmte Integral . . . . . 8.2 Das bestimmte Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Eigenschaften bestimmter Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Integrationstechniken I: Die Substitutionsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Integrationstechniken II: Partielle Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Formelsammlung Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II

Mathematische Methoden der Physik I

78 78 80 82 83 85 87

88

9 Gew¨ohnliche Differentialgleichungen 89 9.1 Beispiele, Begriffsbildungen und geometrische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . 89 9.1.1 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 9.1.2 Begriffsbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 9.1.3 Zur geometrischen Bedeutung von Differentialgleichungen - das Richtungsfeld 91 9.2 Separable Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 9.2.1 L¨osungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 9.2.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 9.3 Die inhomogene, lineare Differentialgleichung 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 9.3.1 L¨osungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 9.3.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 9.4 Exakte Differentialgleichungen. Der Integrierende Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 9.4.1 Exakte Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 9.4.2 Nicht exakte Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 9.5 Die lineare, homogene Differentialgleichung 2. Ordnung mit konstantem Koeffizienten105 9.5.1 L¨osungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 9.5.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 9.6 Die freie, unged¨ampfte Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 9.6.1 Systematisch Konstruktion der L¨osung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 9.6.2 Linearisierte Schwingungen, Gleichgewichtslagen . . . . . . . . . . . . . . . 111 9.7 Die freie, ged¨ ampfte Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 9.7.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 9.7.2 Diskussion der L¨osung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 9.8 Die lineare, inhomogene Differentialgleichung 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 9.8.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 9.8.2 L¨osungsverfahren 1: L¨osung von zwei Differentialgleichungen erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 9.8.3 L¨osungsverfahren 2: Variation der Konstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 9.8.4 L¨osungsverfahren 3: Methode der unbestimmten Koeffizienten . . . . . . . . 120 9.9 Erzwungene Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 10 Vektoranalysis 10.1 Linienintegral und Weg(un)abh¨angigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Ein differentielles Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.3 Das Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Doppel- und Dreifachintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Wiederholung: Das bestimmte Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

126 126 127 130 132 134 134

INHALTSVERZEICHNIS

10.2.2 Das Doppelintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 10.2.3 Das Cavalieri’sche Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 10.2.4 Das Dreifachintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 10.2.5 Kugelkoordinaten (, ϑ, ϕ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 10.2.6 Zylinderkoordinaten (, ϕ, z) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 10.2.7 Volumen des Kreiskegels in Zylinder- und Kugelkoordinaten . . . . . . . . . 141 10.3 Der Green’sche Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 10.4 Der Stokes’sche Satz, Zirkulation und Rotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 10.4.1 Beispiele f¨ur ebene Str¨omungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 10.4.2 Verallgemeinerung des Green’schen Satzes auf 3 Dimensionen . . . . . . . . 148

III

6

Anhang

151

Teil I

Vorkurs

7

Kapitel 1

Die Exponentialfunktion In diesem Kapitel behandeln wir die Exponentialfunktion. Diese spielt in der Physik und anderen Naturwissenschaften eine wichtige Rolle. So liegt sie den Berechnungen von Wachstum und Zerfall sowohl bei der Radioaktivit¨ at als auch in der Populationsdynamik zugrunde.

1.1

Definition und Eigenschaften

a) Physikalisches Einf¨ uhrungsbeispiel Als erstes Beispiel beschreiben wir den Durchgang von Licht durch eine (dicke) Glasplatte. Dazu betrachten wir zun¨ achst eine d¨ unne Glasplatte. Sei I0 die Intensit¨at des auftreffenden Lichtes. Wir bezeichnen das Produkt p·I0 als absorbierten Anteil. Die Erfahrung lehrt uns, dass f¨ur d¨ unne Platten

I0

p=α·d

d

gilt. Hierbei ist α eine Materialkonstante. Der durchgelassene Anteil des Lichtes errechnet sich somit zu I1 = (1 − p) · I0

I1 = (1 − p)I0

I0 d I1 = (1 − p)I0 I2 = (1 − p)I1

Eine analoge Modellierung f¨ uhrt uns f¨ur zwei d¨ unne Glasplatten auf die durchgelassene Intensit¨at I2 = (1 − p)2 · I0 . Es ist 0 ≤ p ≤ 1, und der Buchstabe p soll den prozentualen Anteil zum Ausdruck bringen.

