Bindungsstörungen Sitzung 5 PDF

Title Bindungsstörungen Sitzung 5
Course Kinder- und Jugendpsychiatrie
Institution Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Kinder- und Jugendpsychiatrie -Vl bei Hammerle/Huss (Nebenfach Psychologie, Bachelor of Science); Zusammenfassung der Folien und Notizen...


Description

Bindungsstörungen:

Sitzung 5, 19.11.15

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Michael Huss

Definition & Klassifikation: -

Unterschied in Definition von „Bindung“ in Psychologie und Medizin

Bindung: ▪ angeborenes System (Bowlby 1969, 1982): - analog Exploration, Ernährung, Pflege, Sexualität - Ausbildung eines “internal working model of attachment” (dass Bindung/Beziehungen in Takt sind, ist essentiell für die Psyche) ▪

Funktioniert als Regelkreis in Abhängigkeit von: - sensiblem, adäquatem Bindungsangebot und - intrinsisch-genetischen Faktoren/Temperament: • irritierbare Neugeborene→ unsichere Bindung (van den Boom 1990) • Bedeutung biologischer Mechanismen (“hidden regulators”) (Hofer 1994) -

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ganz natürlich, dass Kinder Bindung brauchen; lebensnotwendig! Wenn Kinder in fremder Umgebung nicht nach Bezugsperson fragen oder dieser folgen, wenn sie weggeht, dann stimmt was nicht (Autismus, Bindungsstörung, usw.) Für Kind am natürlichsten: Mutter, Vater, Kind= Familie→ eine Einheit Bowlby: Beziehung/Bindung ist immer auf Platz 1 im Erleben→ oberste Priorität! ; Trennung, Angst, Verlust sind Kernthemen bei Bowlby

Kindchenschema : Folie 4???

Bindung – Entwicklungsverlauf – ❖ Vorphase (bis 3 Monate) - Kind ist allgemein sozial ansprechbar - Kind erlernt Unterscheidung von Interaktionspartnern ❖ personenunterscheidende Ansprechbarkeit - Signale werden bevorzugt an vertraute Personen gerichtet ❖ eigentliche Bindung (ab 7/8 Monate) - Kind kann sich aktiv in die Nähe der Bezugspersonen bringen - Objekt-/Personenpermanenz gegeben ❖ zielkorrigierte Bindung (ab 3. Lebensjahr)

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gesunde Persönlichkeit (aus Sicht der Bindungstheorie): - kann sich selbst helfen - kann bei Schwierigkeiten Hilfe anderer in Anspruch nehmen ➔ sichere Bindung = wichtiger protektiver Faktor für psychische Gesundheit

Untersuchung und Klassifikation von Bindung Fremde Situationen Test (“strange situation” nach Ainsworth): -

zweimalige Trennung, Skalen zur Beurteilung des Kindes bei Wiederkehr der Bezugsperson

vier Kategorien für Bindung: • sicher (B) → am häufigsten: ca. 50%, hohe Resilienz! Auch später→Nestschutz für das ganze Leben • unsicher vermeidend (A) → vermeiden Gefühle, werden oft als „einfach und unkompliziert“ beschrieben, häufig Probleme im Erwachsenenalter wie z.B. Depression • unsicher ambivalent (C)→ oft Probleme später (ADHD, CD); sind oft nur in Situationen auffällig, in denen Bindungsmuster aktiviert wird • desorganisiert (D)→ sehr eigenartiges Verhalten im Test (läuft z.B. im Bogen auf Mutter zu oder so) reaktive Bindungsstörung: haben sehr schlimme Dinge erlebt: Deprivation, Entführung, Misshandlung usw. → das ganze Leben über Probleme, weil Bindung mit Füßen getreten wurde; kaum Therapieerfolg möglich a) inhibitiert („A“) - mit Hemmung b) desinhibitiert („C“) - ohne Hemmungen Fallbeispiel: Mädchen, Typ inhibitiert/A: - starr, passiv, wenig Mimik, kaum soziale Interaktion, keine Emotionen erkennbar, Dauerlächeln→ man geht davon aus, dass Kinder, wenn sie mal in schlimmen Situationen (z.B. bei Misshandlung) waren= Auslieferung, sich passiv verhalten, um sich zu schützen= Überlebensstrategie, wie man am wenigsten abkriegt→ sieht man bei vielen Opfern→ „frozen watchfullness“= eisige Wachsamkeit - nach Behandlung von 5 Monaten: aufgeweckt, guckt in die Augen, Sehstörung wurde behandelt, Entwicklungsrückstand wurde aufgeholt→ Der Mensch kann ohne Liebe nicht leben.

