Fortgeschrittenenklausur – Öffentliches Recht Baurecht – Bootsschuppen am Bodenseeufer - beck-online PDF

Title Fortgeschrittenenklausur – Öffentliches Recht Baurecht – Bootsschuppen am Bodenseeufer - beck-online
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Course Öffentliches Recht
Institution Justus-Liebig-Universität Gießen
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Baurecht (öffentliches recht) fortgeschrittenen Klausur zur Übung ....


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Kopie von Samir Ahmadi, abgerufen am 05.01.2021 14:10 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK

Heckel: Fortgeschrittenenklausur – Öffentliches Recht: Baurecht – Bootsschuppen am Bodenseeufer

JuS 2011, 904

– Öffentliches Recht: Baurecht – Bootsschuppen

Richter am VGH Dr. Christian Heckel* Die Klausur hat die Drittklage – hier einer Gemeinde und keine Nachbarklage – gegen eine Baugenehmigung zum Gegenstand. Sie verbindet gängige Prüfungsmaterien der Drittklage und des vorläufigen Rechtsschutzes mit bauplanungsrechtlichem „Allgemeinwissen” zur Außenbereichsbebauung; in diesem Zusammenhang kommt auch die neueste Rechtsprechung des BVerwG zum Prüfungsumfang bei Anfechtungsklagen durch Gemeinden zum Tragen. Daneben gibt die Klausur Raum für eigenständiges juristisches Argumentieren zu einzelnen Bestimmungen des § 35 BauGB; hier sollen die Bearbeiter kein verwaltungsrechtliches Spezialwissen aufweisen, sondern die Argumente aus dem Sachverhalt aufgreifen können. Sachverhalt Am Bodenseeufer im Außenbereich der baden-württembergischen Gemeinde G hat der Angelsportverein „Felchenfreunde e.V.” (F) seit Langem ein Grundstück gepachtet. Auf Grund einer Erbschaft ist F zu Geld gekommen. Dieses möchten die Vereinsmitglieder nun einsetzen, um sich das Fischerleben zu erleichtern, ihre Boote nicht mehr bei jedem Wind und Wetter ungeschützt an Land ziehen zu müssen und den Fang vor Ort kühlen und kochen zu können. Heckel: Fortgeschrittenenklausur – Öffentliches Recht: Baurecht – Bootsschuppen am Bodenseeufer(JuS 2011, 904)

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F beantragt daher bei G – diese ist zugleich untere Baurechtsbehörde – am 2. September die Baugenehmigung für die Errichtung eines Bootsschuppens mit einem etwa 15 m2 großen Aufenthaltsraum, einer kleinen Küche und einer einfachen Toilette. Mit Bescheid vom 17. September lehnt die G diesen Antrag ab, weil der Gemeinderat nicht zugestimmt habe. Auf den Widerspruch des F hin hebt das Regierungspräsidium mit Widerspruchsbescheid vom 25. November diesen Bescheid der G auf und erteilt die beantragte Baugenehmigung. Das Bauwerk sei privilegiert, weil die Fischerei im Grunde Landwirtschaft sei und ein Bootsschuppen seinem Zweck nach ohnehin in den Außenbereich gehöre. F betreibe jedes Jahr beim sommerlichen Hafenfest und beim Weihnachtsmarkt einen Grillstand mit dem eigenen Fang und könne deshalb mit minimalen Mitgliederbeiträgen auskommen. G sieht sich durch diese Entscheidung schon deshalb in eigenen Rechten beeinträchtigt, weil das Regierungspräsidium mit keinem einzigen Wort auf die Versagung des Einvernehmens eingegangen sei und sie so in ihrem formalen Beteiligungsrecht aus § 36 BauGB verletzt habe. Das Regierungspräsidium liege aber auch deshalb falsch, weil der Außenbereich für die Erholung der Allgemeinheit und nicht für private Vereinsheime dienen solle. Schließlich lege G größten Wert auf einen unberührten Uferbereich und wolle keine Splittersiedlungen. Der Bürgermeister will keine rechtlichen Schritte versäumen und sucht einen Rechtsanwalt auf. Dieser meint, vor der Erteilung einer Baugenehmigung hätte erst einmal der zuständige Gemeinderat beteiligt werden müssen. Außerdem sei eine Genehmigung aus Gründen des Landschaftsschutzes ausgeschlossen. Und schließlich liege ein Ermessensfehler vor, weil das Regierungspräsidium bei der Ermessensausübung nach § 35 II BauGB die Interessen der Gemeinde stärker hätte gewichten müssen.

