Die Fallstudie als Methode der qualitativen Sozialforschung PDF

Title Die Fallstudie als Methode der qualitativen Sozialforschung
Course Qualitative Forschungsmethoden – ein Überblick
Institution Humboldt-Universität zu Berlin
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Summary

Essay über die Fallstudie als eine Methode der qualitativen Forschung - unbenotet...


Description

Hu mb ol d t Uni v e r s i t ä tz uBe r l i n Ph i l o s o p h i s c h eF a kul t ä tI I I Ku l t u r ,So z i a l -u ndBi l d u n g s wi s s e n s c h a f t l i c h eF a kul t ä t I n s t i t u tf ü rSo z i a l wi s s e n s c h a f t e n Me t h o d e nI I I Qu a l i t a t i v eMe t ho d e n–e i nÜb e r b l i c k Pr of .Dr .Ka r i nLo h r

Es s a y

Di eFa l l s t udi ea l sMe t ho dede rqua l i t a t i v e n So z i al f o r s c hung .

v or g e l e gtv o n :

J a n n eWi t t e Ma t r i k e l nu mme r :5 7 43 1 4 Ema i l :j a n n e . wi t t e @s t u d e n t . h u b e r l i n . d e

Be r l i n,d e n2 8 . 0 3 . 1 9 Ei n eFa l l s t ud i ei s td i ei n t e n s i v eUn t e r s u c hu n ge i n e rEi n h e i tb z w.e i n e sFa l l e s ,mi td e m Zi e ld e r Ve r a l l g e me i n e r u n ga u fe i n eg r ö ß e r e Anz a hl v o n Ei n h e i t e n . So l c he 1 Ei n z e l f a l l a n a l y s e n s o l l e ns o z i a l ePh ä n o me nei n n e r ha l bi h r e sb e s t i mmt e n Ko nt e x t e s

a n a l y s i e r e n .Au c hwe n nd i e s eAr tde rFor s c h u n g ,d i ei hr eAu f me r ks a mk e i ta u fe i n e i n z e l n e s Be i s p i e le i n e sv i e lb r e i t e r e n Phä n o me n sk o n z e n t r i e r t ,g e r ne „ b l o ß “a l s Fa l l s t u d i eb e z e i c h ne twi r d ,g e l t e nh e u t ee i n eVi e l z a h lv o nFa l l s t u d i e na l sKl a s s i k e rd e r So z i a l f o r s c h u n g .Al sBe i s pi e ls e id i eSt u d i e„ Di eAr b e i t s l o s e nv o nMa r i e nt h a l “( J a ho d a , La z a r s f e l du n dZe i s e l1 9 7 5 )g e n a n n t .Do c he sb l e i bte i nPa r a d o x o n:Ob wo hle i ngr o ß e r Te i lu n s e r e se mp i r i s c h e n Wi s s e nsa u sFa l l s t u d i e ns t a mmt ,wi r dd i eFa l l s t u d i ea l s Me t h o d ewe n i gb e a c h t e to d e rs o g a rd i s kr e d i t i e r t .Esh e r r s c h tVe r wi r r u n gü b e rd i e T u g e n d e nu n dLa s t e rd i e s e rme h r d e u t i g e nMe t h o d e–od e rMe t h o d i k ?Di ev o r l i e g e n d e Ar b e i tv e r s uc h te i nwe n i gKl a r h e i ti nd a s( s c h e i n b a r )du n kl eFe l dd e rEi n z e l f a l l a n a l y s e z ub r i n g e n .

Ro be r tSt a k eb e s c h r e i b td i eFa l l s t u d i ea l s„ the study of the particularity and complexity of a single case, coming to understand its activity within important circumstances.” (Stake 1995: 7). Sie stellt eine vielseitige Form der qualitativen Forschung dar und ist als Methodik für eine umfassende, ganzheitliche und eingehende Untersuchung eines komplexen Themas innerhalb eines bestimmten Kontexts anzuwenden (Mills et al. 2017). Hering und Schmidt beschreiben sie als „ e i n eumf a s s e n d eFor s c h u n g s s t r a t e g i e , b e id e re i n ea b g r e n z ba r e Ei n h e i t– e i n Fa l l– i ni h r e n Bi n n e n s t r u k t u r e n un d Umwe l t v e r h ä l t n i s s e n u mf a s s e n dv e r s t a n de n we r d e ns o l l “( 2 0 1 4: 5 2 9) In der Sozialwissenschaft dient die Fallstudie der Suche nach Strukturzusammenhängen und Prozessverläufen, welche Handlungszusammenhänge aufdecken soll. Die Mechanismen des sozialen Handelns sollen verstanden und erklärt werden. Um ein tieferes Eindringen in ein soziales Phänomen zu ermöglichen, findet die Untersuchung des Falls in seinem natürlichen Umfeld, unter realen Bedingungen, statt. Die Motivation zur Durchführung einer Fallstudie sollte sich vor allem aus dem Interesse an der Untersuchungseinheit, 1 Die Begriffe Fallstudie und Einzelfallanalyse werden in der vorliegenden Arbeit als untereinander austauschbare Begriffe benutzt.

