Niemeyer (1799) Grundsätze der Erziehung PDF

Title Niemeyer (1799) Grundsätze der Erziehung
Course BM1 Grundlagen der Bildungswissenschaft
Institution Universität Wien
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Niemeyer(1799) – Grundsätze der Erziehung 1 - Der Naturmensch Mensch anders als bereits bekannte Wesen; Körper wächst und erlernt Fähigkeiten ohne Hilfe; die Sinne empfangen Eindrücke aus der Außenwelt, Vorstellungen werden gebildet und die Vernunft wird tätig (unterscheidet Mensch von der tierischen Schöpfung) 2 - Bedürfnis des Menschen erzogen und unterrichtet zu werden Mensch bedarf von Geburt an (Kindheit, Jugend) fremder Hilfe, diese muss ersetzen was dem Tier mit dem Instinkt gegeben ist und was er sich später durch seine Selbstständigkeit gereifter Vernunft verschaffen soll. Ohne Pflege ist der Körper (den er mit dem Tier gemein hat) in ständiger Gefahr der Verkrüppelung und des Todes; ohne Einwirkung anderer Vernunftwesen erreicht seine Überlegenheit gegenüber Vernunftlosen nie die Vollkommenheit, die es durch seine ursprünglichen Anlagen erreichen könnte; höchste Anlage ist die Vernunft, welche sich durch Selbstständigkeit ankündigt; ohne fremde Unterweisung würde er sich einen Vorrat an Kenntnissen durch seine Wahrnehmung der Außenwelt erwerben können (langsamer, unvollständig) 3 – Erziehung und Unterricht im weiteren Sinn Mensch bedarf folglich der Erziehung und des Unterrichts, im weiteren Sinne kann man alles, was ihm zum ungehemmten Gebrauch der in ihm schlummernden Kräfte verhilft und Kenntnisse zuführt, als solchen bezeichnen; insofern wird die Erziehung und der Unterricht nicht bloß auf die Jahre der Kindheit und Jugend eingeschränkt, sondern, da die geistigen Kräfte des Menschen eines beständigen Wachstums fähig sind, auch in reiferen Jahren fortgehen; Ebenso wenig wird die Erziehung und der Unterricht in diesem Sinne bloß der Wert anderer Menschen, aber gar das eigene absichtlich dazu bestimmter oder sich selbst bestimmter Personen sein; Klima, Staat, Gesellschaft und das wechselnde Schidsat? des Lebens, und so vieles andere, was weder in eigener noch in anderer Gewalt steht, wird von den Menschen halb zwingend, halb erziehend unterrichtet; unter der Voraussetzung einer allwaltenden Vorsehung, von welcher das Schidsat jedes Wesens nach Zwecken bestimmt ist, kann man den Anteil, den jene zufällig scheinenden Umstände an der Bildung jedes Einzelnen haben, die Erziehung Gottes oder die Schule der Vorsehung nennen 4 – Erziehung und Unterricht im engeren Sinn In der strengeren Bedeutung, worin hier von Erziehung und Unterricht gehandelt werden soll, sind die Begriffe enger begrenzt. Der Mensch wird in einem bestimmten, fremder Hilfe und Einwirkung bedürftigen Alter zu dem Alter der Kindheit und Jugend gebracht, das sich zwar nicht durch scharfe Grenzen gewisser Jahre, aber doch im Allgemeinen so bestimmen lässt – dass die Erziehung und Unterweisung zurücktritt, wenn die Periode physischer und moralischer Reife eingetreten ist, und jene Selbstständigkeit (+ Vernunftgebrauch)erreicht ist und keiner Vormundschaft mehr bedürftig ist. Nachdem ist hier nicht die Rede von einer zufälligen und planlosen, sondern von einer absichtlichen und nach Zwecken unternommenen physischen und geistigen Einwirkung auf den Zögling, nach allen seinen Anlagen und Kräften, wodurch er zum früheren Bewusstsein derselben gebracht und ihnen gemäß ausgebildet werden soll; die Erziehung beschränkt sich darauf, das in der Anlage des Zöglings Vorhandene zu erhalten, zu verbessern und das von der Natur gegebene zu entwickeln, der Unterricht dagegen führt dem Lehrling auch von außen Begriffe, Kenntnisse und Erfahrung zu und gibt seinen eigenen Kräften durch bewährte Gesetze und Methoden die glücklichste Richtung