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Welche Schritte wird der Anwalt der G empfehlen und mit welcher Aussicht auf Erfolg? Gliederung I.Vorüberlegung II.Zulässigkeit des Antrags 1.Verwaltungsrechtsweg (§ 40 I 1 VwGO) 2.Statthafte Antragsart Problem: Anfechtungsklage und Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung 3.Antragsbefugnis (§ 42 II VwGO analog) a)§ 36 I 1 BauGB aa)Verfahrensfehler Problem: Erforderlichkeit des Einvernehmens bb)Schutzrichtung Problem: § 36 I 1 BauGB als Schutznorm? b)Materielle Planungshoheit (Möglichkeitstheorie) 4.Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen III.Begründetheit des Antrags 1.Formelle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung a)Zuständigkeit b)Verfahren Problem: Erforderlichkeit des Einvernehmens c)Formfehler 2.Materielle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung a)Genehmigungspflichtiges Vorhaben b)Verstöße gegen das Bauplanungsrecht (§ 35 BauGB) aa)Privilegiertes Vorhaben gem. § 35 I Nr. 1 BauGB Problem: „Berufsmäßigkeit” bb)Privilegierung gem. § 35 I Nr. 4 BauGBProblem: „Soll” cc)Genehmigungsfähigkeit nach § 35 II BauGB dd)Belange von Landschaftspflege und Landschaftsbild (§ 35 III Nr. 5 BauGB) Problem: „Verunstalten” ee)Entstehung/Verfestigung einer Splittersiedlung (§ 35 III Nr. 7 BauGB) Problem: Wohngebäudebezogenheit? c)Verstoß gegen Bauordnungsrecht und sonstige von der Baurechtsbehörde zu prüfende Vorschriften d)Ermessen (Rechtsfolgeseite) Problem: Eröffnung von Ermessen („kann”)? e)Beeinträchtigung der G in eigenen Rechten Problem: Prüfungsumfang

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05.01.2021

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3.Ergebnis IV.Gesamtergebnis Lösung I. Vorüberlegung In Betracht kommen ein Widerspruch, die Erhebung der Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung und ein Antrag nach §§ 80 V, 80a III VwGO. Das Vorverfahren entfällt gem. § 68 I 2 Nr. 2 VwGO, weil der Widerspruchsbescheid für die G erstmalig eine Beschwer enthält. Daher ist kein Widerspruch einzulegen. Eine Anfechtungsklage muss erhoben werden, weil sonst der Widerspruchsbescheid unanfechtbar wird. Diese hat aber keine aufschiebende Wirkung, weil auch die Klage der G eine „Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens” (§ 212a I BauGB) darstellt; Dritter ist auch die Gemeinde1. Daher muss zusätzlich noch ein Eilantrag gem. §§ 80 V, 80a III VwGO gestellt werden. Da der gewünschte effektive Rechtsschutz hier der vorläufige Rechtsschutz ist und die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage inzident im Rahmen der Begründetheit des Eilantrags geprüft werden, kann insoweit ein eigenständiges Gutachten entfallen. Zu prüfen ist also nur der Eilantrag. Die doppelte Prüfung, also von Klage und Eilantrag, ist aber kein Fehler, sondern vom Ansatz her eigentlich richtig. II. Zulässigkeit des Antrags 1. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 I 1 VwGO) Es muss sich bei der Streitigkeit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handeln. Dies ist der Fall, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Diese Normen könnten hier § 58 BadWürttBO, §§ 35, 36 BauGB sein. Wenn die Tatbestände dieser Normen erfüllt sind, ist der Erlass einer Baugenehmigung möglich. Es wird demzufolge eine Behörde ermächtigt, hoheitliche Aufgaben auszuführen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor. 2. Statthafte Antragsart Effektiver Rechtsschutz ist nötig. Daher ist zu prüfen, ob durch einen Eilantrag die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindert werden muss. Hier kommt der Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung zu, da die Gemeinde G Dritte i.S. von § 212a I BauGB ist. G möchte die aufschiebende Wirkung ihrer Klage nach § 80 I VwGO. Diese ist gem. § 80 II 1 Nr. 3 VwGO, § 212a BauGB durch Gesetz ausgeschlossen. Heckel: Fortgeschrittenenklausur – Öffentliches Recht: Baurecht – Bootsschuppen am Bodenseeufer(JuS 2011, 904)

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Eine Klage ist also zwar nötig, um die Bestandskraft zu verhindern, aber nicht ausreichend. Daher muss G zusätzlich einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach §§ 80a III 1 i.V. mit I Nr. 2, 80 V VwGO stellen. Ein Antrag gem. § 123 VwGO kommt nicht in Betracht, da um die aufschiebende Wirkung eines Widerspruches gegen einen VA gestritten wird. 3. Antragsbefugnis (§ 42 II VwGO analog)