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also des Falls, herausbilden. Dabei steht das Verstehen und Erklären komplexer Phänomene im Vordergrund. Als Fall oder Untersuchungseinheit können klassische Gegenstände der Sozialforschung (Einzelpersonen, Personengruppen, Organisationen usw.) gelten, aber auch soziale Prozesse, Situationen, Ereignisse und Phänomene (Hering und Schmidt 2014: 529). Die Definition des Falls (Analyseeinheit oder Untersuchungsobjekt) und das Eingrenzen des Falls kann schwierig sein, da sich in der Einzelfallanalyse oft viele interessante Punkte und Variablen überschneiden und überlagern. Dennoch ist die Eingrenzung des Falls für die Datenerfassung und die Datenanalyse unerlässlich. Dies beinhaltet, dass die Parameter des Falls, (die teilnehmenden Personen, der Ort und/oder der zu untersuchende Prozess) und der Zeitrahmen für die Untersuchung des Falls festgelegt wird (Mills et al. 2017). Die Fallauswahl ergibt sich aus dem spezifischen Forschungsinteresse, welches durch folgende drei Absichten gekennzeichnet sein kann (vgl. Hering und Schmidt 2014: 530): o Exploration: Die Beschreibung eines bisher unbekannten Phänomens. Die Auswahl fällt auf einen neuen, unbeschriebenen Fall oder auf einen, für dieses Phänomen, normativ interessanten Fall. Theoriebezug: Beschreibung zur Gewinnung von neuen Theorien. o Erklärung:

Die

Überprüfung

und/oder

Erweiterung

bereits

bekannter

Phänomene. Die Auswahl fällt in Bezug auf bestehende Theorien und sind meist kritische Fälle, aus denen neue Aspekte und Hypothesen entwickelt werden können. Theoriebezug: Nutzung etablierter Theorien zu ihrer Prüfung und Festigung. o Vergleich

und Kontrastierung:

Mit

dem

Ziel

der Verallgemeinerung

Gemeinsamkeiten und Unterschiede beim Vergleich mehrerer Fällen erkennen. Die Auswahl fällt auf Extremfälle

(Most Similar bzw. Most Different).

Theoriebezug: Falsifizierung und Weiterentwicklung bestehender Theorien. Die Mehrdeutigkeit von Fallstudien wirft die Frage auf, ob es sich um eine einzelne Methode oder um eine Methodik, also die Gesamtheit der zum wissenschaftlichen Ziel führender Methoden, handelt. Die Variationen in den Definitionen und Beschreibungen, die sich auf die Einzelfallanalyse als Methodik und/oder einzelne Methode beziehen