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Notizen: - psychosozialer Minderwuchs: wenn man Kinder auf emotionaler Ebene total vernachlässigt, wachsen sie nicht mehr -

desinhibierte Kinder: sind pragmatisch, sonst gehen sie keine Beziehungen ein→ benutzen eher Menschen; sieht man oft bei Straßenkindern; ihr Leben lang können sie Beziehungen nicht normal Erleben und genießen

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Heilung kaum möglich bei Bindungsstörungen: sondern eher Kompensation und Effekt-Heilung

Bindungsstörung nach ICD-10: Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters (F94.1) • Beginn vor dem fünften Lebensjahr • widersprüchliche soziale Reaktionen in verschiedenen sozialen Situationen • emotionale Störungen (Furchtsamkeit, Rückzug, Aggressivität, Unglücklichsein, Überempfindlichkeit; Apathie; frozen watchfullness) • Nachweis von zeitweiser sozialer Ansprechbarkeit in der Interaktion mit gesunden Erwachsenen • keine tiefgreifende Entwicklungsstörung

Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung (F94.2) • anhaltende diffuse Bindungen in den ersten fünf Lebensjahren, Fehlen selektiver Bindungen (keine Trostsuche bei Unglücklichsein oder wahllose Trostsuche) • wenig modulierte soziale Interaktion • anklammerndes, Aufmerksamkeit heischendes oder unterschiedslos freundliches (distanzloses) Verhalten •

Kontakt- und Bindungsverhalten sind situationsübergreifend

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Eine umfangreiche Anamnese gehört bei so einer schweren Diagnose dazu→ man muss wissen, dass das Kind vernachlässigt, missbraucht, misshandelt etc. wurde!

Alternative Kriterien für Bindungsstörungen (nach Zelenko): I. 1.

2. 3.

Bindungsstörung: keine unterscheidbare Bindungsfigur nicht Vorhandensein einer bevorzugten Bezugsperson nachgewiesen a) fehlende Differenzierung zwischen Erwachsenen b) Trostsuche vorzugsweise bei unbekannten Erwachsenen eher als bei bekannten Bezugspersonen c) fehlende Suche nach oder Antwort auf Trost durch Bezugspersonen im Fall von Verletzungen, Angst oder Stress d) fehlende emotionale Ansprechbarkeit und Gegenseitigkeit bei bekannten Bezugspersonen Das Kind hat ein Entwicklungsalter von mindestens 10 Monaten. Kein Vorliegen einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung.

assoziierte Merkmale können sein: • beeinträchtige Emotionalität mit gedrücktem positivem Affekt, Irritabilität oder Traurigkeit. • fehlende Rückversicherung bei den Bezugspersonen im Anschluss an Sich-entfernen, insbesondere in ungewohnter Umgebung. • Fehlen der sonst üblichen sozialen Zurückhaltung gegenüber fremden Erwachsenen. • Bereitschaft, mit relativ Unbekannten mitzugehen. 3

II.