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Möglicherweise verletzte Rechte sind konkret zu benennen: Nach der Möglichkeitstheorie kommt es darauf an, ob hier möglicherweise eine Rechtsvorschrift verletzt ist, die dem Schutz der G dient (Schutznormtheorie). a) § 36 I 1 BauGB (Verletzung der Verfahrensvorschrift, fehlendes Einvernehmen der Gemeinde)? Nach der Möglichkeitstheorie kommt es darauf an, ob hier möglicherweise ein Verfahrensfehler vorliegt und G sich hierauf auch berufen kann, weil diese Verfahrensvorschrift ihrem Schutz dient. aa) Verfahrensfehler. G hat das Einvernehmen hier nicht erteilt. Es wurde auch nicht (in tatsächlicher Hinsicht) durch das Regierungspräsidium als im Widerspruchsverfahren zuständige Behörde nach § 36 II 3 BauGB, § 54 IV 1 BadWürttBO ersetzt, denn nach dem Sachverhalt ging das Regierungspräsidium „mit keinem einzigen Wort auf die Versagung des Einvernehmens ein”. Auch eine konkludente Ersetzung des Einvernehmens scheidet aus, denn der Sachverhalt gibt keinen Anhaltspunkt für einen entsprechenden „Ersetzungswillen” des Regierungspräsidiums, für eine entsprechende Ermessensentscheidung und für den Willen der Vollstreckung dieser Ersetzung mit Erteilung der Genehmigung (vgl. § 54 IV 3 BadWürttBO), zumal insoweit eine besondere Begründung gegeben werden muss (§ 54 IV 4 BadWürttBO). In rechtlicher Hinsicht stellt sich deshalb zunächst die Frage, ob das Einvernehmen überhaupt erforderlich ist. Zweifel hieran bestehen deshalb, weil die Gemeinde G selbst als Baurechtsbehörde beteiligt ist. Vom BVerwG wird diese Frage verneint. § 36 I 1 BauGB setze nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf Wortlaut, Sinn und Zweck, die gemeindliche Planungshoheit zu sichern, zwei verschiedene Willensträger voraus. Das Einvernehmen sei deshalb jedenfalls dann entbehrlich, wenn in der Gemeinde die Funktionen der Baugenehmigungsbehörde und des Planungsträgers in ein und derselben Behörde gebündelt seien. Des förmlichen Einvernehmens nach § 36 I 1 BauGB bedürfe es kraft Bundesrechts auch dann nicht, wenn innerhalb der Gemeinde für die Erteilung der Baugenehmigung verschiedene Organe zuständig sind. Aus der Entbehrlichkeit des Einvernehmens könne gefolgert werden, dass die Verweigerung des Einvernehmens unbeachtlich ist und keine Rechtsfolgen auslöst2. Im Sinne der Möglichkeitstheorie erscheint es daher nicht ausgeschlossen, dass das Einvernehmen erforderlich ist. Da diese Frage in Literatur und Rechtsprechung allerdings umstritten ist3, kann hier auch die Gegenauffassung vertreten werden. Diese kann sich v.a. darauf stützen, dass innerhalb der Gemeinde der Gemeinderat als Hauptorgan der Träger der kommunalen Planungshoheit ist und dieser nach dem Sinn der Gemeindebeteiligung nicht übergangen werden soll. bb) Schutzrichtung (Verletzung der G in eigenen Rechten). Unabhängig hiervon ist die Überlegung, ob allein die Verletzung des formalen Beteiligungsrechts (also der reinen Verfahrensvorschrift des § 36 I 1 BauGB) der Klage zum Erfolg verhelfen kann. Auch wenn man das Einvernehmen für erforderlich hält (oben aa), stellt sich die Frage, ob G sich auf eine Verletzung dieser Verfahrensvorschrift hier im Anfechtungsprozess berufen kann, ob § 36 I 1 BauGB also eine Schutznorm zu Gunsten der G ist. Insoweit kann argumentiert werden, dass das Verfahrensrecht des Einvernehmens dem Schutz der kommunalen Planungshoheit diene und deshalb zu Gunsten der Gemeinde drittschützend sei. Nach der Rechtsprechung des BVerwG setzt der Erfolg eines Abwehranspruchs jedoch vielmehr die Verletzung der Gemeinde in ihrer materiellen Planungshoheit