5 – Entstehung allgemeiner Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts nach welchen Grundsätzen der Mensch am besten erzogen und unterrichtet werde, das war von je her ein Gegenstand des Nachdenkens derer, die sich überzeugt hatten, wie viel überhaupt davon abhänge, dass man ihn erziehe und unterrichte; mit jedem Fortschritt einer Nation ward die Notwendigkeit, aber auch die Schwierigkeit des Geschäfts richtiger eingesehen; die Grundsätze selbst konnten anfangs nur aus der Erfahrung abgeleitet werden, was sich darin am meisten bewährte, ward als Regel angenommen; je tiefer man aber in die Natur des Menschen eingedrungen ist und die Gesetze seines äußeren und inneren Organismus kennen gelernt hat, desto mehr ist es auch gelungen, aus der Kenntnis der Natur selbst Resultate für die ihr angemessene Bildung zu ziehen; Hierbei hat man entweder den Zögling durch alle Stufen seiner natürlichen Entwicklung begleitet, oder, nach einer allgemeinen Betrachtung der Menschennatur, mit Beziehung auf die Bildung von verschiedenen Seiten, die Materien mehr nach einer systematischen Ordnung verteilt, woraus eine wissenschaftlich behandelte Erziehungs- und Unterrichtslehre oder die Pädagogik und Didaktik hervorgegangen ist, beide Methoden sind von achtungswerten Schriftstellern dieses Fachs befolgt worden Danach folgen bis S. 12 Literaturangaben 10 – Objektive und subjektive Einteilung der Erziehung das Objekt der Erziehung ist der Mensch nach seiner ganzen Natur und der ihr einwohnenden lebendigen Kraft; diese, unergründlich in ihrem innersten Wesen, erscheint uns verschiedenartig in ihren Wirkungen; auf diese Erscheinung gründet sich die bekannte, zwar nicht notwendige, aber weder unbequeme, noch unfruchtbare Einteilung der Kräfte in körperliche oder geistige, von denen die letzteren teils dem Erkenntnisvermögen, teils dem Begehrungsvermögen angehören; Soll man die Erziehung, die Entwicklung und Bildung der gesamten Menschenkraft befördern, so wird sie teils körperlich, teils geistige Erziehung sein, und in letzter Einsicht auf Ausbildung des Verstandes, des Gefühls, des Willens abzweigen; Insofern lässt sich eine intellektuelle, ästhetische und moralische Erziehung unterschreiben – Außerdem kann man den Menschen entweder ohne alle Rücksicht auf bestimmte Verhältnisse, selbst ohne Rücksicht auf das Geschlecht, oder unter gewissen Bedingungen betrachten; so teilt sich die Erziehung nach dem Geschlecht in Erziehung der Söhne und der Töchter, nach dem herkömmlichen Standesunterschied und der künftigen Bestimmung in Erziehung des Landmannes, des Bürgers, des Soldaten, des Kaufmanns, des Künstlers, des Gelehrten, des Adels, des Fürsten – nach der Erziehungsart in die häusliche oder Familienerziehung, und die öffentliche auf Schulen und Erziehungsanstalten oder Pädagogien 11 – Möglichst allgemeine Erziehungsregeln alle Veränderungen der menschlichen Natur und ihrer Kräfte erfolgen unter gewissen Bedingungen und nach gewissen Gesetzen, welche sich wenigstens zum Teil durch genaue Beobachtung entdecken und in ein wissenschaftliches