Was ist Biopolitik und wer hat die Biomacht PDF

Title Was ist Biopolitik und wer hat die Biomacht
Course Grundfragen kritischer Geschlechterforschung
Institution Universität Innsbruck
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Zusammenfassung prüfungsrelevanter Texte...


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Was ist Biopolitik und wer hat die Biomacht? Wichtige Fragen: Welche Geltung und Reichweite sollten Patientenverfügungen haben, soll die „Sterbehilfe“ legalisiert werden, dürfen wir menschliche Embryonen zu medizinischen Zwecken „verbrauchen“, ist der menschliche Körper und Geist mit medizinisch-technischen Mitteln zu verbessern/perfektionieren? Solche Fragen/Konflikte beschäftigen sich mit dem gesellschaftlichen Umgang mit dem menschlichen Körper, menschlicher Natur, menschlichen Leben Dabei werden die Grenzen zwischen Leben und Tod, zwischen menschlichem Leben und nichtmenschlichen Leben, auch zwischen mehr oder weniger menschlichem Leben thematisiert In Öffentlichkeit/Medien wird häufig von biopolitischen Fragen gesprochen, ohne dass hinreichend klar ist, was damit genau gemeint ist Bisher existiert in den Debatten um Humangenetik, Reproduktionsmedizin, Sterbehilfe etc. keine eindeutige und konsensuelle Auffassung von Biopolitik -> vielmehr die Frage, was unter diesem Begriff zu verstehen sei, selbst Teil der Kontroversen und Konflikte innerhalb des biopolitischen Feldes Drei kontrastierende, in den aktuellen politischen und sozialwissenschaftlichen Diskussionen besonders einflussreiche Auffassungen: -

Leben machen und sterben lassen -> Michel Foucault Das Lager als „biopolitisches Paradigma der Moderne“ -> Giorgio Agamben Biopolitik als ein institutionalisiertes, administratives Politikfeld

Drei Konzeptionen von Biopolitik: Begriffsgeschichtliche Vormerkungen: die Verknüpfung von Biologie und Politik zur Begriffsprägung „Biopolitik“ = keineswegs neu, sondern eher eine mittlerweile fast einhundertjährige Geschichte Erste ausdrückliche Verwendung des Begriffs lässt sich im frühen 20. Jahrhundert beim schwedischen Politikwissenschaftler Rudolf Kjellén finden „Grundriß zu einem System der Politik“, von Kjellén 1920 veröffentlicht, entwarf er eine biologistische Theorie des Staates als eines überindividuellen Lebewesens und benutzte in diesem Rahmen den Begriff Biopolitik, um den „Lebenskampf“ zu kennzeichnen Den Lebenskampf führen verschiedene soziale Gruppen im Staat gegeneinander In ähnlicher radikalisierter Weise wurde der Begriff auch im Nationalsozialismus verwendet Im Vortrag „Unsere Biopolitik und das Auslandsdeutschentum“ behauptete 1934 Hans Reiter (damalige Präsident des Reichsgesundheitsamtes), dass es notwendig wäre, „das biologische Denken als Grundlage, Richtung und Unterbau jeder wirklichen Politik anzuerkennen“ -> damit war gemeint: quantitative Vermehrung des deutschen Volkes und qualitative Verbesserung seiner „Erbgüte“ Das heißt laut Reiter: „Durchsetzung“ des deutschen Volkes mit jüdischem Blut zu bekämpfen, Entstehen der „bemitleidenswertesten Geschöpfe“ zu verhindern, sowie die „Förderung all derjenigen, die biologisch wertvoll sind“