Bindungsstörung: Verzerrung der sicheren Basis

→ spezifische Bindungsperson vorhanden, aber Beziehung beeinträchtigt, Muster von einem oder mehreren der folgenden Merkmale: • selbstgefährdendes, risikoreiches und/oder aggressives Verhalten bei Anwesenheit der Bindungsfigur • Hemmung des explorativen Verhaltens und exzessives Klammern • exzessive Vigilanz und ängstliche Überangepasstheit gegenüber der Bindungsfigur mit gleichzeitigem Fehlen von spontanem explorativem Verhalten • Umkehrung der Betreuung, wobei das Kind sich für das emotionale Wohlergehen der Bindungsfigur verantwortlich zu fühlen scheint III.

Bindungsstörung: unterbrochene Bindung

→ Das Kind erlebt eine lang anhaltende Trennung von einer spezifischen Bindungsperson. - emotionaler Rückzug - Schlaf- und Essstörungen - Ablehnung von Trost durch andere - regressives Verhalten Beachte: Beeinträchtigte Bindung sollte festgestellt werden, wenn die Zeichen bei einem oder mehr der vorausgegangenen Kriterien nur teilweise oder nur manchmal vorhanden sind. Gestörte Bindung liegt vor, wenn die Symptome üblicherweise oder oft vorhanden sind.

Vorschlag zur Subtypisierung (Zeanah 1994, Brisch 1999): Typ I ohne Zeichen von Bindungsverhalten Typ II undifferenziertes Bindungsverhalten Typ III gesteigertes Bindungsverhalten Typ IV gehemmtes Bindungsverhalten Typ V aggressives Bindungsverhalten Typ VI Bindungsverhalten mit Rollenumkehr Typ VII Bindungsverhalten mit psychosomatischer Symptomatik

Epidemiologie: ➔ Ergebnisse epidemiologischer Studien über die Häufigkeit von Bindungsstörungen liegen nicht vor ➔ Inzidenz und Prävalenz unbekannt - sehr selten Schätzungen: • Extrapolation auf Grundlage von Zahlen über Häufigkeit von Vernachlässigungen und Misshandlungen = 1% • in Risikogruppen (Heimkinder, misshandelte Kinder, Gedeihstörungen) deutlich höher. ➢ unter rumänischen Kindern mit Deprivationsdauer > 2 Jahre: 30% ➢ unter rumänischen Kindern mit Deprivationsdauer < 6 Monate: 7% ➢ klinisch Inanspruchnahmepopulation: 3,9%

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Film: -

rumänische Waisenkinder Heim für angeblich behinderte Kinder Unbeaufsichtigt, in Kot und Urin, abgemagert,…

erste Reaktion von Psychologen: sehr großes Wiedergutmachungsgefühl, man will das Leid schnell wiedergutmachen; schwer das Leid auszuhalten; man kann nichts ungeschehen machen- man muss das Leben in Bewegung halten! Nach einem schrecklichen Trauma verfallen viele in Starre oder man will Vergangenheit konservieren (bei z.B. dem Tod eines Elternteils)→ das ist krankmachend für Kinder, weil sie es nicht verstehen; (Entwicklungs-)STILLSTAND/SCHOCKSTARRE muss überwunden werden mit Hilfe der Therapie, Realität muss gelebt werden→ es muss irgendwie weitergehen; 1. bei Trauma und Bindungsstörungen ist eine Maßnahme, Prozesse wieder aufzunehmen; 2. Kinder sind oft nicht in der Lage, Frieden zu trauen, selbst wenn sie später bei z.B. einer Adoption geliebt werden → sie testen dann Grenzen aus: Diebstahl, Ungehorsam, Schulnoten usw. → sie wollen gucken, ob sie auch geliebt werden, wenn sie schlimme Dinge tun= Testen auf behaviorale Ebene; deshalb darf man nichts beschönigen und man darf das Schlimme nicht ignorieren und man darf nicht Wiedergutmachen, man sollte sich um therapeutische Begleitung bemühen, man darf dann nach Trauma aber nicht auf heile Welt machen! Innere Haltung des Therapeuten sollte sein: es bleibt, das Leben wird nie mehr, wie es war, aber es muss weitergehen! Wichtig: Man hat als Therapeut das Bedürfnis, das Schlimme, was man erfahren hat, mit anderen zu teilen. Das Problem ist, dass man aus Datenschutzgründen nicht einfach privat mit irgendwem drüber reden darf. Man muss einen Weg finden, damit umzugehen: einmal drüber schlafen- kleine Auszeit= delay!!; Supervision; Spiritualität/Glaube; Reflexion; sich selbst und seine Grenzen kennen und auch entsprechend handeln- trau ich mir das zu oder nicht? Anspannung kann auch körperlich gelöst werden.