System ordnen lassen, wie es die Anthropologie und Psychologie versucht; es gibt, so entschieden auch nicht ein Mensch dem andern völlig gleich ist, gleichwohl etwas Gemeinsames in der Natur des Menschen, was man überall voraussagen, und dann von gleichen Wirkungen auch in der Regel gleiche Erfolge erwarten darf; dies ist nicht nur bei dem erwachsenen Menschen, im Zustande seiner vollen Reife und Ausbildung, es ist schon in den frühesten Jahren der Fall; von der ersten Kindheit an bilden sich alle Anlagen, entwickeln sich alle Kräfte nach dem ewigen Gesetz der Natur; wenn nur Erziehung in einer absichtlichen Einwirkung auf den Menschen zur Beförderung jener Bildung befiehlt, wenn sie nicht dem Zufall und einem gefahrenlosen Mechanismus überlassen bleiben, vielmehr noch einem bestimmten Plan, nach einem festen Prinzip, zu einem gemeinsamen Hauptzweck, dessen Bestimmung die Aufgabe der Ethik ist, Veränderungen in ihm hervorbringen soll – so wird der, welcher die Menschennatur am tiefsten

ergründet und so weit es möglich den Uranfang aller ihrer Veränderungen erforscht hat, auch am sichersten sein, die allgemeinen Regeln zu finden, wie man jene Bildung und Entwicklung naturgemäß befördern könne; es kann also keinen Zweifel leiden – das es allgemeine Erziehungsregeln geben könne und wirklich gebe 12 – Begriff der Erziehungslehre und der Erziehungsvernunft. Ihr gegenseitiges Verhältnis der Inbegriff dieser Regeln, oder die Theorie der Erziehungsgesetze, heißt die Erziehungslehre oder Erziehungswissenschaft (theoretische Pädagogie); ihr Studium bildet den theoretischen Erzieher (Pädagogiker); die Geschicklichkeit in der praktischen Anwendung der Theorie, oder die Summe der Kenntnisse und Fertigkeiten, welcher ein Erzieher besitzen muss, ist die Erziehungskunst (Praktische Pädagogik) sie ist das Geschäft der Erziehers (Pädagogen); die Kunst beruht demnach auf der Wissenschaft; wenn gleichwohl die Erfahrung lehrt, dass viele Menschen glücklich erziehen, ohne jemals über die allgemeinen Prinzipien nachgedacht, viel weniger sie in ein System gebracht zu haben, sodass entweder die Natur das Beste, oder es gründet sich ihre Methode auf gewisse psychologische Prämissen, welche ihr gesunder Menschenverstand aus der Erfahrung und aus dem Umgang mit Menschen, besonders mit Kindern, abgezogen hatte, und die sie anwendeten, ohne sich dessen selbst deutlich bewusst zu sein; je vollständiger und richtiger man folglich die Theorie lernt , desto geschickter sollte man auch in der Kunst sein; wenn gleichwohl nicht immer die besten Theoretiker am glücklichsten in der Ausübung waren, wo fehlt es ihnen, bei aller Kenntnis der Gesetze, doch entweder an dem guten Willen, danach zu handeln, oder an dem rechten Urteil, und an der Klugheit, allgemeine Regeln und die rechte Art anzuwenden, an tiefer Kenntnis der eigentümlichen Beschaffenheit der Zöglinge, und an dem Beobachtungsgeiste, dem keine Modifikation der natürlichen Anlagen und Kräfte entgeht; dass aber, wie einige gemeint haben, die Theorie wohl gar der Praxis schade, kann entweder nur von einer unrichtigen, folglich auch irre führenden Theorie gemeint sein, oder es kann nur insofern zugegeben werden, als spekulative Köpfe oft gerade am wenigsten bemüht sind, sich auch praktische Fertigkeiten zu erwerben 13 – Wert einer Theorie der Erziehung Man beurteilt den Wert jeder Theorie entweder absolut, sofern man ihren Gegenstand und ihren