Skript VOB Stand 2016 PDF

Title Skript VOB Stand 2016
Course Vergleichendes Recht
Institution Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
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36 C. Einführung in das Vergaberecht

I.

Begriff, Sinn und Zweck der vergaberechtlichen Vorschriften; Systematik der Normen

a) Der Begriff „Vergabe“ Der Begriff „Vergabe“ wird in baurechtlichen Zusammenhängen nicht einheitlich gebraucht. Eine Begriffsverwendung findet sich etwa in § 34 HOAI, bei der die Leistungsphasen 6 und 7 als „Vorbereitung der Vergabe“ und „Mitwirkung bei der Vergabe“ definiert werden. In diesem Sinn ist Vergabe gleichbedeutend mit „Auftragsvergabe“ (an den oder die Bauunternehmen). Der Vertragsschluss in diesem Sinne richtet sich ausschließlich nach zivilrechtlichen Regeln de BGB, die im vorherigen Kapitel dargestellt wurden. Dagegen ist mit „Vergaberecht“ etwas anderes gemeint, nämlich das Recht der öffentlichen Aufträge. In diesem Sinne ist Vergabe enger zu verstehen als der Vertragsschluss durch einen öffentlichen Auftraggeber. Zwar ist auch in diesem Bereich der eigentliche Vertragsschluss und die Vertragsdurchführung nach dem BGB zu beurteilen. Die Vorbereitung der Vergabe ist jedoch in besonderen Verfahrensvorschriften enthalten, die für Bauaufträge insbesondere in der VOB/A enthalten sind; weitere Vorschriften finden sich im GWB und in der Vergabeverordnung (VgV). Hinweis: Die VOB/A und die anderen vergaberechtlichen Normen wurden 2016 umfangreich geändert. Bitte achten Sie darauf, dass Sie eine aktuelle Fassung der VOB/A verwenden, d. h. die VOB/A 2016.

b) Sinn der vergaberechtlichen Vorschriften Während für private Auftraggeber Vertragsfreiheit herrscht und auch im Hinblick auf das Zustandekommen der Verträge keine Vorgaben bestehen, ist dies im Bereich der öffentlichen Auftraggeber anders. Für die öffentliche Hand im engeren Sinne, d. h. Bund, Länder und Kommunen (bzw. die ihnen nachgeordneten Behörden) gibt es schon lange eigene Verfahrensregeln. Sinn dieser Regelungen ist insbesondere 

die Vermeidung von Korruption und



die wirtschaftliche und sparsame Vergabe von Mitteln.

Für Privatunternehmen besteht regelmäßig ein erhebliches Insolvenzrisiko und Konkurrenzdruck durch Wettbewerber. Dieser mittelbare Zwang zu ökonomischer Mittelverwendung entfällt bei staatlichen Körperschaften weitgehend. Man hat daher seit vielen Jahrzehnten Regeln aufgestellt, die durch entsprechende Verfahrensregeln die haushaltswirtschaftliche Ausgabendisziplin sichern sollen. Insbesondere wird vor diesem Hintergrund verständlich, dass die vergaberechtlichen Prof. Dr. Friedhelm Reichert

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37 Vorschriften in vielen Fällen Verfahrensarten mit einer unbegrenzten Zahl von Bietern (= hoher Wettbewerbsdruck) vorschreiben.

Neben dieser haushaltsrechtlichen Begründung gibt es jedoch weitere Argumente insbesondere für die (erst seit 1999 gesetzlich vorgesehene) Pflicht, in bestimmten Fällen Aufträge europaweit auszuschreiben. Hier ist in erster Linie eine wettbewerbsrechtliche Begründung maßgeblich: die europarechtlichen Regeln dienen der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes. Die Europäische Kommission hatte bereits vor geraumer Zeit festgestellt, dass die nationalen Beschaffungsmärkte stark voneinander abgeschottet sind. Um diese „protektionistischen“ Märkte gewissermaßen „aufzubrechen“, führte die EU ein System von Rechtsregeln ein, durch die der grenzüberschreitende Wettbewerb bzw. die entsprechende Auftragsvergabe gefördert werden soll. Dieses Ziel soll insbesondere durch 

europaweite Bekanntmachung der entsprechenden Aufträge und



einen effektiven Rechtsschutz erreicht werden.

c) Systematik der Normen Die rechtliche Situation des deutschen Vergaberechts ist ausgesprochen unübersichtlich. Bereits mehrfach wurde versucht, das Vergaberecht zu vereinfachen, ohne dass dies bisher zu wirklich durchgreifenden und systematisch überzeugenden Lösungen geführt hätte. Die oben angesprochene Zweiteilung des Vergaberechts findet sich auch im Bereich der maßgeblichen Normen:

Für die nationalen Vergaben sehen die (Bund-/bzw. Landes-)Haushaltsordnungen die Anwendung (nur) des ersten Abschnitts der VOB/A vor (die sog. „Basisparagraphen“). Adressaten dieser Haushaltsvorschriften sind im Regelfall nur die entsprechenden staatlichen Auftraggeber, d. h. Bund, Land und Kommunen, aber nicht Gesellschaften des privaten Rechts (z. B. die weitgehend im Eigentum des Landes Berlin stehende Messe Berlin GmbH).