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voraus4. Als Argument hierfür könnte man § 36 II BauGB anführen, wonach sich die Gemeinde nur auf bestimmte planungsrechtliche Erwägungen stützen darf5. Auf diese Rechtsprechung gestützt ist es vertretbar, bereits die Klagebefugnis zu verneinen. Richtiger erscheint es jedoch, wenn mit der Möglichkeitstheorie die Klagebefugnis bejaht und die Prüfung in die Begründetheit verlagert wird. b) Materielle Planungshoheit (Möglichkeitstheorie) G ist möglicherweise in ihrer Planungshoheit verletzt, die ihre Rechtsgrundlage in Art. 28 II 1 GG findet (vgl. auch §§ 1 III, 2 I BauGB). Eine Verletzung der Planungshoheit ist dann zu bejahen, wenn die Gemeinde das Einvernehmen aus einem in § 36 II BauGB genannten Grund zu Recht verweigert. Eine solche Rechtsverletzung ist hier jedenfalls möglich. Zwar haben obergerichtliche Urteile6 in den vergangenen Jahren hier Einschränkungen vorgenommen und die Auffassung vertreten, die Gemeinde könne sich nicht auf das in § 36 II 1 BauGB normierte vollständige planungsrechtliche Prüfprogramm berufen; doch dies wurde zum einen vom BVerwG mittlerweile korrigiert und ist zum anderen eine Frage der Begründetheit7. G ist also im Ergebnis antragsbefugt gem. § 42 II VwGO analog. 4. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen G ist als juristische Person des öffentlichen Rechts gem. § 61 Nr. 1 VwGO beteiligungsfähig. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben. Der Antrag ist nicht fristgebunden Heckel: Fortgeschrittenenklausur – Öffentliches Recht: Baurecht – Bootsschuppen am Bodenseeufer(JuS 2011, 904)

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und die Klagefrist noch nicht abgelaufen, die Baugenehmigung also noch nicht unanfechtbar. Der richtige Antragsgegner (Land)8 bestimmt sich nach dem Rechtsträgerprinzip (vgl. § 79 VwGO). Nach diesem Prinzip ist der Rechtsträger der handelnden Behörde der richtige Antragsgegner. Hier erteilte das Regierungspräsidium als die zuständige Widerspruchsbehörde und höhere Baurechtsbehörde die Baugenehmigung nach § 58 BadWürttBO. Damit ist das Land als Rechtsträger des Regierungspräsidiums richtiger Antragsgegner. III. Begründetheit des Antrags Bei der Entscheidung des Gerichts auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 V VwGO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Innerhalb dieses Ermessens muss das Gericht die betroffenen Rechtsgüter abwägen. Im Rahmen dieser Abwägung prüft das Gericht die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Wenn der angegriffene VA voraussichtlich rechtswidrig ist, besteht kein Sofortvollzugsinteresse; wenn hingegen der Rechtsbehelf in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg hat, sind die Interessen des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung als gering einzuschätzen. Die Interessen der Antragstellerin G überwiegen also, wenn die Baugenehmigung vom Regierungspräsidium rechtswidrig an F erteilt worden und G als Gemeinde dadurch in ihren Rechten verletzt ist. Prüfungsgegenstand ist hier der Widerspruchsbescheid (§ 79 I Nr. 2 VwGO). Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ist offensichtlich und muss nicht gesondert angesprochen werden; dass eine Anfechtungsklage zulässig ist, ergibt sich aus der Zulässigkeit des Eilantrags und der Entbehrlichkeit des Vorverfahrens (s. Vorüberlegung). 1. Formelle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

