Rousseau Politische Theorie- Staatsexamen PDF

Title Rousseau Politische Theorie- Staatsexamen
Author Veronika Lantscha
Course Sozialkunde Examen
Institution Universität Augsburg
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Politische Theorie- Staatsexamen...


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4 Radikale Theorie der Volkssouveränität: Rousseaus Beitrag zur Demokratietheorie -

Entstammte einer kleinbürgerlichen, calvinistischen Genfer Familie, blieb ohne systematische Schulbildung, hat nie studiert. War aber „ein Wanderer zwischen den Ländergrenzen, den gesellschaftlichen Klassen und den Konfessionen“. In seinen Schriften beklagte Rousseau das Elend des armen Volkes und die Zustände der zeitgenössischen Gesellschaft, kritisierte die Monarchie und den Adel. Die Pariser Zensurbehörde und Genf verboten „Émile“ und den „Gesellschaftsvertrag“, Flucht nach England.

4.1 Rousseaus Ansatz -

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In seinen moralphilosophischen Beiträgen entwickelt Rousseau im ersten Diskurs eine seiner Hauptthesen: Die Zivilisation bringt nicht Fortschritt, sondern Unheil; die moderne Gesellschaft korrumpiert und versklavt den ursprünglich guten, freien Menschen (vgl. 1. Satz im 1. Buch des „Contrat Social“: „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten“) Der zweite Diskurs widmet sich dem Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen. o Hier entwickelt er die Lehre von Naturzustand, in dem die Menschen friedlich mit ihresgleichen gelebt hätten ( Gegenentwurf zum Naturzustand Hobbes, in dem der Mensch im Naturzustand dem anderen ein Wolf ist). o Laut Rousseau beginnt das Unheil mit der Eigentumsbildung, da sie sozialer Ungleichheit führt und den „Betrugsstaat der Reichen“ zustande bringt. o Der Mensch, der aus dem zivilisatorischen Prozess hervorgeht ist laut Rousseau ein entartetes Tier. Rousseau weist auch die natürliche Geselligkeit des Menschen zurück und verwirft auch „die ökonomische Lösungsstrategie“ von Adam Smith, die auf die Bekämpfung des Knappheitsproblems durch Reichtum schaffende Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung setzt, da sie zur weiteren Entfremdung beitrage. In seinen Politischen Schriften stellt er die Frage nach der Legitimität einer vergleichsweise guten Herrschaft, nach der Sicherstellung des „allgemeinen Wohlergehens“. o Rousseau zufolge kann ein Mitglied eines Gemeinwesens nur solchen gesetzlichen Beschränkungen seiner Freiheit unterworfen werden, deren vertragliche Grundsätze er zugestimmt hat. Rousseaus Lehre vom Gesellschaftsvertrag: o 1. Entäußerungsvertrag (völlige Entäußerung jedes Mitglieds mit allen seinen Rechten an das und gleichberechtigte Herrschaftsteilhaber -> gewinnen die bürgerliche Freiheit) o 2. unveräußerliche, nicht delegierbare, unteilbare, absolute Volkssouveränität o 3. Unterscheidung zwischen Gemeinwillen (volonté générale) und Sonderwille (volonté particuliè) und Gesamtwille (volonté de tous)

4.2 Gesellschaftsvertrag und Volkssouveränität -

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Der Vertragsgedanke und die Souveränitätslehre müssen als Reaktion auf die Missstände der Zeit (Religions- und Bürgerkriege) gesehen werden. Rousseau radikalisiert den Souveränitätsgedanken (Staat der nach außen und innen souverän und von den Bürgern anerkannt ist) hin zu einer Volkssouveränitätslehre mit demokratischen und zugleich autoritären Komponenten. Die Souveränität liegt beim Volk und muss dort bleiben (kein Transfer auf den Staat/ Herrscher), die Gemeinschaft der Vertragsschließenden nimmt die Position des Souveräns ein ( Hobbes Souveränitätslehre).