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etwa gleich verteilt hinsichtlich des Geschlechts→ Mädchen häufiger missbraucht, Jungs häufiger misshandelt→ sadistische Eltern kümmern sich nicht um das Geschlecht

Komorbidität: ➔ systematische Studien zur Komorbidität fehlen bisher, aber sehr häufig! vorliegende Fallberichte (Boris et al. 2000) beschreiben als dominierende Begleitsymptomatik: - Impulsivität - Depressivität - Angst - hyperkinetische Begleiterscheinungen 5

• • •

hohe Rate an umschriebenen Entwicklungsstörungen nichtorganische Gedeihstörung (NOFT) psychosozialer Kleinwuchs -

kommt häufig durch die Behinderung in der Entwicklung!

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Frühkindliche Gedeihstörung: ▪ Syn.: Nonorganic failure to thrive (NOFT) ▪ Def.:Entwicklungs- und Wachstumsstörung auf dem Boden gestörter Bindungsverhältnisse Diagnosekriterien: ▪ Gewichtszunahme < 3. Perz. bei Säuglingen und Kleinkindern ▪ Entwicklungsverzögerungen ▪ fehlen primär organisch begründeter Erkrankungen ▪ Neigungen zu Essstörungen, Erbrechen und Durchfall ▪ psychopathologische Symptome: Irritabilität, Apathie, Kontaktstörungen; häufig Diagnose einer 'reaktiven Bindungsstörung des Kindesalters' (F 94.1) ▪ Hinweise auf Störungen des psychosozialen Kontextes Psychosozialer Kleinwuchs: ▪ Körperlänge < 3. Perzentile und/oder ▪ Wachstumsgeschw. < 3. Perz. über min. 1 Jahr ▪ ausgeprägte Reduktion des Knochenalters ▪ Verminderung der stimulierbaren STH-Sekretion ▪ Polyphagie, Polydipsie ▪ Enkopresis, Enuresis ▪ Entwicklungsverzögerungen ▪ psychopathologische Symptome: Apathie, Depressivität, Kontakt- und Bindungsstörung ▪ ausgeprägte Störung des Schlaf- Wachrhythmus ▪ rasches Aufholwachstum nach Milieuwechsel

Differentialdiagnose: abzugrenzende Störungsbilder: - autistische Störungen - Intelligenzminderung - hyperkinetische Störungen - Anpassungsstörungen - akute Belastungsreaktion - (z.B. Trennung durch Klinikaufnahme)

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Ätiologie:

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Vulnerabilität bei Belastungen psychische Krankheiten zu entwickeln protektive Faktoren: man versucht Resilienz zu fördern in Therapie Dauer und Intensität der Deprivation sehr entscheidend! Je länger man dem psychischen Stress ausgesetzt ist, desto schlimmer→ Dosis-Wirkung-Beziehung developmental puzzle: In welcher Weise die drei ersten Faktoren zusammenkommen ist maßgeblich für die Entwicklung der Störung oder eben der Nicht-Entwicklung.

