Zusammenfassung Geschichte der Psychologie: Strömungen, Schulen, Entwicklungen - Lück PDF

Title Zusammenfassung Geschichte der Psychologie: Strömungen, Schulen, Entwicklungen - Lück
Author Susan Haberkorn
Course Einführung in die Psychologie und ihre Geschichte
Institution FernUniversität in Hagen
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Lück - Geschichte der Psychologie. Strömungen, Schulen, Entwicklungen...


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Geschichte der Psychologie – Strömungen, Schulen, Entwicklungen 1 – Möglichkeiten und Methoden der Psychologiegeschichtsschreibung - seit 80er Jahren Neubesinnung der geisteswissenschaftlichen Tradition Dieser Umschwung hat mehrere Gründe: • Grund methodischer Art: Unzulänglichkeiten des empiristischen Denkens wurden immer offensichtlicher • das Aufzeigen von Gesetzmäßigkeiten in der Entwicklung der Wissenschaft (inbs. Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn: längere Phasen von sog. Normalforschung werden durch „Krisen“ erschüttert) • neue Tendenzen in den Geschichtswissenschaften: früher hauptsächlich „Geschichte der Großen“; gegenwärtig Erstarken einer „Geschichte der Vielen/von unten“ 1.2 Drei Beispiele für verbreitete Fehleinschätzungen •





Psychologie im Nationalsozialismus: diese hätte in dieser dunklen Zeit enorm gelitten; zB. Verbot der Psychoanalyse; allerdings wurden im Dritten Reich die psychologischen Institute enorm ausgebaut und aufgrund der Wehrmachtspsychologie entstand ein hoher Bedarf an Wehrmachtspsychologen Experimentelle Psychologie in der Bundesrepublik: die Psychologie war nicht immer und durchgängig eine experimentelle Wissenschaft; besonders nach dem zweiten Weltkrieg galt in Deutschland die experimentelle Psychologie als überholt; große geisteswissenschaftliche Anteile aus der Vergangenheit werden gerne ausgeblendet, vergessen oder vernachlässigt Psychoanalyse in der UdSSR: ein weiterer Irrtum ist der, dass die Psychoanalyse eine deutschösterreichische Angelegenheit war, die ebenfalls begeistert in den USA aufgenommen wurde; allerdings erlebte die Psychoanalyse in den Jahren nach der Oktoberrevolution eine Blütezeit, die von der sowjetischen Regierung sogar gefördert wurde (wahrscheinlich großer Einfluss Lenins aufgrund seines Interesses an Freuds Arbeiten); sie fand ihr Ende im Stalinismus 1.3 Geisteswissenschaftliche Aspekte

Geschichte ist immer eine Rekonstruktion des Vergangenen oder gar eine Konstruktion, weil die Arbeit an Geschichte immer von einer bestimmten Perspektive und Fragestellung bestimmt ist. Jede Epoche stellt andere Fragen an die Geschichte und versteht die historischen Fakten anders als in der Epoche davor. 1.4 Modelle der Psychologiegeschichtsschreibung Geschichte scheint immer im Zusammenhang mit „Großen Männern“ zu stehen, so auch in der Psychologie. Es wurde versucht, den „Great-Men“-Ansatz durch eine Ideengeschichte zu ergänzen, indem zB. die psychologischen Forscher mehr als Teil ihrer Zeit und Kultur dargestellt wurden → Begriff „Zeitgeist“ wurde modern, um das Auftreten und Verschwinden psychologischer Schulen und Strömungen zu erklären. Die Ideengeschichte ist chronologisch angelegt. Anders geht die Problemgeschichte vor. Sie geht einer stärkeren Systematisierung von Einzelfragen aus. Hier muss man leider aber immer wieder zu den Anfängen zurück.