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Volkssouveränität bedeutet ungebrochene Oberhoheit der Vollbürger (auch über die Verfassung und Verfassungsinstitutionen) -> beispielsweise sind die Regierung und die gesamte Exekutive nichts anderes als „Diener“ des Souveräns. o Rousseau geht damit in Opposition zu allen Mischverfassungs- und Gewaltenteilungslehren und zu allen Lehren der „limited government“. Rousseau widersetzt sich auf dem Gedanken der Repräsentation -> Repräsentation als Instanz der Selbstentfremdung der Menschen (sobald sich ein Volk Vertreter gebe, „ist es nicht mehr frei, es ist nicht mehr“). o Rousseau verurteilt deshalb Englands Parlamentarismus Rousseau will die Staatsangelegenheiten in die Angelegenheiten der Bürger einbinden, dabei werden Staat und Gesellschaft weitgehend als Einheit gedacht.

4.3 Gesellschaftsvertrag, Gemeinwillen, Gesamtwillen und Sonderwillen -

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Laut Rousseau bringt der Gesellschaftsvertrag „eine sittliche Gesamtkörperschaft“, eine „öffentliche Person“ hervor. o Durch den Gesellschaftsvertrag verliert der Mensch seine natürliche Freiheit und das unbegrenzte Recht auf alles, was er begehrt. o Dafür erhält er die bürgerliche Freiheit und das Eigentum an allem, was er besitzt, sowie die „sittliche Freiheit“. Der Preis hierfür ist die Unterwerfung unter die volonté générale (gebräuchlichste Übersetzung: Gemeinwille), der auf das „Gemeininteresse“ abzielt; er verkörpert den aufs Gesamtwohl gerichteten hypothetischen Volkswillen. o Die volonté particulière ist das selbstbezügliche Sonderinteresse, das im Wesentlichen ohne Rücksicht auf die Gemeinschaft verfolgt wird o Der volonté des tous (Gesamtwille) ist die Summe von Sonderwillen, die Summe von Partikularinteressen. Darüber hinaus unterscheidet Rousseau analog zwischen citoyen (der tugendhafte Staatsbürger) und bourgeois (dem seinen Privatinteressen nachgehenden Besitzbürger). o Rousseaus Erziehungsprogramm sieht die Transformation des von Partikularinteressen gelenkten bourgeois in den tugendhaften citoyen vor und die Transformation des Gesamtwillens in den Gemeinwillen. Rousseau kennt 3 Gegenmittel gegen die verderbte Wirklichkeit: o die politische Gemeinschaft nach der Transformation o die durch Erziehung bestärkte individuelle tugendhafte Standhaftigkeit o die „Transparenz der Herzen“ Rousseau sagt, dass der Gemeinwille immer auf das öffentliche Wohl abzielt, allerdings die Beschlüsse des Volkes nicht immer gleiche Richtigkeit haben, da man zwar immer das Bestes möchte, aber es nicht immer sieht. Der Gemeinwille wird hier also vorausgesetzt, der in der Gestalt eines „a-priori-Gemeinwohls“ auftritt. Entscheidend seien die Abstimmung aller Abstimmungsberechtigten und die Einstimmigkeit ihres Urteils, da dies ein besonders guter Anzeiger für die Verfassung der politischen Körperschaft (je näher die Meinungen der Einstimmigkeit kommen, umso mehr herrscht auch der Gemeinwille vor). Die Einstimmigkeit ist bei der Abstimmung über den Gesellschaftsvertrag unverzichtbar. o Je bedeutsamer und schwerwiegender die Entscheidungen sind, desto mehr soll sich die Abstimmung der Einstimmigkeit nähern: o Nur Entscheidungen, die sofort zu treffen seien, können Mehrheitsentscheidungen sein (entsprechen nur dann dem Gesamtwillen, wenn sie sich von der „Wir-Perspektive“ leiten lassen;