Biologische Ursachen: bestimmte Elemente der neuronalen Entwicklung sind auf Interaktionserfahrungen des Kindes angewiesen (Glaser 2000) Fehlen von Stimulation kann zu bleibenden Schäden führen geringfügige Deprivation führte bei Ratten zu morphologischen und biochemischen Veränderungen (Braun et al. 2001)

• • •

Komponenten der Interaktion regulieren somit physiologische Systeme und Verhaltenssysteme („hidden regulators“)



➔ Frühkindliche Trennungserlebnisse modulieren die synaptische Entwicklung des limbischen Cortex (Braun 2004) ▪

Ratten die i. d. ersten drei Lebenswochen wiederholt kurzzeitig von den Eltern getrennt werden →mehr erregende Synapsen in anterioren cingulären Cortex und Hippocampus



Ratten die chronisch vom Vater getrennt wurden (aber nicht von der Mutter) →verminderte Synapsendichte in anterioren cingulären und orbitofrontalen Cortex; Hippocampus unverändert

Interpretation: - milde Deprivation wirkt sich auf synaptische Verschaltungsmuster besonders der limbischen Schaltkreise aus - diese spielen wichtige Rolle für Emotionalität, Verhalten, Belohnungssysteme, Gedächtnis und Lernen -

Kortex wird geschädigt! ganz allgemein: Man wird ein Leben lang geschädigt sein! Es wird nicht aufgeholt oder geheilt!

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Biografische Ursachen: unzureichende Betreuung in der frühen Kindheit spielt entscheidende Rolle für die Pathogenese Studie von rumänischen Adoptivkindern (O´Conner & Rutter 2000): - bestätigt Zusammenhang zwischen Deprivationsdauer und Auftreten von Bindungsstörungen - bereits nach kurzer Deprivationsdauer können Bindungsstörungen entstehen - 70% der Kinder entwickelten keine Bindungsstörung daher kann von einer komplexen Interaktion (pathogener und schützender Faktoren) ausgegangen werden

▪ ▪

Folgen von Misshandlung: Psychiatrische Auffälligkeiten (Pfeiffer et al. 2001): Kindes- und Jugendalter: -

Bindungsstörungen („attachment disorders“) Depressive Störungen Angststörungen Störungen des Sozialverhaltens Hyperaktive Störungen Suizidales Verhalten Drogenabusus

Erwachsenenalter: -

Borderline-Persönlichkeitsstörung Somatisierungsstörung Dissoziative Störungen Essstörungen Selbstverletzendes Verhalten Drogenabusus

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Diagnostik: Beurteilung: Skizze für die Anamneseerhebung (nach Zelenko): Betreuungsgeschichte: • allgemeine Beschreibung der Betreuungssituation, Auflistung wichtiger Bezugspersonen • Geschichte von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung, Beteiligung von öffentlichen Kinderschutzstellen, Disziplinierungstechniken • Erhebung anderer Risikofaktoren für Bindungsstörungen (Depression, Sucht der Bezugspersonen, Gedeihstörungen etc.) Unterbrechung der Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson: • längere Trennung von der primären Bezugsperson in den ersten drei Lebensjahren mit detailliertem zeitlichem Ablauf; inklusive aller Fremdunterbringungen, Klinikbehandlungen und Abwesenheitszeiten der Bezugsperson • Beschreibung des kindlichen Verhaltens während dieser Trennung und bei der Wiederbegegnung • Reaktion des Kindes auf andere Bezugspersonen bindungsbezogene Verhaltensweisen: • Nachweis der Existenz oder Abwesenheit einer bevorzugten Bezugsperson: - gezielte offene Fragen bezüglich des kindlichen Verhaltens, wenn das Kind gestresst ist • Erhebung des kindlichen „Sichere Basis-Verhaltens“ durch offene gezielte Fragen bezüglich des kindlichen Bindungsverhaltens gegenüber der identifizierten bevorzugten Bezugsperson, - z.B. affektives Verhalten, Trostsuche, Verlässlichkeit für Hilfe, Kooperation, exploratives Verhalten, kontrollierendes Verhalten und Wiederbegegnung •

Beurteilung der narrativen Qualität und der emotionalen Tönung in der Beschreibung der Beziehung durch die Bezugspersonen

Geschichte der Bezugspersonen: • früheres und aktuelles psychosoziales Funktionsniveau • frühere und aktuelle psychiatrische Vorgeschichte (inklusive Sucht) • aktuelles soziales Unterstützungssystem, familiäre und kulturelle Einflüsse