Zweck an sich betrachtet, oder relativ nach ihrer Brauchbarkeit und den Wirkungen, welche sie hervorgebracht hat oder noch hervorbringt; von der ersten Seite darf man es wohl für allgemein eingestanden halten, dass eine Wissenschaft, welche die edelste aller uns bekannten Naturen zum Gegenstande hat und sich die Beredung tiefer Natur zum Zweck setzt, an Werte keiner anderen nachstehe, viel mehr über die meisten anderen den Rang behaupte; denn da es erfahrungsgemäß, und von den weisesten Menschen aller Zeiten und aller Nationen anerkannt ist, das unendlich viel davon abhängt, ob und wie die natürlichen Anlagen und in welchem Grade die vorhandenen Vermögen , des Körpers sowohl als der Seele, genährt und erhört oder verwahrlost und verdorben werden, so muss man unstreitig die , welche die beste Anweisung dazu gaben und die bewährtesten Grundsätze darüber aufstellten, unter die größten Wohltäter des menschlichen Geschlechts rechnen; wenn daneben fast jeder gereifte Mensch, wenigstens von der Natur, dazu bestimmt ist, Vater oder Mutter zu werden, wenn die meisten, wenigstens die besten Menschen wünschen, sich dereinst in diesem schönsten aller Verhältnisse gegen andere vernünftige Wesen zu erblicken; wenn man endlich das physische Leben , welches Eltern geweckt haben, bei weitem nicht allein das wahre Leben ist, dessen vernünftige Wesen fähig sind, dies vielmehr nur dem Zugeschriebenem werden kann, der zum freien Gebrauch aller seiner Anlagen und Kräfte gelangt ist: - welche Wissenschaft verdiente wohl mehr von allen Ständen studiert, aber durch geschickte Lehrer mitgeteilt zu werden, als die, wodurch Eltern das erst vollenden und sich zum Verdienst machen können, was sie durch die Erzeugung der Kinder, ohne besonderen Verdienst, angefangen haben?

14 – Zweifel an dem Werte pädagogischer Theorien alle Zweifel an dem Werte pädagogischer Grundsätze und Regeln sind von gewissen Erfahrungen hergenommen, welche man in der wirklichen Welt gemacht haben will, und die beweisen sollen, dass, so gut jene Grundsätze, so edel ihre Zwecke an sich sein mögen, doch ihre Brauchbarkeit sehr verdächtig, und ihre Wirksamkeit dem Ideal, das sie austeilen, auf keine weise entsprechend sein; aus dem Munde dieser welche überhaupt alles Philosophieren verachten, und ihre ganze Aufklärung in das setzen, was sie Weltkenntnis und Lebensklugheit nennen- womit allerdings in der großen Welt oft auszukommen ist – darf ein solches Urteil nicht befremden. Selbst zu ungewohnt; allgemeine Begriffe zu bilden und den Gegenständen des Nachdenkens bis auf ihre ersten Gründe nachzuspüren, haben stolz auf ihre Trägheit? halten sie alles, was nicht unmittelbar in die Sinne fällt, oder nicht sofort zu gebrauchen ist, für Träumereien mäßiger Theoretiker, die der gesunde Menschenverstand der praktischen Philosophen als Hirngespinste verschmähe, in diese Klasse? Kommen also auch natürlich die Theorien über Pädagogik; wer so urteilt, möchte auch schwer von dem Gegenteil zu überzeugen sein; der Sinn hat für das Große und Heilige in den Anlagen der Menschheit, ehrt die Theorie der Erziehungskunst selbst in dem, was darin idealistisch sein mag, und weiß überdies, dass nicht alles idealistisch ist, was dem Beschränktem und Trägen als solches erscheint 15 – Zweifel an der Möglichkeit einer allgemeinen Theorie der Pädagogik bedeutender scheinen die Einwürfe, welche auf Tatsachen beruhen sollen, und es ist nötig, die wichtigsten