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Haushaltsrechtliche Vorschriften (z. B. Landeshaushaltsgesetz; HGrG)

Verdingungsordnungen (VOB/A – VOL/A – VOF) Nur sog. „Basisparagraphen“

Dagegen gilt bei europaweiten Vergabeverfahren ein (noch) komplexeres Normensystem: Die Grundsätze des Vergaberechts und der Rechtsschutz (das sog. „Nachprüfungsverfahren) sind im 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) festgelegt. Weitere Details sind in der Vergabeverordnung (VgV) enthalten; diese schreibt insbesondere vor, dass bei europaweiten Vergabeverfahren der zweite Abschnitt der VOB/A zu beachten (Basisparagraphen und sog. „EUParagraphen“).

§§ 97 ff. GWB

Vergabeverordnung (VgV)

Verdingungsordnungen (VOB/A – VOL/A – VOF) mit EU- Paragraphen

Ob ein Auftrag europaweit auszuschreiben ist (oder eine nationale Ausschreibung ausreicht), bestimmt sich nach den sog. „Schwellenwerten“, d. h. im Wesentlichen nach dem Auftragswert. Prof. Dr. Friedhelm Reichert

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39 Die relevanten Schwellenwerte wurden wiederholt abgeändert; sie sind mittlerweile in einer Europäischen Verordnung (zur Zeit: VO 2015/2170)festgelegt. Sie betragen gegenwärtig 

für den Baubereich 5.225.000 Euro €



für den Liefer- und Dienstleistungsbereich (z. B. Architektenleistungen, Projektsteuerung): 209.000 Euro.

Hinweis: Die Schwellenwerte ändern sich jährlich. Im Fall einer Prüfung, ob eine Vergabe europaweit zu erfolgen hat, sollten daher in jedem Fall die aktuellen Werte recherchiert werden.

Zu ergänzen ist im Übrigen, dass der Kreis der öffentlichen Auftraggeber (also derjenigen, die Vergaberecht anzuwenden haben) im Bereich der europaweiten Vergabeverfahren wesentlich größer ist.

Sie oben ausgeführt sind nach den haushaltsrechtlichen Regeln nur die „klassischen“ staatlichen Auftraggeber an die VOB/A gebunden, d. h. Bund, Länder und Kommunen. Öffentliche Auftraggeber im Sinne von § 98 GWB (also bei Überschreitung der Schwellenwerte) sind aber zusätzlich auch Vergabestellen des öffentlichen und privaten Rechts, die von Bund, Ländern und Kommunen überwiegend beherrscht oder finanziert werden. Hierzu zählen etwa auch die staatlichen Hochschulen, kommunale GmbHs (wie z. B. Krankenhaus-Betriebs-GmbHs), Rundfunkanstalten, Wasser- und Abwasserverbände, Berufsgenossenschaften u. v. a.

II.

Verfahrensarten in der VOB/A

Die Verfahrensarten in der VOB/A sind in den §§ 3, 3a VOB/A (bzw. für die europaweiten Vergaben in den §§ 3, 3a EU VOB/A näher dargestellt. Hinweis: Bei europäischen Vergaben sind zwei weitere Verfahrensarten zulässig, zum einen der sog. „wettbewerbliche Dialog“, zum anderen sie durch die VOB/A 2016 eingeführte „Innovationspartnerschaft“. Angesichts der geringen Praxisbedeutung werden sie hier nicht näher dargestellt.

Sie sind in nationalen Vergaben und im europaweiten Vergaben unterschiedlich benannt (z. B. „Offenes Verfahren“/“Öffentliche Ausschreibung“), haben aber in beiden eine weitgehend identische Struktur.

