Anfänge und Evolution - Vorlesungsnotizen 3 PDF

Title Anfänge und Evolution - Vorlesungsnotizen 3
Author Franka Quezada
Course Musikwissenschaft
Institution Universität Potsdam
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Summary

Musik im antiken Griechenland. Lässt sie sich rekonstruieren?, Problematik der klanglichen Rekonstruktion antiker Musik...


Description

Anfänge und Evolution: I: Musik im antiken Griechenland. Lässt sie sich rekonstruieren?

Der altgriechische Musiké-Begriff (μουσική)

• der altgriech. Begriff Musiké erstmals 476 v. Chr. in einer Ode des Dichters Pindar; in der 12. Pythischen Ode preist Pindar den Aulos-Spieler Midas von Akragas • Sprache, Vers, Musik und Tanz wurden als eine Einheit angesehen • die griechische Sprache als Kern dieser Einheit, der Rhythmus als das verbindende Element, das Substrat aus Sprache, Vers, Musik und Tanz • Musik war nur eine Seite der Musiké, Musik existierte nicht als ästhetisch-autonome Disziplin; gleiches gilt für den Chor (χορός): Einheit von Singen der Verse und Tanzen • bei Platon (5./4. Jh. v. Chr.) wird der Melos -Begriff zusammengesetzt aus „logos“ (Sprache), „harmonia“ (regulierte Tonbeziehungen) und „rhythmos“ (tänzerische Bewegung) • Absetzung von altem Musikébegriff, deren Grundbegriff der Rhythmus war, und neuerem Musikbegriff, der von Tonbeziehungen ausgeht, ist aber schwierig; • spätestens seit Aristoteles (4. Jh. v. Chr.) wird bereits unter Musiké Tonkunst verstanden: das Klingende und Hörbare, das weder Sprache noch Geräusch ist • Einheitsvorstellung hatte aber in der späteren Musikgeschichte eine große Anziehungskraft: - in der Renaissance: Florentiner Camerata (1580-92) versucht die griechische Monodie (Sologesang mit KitharaBegleitung) wieder zu beleben -> Beginn der Oper - in der Romantik: Richard Wagner 1850, Konzeption der Melodie aus der Sprache heraus; Vereinigung der Künste im Gesamtkunstwerk des Musikdramas -> Reform der Oper

Instrumente und ihre Mythen • Saiten-/Zupf-Leierinstrumente: Phorminx, ab dem 7. Jh. Kithara, entwickelt sich aus Phorminx, dem Apollon gewidmet Lyra, Korpus aus Schildkrötenschale und Ziegenhörnern Harfe, ab dem 5. Jh., als Winkelharfe oder Trigonon

• Blasinstrumente: Aulos, mit Doppelrohrblatt, meist als Doppelaulos geblasen, Instrument der Dionysosfeiern Syrinx (Panpfeife)

• Schlaginstrumente: Krotala, Katagnettenart Kymbala, kleines Beckenpaar Tympanon, Rahmentrommel (>Tamburin)

• Entstehungsmythen von Aulos und Kithara/Lyra: - die Göttin Athene erfindet das Aulosspiel, um das Wehklagen der Medusenschwestern darzustellen (Ausdrucksdarstellung) - der Gott Hermes erfindet die Lyra beim Anblick eines Schildkrötengehäuses (Klangdarstellung)

Das sog. Seikilos-Lied • Datierung: ca. 1. Jh. n. Chr., gefunden 1883, wieder aufgetaucht 1957 • Stele (Grabsäule), von „Seikilos“ gesetzt, Funktion und Adressierung nicht eindeutig • Bedeutung und Qualität der Quelle • Übersetzung und Deutung des Textes • Entzifferung der Notation • Struktur/Form der notierten Musik? • Tonart/zugrundeliegende Tonleiter? • Metrum? • Aufführungsweise? Klang?

Tonartensystem der altgriechischen Musik

• Tonsystem melodisch bestimmt (nicht harmonisch) • melodische Bewegung wird abwärts empfunden (nicht aufwärts) • Tonarten werden von der Modelloktave aus abwärts definiert, spiegelbildlich zu den späteren Kirchentonarten (->Überlieferungsfehler seit Boethius, †524): e‘-e dorisch, d‘-d phrygisch, c‘ -c lydisch, h‘-h myxolydisch (i.Unterschied zu den Kirchentonarten: d-d‘ dorisch, e-e‘ phrygisch, f-f‘ lydisch, g-g‘ myxolydisch

Problematik der klanglichen Rekonstruktion antiker Musik

► der Musikforscher Thrasybulos Georgiades formulierte bereits 1958 die zentralen Argumente, warum die Grundlagen zu einer solche Rekonstruktion fehlen: • Zahl der überlieferten Stücke ist zu gering, um sich ein Bild von einer so fremden Musik zu machen • die ältesten überlieferten Beispiele reichen nicht hinter das zweite Jahrhundert v. Chr. zurück • Verhältnis zwischen Notenschrift und Klang ist unklar (keine Informationen über Aufführungskonventionen) • Status der Notierungen als allgemeingültiger Schrift unklar (Selbstverständlichkeit öffentlich-verbindlicher Charakter fehlen, vielleicht nur gelegentliches Experiment?) • Buchstabennotation fehlt das graphisch Darstellende, unmittelbar Einleuchtende, das das Liniensystem durch Hoch und Tief angibt keine Angaben über die klangliche Ebene in der griechischen Musiktheorie (Begründung ihrer rationalen Beziehungen, als logoi) • Wahrnehmung (aisthesis) und Klang (phone) nicht Gegenstand von Beschreibung • Wirkungsbeschreibung sind für die Tonarten vorhanden, allerdings nur pauschal und normativ in der sog. Ethoslehre, z.B. phrygisch, d‘-d: weich, klagend • Hierarchisierung der klanglichen Ebenen durch die Notation (Tonhöhe bzw. Tonqualität und Tondauer primär, Klangfarbe, Agogik, Dynamik sekundär) • problematische Übertragungen und Rekonstruktionen: - in moderne Notation (Seikilos:6/8-Takt, A-Dur mit fehlendem Leitton) - Klangbeschreibungen durch Sprache in Aufführungen u. klangliche Realisierungen

• manche musikwissenschaftlichen Fachleute lehnen alle Rekonstruktionen und Übertragungsformen ab: „Es wäre falsch, jene Notierungen als heutige Musik wiederzugeben.“ (Georgiades 1958, S. 20)...


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