zu hören und zu prüfen, ehe man es der Mühe weiter wert achtet, eine Theorie der Erziehung zu versuchen; einige betreffen jede Theorie oder die Erziehungswissenschaft überhaupt, andere die neuere Theorie, oder das, was man unbestimmt die neue Pädagogik nennt – wenn bei den ersteren bloß davon die Rede wäre , das der Erreichung des Ideals einer Bildung und Veredlung der ganzen Menschheit von der Natur selbst unüberwindliche Hindernisse in den Weg gelegt zu sein scheinen, ja das die klimatische Verschiedenheit der Menschen es geradehin unmöglich macht, durch gleiche Mittel gleiche Zwecke an ihnen zu erreichen, so kann es in der Tat nur dem, welcher mit den mannichsaltigsten? Erscheinungen und der physischen Geschichte des Menschen in den entgegengesetzten Zonen und auf allen Stufen der Kultur unbekannt ist , oder in einer so anmaßenden Philosophie, wie wir erlebt haben, die alles setzen und schaffen zu können wähnte, einfallen, hierin anderer Meinung zu sein; hohe Achtung verdient unstreitig jeder Versuch begeisterter, von Religion und Liebe durchglühter Menschenfreunde, die ihre Bücher selbst an den äußersten Boten humanisieren und den auch in ihnen liegenden Reim des höheren Lebens werden möchte; da wie erstarren der ewige Winter , wie ausdorrend die brennende Glut auf ihren Körper wirken mag, doch in der Tiefe auch ihrer geistigen Natur jener Reim schlummert, und das er erwachen könne, durch einzelne Erfahrungen gewiss wird; gleichwohl werden solche Versuche höchstens zu einer Annäherung an die Glücklichgeborenen in den gemäßigten Zonen, schmerzlich zu einer gänzlichen Umgestaltung in der Form führen können, auf die letzteren waren auch unstreitig alle Theorien der Pädagogik bisher nur berechnet; und selbst da gibt es noch in der besonderen lage der Einzelnen harte Notwendigkeiten, die, bei aller Anlage und Fähigkeit zur Beredlung? , sie selbst so gut als unmöglich machen 16 – Zweifel an der Theorie aus dem geringen Erfolg Doch selbst gegen eine Theorie, die allein auf die Klasse der Menschheit berechnet ist , welche die Natur selbst der Kultur näher gestellt und dafür empfänglicher gemacht zu haben scheint, hat man noch manchen Zweifel übrig; „es sei“ sagt man zuerst, „bis jetzt kein bedeutender Erfolg dabei zu bemerken, indem bei allen noch so eifrigen Bemühungen, wovon jedes Zeitalter Beispiele lieferte, doch die Menschen im ganzen genommen, wo nicht schlechter würden, doch gewiss blieben, wie sie wären, es scheine folglich das Werk des Zufalls und mehr oder minder günstiger umstände zu sein,

wenn einige sich zu vorzüglichen Menschen ausbildeten, andere gemein aber schlecht blieben“ – bei diesem Einwurf wird aber 1) das unläugbare? Gute, welches gewisse Völker und gewisse Zeitalter von andern voraushaben, und der Anteil, welchen eine vernünftige Jugendbildung von jeher daran gehabt hat, fast ganz übersehen; man redet von der Menschheit im Ganzen, die sich davon dem Steigen und Sinkender Nationen vielleicht gleich geblieben sein kann, so wenig auch ein gewisser allgemeiner Fortschritt zur Vollkommenheit zu verkennen ist; man sollte aber Völker mit Völkern, den Zustand einzelner Nationen in einem früheren mit ihrem Zustande in einem späteren Zeitalter vergleichen, und dann entscheiden, ob bessere oder schlechtere Erziehung ohne allen Einfluss darauf geblieben sei; überdies wird 2)übersehen, dass das Vorhandensein besserer Einsichten weder ihre Allgemeinheit