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sind meist verwirrend, irreführend und kontraproduktiv (Mills et al. 2017). Das Problem scheint vor allem auf der Benutzung verschiedenster Begriffe innerhalb der Literatur zu gründen. Auch wenn die Einzelfallanalyse oft als Methode der qualitativen Forschung bezeichnet wird, stellt sie kein spezifisches Erhebungs- oder Auswertungsverfahren dar, sondern beinhaltet ein umfassendes Forschungsdesign. Die Fallstudie ist also eine Forschungsstrategie mit Methodenmix. Dabei bietet die Einzelfallanalyse eine Flexibilität, die andere qualitative Ansätze (wie z.B. die Grounded Theory) nicht bieten (Hyett et al. 2014). Eine Fallstudie ist stets auf Fall- und Forschungsfragen zugeschnitten und die Forschung in diesem Bereich weißt eine große Vielfalt an unterschiedlichen Studiendesigns auf. Robert Yin empfehlt das Nutzen von multiplen Methoden zum Sammeln und Analysieren von Daten, um einen umfassenderen Blick auf den untersuchten Fall zu erlangen (2014). Als übliche Methoden zur Sammlung und Generierung von Daten eignen sich in der Einzelfallanalyse vor allem Interviews, Gruppendiskussionen, Beobachtungen und Dokumentenanalyse. Allerdings sollte sie darauf nicht beschränkt werden, sondern immer auf eine durchdachte Methodenauswahl geachtet werden. Hering und Schmidt weisen auf mehrere Probleme hin, die sich während einer Einzelfallanalyse ergeben können. (2014: 538f.) Darunter fällt zum einen, dass eine klare Abgrenzung des Falls nicht immer möglich ist. Diese Abgrenzungsproblematik sollte während des gesamten Forschungsprozesses reflektiert werden. Das Verhältnis von Erkenntnisinteresse und Fallabgrenzung sollte dabei stets überprüft werden, um das Abschweifen vom ursprünglichen Forschungsinteresse zu vermeiden. Wichtig ist auch, ein stimmiges Ende der Analyse zu finden. Eine Forscher-Triangulation kann dabei helfen, zu bestimmen, wann der Fall ausreichend beschrieben ist. Hier schließt sich das Problem der Überinterpretation (Übertragung auf unzulässige Abstraktionsniveaus) bzw. Unterinterpretation (fehlender Bezug zu bestehenden Erkenntnissen, fehlende Konzeptualisierung) an. Ein weiterer kritischer Punkt bei der Durchführung von Fallstudien ist die Wichtigkeit einer sorgfältigen Vorbereitung und Planung, sowie die Entwicklung einer systematischen Vorgehensstruktur. Mit der Sicherstellung einer Übereinstimmung von Philosophie und Methodik mit dem Forschungszweck und den angewandten Methoden wird ein „strenger“ Forschungsprozess untermauert (Mills et al.

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2017). Sorgfältige Aufzeichnungen und eine systematische Beweiskette über die Dauer der Studie sind von entscheidender Bedeutung. Um als wertvoller Beitrag zur qualitativen Forschung zu funktionieren, müssen mit der Studie ausreichende Details über das Forschungsdesign, und Begründungen für wichtige methodologische Entscheidungen veröffentlicht werden. Andererseits kann es zu einem Mangel an Qualität und Glaubwürdigkeit kommen. Ohne eine angemessene Beschreibung, kann das Forschungsdesign nicht verstanden werden und ungenau erscheinen. Dies stiftet meist nur Verwirrung und lenkt von wichtigen Forschungsergebnissen ab (Hyett et al. 2014). Dieses Problem geht über Einzelfallanalysen hinaus und gilt auch in anderen Bereichen der qualitativen Forschung. Be id e r Ge s t a l t un gq u a l i t a t i v e r St u d i e n, e i n s c h l i e ß l i c h Fa l l s t u d i e n ,i s td e s h a l b me t h o di s c h eI n t e g r i t ä te r f o r d e r l i c h ,u m d i e Fo r s c hu n g s g e n a u i g k e i tz ug e wä h r l e i s t e nu n ddi eGl a u b wü r d i g k e i tz ue r h ö he n( e bd . ) .

Wenn es um Gütekriterien geht, wird die Fallstudie, beim Vergleich mit statistischen Methoden, oft diskreditiert. Die Fallstudie ist kein inhärent vergleichender Forschungsansatz. Ihr Ziel ist nicht die statistische Forschung. Sie will keine Ergebnisse erzielen, die für alle Bevölkerungsgruppen verallgemeinerbar sind. Vergleiche zwischen statistischen Untersuchungen und Fallstudien tragen wenig dazu bei, diesen qualitativen Ansatz voranzubringen. Dennoch hat auch die Fallstudie (begrenzte) Möglichkeiten der Verallgemeinerung. Im Hinblick aus das oben genannte Forschungsinteresse gibt es in diesem Zusammenhang drei Möglichkeiten: theoriegeleitete Verallgemeinerung, empirische

Typenbildung,

Verallgemeinerung

durch

Bildung

empirischer

Zusammenhänge (Hering und Schmidt 2014: 536f.)