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Die Wettbewerbsintensität ist beim Offenen Verfahren/der öffentlichen Ausschreibung am höchsten. Hier kann nach Bekanntmachung eine unbegrenzte Zahl von Bietern ein Angebot abgeben. Anders ist dies bei dem Nichtoffenen Verfahren/der beschränkten Ausschreibung. Hier findet regelmäßig ein sog. „Teilnahmewettbewerb“ statt. An diesem können sich interessierte Unternehmen bewerben, die dann aufgrund der eingereichten Eignungsnachweise (z. B. Referenzen, Zahl der Mitarbeiter usw.) auf ihre Eignung geprüft werden. Eine begrenzte Zahl von Unternehmen (= die am höchsten bewerteten) werden anschließend aufgefordert, ein Angebot abzugeben. Bei der Beschränkten Ausschreibung kann der Teilnahmewettbewerb auch entfallen, d. h. hier kann die Vergabestelle unmittelbar an eine beschränkte Zahl von geeigneten Unternehmen herantreten und sie zur Abgabe eines Angebotes auffordern. Beide Verfahrensarten werden als „förmliche Verfahren“ bezeichnet, da für sie zahlreiche Formvorschriften der VOB/A einzuhalten sind. Insbesondere ist es in diesen Verfahren verboten, über Preise zu verhandeln (§ 15 Abs. 3 VOB//A). Das innerhalb der Angebotsfrist eingereichte Angebot bleibt unverändert; der Bieter ist an sein Angebot bis zum Ablauf der sog. Bindefrist (§ 10 Abs. 4 VOB/A) gebunden.

Anders ist dies im Verhandlungsverfahren bzw. der freihändigen Vergabe. Hier darf über die eingereichten Angebote verhandelt werden. Insbesondere bei einer freihändigen Vergabe gelten nur wenige Verfahrensvorschriften (insbesondere keine festen Fristen oder Formvorschriften).

Die Regelverfahrensform für nationale Vergabeverfahren in der VOB/A ist die öffentliche Ausschreibung (§ 3a Abs. 1 VOB/A, lesen!). Ausnahmen, d. h. die Wahl anderer Verfahrensarten Prof. Dr. Friedhelm Reichert

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41 müssen mit den Ausnahmegründen von §§ 3a Abs. 2 - 4, begründet werden; die Begründung ist zu dokumentieren (§ 20 Nr. 9 VOB/A). Dagegen besteht – seit der letzten Änderung der VOB/A – für den Auftraggeber bei den europaweiten Vergabeverfahren die Wahl zwischen dem Offenen Verfahren (welches der öffentlichen Ausschreibung entspricht) und dem Nichtoffenen Verfahren (welches der Beschränkten Ausschreibung entspricht), § 3a EU Abs. 1 VOB/A. Die Wahl der anderen Vergabeverfahren ist nur bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen zulässig, § 3a EU Abs. 2 VOB/A.

III.

Überblick über den Verfahrensablauf im Offenen Verfahren

Grob gefasst hat das Verfahren im Rahmen der VOB/A folgende Struktur:

Ablauf des Vergabeverfahrens (Offenes Verfahren): Vorbereitung (insbes. Erstellung der Verdingungsunterlagen)  Bekanntmachung  Eingang der Angebote bis zur Angebotsfrist (mind. 35 Kalendertage)  Eröffnungstermin („Submission“)  Wertung der Angebote mit anschließender Vorinformation  (evt.: Nachprüfungsverfahren)  Zuschlag (= Erteilung des Auftrags)

Große Bedeutung kommt insbesondere der Bekanntmachung (§ 12 EU Abs. 3 VOB/A) zu. In der Auftragsbekanntmachung beschreibt die Vergabestelle den wesentlichen Leistungsinhalt dar, nennt die Voraussetzungen für die Abgabe eines Angebotes und legt die Fristen, insbesondere die Angebotsfrist, fest (Beispiel in moodle). In vielen Fällen werden auch die Zuschlagskriterien bereits in der Bekanntmachung genannt. Die Veröffentlichung erfolgt im Supplement des Amtsblattes der Europäischen Union, welches über ted.europa.eu kostenlos abgefragt werden kann. Die Einstellung von Bekanntmachungen ist über http://simap.europa.eu/enotices/changeLanguage.do?language=DE kostenlos möglich. Die Bekanntmachung wird in alle Amtssprachen der EU übersetzt. Der Tag der (Online-) Absendung ist maßgeblich für eine Reihe von Fristen, insbesondere die Angebotsfrist (§ 10a EU Abs. 1 VOB/A, regelmäßig 35 Kalendertage ab Absendung der Bekanntmachung). Prof. Dr. Friedhelm Reichert

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42 Der Auftraggeber stellt die Vergabeunterlagen – meist gegen eine Gebühr – allen interessierten Unternehmen zur Verfügung bzw. sendet sie ihnen zu. Die Angebote müssen bis zur in der Bekanntmachung genannten Angebotsfrist eingehen; später eingehende Angebote werden ausgeschlossen. Der Inhalt der Vergabeunterlagen ergibt sich aus § 8 EU VOB/A. Der wichtigste Teil der Vergabeunterlagen ist die Leistungsbeschreibung (§ 7 EU VOB/A, s. u.). Ferner werden VOB/B und VOB/C zwingend Vertragsbestandteil (§ 8a EU Abs. 1 VOB/A).