Der Begriff der Sozialgeschichte wird nicht einheitlich gebraucht und keine ihrer verschiedenen Bedeutungen trifft genau den Sinn, in dem heute von Sozialgeschichte der Psychologie gesprochen wird. „ Die neuere Sozialgeschichte der Psychologie versteht sich als Gesellschaftsgeschichte einer Wissenschaftsdisziplin, die sich in Fragestellungen und Methoden von der Ideengeschichte dadurch abhebt, dass sie weit stärker die sozialen, insbesondere die gesellschaftlichen, politischen und institutionellen Bindungen und Bedingungen psychologischer Forschung herausstellt als die traditionelle Ideengeschichte.“ Psychologiegeschichte soll Diskontinuitäten im Lauf der Geschichte aufzeigen und korrigierend wirken, statt nur die Disziplin zu legitimieren oder nur auf Theorien und Forschungsergebnisse reduziert zu werden. Ihre Aufgabe ist mehr in Frage zu stellen, aufmerksam zu machen und anzuregen. 1.5 Psychologiegeschichtliche Forschungsmethoden (1) Quellenstudium • Im weiteren Sinne: alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnisse aus der Vergangenheit gewonnen werden können • Im engeren Sinne: literarische Quellen, mündliche oder schriftliche Überlieferungen (Mythen, Zeitungen, Tagebuchaufzeichnungen, Sitzungsprotokolle, Aktennotizen, Geburtsregister etc.) • In der Regel: historischer Erkenntniswert umso größer, je näher die Quelle dem Ereignis ist → Primär- und Sekundärquellen: zB. Autobiographien und Biographien Zwar sind Primärquellen den sekundären zu bevorzugen, aber auch Sekundärquellen bieten eine Menge an wichtigen Einblicken. Leider bleiben ja nicht alle Primärquellen „am Leben“, vieles wird weggeschmissen (Sperrmüll) oder durch außertägliche Ereignisse zerstört (zB. Umweltkatastrophen, Kriege). Auch durch die Erfindung des Telefons sind viele wichtige Informationen und Quellen schlichtweg erst gar nicht aufgezeichnet (→ Telefonloch). Wichtig ist auch das gerade nicht erhaltene Material zu bedenken, weil Material immer selektiv überlebt. In den Geschichtswissenschaften genießt die Hermeneutik eine lange Tradition bzgl. der Auswertung der Quellen von geisteswissenschaftlichen Fragestellungen. Allerdings kann eine hermeneutische Interpretation von Texten nur dann zu guten Ergebnissen führen, wenn man solide Erkenntnisse über die Zeit, Sitten, Person, Stil etc. hat. Man darf keineswegs von heute üblichen sozialen Normen ausgehen „und alles, was davon abweicht, als sonderbar oder auffällig“ bewerten. „Historische Zeugnisse erhellen sich gegenseitig.“→ hermeneutischer Zirkel In den Geschichtswissenschaften werden zunehmend mathematisch-statistische Methoden angewendet → deskriptive Statistik, Korrelationsberechnungen, multivariate Verfahren. „Grundsätzlich handelt es sich um das Methodenrepertoire der empirischen Sozialwissenschaften, das → häufig angewandte Methoden: bibliometrische Analysen, Zeitreihenanalyse, Inhaltsanalyse (2) • • • • • •

Die Nutzung von Archiven Adolf-Würth-Zentrum für Geschichte der Psychologie (Uni Würzburg) das Psychologiegeschichtliche Forschungsarchiv/PGFA (Fernuni Hagen) Archives of the History of American Psychology (University of Akron in Ohio/USA) Fachgruppe Geschichte der Psychologie (Onlineangebot) Museen Nachlässe einzelner Forscher (entweder Privatbesitz oder Universitäten, wo besagte Forscher unterrichteten, zB. Wundt u. Fechner in Leipzig) (3) Spurensuche und nichtreaktive Messverfahren