„Leben machen und sterben lassen“ – Michel Foucaults Konzeption von Biopolitik und Biomacht: Biopolitik wird hier von ihren jeweiligen Protagonisten als eine Programmatik der Ausrichtung von Politik an biologischen Gegebenheiten verstanden und befürwortet -> in den letzten Jahren wird der Begriff vorwiegend in einer analytisch distanzierten Perspektive verwendet Der Begriff soll die Entwicklungen beschreiben und analysieren in welchen das Leben (vor allem menschliche Leben) zum Thema und Objekt von Politik gemacht wird Schlüsselrolle bei diesem Perspektivenwechsel und Bruch mit früheren Verwendungsweisen kommt den Arbeiten von Michel Foucault zu Foucault hat den Begriff Biopolitik Mitte der 1970er Jahre in der sozialwissenschaftlichen und politischen Debatte auf neue Art ins Zentrum gerückt und dabei auch den Begriff der „Biomacht“ geprägt Allgemein bezeichnet Biopolitik für Foucault den „Eintritt der Phänomene, die dem Leben der menschlichen Gattung eigen sind, in die Ordnung des Wissens und der Macht, in das Feld der politischen Techniken“ Mit Begriffen Biopolitik und Biomacht wird von Foucault das Auftreten einer neuen Form und Technik gesellschaftlicher und politischer Machtausübungen charakterisiert -> seit 18. Jahrhundert herausbildet und in engem Zusammenhang mit der Durchsetzung des industriellen Kapitalismus, der Entstehung des Nationalstaats und Aufkommen einer wissenschaftlichen Medizin und Biologie steht Neuartige „Macht zum Leben“ geht es primär nicht darum, Individuen wie im vormodernen Absolutismus zu beherrschen und unterdrücken, sondern Produktivität und Gesundheitszustand der Bevölkerung durch gezielte Maßnahmen (z.B. Bereich der öffentlichen Hygiene) zu verbessern Vor diesem Hintergrund: Foucault grenzte die entstehende Biomacht systematisch von vorangegangener Souveränitätsmacht des absoluten Herrschers ab, welcher sich im Ernstfall das Recht nahm, seine Untertanen zu töten, dem ihr biologisches Leben gleichgültig war Vorlesung 1976, erläuterte Foucault: „Souveränität machte sterben und ließ leben. Nun tritt eine Macht in Erscheinung, die (…) im Gegenteil darin besteht, leben zu machen und sterben zu lassen.“ Der beginnende industrielle Kapitalismus des 18. Jahrhunderts erforderte: „das Wachsen der Körper und der Bevölkerungen, ihre Stärkung wie auch ihre Nutzbarkeit und Gelehrigkeit; er brauchte Machtmethoden, die geeignet waren, die Kräfte, die Fähigkeiten, das Leben im ganzen zu steigern, ohne deren Unterwerfung zu erschweren“ Prinzip der Steigerung der Lebenskräfte und Verbesserung des Lebens, welches uns heute in der Idee des „Enhancement“ wiederbegegnet, also bereits in dieser Entstehungsphase der Biopolitik präsent Neue Biopolitik und Biomacht realisierte sich zunächst in zwei unterschiedlichen, aber miteinander verbundenen Ausprägungen: einerseits: Disziplinierung des individuellen Körpers; andererseits: Regulierung der Bevölkerung in Form von Kontrolle der Geburten- und Sterberate, Verbesserung der allgemeinen Gesundheit etc. (Foucault verwendete beide Begriffe ohne klare Unterscheidung)

Aus beiden spezifischen Anknüpfungspunkten und Zielsetzungen können sich zwei unterschiedliche Ausdrucksformen von Biopolitik ergeben, deren Kenntnis für das Verständnis der aktuellen Debatten äußerst wichtig sind Auf Ebene der Bevölkerung gewinnt nach Foucault der Rassismus eine entscheidende Bedeutung für die Biopolitik Mag zunächst paradox erscheinen, da im Rahmen einer Macht, welche auf die Förderung des menschlichen Lebens zielt, scheint Rassismus keinen Platz zu haben, schon gar nicht in einer derart extremen Ausprägung wie der nationalsozialistischen Massenvernichtung Foucault macht deutlich, dass Rassismus gleichwohl eine wichtige Rolle bei der Regulierung des „Lebens“ einer Bevölkerung spielen, indem er Unterscheidung einführt zwischen dem Gesunden und dem Kranken, Degenerierten Diese Vorstellungswelt: hier dient die Vernichtung der gefährlichen, niedrigen Rassen dem „Leben“, dem Schutz und der Rettung der „gesunden“ Teile des Volkes -> NS-Funktionär Hans Reiter den Begriff der Biopolitik verwendet Biopolitik auf Verbesserung der allgemeinen Gesundheit durch Aktivitäten der einzelnen Individuen zielt, ergibt sich ein anderes Bild Langfristig lässt sich das Ziel, die Kräfte und Fähigkeiten des Lebens zu steigern, nicht allein durch äußere Disziplinierung des Individuums erreichen, sondern erfordert Selbstkontrolle, Selbstdisziplinierung und Selbstverantwortung Individuen mussten Lernen, einen Körper zu haben, welcher durch Pflege und Aufmerksamkeit gesund erhalten wird, durch Unachtsamkeit aber krank werden Vor diesem Hintergrund hat Foucault hervorgehoben: Liberalismus den „allgemeinen Rahmen der Biopolitik“ bildet und Formen das „Sich-selbst-Regierens“ spielen eine wichtige Rolle Dies = erster Hinweis darauf, dass Biomacht und individuelle Selbstbestimmung keineswegs einander ausschließende Gegensätze seien müssen, sondern sich wechselseitig bedingen/durchbringen könne Foucaults Konzeption von Biopolitik und Biomacht: zwei Aspekte als besonders wichtig angesehen, besonders im Hinblick auf die aktuellen Fragen und Konflikte: -