Nach Ablauf der Angebotsfrist findet der „Eröffnungstermin“ (§ 14 EU VOB/A, in der Praxis meist „Submission(stermin)“ genannt) statt. Die Vergabestelle öffnet hierbei in Anwesenheit der Bieter die Angebote und verliest die Namen der Bieter und ihre Angebotspreis. Damit eine Änderung der Angebote (z. B. ein Austausch von Seiten) nicht möglich ist, werden die Angebote (z. B. durch Lochen oder Stempel gekennzeichnet. Die Angebote sind geheim zu halten (§ 14 EU Abs. 8 VOB/A).

Nach dem Eröffnungstermin findet die Wertung statt (s. u.). Nach Abschluss der Wertung muss die Vergabestelle die „die betroffenen Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich … informieren“ (§ 134 GWB). Tut sie dies nicht, ist ein dennoch erteilter Zuschlag (d. h. der Vertrag) von Anfang unwirksam, § 135. Sinn dieser strafbewehrten Informationspflicht ist es, den – unterlegenen – Bietern in jedem Fall die Möglichkeit von Rechtsschutz (vor der Vergabekammer) zu gewähren.

IV.

Ablauf des Verfahrens im Nichtoffenen Verfahren

Nach der Neufassung der VOB/A hat der Auftraggeber in den europaweiten Verfahren jetzt die Wahl zwischen dem Offenen Verfahren (das im Wesentlichen einer öffentlichen Ausschreibung entspricht)und dem Nichtoffenen Verfahren (welches der Beschränkten Teilnahme mit Teilnahmewettbewerb entspricht). Besonderheit des Nichtoffenen Verfahrens ist also, dass es sich um ein zweistufiges Verfahren handelt. Im ersten Verfahrensabschnitt, dem sog. „Teilnahmewettbewerb“ reichen die Unternehmen innerhalb einer Teilnahmefrist nur Unterlagen ein, die ihre Eignung (also ihre Fachkunde und Leistungsfähigkeit) belegen. Dies können z. B. Umsatznachweise oder Referenzen über vergleichbare Projekte sein. Diese Nachweise werden vom Auftraggeber anhand von vorab aufgestellten Kriterien

Das Nichtoffene Verfahren hat folgende Struktur:

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43 Ablauf des Vergabeverfahrens (Offenes Verfahren): Vorbereitung (insbes. Erstellung der Verdingungsunterlagen)  Bekanntmachung  Teilnahmewettbewerb  Eingang der Teilnahmeanträge mit Eignungsnachweisen bis zur Teilnahmefrist (mind. 30 Kalendertage)  Bewertung der Teilnahmeanträge anhand der Eignung der Teilnehmer  Aufforderung an ausgewählte Unternehmen, ein Angebot einzureichen  Eingang der Angebote mit bis zur Angebotsfrist (mind. 30 Kalendertage)  Eröffnungstermin („Submission“)  Wertung der Angebote mit anschließender Vorinformation  (evt.: Nachprüfungsverfahren)  Zuschlag (= Erteilung des Auftrags) Im Ergebnis dauert das Nichtoffene Verfahren aufgrund der obigen Mindestfristen regelmäßig länger als das Offene Verfahren. Für das Nichtoffene Verfahren spricht allerdings, dass nur Unternehmen, deren (hohe) Eignung festgestellt wurde, ein Angebot abgeben können. Damit ist das Risiko, dass ein unzuverlässiges oder nicht leistungsfähiges Unternehmen Vertragspartner wird, deutlich niedriger als im Offenen Verfahren.

V.

Anforderungen die Leistungsbeschreibung

„Herzstück“ der Vergabeunterlagen ist die Leistungsbeschreibung (§ 7 VOB/A). Die VOB/A kennt zwei Formen: 

Die Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis (§ 7b EU VOB/A) und



die Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm (, § 7c EU VOB/A, meist „funktionale Leistungsbeschreibuung“ genannt).