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dann muss sich die Minderheit eingestehen, dass sie irrte und ihre Abstimmung nicht den Gemeinwillen ausdrückte). Rousseau ging auch davon aus, dass jeder Sonderwille Elemente des Allgemeininteresses enthalte und daher sich die Sonderwillen gegenseitig aufhebe, so dass der Gemeinwille übrig bleibe. Dafür gibt es allerdings bestimmte Bedingungen: o Die Abstimmenden dürfen keinerlei Verbindung zueinander haben. o Die Abstimmung aller Bürger ist nötig o Autonomie der Bürger, als auch hoch entwickelter Sachkenntnisstand und „Wir-Perspektive“ sind nötig. o Eine überschaubare und vergleichsweise homogene Gesellschaft nötig (z.B. Religion). o Jeder Bürger vertritt nur seine eigene Meinung (keine Teilgesellschaften). o Falls doch Teilgesellschaften (z.B. Parteien etc.) muss ihre Zahl vervielfacht und einer eventuellen Ungleichheit vorgebeugt werden. Die volonté générale soll eine moralisch Politik begründen, aber: o Die Summierung der partikularen Einzelinteressen ist nicht identisch mit dem Gemeinwohl. o Es gibt den Zwang zur Unterwerfung unter den prä-diskursiven Gemeinwillen („ein erbarmungsloser Tugendzwang mit terroristischen Implikationen). o Die Konstruktion des Gemeinwillens ist offen für die Ausbeutung einer selbsternannten Avantgarde. o Rousseaus Konstrukt des Gemeinwillens ist „next to useless“ (Hueglin 2007), da die Kriterien, ab wann ein Gemeinwille vorliegt, sehr unscharf sind! o Übereinstimmung ist nicht zwangsläufig ein Zeichen der Qualität eines Willens- und Entscheidungsprozesses, vgl. Herstellung einer rein äußerlichen Einstimmigkeit, Desinformiertheit.

4.4 Staatsformen und Ort der Demokratie

Exekutive

Demokratie

Aristokratie

Monarchie

Ganzes Volk/ größter Teil des Volkes

Kleiner Teil des Volkes

Einzelner

Mehr Bürger mit öffentlichem Amt als Privatleute

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Weniger Bürger öffentlichem Amt Privatleute

mit als

Exekutive steht der Legislativen gegenüber (Auseinanderfallen des Gemein- und Sonderwillens)

Rousseau sagt aber, dass es gegen die natürliche Ordnung wäre, wenn die Mehrzahl regiere und die Minderzahl regiert werde. Außerdem bringt die Demokratie schwer zu vereinende Dinge mit sich: o Einen kleinen Staat, in dem das Volk sehr einfach zu versammeln ist und man sich kenne. o Eine große Einfachheit in den Sitten. o Weitgehende Gleichheit der gesellschaftlichen Stellung und der Vermögen (Gleichheit von Recht und Einfluss). o Wenig bzw. gar keinen Luxus (-> verdirbt den Menschen). Schließlich ist die Demokratie ungünstigen außenpolitischen Bedingungen ausgesetzt: Da sie am ehesten für kleinere und mittlere Staaten geeignet ist, laufen diese Gefahr, wirtschaftlich und militärisch von größeren Staaten mit Monarchie bzw. Despotie abhängig zu sein. Rousseau rechnet alle Staaten, die durch Gesetze regiert werden, der Republik zu (kann neben der Demokratie auch eine Aristokratie oder Monarchie sein) Rousseau verstand sich als Fürsprecher einer

Tugendrepublik nach antikem Vorbild -> dynamischer Republikanismus mit solidargemeinschaftlicher Ausrichtung ( liberale und libertäre Theorien).

4.5 Würdigung von Rousseaus demokratietheoretischem Beitrag -

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Rousseau hat zur Theorie und Praxis der Demokratie wichtige Bausteine beigetragen (Gesellschaftsvertrag, radikale Volkssouveränitätstheorie, Unterscheidung zwischen Sonder-, Gesamt- und Gemeinwillen), aber sein Beitrag sollte nicht überschätzt werden. Rousseau versteht unter Demokratie nur die Real- und Idealtypen der Direktdemokratie. Seinem Selbstverständnis nach war er vielmehr republikanisch gesinnt (Idealstaat: Eine stilisierte Römische Republik; eine überschaubare, moralisch integere Republik wie Korsika). Freiheit bedeutet für Rousseau auch den Zwang zur Freiheit, wenn ein Mitglied der Gesellschaft sich dem Gemeinwillen nicht beugen will -> Gefahr des Despotismus der Freiheit und des Paternalismus der Freiheit. Die Spannweite der Bewertung von Rousseaus Person und Werk ist sehr groß: o Vater der Moderne und Antimoderne (Höffe 2001) o Wortführer eines repressionsanfälligen Populismus (Riker 1982) o Denker zwischen den Zeiten (Fetscher 1975) o Apostel des Anti-Pluralismus (Fraenkel 1991) o Wegbereiter für den Totalitarismus (Melzer 1995)