8

KAPITEL 1. DIE EXPONENTIALFUNKTION

Wir wollen dies nun verallgemeinern. Dazu zerlegen wir eine dicke Platte in d¨unne Schichten gleicher Dicke d. Bis zur Stelle x hat dann das Licht xd Schichten durchlaufen. Der durchgelassene Anteil ist dann

I0

x

x

I = I0 · (1 − p) d = I0 (1 − αd) d ,

d

was man durch vollst¨ andige Induktion zeigen kann ¨ (Ubung!). Setzen wir αd ≡ −ε, erhalten wir im Grenzfall ”unendlich d¨ unner” Schichten (d → 0)

D x I

I = lim I0 (1 + ε)−

αx ε

ε→0

x

i h 1 −αx . = I0 lim (1 + ε) ε ε→0

b) mathematisches Einf¨ urungsbeispiel Wir betrachten jetzt die allgemeine Exponentialfunktion y = f (x) = ax mit a > 0. Wir stellen zu Beginn die Frage, ob es eine spezielle Basis a0 gibt, sodass die Wachstumsrate von y = ax0 ur beliebige x gleich a0x ist. Die ”Wachstumsrate” f¨ gibt dabei an, wie groß der Zuwachs von y beim Fortschreiten von x nach x+ε ist. Dies ist n¨aherungsweise RQ . Wir lesen ab PR

y

ax+ε ax

Q P

ax · aε − ax0 ! x 1 ax+ε − a0x RQ = 0 0 = 0 ≈ a0 (x + ε) − x ε PR aε0 − 1 ≈1 ε a0ε ≈ 1 + ε

R

1 0

x x+ε

1

a0 ≈ (1 + ε) ε .

x

1 Das Ausrufezeichen (!) werden wir immer dann benutzen, wenn wir eine Forderung zum Ausdruck bringen wollen.

Die N¨ ahrung ist dabei umso besser, je kleiner ε ist. Es ist also 1

a0 = lim (1 + ε) ε . ε→0

Mit dieser Basis a0 ist die Wachstumsrate von ax0 in jedem Punkt x gleich dem Funktionswert a0x. Resultat: 1 In beiden Beispielen sind wir auf den Grenzwert lim (1 + ε) ε gestoßen. Diesen Grenzwert ε→0

nennt man e (Eulersche Zahl). Eine Taschenrechner-Kalkulatuion ergibt ε 1 (1 + ε)ε

9

0, 1 2, 59374

0, 01 2, 70481

0, 001 2, 71692

0, 0001 2, 71814

0, 00001 2, 71826

KAPITEL 1. DIE EXPONENTIALFUNKTION

Schließlich ist 1

e ≡ lim(1 + ε) ε = 2, 7182818... . ε→0

Damit k¨ onnen wir die Resultate der Beispiele wie folgt aufschreiben: a) Bei Durchgang des Lichtes durch eine Glasplatte ist die Intensit¨at I0 in der Tiefe x auf I(x) = I0 e−αx zur¨ uckgegangen. Beim Durchgang durch die ganze Platte betr¨agt sie nur noch I = I0 e−αD . b) Die Exponentialfunktion y = ax mit der Basis a0 = e, (y = ex ), hat die Eigenschaft, dass ihre Wachstumsrate in jedem Punkt x wieder ex ist. Abschließend noch einige Bemerkungen zur geometrischen Sprechweise.

y Als ”Wachstumsrate” in einem Punkt bezeichnen wir den Anstieg der Tangente an die Kurve in diesem Punkt. Die entspricht der Ableitung der Funktion in diesem Punkt. Fazit: Durch die Fragestellung des mathematischen Einf¨ uhrungsbeispiels haben wir gerade die Exponentialfunktion konstruiert, deren Funktionswert in jedem Punkt gleich ihrer eigenen Ableitung ist. F¨ur y = ex ist y′ = ex oder

Q

P

ϕ R

1 0 tan ϕ =

1.2

d x e = ex . dx

x

In dieser Eigenschaft liegt die Bedeutung von e als Basis einer Exponentialfunktion.

RQ PR

Wachstum und Zerfall

Wir betrachten nun die Funktion y = A · ec·x ( > 0 exponentielles Wachstum mit A = const und c = const < 0 exponentieller Zerfall

.

Die Ableitung ergibt sich mit Hilfe der Kettenregel zu y′ = A · c · ec·x = cy. Dies ist eine Differentialgleichung; außer der Funktion y kommt auch deren Ableitung y′ vor. Bei der L¨osung der Gleichung m¨ ussen wir uns also di...


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