Bei der zuletzt genannten Form übernimmt der Bieter ganz oder teilweise die Ausführungsplanung. Dies ist nur dann zulässig, wenn eine solche Ausschreibung „zweckmäßig“ ist und muss besonders begründet werden. Prof. Dr. Friedhelm Reichert

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„Normalfall“ ist die Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis, in der die Leistung in Teilleistungen gegliedert ist und der Bieter bei den entsprechenden Positionen seine Einheitspreise einträgt.

Für beide Formen von Leistungsbeschreibungen gilt, dass die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A). Wie eine solche Beschreibung konkret aussieht, ergibt sich aus Ziffer 0 der DIN 18 299 bzw. der jeweils einschlägigen Regelung der VOB/C.

Dem Bieter darf kein „ungewöhnliches Wagnis“ aufgebürdet werden (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A).

Beispiel: Dem Bieter wird von der Vergabestelle folgende Erklärung abverlangt: "Der Auftragnehmer (AN) versichert mit Abgabe des Angebots, dass die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen und Angaben ausreichend waren, um sämtliche zur Preisbildung erforderlichen Umstände zu erfassen und damit die übernommenen Leistungen abnahmereif und funktionsfähig nach Ausführungsart und Umfang erbringen zu können … Grundsätzlich sind die Vertragsbestandteile im Zusammenhang zu sehen und entsprechend für die Ermittlung des Leistungsumfangs auszulegen. Im Falle trotzdem verbleibender Widersprüche hat der AN den AG unverzüglich zu informieren, damit der AG eine Entscheidung nach billigem Ermessen treffen kann. Mehrvergütungsansprüche entstehen dem AN daraus nicht."

Ein solches Verlangen verstößt gegen § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. Das Risiko von unvollständigen bzw. widersprüchlichen Vergabeunterlagen liegt bei der Vergabestelle (die allein darauf Einfluss nehmen kann), nicht beim Bieter. Es ist daher „ungewöhnlich“.

Wichtig ist ferner das grundsätzliche Verbot, produktbezogen auszuschreiben, § 7 Abs. 2 VOB/A. Beispiel: Ein Leistungsverzeichnis darf keine bestimmten Fabrikate, z. B. „Steinzeug-Rohre Typ x“ vorschreiben.

Die Leistungsbeschreibung ist vielmehr (ausschließlich) entweder durch technische Spezifikationen (§ 7 Abs. 4 Nr. 1 VOB/A), z. B. durch Angabe der einschlägigen DIN-Normen, oder funktional (§ 7 Abs. 4 Nr. 2 VOB/A) zu beschreiben. Abweichungen sind nur möglich, wenn 

es aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist, ein bestimmtes Produkt zu verwenden (z. B. denkbar bei Ausbau eines Netzwerkes o. ä.) oder

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der Auftragsgegenstand anders nicht hinreichend genau beschrieben werden kann; in diesem Fall muss zwingend die Verwendung eines gleichwertigen Produktes zugelassen sein (d. h. im LV steht das sog. „Leitfabrikat“ mit dem Zusatz „oder gleichwertig“).

Hinweis: In der Praxis wird gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung häufig verstoßen. Eine derartige Ausschreibungspraxis ist aber – jedenfalls bei europaweiten Verfahren – riskant und sollte vermieden werden. Im Übrigen wird dadurch der Wettbewerb stark verengt, so dass der erzielte Angebotspreis tendenziell teuer werden dürfte.

VI.

Wertung der Angebote im Offenen Verfahren

Die Wertung der Angebote ist in § 97 GWB und §§ 16 ff.VOB/A, § 16 ff. EU VOB/A vorgesehen. Hinweis: Im Hinblick auf die Wertung weichen die Vorschriften des ersten und des zweiten Abschnitts der VOB/A seit der Neufassung deutlich voneinander ab. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf das Offene Verfahren bei einem europaweiten Vergabeverfahren.

Grundsätzlich können vier Stufen der Wertung unterschieden werden:

1. Die Prüfung auf Ausschlussgründe (§ 16 EU VOB/A) Zwingend auszuschließen sind insbesondere 

Verspätet eingegangene Angebote,



Angebote mit fehlender Unterschrift oder – bei elektronischen Angeboten – mit fehlender elektronischer Signatur (§ 16 und



Angebote, die die Vergabeunterlagen ändern (§ 16 Nr. 2 i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 EU VOB/A).

Nach der bis 2009 geltenden Fassung der VOB/A waren ferner sämtliche Angebote mit fehlenden Preisen oder fehlenden Erklärungen auszuschließen. Aufgrund der „unerfreulichen“ Folgen dieser sehr formalen Sichtweise – wirtschaf...


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