Die Arbeit eines Historikers gleicht in vielem der Arbeit eines Jägers oder Detektivs. Allerdings kann er keine Fallen stellen oder den Dieb auf frischer Tat ertappen. Er muss stattdessen Hypothesen entwickeln und einzelne Beweisstücke mit den Hypothesen in Beziehung bringen. Hier gilt das chinesische Sprichwort: „Die blasseste Tinte ist besser als die beste Erinnerung.“ Spuren müssen analysiert werden. Die bekanntesten Verfahren sind: Abnutzungen, Ablagerungen, Archive, Material- und Energieverbrauch, wie auch unauffällige Beobachtungen und Feldexperimente. → nichtreaktive Messverfahren: kaum Einfluss der Versuchspersonen auf den zu messenden Sachverhalt (4) Oral History Die Datenquellen selbst schaffen, zB. durch gezielte Befragung nach der Vergangenheit. Gesprächsführung und Interview, was aber relativ aufwendig ist. Der Wert liegt oft auf der Faktenebene, da die erzählenden Personen (Zeitzeugen) Tatsachen nennen, die in den Akten gar nicht zu finden sind. Mit Kenntnis dieser Tatsachen lassen sich die Akten aber hinterher anders lesen und sie schärfen den Blick für Detail Tonaufzeichnungen müssen sorgfältig transkribiert werden. Vorteil: Lebendigkeit, Anschaulichkeit, Möglichkeit Daten zielgerichtet zu gewinnen (5) Zeitreihenanalyse Chronologisch angeordnet. Z.B. Punktdiagramm. Trendberechungen mit Methode der kleinsten Quadrate. Gestattet Prognosen oder Hypothesen. (6) Wissenschaftsforschung „The Science of science“ „Wisschenschaft von der Wissenschaft“ Wissenschaftsprofiling

2 - Strömungen und Entwicklungen im 19. Jahrhundert Eine „Die Psychologie“ existiert nicht, sondern immer nur verschiedene psychologische Richtungen, Strömungen und Orientierungen. All diese wissenschaftlichen Richtungen und Strömungen entstanden (bzw. entstehen) durch die Auseinandersetzung mit früheren Positionen, die inzwischen als unvollkommen erkannt wurden (bzw. werden). (1) Positivismus und naiver Empirismus • David Humme ; Comte, Taine, Mill, Feuerbach, Mach ua. • Nach Comte gehe man von dem Gegebenen (dem Tatsächlichen) zum „Positiven“ drei Phasen/Stadien der Menschheitsentwicklung: theologisches Stadium → metaphysischer bzw. abstraktes Stadium → wissenschaftlicher, positivistisches Stadium • dieses Dreistadiengesetz gilt für jede einzelne Wissenschaft und auch für jedes Individuum • englischer Positivismus = naiver Empirismus: der Forscher kann „wahre“ Erkenntnisse über die Natur gewinnen, indem er über Beobachtung und Experiment Gesetzmäßigkeiten erkennt, die im Idealfall Naturgesetze sind

Die enormen Erfolge der Naturwissenschaften und seine Fortschritte im 19. Jhd. boten die Grundlage für den Empirismus, dessen Mängel als wissenschaftstheoretische Grundlage empirischer Psychologie aber heute klar sind. (2) Evolutionstheorie • • • •

Charles Darwin Teilnahme an einer großen Expedition in Südamerika (Dauer fünf Jahre) Der Kampfs um Dasein (struggle of life) und natürliche Auslese (Selektion) beträchtlicher Einfluss auf die Humanwissenschaften

(3) Völkerkunde und Völkerpsychologie Als im Zuge der europäischen Expansion und Kolonialisierung verschiedene, und bis dahin sich fremde, Völker aufeinander traten, kam es oft zu Konflikten und Auseinandersetzungen aufgrund der unterschiedlichen Mentalitäten. Theodor Waitz kam zum Ergebnis, dass Mentalitätsunterschiede verschiedener Völker nicht durch Rassenunterschiede zu erklären sei, da auch innerhalb gleicher Rassen verschiedene Nationalitäten und Mentalitäten auftreten. Seine Schlussfolgerung: „seelische Eigenschaften des Menschen seien sehr stark modifizierbar.“ (S. 46) → weitere Vertreter: Adolph Bastian, Wilhelm von Humboldt, Lee Whorf Begründer der Völkerpsychologie waren jedoch Lazarus und Steinthal • • •

der Mensch ist außerhalb der Gesellschaft nichts, er erhält seine Humanität durch die soziale Umwelt wichtiger Vertreter Wilhelm Wundt (1832-1920); dessen Arbeiten über Völkerpsychologie allerdings immer mehr zu einer beschreibenden Völkerkunde entgleitete als Wissenschaftsgebiet hat sich die Völkerpsychologie nicht wirklich etabliert (eher in Form von psychologischer Anthropologie oder ethnologischer Anthropologie)