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Erstens: Biopolitik und Biomacht nicht auf Repression und Einschränkung des menschlichen Lebens gerichtet ist, sondern auf dessen Erhaltung, Förderung und Optimierung mit Mittel der Wissenschaft und zum Zweck der Produktivitätssteigerung und Gesundheitsverbesserung -> Funktion der Biomacht besteht in der „vollständigen Durchsetzung des Lebens“ -> ob und inwieweit sie dennoch Macht ist (äußere, möglicherweise undurchschaute Einwirkung auf die Individuen) ist die Schlüsselfrage der gegenwärtigen Auseinandersetzungen Zweitens: Biopolitik nach Foucaults Auffassung keine anthropologische Konstante ist, sondern aus spezifisch historischen Konstellation resultiert -> ist also nicht aus einer vermeintlichen Natur des Menschen zu begründen, sondern aus ihrem historischen Kontext heraus zu begreifen und zu analysieren -> Formen von Biopolitik und Biomacht unterliegen daher historische Veränderungen

Das Lager als biopolitisches Paradigma der Moderne: Giorgio Agamben: Agamben: Politik ist in der Moderne in ihrem Kern immer Biopolitik, Politik, in welcher das menschliche Leben, wenngleich unausgesprochen, thematisch wird Versteht unter Biopolitik einen umfassenden Prozess der Politisierung des Lebens, besonders dessen was als er als das „nackte Leben“ bezeichnet -> bedeutet: ungeschützte biologische, kreatürliche Leben jedes Menschen im Unterschied zu seiner Existenz als Mitglied eines politischen Gemeinwesens, das bestimmte Rechte besitzt und in Anspruch nehmen kann Diese Differenz verdeutlicht Agamben durch verschiedene griechische Begriffe -> „zoe“ für das „nackte Leben“ und „bios“ für die politische Existenz Agamben entwickelt diese Überlegung im Rückgriff auf Figur des homo sacer, welcher nach römischen Recht sowohl außerhalb der göttlichen als auch der weltlichen Rechtsordnung stand und deshalb straflos getötet werden konnte -> entwickelt in seinem Buch 1995 seine Auffassung von Biopolitik Kern dieser Auffassung stellt die Überlegung dar, dass sich paradoxe Form der Einbeziehung und des gleichzeitigen Ausschlusses des „nackten Lebens“ aus der politischen Ordnung durch die Geschichte hindurchzieht und gerade in Moderne eine Art Vollendung gefunden hat Agamben versucht im Anschluss an Überlegungen von Hannah Arendt, z.B. an Erklärung der Menschenrechte in Französischen Revolution zu verdeutlichen: Basis dieses neuen Rechtsprinzips bildet einerseits: biologische Leben jedes Menschen, faktisch kommen die daraus begründeten Schutzrechte aber nur denjenigen zu, welche BürgerInnen eines Staates sind „Im System der Nationalstaaten erweisen sich die sogenannten heiligen und unveräußerlichen Menschenrechte, sobald sie nicht als Rechte des Staatsbürgers zu handhaben sind, als bar allen Schutzes und aller Realität.“ Wer nicht als Bürger des Staates gilt läuft Gefahr auf sein „nacktes Leben“ reduziert zu werden und damit schutz- und rechtslos zu sein Agamben sieht in den Insassen der Gefangenen- und Konzentrationslager, in Flüchtlingen und Staatenlosen, die homo sacri der Moderne Dadurch wird seine extrem zugespitzte und provokative These , das Lager stelle das „biopolitische Paradigma der Moderne“ dar und bestehe eine „innerste Solidarität zwischen Demokratie und Totalitarismus“ Agamben formuliert seine Kritik nach Michel Foucaults Konzept von Biopolitik Foucault habe es versäumt sein Arbeitsfeld auf den „Ort der modernen Biopolitik“ zu verlagern, auf die Politik der großen totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts Agamben verwirft Foucaults Gegenüberstellung von souveräner Macht und Biomacht -> für ihn: Entscheidungen über Leben und Tod verbinden sich in Souveränitätsmacht und Biomacht -> „In der modernen Biopolitik ist derjenige souverän, der über den Wert oder Unwert des Lebens als solches entschiedet.“