Die

Methodik

der

Einzelfallanalyse

bietet

vielfältige

Strategien

in

der

sozialwissenschaftlichen Forschung. Es ist ein Ansatz, der häufig verwendet wird, um ein komplexes Phänomen in seinem Kontext besser zu verstehen. Dabei gibt es verschiedene

Möglichkeiten,

Fallstudien

zu klassifizieren.

Sie

sollen „thick

descriptions“ liefern, um den Fall selbst ausreichend zu erklären oder Theorien zu bilden oder zu testen. Bis heute hat sich ein breites Spektrum an Fallstudien entwickelt, welches die Flexibilität der Fallstudienforschung als eigenständige Forschungsmethode

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betont. Sie ermöglicht einen umfassenden und tiefgreifenden Einblick in eine Vielzahl von Fragestellungen innerhalb unterschiedlicher Disziplinen. Obwohl in einigen Bereichen Unterschiede bestehen, sind vor allem die Gemeinsamkeiten offensichtlich. Der Fokus der Fallstudie liegt auf der detaillierten Untersuchung einer Analyseeinheit, als ein begrenztes System (dem Fall), der sich im Zeitverlauf seines Kontexts befindet. Die Vielseitigkeit der Einzelfallanalyse in ihrer Anpassung an die philosophischwissenschaftliche Position des Forschenden, bietet Raum für Forschung, die einen Einblick in die verschiedensten Bereiche des sozialen Handelns ermöglichen. Durch die Möglichkeit, mit dem richtigen Methodenmix Ansätze maßzuschneidern, können Forschungsdesigns von Fallstudien helfen, eine Vielzahl von Fragen zu beantworten, die nach dem Warum, Was und Wie eines Problems fragen. Die Forschenden werden dabei unterstützt, komplexe Themen im spezifischen Kontext zu erkunden, zu erklären, zu beschreiben und zu bewerten. Ergebnisse einer Fallstudie führen zu einem tiefgreifendem

Verständnis

der

Verhaltensweisen,

Prozesse,

Handlungen

und

Beziehungen.. Der fortlaufende Diskurs über die Rolle, die Gültigkeit und die Fähigkeit von Fallstudien betont die Bedeutung der Einzelfallanalyse als leistungsfähige Form der qualitativen Forschung.

Li t e r a t ur v e r z e i c hni s He r i n g ,Li n da / S c h mi dt ,Ro b e r tJ .( 2 01 4 ) :Ei nz e l f a l l a n a l y s e .I n:Ba u r ,Ni n a / Bl a s i u s ,J ö r g ( Hr s g . ) :Ha n d b u c hMe t h o d e nd e re mp i r i s c he nSo z i a l f o r s c h u n g .Wi e s b a d e n :Sp r i n g e r VS.5 29 54 1 Hy e t t ,Ne r i da / Ke n n y ,Ama n da/ Di c k s o n S wi f t , Vi r gi n i a( 2 0 14 ) :Me t h od o l o gyo rme t h o d? Ac r i t i c a lr e v i e wo fq u a l i t a t i v ec a s es t ud yr e p o r t s ,I n t e r n a t i o n a lJ o u r n a lofQu a l i t a t i v e St u d i e so nHe a l t ha n dWe l l b e i n g ,9 : 1 ,DOI :1 0 . 3 4 0 2 / q h w. v 9 . 2 3 60 6 J a h o da, Ma r i e / La z a r s f e l d,Pa u l F. / Ze i s e l , Ha n s( 1 9 7 5 ) : Di e Ar b e i t s l o s e nv o n Ma r i e n t ha l .Ei ns o z i o g r a ph i s c h e rVe r s u c h.Fr a n kf u r ta m Ma i n :Suh r ka mpVe r l a g . S t a k e ,Ro b e r tE.( 1 9 95 ) :Th eAr to fCa s eSt u d yRe s e a r c h .Th o u s a n dOa ks ,CA:Sa g e . Mi l l s ,J a n ee tal .( 2 0 17 ) :Ca s es t u d yr e s e a r c h :f o u n d a t i o n sa n d me t h o d o l o g i c a l o r i e n t a t i o n s .Fo r u m Qu a l i t a t i v eSo z i a l f o r s c h u n g ,1 8( 1 ) ,1 1 7

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Yi n ,Ro b e r tK.( 2 0 1 4 ) :Ca s es t u d yr e s e a r c h :De s i gna n dme t h od s .Lo sAn g e l e s ,CA: Sa g e .

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