(4) Massenpsychologie Aufgrund der enormen gesellschaftlichen Veränderungen und Umwälzungen in Europa nach der Zeit der französischen Revolution (Industrialisierung, Landflucht, Aufkommen von Massenfertigung in Fabriken, Gewerkschaften etc.) stellten sich neue Fragen: Die wissenschaftliche Klärung zu diesen Fragen wurde auch deshalb betrieben, „um damit Individuen und etablierte Gesellschaftsschichten vor den unerwünschten Wirkungen der Massen zu bewahren.“ (S. 50) • • • •

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frz. Arzt u. Soziologe Gustave Le Bon „Psychologie der Massen“ Ursprungsland der Massenpsychologie allerdings eher Italien Versuch der Systematisierung von Massenwirkungen und des Nachweises einer verminderten Zurechnungsfähigkeit des einzelnen in der Masse (→ hier eher kriminologischer Ansatz) in Frankreich befassten sich eher Mediziner mit Massenphänomenen: Warum macht der Einzelne in der Masse Veränderungen durch? In der Masse werden höhere psychische Funktionen gebremst und niedrigere verstärkt. Die Masse ist als ganze „dümmer“ als die Individuen im Durchschnitt in der akademischen Psychologie ist die Massenpsychologie eher randständig diese ging mehr in der Massenkommunikationsforschung u. anderen Teilen d. Soziologie auf wichtigsten Kritikpunkte: LeBon stützt sich nicht auf eigene Beobachtungen, sondern auf überlieferte Berichte, beschriebene Prozesse stellen Ausnahmesituationen da, welche fürs heutige Leben untypisch sind, Massenbegriff äußerst unspezifisch, Bedingungen und Ursachen

werden nicht überzeugend dargelegt, seine Meinung ist die des konservativen Gebildes, welches auf den Pöbel herunter schaut (5) Psychologie zwischen Philosophie und Physiologie In der zweiten Hälfte des 19. Jhd. erlebte insbesondere die Medizin große Erfolge (es wurden Leichen seziert, um daran die Funktion von Organen zu studieren; Aufkommen der Mikroskopie etc.) Dadurch bildete sich ein materialistisches Wissenschaftsverständnis heraus, das für wissenschaftliches Arbeiten als unabdingbar angesehen wurde. Materialismus. Helmholtz, Du Bois-Reymond, Brücke und Ludwig haben in Berlin einen Club gegründet, indem sie sich mit einem feierlichen Eid verpflichteten keine anderen als physikalischchemische Kräfte im Organismus anzunehmen. (6) Sinnesphysiologische Forschung und Psychophysik • • • • • •

Begriff der „Psychophysik“ von Gustav Theodor Fechner Absicht/Versuch psychologische Vorgänge wie die Physik als Naturwissenschaft zu studieren für Fechner strebte das Weltganze (Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine etc.) als lebendige Glieder in unserem kosmischen Organismus zu einer höheren Ordnung (→ das Universum ist ein beseeltes Wesen) Fechner bezeichnete den Physiologen Ernst Heinrich Weber als den „Vater der Psychophysik“ Weber erforschte die Funktion der verschiedenen Sinnesorgane → Wo sind die Grenzen unserer Empfindungen? Ermittlungen von Reizschwellen mit Hilfe des Steckzirkels (Steckzirkelversuche um 1829)