Es gibt aber 6 besonders kritische Stellen in seinem Werk: -

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1. Rigide Demokratiedefinition Rousseaus Ablehnung des Repräsentionsprinzips. Ab einem Demos von 1000 Mitgliedern ist bei direktdemokratischer Organisation Repräsentation und Delegation unabweisbar. -> Rousseaus Konzept ist nicht praktikabel, da selbst die Direktdemokratie der Schweiz nicht ohne Repräsentation und Delegation auskommt. 2. Das zweifach halbierte Staatsvolk Rousseau möchte ein Bürgerrecht auf politischer Teilhabe, begrenzt dieses aber sogleich auf die Abstimmung über den Gesellschaftsvertrag und die allgemeine Gesetzgebung. Für streitige Partizipation bleibt kein Platz, Rousseau wünscht sich vielmehr die Verschmelzung der Bürger mit dem Gemeinwesen. Ein Vollbürger ist bei ihm aber auch nur der erwachsene männliche Bürger. 3. Der fehlende grundrechtliche Unterbau Rousseau kennt Bürgerrechte, aber er kennt keine Grundrechte; es fehlt die fundamentale Sicherung der Bürger gegen staatliche Politik und Herrschaft. Rousseau geht von einer eigentümlichen konfliktfreien Homogenität und Harmonie in der Bürgerschaft aus 4 . Verabsolutierte Volkssouveränität Die Souveränität des Volkes ist prinzipiell unbeschränkt und unbeschränkbar -> Vorwurf: Rousseaus Gesellschaftsvertrag gehe mit der „absoluten Veräußerung allen Individualrechts an die souveräne Gesamtheit“ einher. Die „Souveränität des Volkes“ kann sogar die „Souveränität des Individuums zerstören“. 5. Das problematische Gesetzgebungsmodell Das Volk hat nach Rousseau in der Volksversammlung oder beim Plebiszit die Aufgabe, Gesetze zu beschließen und zu verabschieden.

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Nicht zu seinen Befugnissen gehört die Formulierung von Gesetzen (-> Sachverständige, als aufs Gemeinwohl verpflichtete Berater) -> Möglichkeit der Verwandlung von Sachautorität in politische Herrschaft und Manipulation! Seine Theorie kann zur der Verselbstständigung der Staatsgewalten (Souverän, Regierung) werden.

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6. Die autoritarismusanfällige Lehre von der „Zivilreligion“ Die Zivilreligion möchte alle Bürger darauf festlegen, seine Pflichten zu lieben. Die „Zivilreligion“ gibt einen Satz von Dogmen vor, um den Gemeinschaftswillen gesamtgesellschaftlich verbindlich durchzusetzen, mit Sanktionen bis hin zur Todesstrafe.

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Wirkung und Bewertung des Werkes In Rousseaus Theorie mischen sich radikalemanzipatorische und radikaldemokratische Elemente mit autoritären Komponenten. Der demokratische Souverän hat gottesähnliche Attribute, er ist aber zumindest an den Mehrheitswillen und an Gemeinwohlnormen gebunden ( absolutistischer bzw. totalitärer Souverän). Seine Lehre wirkt jedoch auch als Quelle gesellschaftskritischer Erziehungsprogramme und als Stichwortgeber für die Fürsprecher der Französischen Revolution. Rousseau war auch Mitbegründer der Lehre der „radikalen Tradition“ der westlichen Philosophie, der zufolge die Übel dieser Welt ein Werk der Gesellschaft und der Moderne sind. Ambivalent bleibt die Wirkung auf die Theorie und Praxis der Volksherrschaft: o Fürsprecher der Direktdemokratie berufen sich auf Rousseau (übersehen aber die mangelnde Möglichkeit der Beteiligung der Bürger in seinem Denkgebäude). o Sie krankt an einem verengten Demokratiebegriff. o Sie kennt keine Sicherung gegen die Verselbstständigung der Souveränität. o Der demokratietheoretische Ertrag fällt hinter den Stand der aristotelischen Staatsformenlehre zurück.

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Aber doch durchschlagende politische Wirkung: o Die Souveränität ist unteilbar und unveräußerlich. o Fundamentalopposition zum Repräsentationsprinzip. o Demokratie als ein Teil der Entfremdung in der Moderne....


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