Agambens Thesen, etwa über Solidarität zwischen Demokratie und Totalitarismus, sind zu Recht als überzogen kritisiert worden Seine Auffassung von Biopolitik erscheint zu einseitig auf den Ausnahmezustand des Lagers bezogen, dessen Insassen auf ihr „nacktes Leben“ reduziert und der Willkür der Obrigkeiten recht- und schutzlos ausgeliefert sind Agambens Überlegungen bieten wichtige Anhaltspunkte zum Verständnis gegenwärtiger biopolitischer Entwicklungen -

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Erstens: er hebt hervor, dass Tod und Leben heute keine rein wissenschaftlichen, sondern politische Konzepte sind -> wissenschaftliche Argumente in Debatten um Stammzellenforschung und Präimplatationsdiagnostik eine wichtige Rolle spielen werden die Grenzen zwischen Leben und Nicht-Leben, schützenswertem und nicht-schützenswertem Leben letztlich politisch gezogen Zweitens: weist darauf hin, dass die Grenzziehung zwischen politischer Existenz einerseits: bloßen biologischen Leben; andererseits: heute durch jeden Einzelnen und seinen Körper hindurchläuft

„Das nackte Leben ist nicht mehr an einem besonderen Ort oder in einer definierten Kategorie eingegrenzt, sondern bewohnt den biologischen Körper jedes Lebewesens“ Dritte Aspekt: Biopolitik und Biomacht bezieht sich zu einem wesentlichen Teil auf Fragen nach dem Wert des menschlichen Lebens -> dabei geht es aber nicht immer um Fragen von Leben und Tod, sondern auch um Fragen nach Vollkommenheit oder Unvollkommenheit des Körpers, auch wenn Problematik des „Sterben-Lassens“ in den aktuellen Debatten erheblich an Bedeutung gewonnenhat Hier gibt es allerdings keinen Souverän, welcher eigenmächtig und abschließend über Wert oder Unwert des Lebens entscheiden würde Biomacht wird im wesentlichen in der Definitionsmacht über das Leben besteht, befindet sie sich in modernen Gesellschaften nicht an einem bestimmten, privilegierten Ort, sondern ist umkämpftes, unumstrittenes Phänomen, welches in Debatten und Diskursen immer wieder in Frage gestellt und neu verteilt werden kann Das schließt nicht aus, dass bestimmte Diskurse und Wissensformen, etwa wissenschaftliche/ethische, hegemoniale Stellung bei Definition dessen, was Leben ist und sein sollte, beanspruchen und innehaben können Biopolitik als institutionalisiertes, administratives Politikfeld: Dritte einflussreiche Konzeption von Biopolitik hat sich aus anderen Bezügen herausgebildet -> aus der Beobachtung heraus, dass in den letzten Jahren immer häufiger politisch darüber entschieden werden muss, ob/unter welchen Bedingungen gezielte Eingriffe in den Körper, Natur, Leben von Menschen zugelassen werden sollen/nicht Mag genügen an äußerst kontroversen Auseinandersetzungen um die Stammzellenforschung oder die „aktive Sterbehilfe“ erinnern