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a) Zuständigkeit Zuständig für den Erlass des Widerspruchsbescheids ist die nächsthöhere Behörde (§ 73 I Nr. 1 VwGO). Den Ausgangsbescheid hat die G auf Grund ihrer Regelzuständigkeit (§ 48 I BadWürttBO) als untere Baurechtsbehörde erlassen (§ 46 I Nr. 3 und II BadWürttBO). Darüber steht als höhere Baurechtsbehörde das Regierungspräsidium (§ 46 I Nr. 2 BadWürttBO). Für den Erlass des Widerspruchsbescheids ist daher das Regierungspräsidium als höhere Baurechtsbehörde zuständig. Damit hat die zuständige Behörde die Genehmigung erlassen. b) Verfahren Hinsichtlich des Genehmigungsverfahrens erscheint problematisch, dass die Baugenehmigung ohne das Einvernehmen des Gemeinderats erteilt wurde (vgl. die Ausführungen oben bei der Antragsbefugnis). Fraglich ist, ob diese Beteiligung nötig ist, wenn Baugenehmigungsbehörde und Gemeinde identisch sind. Die Beteiligung der Gemeinde (§ 36 I 1 BauGB) soll ihr als Planungsträgerin die Gelegenheit geben, ihre planerischen Vorstellungen einzubringen und gegebenenfalls auf den Bauantrag mit planungsrechtlichen Mitteln zu reagieren (Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans, Veränderungssperre, Zurückstellung). Zuständig hierfür ist – kommunalverfassungsrechtlich – der Gemeinderat als Hauptorgan (§ 24 I 1 und 2 BadWürttGO), es handelt sich um kein Geschäft der laufenden Verwaltung (§ 44 II BadWürttGO) und keine Weisungsaufgabe (§ 44 III BadWürttGO). Dieser Zweck könnte dafür sprechen, dass der Gemeinderat zu beteiligen gewesen wäre. Nach der neueren Rechtsprechung des BVerwG ist die Beteiligung jedoch nicht erforderlich9. Die Gemeinde ist als solche am Verfahren beteiligt und hat damit ausreichend Möglichkeit zu reagieren. Das BVerwG hat hierzu ausgeführt10: Die in § 36 I 1 BauGB vorgesehene Mitwirkung der Gemeinde dient der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit. Die Gemeinde soll als sachnahe und fachkundige Behörde dort, wo sie noch nicht geplant hat, oder dann, wenn ein Bauvorhaben von ihrer Planung abweicht, im Genehmigungsverfahren an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens mitentscheidend beteiligt werden. Darüber hinaus soll sie in den Fällen, in denen ein nach den §§ 31, 33–35 BauGB zulässiges Vorhaben ihren planerischen Vorstellungen nicht entspricht, von ihrer Möglichkeit Gebrauch machen können, durch Aufstellung eines Bebauungsplanes die planungsrechtlichen Grundlagen für die Zulässigkeit eines Vorhabens zu ändern und zur Sicherung der Planung die Mittel der Veränderungssperre oder der Zurückstellung von Baugesuchen zu ergreifen11. Die Beteiligung der Gemeinde ist dem Umstand geschuldet, dass über den Bauantrag allein die Baugenehmigungsbehörde entscheidet. Nur ihr Bescheid wirkt unmittelbar nach außen und regelt die Rechtsverhältnisse hinsichtlich des Baugesuchs. Lediglich über den Weg der Einvernehmensversagung kann die Gemeinde verhindern, dass ein Bauvorhaben verwirklicht wird, das bauplanungsrechtlich unzulässig ist oder ihren planerischen Vorstellungen widerspricht. Des Schutzes, dem § 36 I 1 BauGB zu dienen bestimmt ist, bedarf die mit der Baugenehmigungsbehörde identische Gemeinde nicht, denn sie kann den Zweck des Einvernehmenserfordernisses selbst erfüllen12. Die Gefahr, dass der zuständige Rechtsträger ein Bauvorhaben über ihren Kopf hinweg genehmigt, besteht nicht. Zwar ist vorstellbar, dass dann, wenn innerhalb der Gemeinde für die Erteilung der Baugenehmigung und die Erklärung des Einvernehmens verschiedene Organe zuständig sind, bei Wegfall des förmlichen Einvernehmens eine Koordination unterbleibt und die Planungshoheit dadurch zu kurz kommt. Es ist aber Sache der Gemeinde selbst oder des Landesgesetzgebers, durch nähere kommunalverfassungsrechtliche Regelungen dafür zu sorgen, dass die Belange der Planungshoheit hinreichend gewahrt bleiben. Aus

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Kopie von Samir Ahmadi, abgerufen am 05.01.2021 14:10 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK

Sicht des Bundesgesetzgebers bestand keine Veranlassung für die Einführung eines gesonderten Verfahrens zur internen Abstimmung zwischen verschiedenen Heckel: Fortgeschrittenenklausur – Öffentliches Recht: Baurecht – Bootsschuppen am Bodenseeufer(JuS 2011, 904)

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Organen der Gemeinde; das Bundesrecht enthält insoweit auch keine verfassungsrechtlichen Vorgaben13. Ein Verfahrensfehler liegt daher nicht vor. Bearbeiter, die mit der älteren Rechtsprechung einen Verfahrensfehler bejahen, müssen noch prüfen, ob sich G darauf im Prozess berufen kann. Nach dem BVerwG14 kann sich die Gemeinde nicht unter Berufung auf ihr fehlendes Einvernehmen zur Wehr setzen. In diesem Punkt ist auch die Gegenauffassung vertretbar, weil es eigentlich naheliegt, dass das Einvernehmen dem Schutz der Gemeinde und ihrer Planungshoheit dient...


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