„Weber lag nun daran, Empfindungen arithmetisch darzustellen. Auf der Suche nach geeigneten Maßstäben machte er von der Schwellenbestimmung Gebrauch und fand, dass der Reizzuwachs, der einen eben merklichen Empfindungsunterschied hervorruft, im direkten Verhältnis zum Ausgangsreiz steht.“ Fechner knüpfte an diese Beobachtung an und fand heraus, dass für die verschiedenen Sinnesreize die Veränderung, die nötig ist, um als Veränderung zur Standardgröße eben noch erkannt zu werden, immer in einem konstanten Verhältnis zur Standardgröße steht. Zum Beispiel betragen die verschiedenen Quotienten für Helligkeit 1/60; Gewichte 1/50; Temperatur 1/30 und Salzgeschmack 1/3. → Weber-Fechnersche-Konstante (geben Hinweise auf die Leistungsfähigkeit der menschlichen Sinnesorgane) „Geometrisch ansteigenden Reizintensitäten entsprechen arithmetisch ansteigende Sinnesintensitäten“ → Weber-Fechnersche-Gesetz: E=K x Log R (sog. Maßformel); dh. die Empfindung ist abhängig vom Produkt aus der Konstanten K und dem Logarithmus des Reizes (Anmerkung: keine universelle Gültigkeit des Weber-Fechnerschen-Gesetzes; aber Annahme, „dass das Gesetz annäherungsweise in den mittleren Bereichen der Sinnesreize gilt, dass es jedoch in den extremen Bereichen (…) kaum Gültigkeit beanspruchen kann.“) (7) Experimentelle Psychologie des Lernens Hermann Ebbinghaus forderte Erweiterung der experimentellen Psychologie. Er wollte das menschliche Gedächtnis experimentell untersuchen, was bisher ausgeklammert wurde. Beeindruckt und beeinflusst von Fechners Arbeiten, wollte Ebbinghaus Fechners psychophysikalische Methoden

auf Gedächtnisleistungen anwenden. Er ersann eine Methode in der er sinnlose Silben-Reihen von acht, zwölf oder mehr Silben erdachte (die Silben bestehend aus Konsonant, Vokal, Konsonant) Frage war, wie lang die Zeit oder die Anzahl der Wiederholungen ist, die erforderlich ist, um das fehlerfreie Reproduzieren (etwas auswendig gelernten) wieder zu ermöglichen? → Ersparnismethode Ebbinghaus war Versuchsleiter, Protokollant und seine einzige Versuchsperson! „Trotz der Tatsache, dass es sich um eine Versuchsreihe mit nur einer Versuchsperson, mit bis dahin neuer Thematik und bislang nie zuvor verwendetem Reizmaterial handelte, gelang Ebbinghaus die Ermittlung von Gesetzmäßigkeiten, die in ihren Grundzügen auch heute noch als gültig angesehen werden. Wie zu erwarten war, fand Ebbinghaus, dass nach längeren Zeitabständen häufigere Wiederholungen notwendig waren, dh. die Ersparnis wurde bei größerem Zeitabstand geringer. Doch konnte Ebbinghaus zudem eine spezifische nichtlineare Form der Vergessenskurve bestimm.“

3 – Psychologische Schulen im 19. und 20. Jahrhundert Die unterschiedlichen Richtungen in der Psychologie wurden Schulen genannt (besonders in der Zeit zw. 1880 bis 1950). Diese bestanden oft nebeneinander, statt das eine Schule die vorhergehende ablöste. Die Schulen bildeten geschlossene Wissenschaftlergemeinschaften (scientific communities). Wer sich nicht iSd jeweiligen Schule und seinen Erwartungen verhielt, wurde ausgeschlossen (zB. Freuds Schüler Adler und Jung). Der soziale vorherrschende Druck erscheint heute unverständlich, hatte aber Vorteile: „Eine gemeinsame Idee (Paradigma) wird in der Forschung erprobt, auf neue Fragestellungen angewandt, mit einem Begriffsnetz ausgestattet und in Form von Publikationen mit gegenseitigen Literaturverweisen (Zitaten), durch spezielle Tagungen, eigene Zeitschriften und wissenschaftliche Gesellschaften institutionalisiert und somit kräftig vorangetrieben.“ Die Entwicklung von Ideen, Hypothesen etc. ist in wissenschaftlichen Schulen das Ergebnis gemeinsamer Anstrengung und Arbeit von Lehrern/Gründervätern und Schülern. Aber oft werden die Erfolge der jeweiligen wissenschaftlichen Schule dem Begründer bzw. einer „zentralen Figur“ zugeschrieben, zB.: • • •