In Reaktion darauf wird Biopolitik in diesem Verständnis als ein institutionalisiertes, administratives Politikfeld begriffen, welches durch die Aktivitäten von Regierungen, Parlamenten, Verfassungsgerichten, Experten- und Ethikkommissionen geprägt und strukturiert wird Auffassung kommt sowohl der medialen Präsentation als auch dem Alltagsverständnis von Biopolitik am nächsten -> weist auch eine Reihe von konzeptionellen Problemen auf Soziologe Wolfgang van den Dacle definiert Biopolitik so: „Biopolitik reagiert auf Grenzüberschreitungen. Sie reagiert darauf, dass Randbedingungen der menschlichen Natur, die bislang fraglos galten, weil sie jenseits unseres technischen Könnens lagen, verfügbar werden“ Kern der Biopolitik besteht nach dieser Auffassung darin, Antworten auf immer weiter gehende wissenschaftlich-technische Gestaltung und Transformation der menschlichen Natur zu formulieren Hier werden die Hintergründe und Antriebskräfte dieser technologischen Dynamik selbst nicht als Teil von Biopolitik begriffen, sondern bilden gleichsam „externe“ Voraussetzung, welche ausgeblendet wird Diese Sichtweise -> „herkömmliches politikwissenschaftliches Konzept von Politik (…), das auf kollektive Entscheidung und Steuerung abstellt und Mechanismen wie Erziehung, Gewissen, Wertbindung, Moden, Lebensstile und die Bildung eigener Interessen und Präferenzen ausblendet“ Unberücksichtigt bleiben die individuellen Motive für die Nutzung von biomedizinischen Techniken, aber auch deren gesellschaftliche und kulturelle Hintergründe, wie Moden und Lebensstile oder mediale Vorbilder Gegenstand der politischen Bewertung und Entscheidung sind fast ausschließlich die mutmaßlichen Folgen der Nutzung entsprechender technischer Optionen Diese Auffassung von Biopolitik stimmt auf den ersten Blick im hohem Maße mit dem Selbstverständnis liberaler, demokratischer Gesellschafen überein, da die Bildung individueller Präferenzen sowie die je individuelle Nutzung wissenschaftlich-technischer Optionen kein legitimer Gegenstand politischer Gestaltung ist -> wenigstens nicht, solange nicht die Rechte anderer beeinträchtigt werden Es weist im Kern reaktive und bei allem Bekenntnis zum Liberalismus, primär staatszentrierte Verständnis von Biopolitik einige gravierende Schwächen auf, welche mit völliger Ausblendung der Machtdimension von Biopolitik zusammenhängen Das skizzierte Konzept blendet aus: Erstens: dass die angesprochene „Grenzüberschreitung“ nicht allein technischer, sondern auch diskursiv-kommunikativer Natur sind -> es wird über die Grenzen hinausgegangen welches als „natürlich“, „normal“. „üblich“/Geltenden nicht nur mit neuen Technologien , sondern in gesellschaftlichen Diskursen -> verbunden sind die diskursiven Grenzüberschreitungen zumeist mit expliziten oder impliziten Konstruktion einer gleichermaßen technisierungsfähigen wie technisierungs- und verbesserungsbedürftigen menschlichen Natur -> explizit/implizit auch mit Abwertung des gegebenen Körpers, welcher physisch oder mentalen Fähigkeiten oder bestimmter Verhaltensformen als „defizitär“ -> biopolitisch sind diskursive und technische Grenzüberschreitungen selbst, nicht erst die Reaktion darauf

Zweitens: auf technische Grenzüberschreitungen reagierende Konzept von Biopolitik auf fragwürdigen und verkürzten Auffassung von „Selbstbestimmung“ -> selbstbestimmt erscheinen alle Handlungen, welche aus dem „eigenen“ Willen eines Individuums hervorgehen und nicht durch manifeste äußere Zwänge beeinflusst oder bewirkt werden -> wie formt sich allerdings dieser Wille oder inwieweit er ohne manifesten Zwang dennoch durch schwer durchschaubare oder gänzlich undurchschaute äußere Faktoren mitgeprägt wird -> hierzu gehören suggestive Werbekampagnen gleich wie allgegenwärtige mediale Präsentation von Körper- und Schönheitsidealen -> unberücksichtigt bleibt auch, dass Selbstbestimmung in vielen Situationen weniger „ursprünglichen“ Wunsch der Individuen entspringt, sondern als gesellschaftliche Erwartung angesichts neuartiger Handlungsalternativen an sie herangetragen wird -> sollen „selbstbestimmt“ und „eigenverantwortlich“ entscheiden -> dabei ist die Entscheidungssituation häufig diskursiv oder wissenschaftlich vorgeprägt, etwa wenn die Betroffenen als „Risikopersonen“ eingestuft werden Drittens: reaktive, sich als liberal verstehende Variante von Biopolitik leidet an einer Verengung von Politik auf staatliche Entscheidungsfindung und Steuerung -> hierbei: unbeachtet bleibt, dass Politik ebenso sehr in Formen gesellschaftlicher, öffentlicher Auseinandersetzung, Selbstverständigung und Willensbildung besteht, von wesentlicher Bedeutung auf für je individuellen oder gruppenspezifischen Aneignungsformen neuer technischer Optionen...


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