noch die Willigkeit, danach zu handeln, zu Folge hat; Nicht die Wissenschaft, sondern die Menschen tragen die Schuld, wenn diese nicht geachtet wird, wie sie es verdient; Sie hat aber diese Schicksal mit anderen Wissenschaften gemein, und man müsste wenn man konsequent sein wollte, eben sowohl die Religionslehre, die Sittenlehre, die Philosophie, als die Pädagogik für unbrauchbar erklären, weil auch sie bei weitem nicht so allgemein geschätzt und befolgt werden, als sie verdienen; wenn aber 3) die Bildung des Charakters bloß das Werk des Zufalls, nicht der Erziehung sein sollte, so würde man sich kaum das Zusammentreffender Urteile des Gemeinsinnes bei Menschen von den verschiedensten Graden der Reifebildung erklären können , welche sämtlich den Verbrecher mehr bedauern, welchen sie in der Erziehung verwahrlost halten , den hingegen härter anklagen, welcher eine sorgfältige Erziehung genossen hat 17 – Die beste Erziehung misslinge so oft „Aber wie kommt es“ – fährt man fort – „dass diese sorgfältige Erziehung so oft misslingt, dass aus dem edelsten Familienkreise hie und da, wo nicht Bösewichter, doch schwache Menschen hervorgehen, indes ganz vorzügliche Menschen ohne alle Erziehung aufgewachsen und alles durch sich selbst geworden sind?“ – Dies erklärt sich daraus, dass 1) die sorgfältige Erziehung nicht immer die weiseste Erziehung ist, und dass die wohlmeinendsten Eltern sehr oft gerade durch das, wovon sie sich am meisten Gutes hoffen, am meisten verderben, dass z.B.: manche Art religiöse Erziehung irreligiöser macht, dass immer bewachte Jugend unbewacht nicht aushält; dass Strenge und Güte beide unentbehrlich zum Erziehen – nur in dem richtigen Verhältnis zum Zweck führen; dass 2) gemeiniglich in Familien, wo Sorgfalt auf Erziehung gewendet wird, zu viel Gleichförmiges in der Behandlung der Kinder ist, da doch die Kinder selbst durchaus verschieden sind, folglich oft, was das eine bildet, das andere missbildet, 3)dass die Erziehung , welche der heranwachsende Mensch von seinen Eltern und Führern erhält, nicht allein auf ihn wirkt, dass der Einfluss anderer Menschen und der ihn umgebenen Umstände oft zu mächtig ist und von allen Seiten auf ihn eindringt, indes die Erziehung nur von einer Seite ihre Kraft äußern kann; denn 4)vorzügliche Menschen alles durch sich selbst geworden zu sein scheinen, so beweist dies bloß, dass wiederum die Erziehung Menschen es nicht allein ist, was den Menschen bildet, dass einige obwohl in seltenen Ausnahmen, genug innere Kraft haben, durch alle Hindernisse durchzudringen, dass man aber auch den diesen die äußeren Lagen und Umstände nicht übersehen darf, in welchen sie sich befanden, und die vielleicht gerade für die angemessensten und daher geschickt waren, zu ersetzen was ihnen an Erziehung im gewöhnlichen Sinn abzugehen schien; fährt man 5) die wenigen auffallenden Beispiele von Solchen an, die ohne Erziehung wurden, was sie sind, so müsste man um gerecht zu sein, auch die große Menge derer in Anschlag bringen, die durchaus verwahrlost sind, weil sie das Glück einer weißen Erziehung entbehrten; man müsste endlich 6) erst beweisen, dass sie unter dem Einfluss einer ihnen angemessenen Erziehung nicht noch vollkommener geworden, wenigstens vielen Gefahren entgangen sein würden, die ihnen von einer Seite sehr schädlich, wenngleich von einer anderen vielleicht nützlich wurden...


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