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Semistrukturiertes Vorgehen: • freies Spiel Kind mit der Bezugsperson • Beteiligung des Untersuchers und Spiel mit dem Untersucher • kurze Trennung und anschließende Wiederbegegnung mit der Bezugsperson • Wickel- und Säuberungsinteraktion

Behandlung: Bindungsstörungen – Maßnahmen (Leitlinien DGKJP): • •

KJP Intervention ambulant, teilstationär, vollstationär Herstellung eines bindungsstabilen, entwicklungsfördernden Milieus durch: - intensive sozialpädagogische/psychotherapeutische Arbeit mit der Familie - ggf. heilpädagogische Unterbringung

• •

entwicklungstherapeutische Maßnahmen psychotherapeutische Betreuung (langfristiges Monitoring)

Arbeit mit Bezugspersonen und Maßnahmen der Jugendhilfe ❖ ambulante Behandlung mit Verbleib in der Familie ist zu verantworten - Basis dafür ist Hilfeplanung nach KJHG (§§27, 35a, 36) - intensive sozialpädagogische Betreuung mit Beratung der Familie und kinderpsychiatrischer Verlaufskontrolle ❖ in vielen Fällen beantragt das Jugendamt beim Familiengericht Einschränkung des elterlichen Sorgerechtes nach § 1666 BGB - Ergebnis der Diagnostik entscheidet über kinderpsychiatrische Behandlung oder Unterbringung in einer sonderpädagogischen Pflegestelle - familiäre Situation entscheidet, inwieweit der Kontakt zu den leiblichen Eltern im Sinne des Kindeswohls ist oder unterbunden werden sollte

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Behandlung und Prävention: ❖ stationäre/teilstationäre Maßnahmen: - milieutherapeutisch orientiertes, konstantes Bezugspersonensystem erforderlich - Kinder stellen hohe Anforderungen an Klinikteam auf der Beziehungsebene ❖ entwicklungstherapeutische Maßnahmen: - durch die Häufigkeit der Entwicklungsrückstände sind bei Kindern mit Bindungsstörungen krankengymnastische, ergotherapeutische oder logopädische Maßnahmen in der Regel erforderlich - bei der Therapieplanung sind auch hier Beziehungsaspekte besonders zu beachten

❖ somatische Maßnahmen: - Behandlung von Begleiterkrankungen muss durch Kontrolluntersuchungen sichergestellt werden - Gedeihstörungen → ernährungsmedizinische Maßnahmen - psychosozialer Kleinwuchs → engmaschige Betreuung durch pädiatrische Endokrinologen erforderlich (keine Therapie mit Wachstumshormonen) ❖ psychotherapeutische Maßnahmen: - Psychotherapie erst, nachdem sozial- und heilpädagogischen Maßnahmen die Basis dafür geschaffen haben - Betreuung langfristig planen und absichern, damit erneute Beziehungsabbrüche vermieden werden

❖ Psychopharmakotherapie: - Indikation für medikamentöse Therapie besteht selten - bei Kindern mit ausgeprägter, gefährdender Unruhe und Aggressivität kommen niederpotente Neuroleptika in Betracht - Schlafstörungen (besonders bei psychosozialem Minderwuchs) sind nach Milieuwechsel rasch reversibel ❖ Prävention: - Verbesserung der gesellschaftlichen Aufklärung zur Bedeutung der Beziehungskonstanz im Kindesalter - Verbesserung der Früherkennung von Bindungsstörungen - langfristig abgesicherte Verlaufskontrollen nach Intervention

Verlauf: Bindungsstörungen – Verlauf • beeinträchtigtes Bindungsverhalten = Risikofaktor für spätere psychiatrische Störung (Bowlby, 1988) • keine publizierten Ergebnisse vorliegend • wahrscheinlich kinder- und jugendpsychiatrische high- risk Patienten, z.B. für die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen (?) • Persistenz oder Transformation v. Symptomen...


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