Sigmund Freud – Psychoanalyse Watson – Behaviorismus Wertheimer – Gestaltpsychologie

(1) Leipziger Schule • • • • • • • • 1

physiologische u. experimentelle Psychologie von Wilhelm Maximilian Wundt Medizin kein Wunschfach, aber Wundt ist beeindruckt von den enormen Fortschritten in den Doktorarbeit, Habilitation und Privatdozentur1 (diese in Heidelberg) 1864 außerordentliche Professur für Anthropologie u. Medizinische Psychologie (Heidelberg) „Psychologie vom naturwissenschaftlichen Standpunkt“: seelische Vorgänge auf der Grundlage physiologischer Veränderungen erklären zu wollen ab 1875 Leipzig (wirkt hier als Philosoph bis Lebensende) 1879 Gründung des ersten Experimentalpsychologischen Instituts (überhaupt) 1883 Gründung der Zeitschrift „Philosophische Studien“ die letzten zwanzig Jahre seines Lebens Abwendung von d. experimentellen Psychologie, Hinwendung zur Völkerpsychologie

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aber immer gut besuchte Vorlesungen über fast alle Bereiche d. Psychologie Wundt nimmt nie teil an Kongressen

„Experimentelle Befunde, apparative Ausstattung, zahlreiche Publikationen und u. a. auch Wundts Bereitschaft, sich gern, ausführlich und in scharfer Form mit Kritikern auseinanderzusetzen, begründen den Ruf des Leipziger Instituts als Zentrum psychologischer Forschung.“ Grundzüge der Lehre Wundts Nach Wundt besteht die Aufgabe der Psychologie darin, „die Tatsachen des Bewußtseins, ihre Verbindungen und Beziehungen zu untersuchen, um schließlich Gesetze aufzufinden, von denen diese Beziehungen beherrscht werden.“ Die Erfahrung war Zugang zum Psychischen, nicht irgendeine Metaphysik. Die direkte Erfahrung von Sinneseindrücken musste gemessen werden, wozu exakte Raum- und Zeitmessungen nötig waren. Hierfür wurden einige Geräte entworfen und konstruiert. Wundt schloss allerdings die psychologischen Vorgänge nicht aus, auf denen Erinnerungen, Gefühle, Stimmungen etc. beruhen. Wie waren diese zu erklären u. zu untersuchen? • • • • •

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Durch gezielte Selbstbeobachtung Wundt Gegner der Methode einer allg. Introspektion iSd kontemplativen Introspektion unverzichtbarer Teil d. experimentellen Psychologie die instruierte, kontrollierte Selbstbeobachtung (der Vpn) → Zerlegung/Zergliederung des Psychischen → Suche nach allgemeingültigen Gesetzen Wundts Ziel: das Bewusstsein in nicht weiter aufteilbare Bestandteile zu zerlegen → in sog. Elemente des Bewusstseins Wundt: „Die ganze Aufgabe der Psychologie ist so in den zwei Problemen enthalten: welches sind die Elemente des Bewußtseins? Welche Verbindungen gehen diese Elemente ein und welche Verbindungsgesetze lassen sich hierbei feststellen?“ ([Wundt, 1911, S. 28] S. 68) → Elementenpsychologie Apperzeption (gesteigerte Aufmerksamkeit, nach Herbart): das Eintreten eines Bewusstseinsinhaltes in das Aufmerksamkeitsfeld (die beabsichtigte Verschiebung vom Blickfeld zum Blickpunkt) die Apperzeption als innere Willenshandlung Prototyp aller psychischer Prozesse Wundt nannte seine begründete Psychologie auch ...


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